2. Von Mexiko-City nach Süden

Unsere Ankunft findet unter dem Deckmantel der Dunkelheit statt, der Moloch der 23 Millionenstadt liegt unter einer gleißenden Prunkdecke. Auf den Straßen wird nicht gehupt, die Luft ist warm und gut, die Häuser erinnern an eine mittelgroße spanische Stadt. Hier ist nicht der ohrenbetäubende Lärrm von Bombay zu hören. Unser Hotel in der Nähe des historischen Viertels wirkt etwas heruntergekommen. Der nächste Tag zeigt Mexiko-City mit einem anderen Gesicht, unser Hotel ist dem Lärm der engen Straße voll ausgeliefert. Erst spät, nach einem langen Vortrag unserer Reisebegleiterin Karin, der wir durchaus den Titel einer kenntnisreichen und gründlichen Reiseführerin verleihen möchten, gehen wir Geld tauschen.

Zocalo, tanzende Indios, templo major, Basilica. Vergeblich hat Christa versucht einen Mann im Rollstuhl, der ihr die Hände entgegenstreckte, in die Basilica zu schieben. Er wollte nicht, er wollte Geld. Er war ein Bettler. Als wir nachmittags am anthropologischen Museum ankommen, ist es geschlossen. Keiner weiß, warum. Dann beginnt es zu regnen. Christa und ich besuchen das Museum für moderne Kunst. Das imponierendste Kunstwerk ist das Museum selbst, dann drei Bilder von Frida Kahlo, faszinierende Bilder vom Surrealisten R.Varo und Holzskulpturen des Bildhauers Pascal in Form von Rädern und Säulen. Metro. Abends gemeinsames Essen. Neues Zimmer zu einem Innenhof, weg vom Straßenlärm.

Mit Metro und Bus nach Teotihuacan, dem größten Zeremonialzentrum der frühen Zeit, in dessen Umgebung vielleicht bis 250 000 (500 n. Chr.) Menschen lebten. Zwei riesige Pyramiden, die Sonnen- und Mondpyramide, weisen auf die Bedeutung des Tag- und des Nachtgestirns hin. Unter der 65 m hohen Sonnenpyramide mit 220 m Seitenlänge hat man eine natürliche Höhle gefunden, die als Erdschoss gedeutet wird, aus dem die Urahnen und Götter hervorgetreten sind oder sogar Sonne und Mond. Viele Götter der Mayas und Azteken, wie z.B. der Regengott Tlaloc, seine Schwester-Frau die Wassergöttin Chalchihuitlicue und die gefiederte Schlange Quetzalcoatl, finden sich hier. Die Bedeutung der damals sechstgrößten Stadt der Welt zeigt sich auch an den 400 Werkstätten für Keramik, Obsidian, Jade und Muschelbearbeitung. Eine breite 5 km lange Straße von mindestens 75 pyramidenförmigen Tempeln gesäumt, deren Stuckschichten rot-weiß bemalt waren, durchzieht in Nord-Süd-Richtung die Stadt. 50 n.Chr. gegründet, 750 zerstört, bleibt sie bis 1521, dem Sieg der Spanier, der Hauptwallfahrtsort der Indios.

Was wir sehen, ist eine eher langweilige Angelegenheit, viele "staubige Fußballfelder", mal hoch mal tief gelegen, dazwischen immer wieder Treppen und kahle graue Steinhaufen. Man muss schon lange suchen, um kümmerliche Reste von Farben und Skulpturen zu entdecken. Belebt wird das große Areal nur durch die vielen Andenkenhändler und Schulklassen.

Mittags beschließen wir, zurück in die Stadt zum anthropologischen Museum. Im Bus Sicherheitskontrolle. Zwei jüngere Mädchen tasten alle Einheimischen ab. Alle Männer lassen das Abtatschen ohne jede Bemerkung über sich ergehen. Der Busfahrer erhofft sich auch himmlische Sicherheit. Über seinem Kopf ein die Arme ausbreitender Christus, ein Kelch mit Hostie im Strahlenkranz, darunter "MI DULCE SENOR", darunter ein Kruzifix mit Korpus und Rosenkranz, darunter ein Bild mit der betenden Madonna. An der linken Kopfseite an Stelle eines Airbags ein großes Holzkreuz mit Korpus. Wir glauben mit ihm, uns kann nichts passieren! Wieder steigt ein Mensch mit Gitarre ein und singt Lieder, obwohl er weder singen noch spielen kann. Schrecklich. Wieder steigt ein Mensch mit Verkaufsartikeln ein. Vorhin Schokoriegel für die Streikkasse der Fahrer, jetzt kleine Schmuckkettchen.

Der Museumsbesuch wird zum Höhepunkt der ersten Tage. Die Art der Präsentation und die Großartigkeit der Objekte sind beeindruckend. Der Hauptsaal ist der alten Aztekenhauptstadt Tenochtitlan gewidmet, von der in der Altstadt kaum etwas zu sehen ist, da die nach Gold suchenden Spanier die Stadt niederbrannten und Cortes auf den Trümmern die Hauptstadt Neuspaniens errichten wollte.

In der Stadt weihnachtet es sehr. Große, von Coca-Cola gestiftete Weihnachtsbäume, viele verkleidete Menschen, meist mit einem Rentiergeweih, schleudern bunte Leuchtbänder durch die Luft. Ein Umzug wird vorbereitet. Die Metrostationen stoßen so viele Menschen aus, dass wir kaum nach unten gelangen können.

Oaxaca ("Am Akazienhain"), 1545m hoch in der Sierra Madre, gegr. von den Azteken

In 7stündiger Fahrt geht es heute nach Süden. Die Straße ist fast leer, rechts und links meist unfruchtbares Land, Kakteenstämme, erodierte Lehmhügel, dazwischen manchmal kleine Maisfelder.

Als wir in die Berge kommen, greift der Fahrer immer häufiger mit seiner Hand auf das heiligste Herz Jesu, reißt es hierhin und dorthin, hinterlässt seine Schweißspuren. Das blutige Herz klebt auf seinem Steuerknüppel. Die Mutter klebt als heilige Jungfrau zwischen den Armaturen. Die Götter sind mit uns.

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Karin hält einen langen Vortrag über die verschiedenen Stämme der Indios, über ihre Herrschaftsgebiete und Herrschaftszeiten. Sie erzählt von den Tolteken, den Olmeken, den Zapoteken, den Mixteken, den Mayas und den Azteken.

In Oaxaca finden wir endlich eine Atmosphäre, die uns mexikanisch vorkommt. Farbige Häuser mit Fenstergittern, Plätze mit Brunnen, uralte, hohe Bäume, viele Menschen, Luftballons, Straßenhändler, bunte Tierfiguren, schwarze Totenschädel, grüne Totenmasken. Auf einer Seite des Zocalo demonstrieren Indios aus Chiapas, deren Hütten vom Militär zerstört wurden. Verbrannte Balken und Bettgestelle, Plakate und ein Videofilm zeigen ihren Widerstand. Sie wollen Wiedergutmachung und ein Recht auf Landbesitz.

Eine andere Indiogruppe macht Musik. Auf einer Bühne neben der Catedral wird ein Schauspiel vorbereitet, in dem Jesus der armen Landbevölkerung Brot gibt und so sie alle glücklich macht. Aus einer anderen Ecke des Platzes weht schmalzige Mariachi-Musik herüber. Später Marimbaklänge. Zum Abendessen gegrillte Grillen und Heuschrecken und einen Tequila mit Salz und Zitrone auf der Zunge. Eine andere Welt bis in die Nacht hinein.

Auf dem Weg nach Mitla ("Ort der Toten") treffen wir immer wieder auf Militärposten, hinter Sandsäcken verschanzt, in Unterständen, neben sich Nagelbretter, so warten sie schwer bewaffnet auf die Angriffe der Guerilleros. 259 militärische Stützpunkte soll es in Chiapas geben. Nach einer Meldung vom 9.1. verlangen die Zapatisten die Räumung von sieben Stützpunkten und die Freilassung der 103 inhaftierten Rebellen. Der neue Präsident Fox will ihnen entgegenkommen. Mal sehen.

Die Ruinen aus mixtekischer Zeit ( ab 1300 ) zeigen als Besonderheit geometrische Muster aus Tuffsteinen, die in Bändern 14 verschiedene Motive zeigen, Kreuz- und Flechtbänder, Zickzackfriese, Stufenmäander, Rauten und Schachbrettformen.

Monte Alban, 2000 m hoch, ein Kultzentrum mit vielen Bauwerkresten auf einer abgetragenen Hügelkuppe, belebt zwischen 600 v.Chr.-1200 n.Chr.

Großartig, aber tot. Nur wenige Touristen und Andenkenverkäufer irren umher. Die Ausdehnung der Anlage ist beeindruckend, aber die Kultur bleibt steril.

Die Landschaft in der Nähe der Küste wird grüner und interessanter. Berge, Seen, Hirsefelder und viel hohes Gras, Pferde und Kühe. Unser Bus stöhnt und knarrt erbärmlich in den vielen Kurven. Immer wieder muss er Schritt fahren beim Überqueren der vielen Topes (Straßenschwellen).

Viele Militärposten. Einmal soll ein Schäferhund den Bus nach Drogen durchsuchen.

Wie wird ein Mezcal hergestellt? Wo steht der dickste und älteste Baum der Welt?

Wir wissen es jetzt.

Nach 10 Stunden erreichen wir Chiapa de Corzo in der südlichsten Region Mexikos. Vom Ort sehen wir fast nichts, da wir am nächsten Tag weiterfahren. Zur Abwechslung besichtigen wir den zoologischen Garten von Tuxtla, der wunderschön in einem Urwaldrest mit Bächen und Teichen liegt. Noch naturnäher ist unsere Bootsfahrt in den Canon Sumidero, in dem der Rio Grijalva aufgestaut ist. Vorbei an Geiern, durch schwimmenden Abfall aus ?? (natürlich nicht aus Mexiko, sondern aus den weit entfernten Dörfern Guatemalas, wie unser Bootsführer sagt) fahren wir unter 1000 m hohen Felswänden zu einer Marien-Wallfahrtsgrotte und dann zu einem Weihnachtsbaum, geformt aus riesigen "Baumpilzen", die durch einen Wasserfall aus Stein und Pflanzen entstanden sind. Auch hier immer wieder Tiere unserer europäischen Zoowelt: Reiher, Kormorane, Pelikane, Enten und Krokodile.