5. Die christliche Vergangenheit

Antigua, bis 1543 Hauptstadt Guatemalas, heute als ein kleines Landstädtchen wieder "in".

Auf dem Zocalo herrscht dichtes Gedränge. Der Weihnachtsbaum steht stolz wie eine steile Pyramide und verkündet die frohe Botschaft der Bierfirma Gallo: Kommet alle und probieret das göttliche Getränk, das der Herr uns geschicket, auf dass ihr frei werdet von aller Pein. Dazu klimpern die Marimbamusiker gleich den Engeln des Feldes: O, sehet das liebliche, köstliche Bier von Gallo.

In der Kloster-Prachtkirche El Merced steht ein silberfarbener Sarg auf Rollen. In Kopfhöhe ist eine Klappe geöffnet. Draußen steht der Leichenwagen. Aus der Seitenkapelle schaut mit glühenden Augen ein kreuztragender Christus (von Mateo de Zuniga) herab. Im übrigen präsentieren sich die Reste des Klosters in ungewöhnlich üppigen Verzierungen des sog. churrigeresken Stils, typisch für die sehr weltliche Konkurrenzsituation in der Stadt. Das gelbe Barockportal quillt über von Blumen, Weinranken und Rosen. Die Kuppel wird von sieben goldenen Löwen geschmückt.

Im Klosterhof steht ein riesiger Prachtbrunnen, umgeben von 5 Becken. Im zweiten Stock treffen wir Udo, der sich nur für die Fassaden interessiert und Volker, der den Ausblick auf die Vulkane genießt, die Antigua schon mehrfach zerstörten. Der böse Acatenango (3960m) verbirgt ich hinter schwarzen Wolken, während der Agua (3750m) und der Fuego (3800m) immer wieder neue weiße Wölkchen um ihre Kronen versammeln. Volker ist hingerissen von den Wolkenformationen und überhaupt von der ganzen Stadt, obwohl man unten zwischen den niedrigen bunten Häusern in der geometrischen Stadtanlage nichts von den umgebenden Bergen sieht.

Antigua ist voller Kirchenruinen, die die Konzentration kirchlicher Macht und den Reichtum bezeugen. 38 Klöster, 15 Kapellen und Kirchen. Vom Dach unseres Hotels zähle ich 10 Kirchen oder Kirchenruinen. Viele Geschichten über die Dekadenz und Verkommenheit der Klosterinsassen werden erzählt. besonders über die Nonnen, die ein Luxusleben führten und meist nur reiche Frauen in ihr Kloster aufnahmen.

Das Kloster La Concepcion zählte 1729 103 Nonnen, 140 Schüler und 700 Diener. Aufsehen erregte hier die schöne Juana, die der Bischof zwar wegen des Widerstandes der Bürger nicht zur Äbtissin machen konnte, die aber trotzdem einen eigenen Garten, eine eigene mit Gold- und Silberarbeiten geschmückte Kapelle, eine Bildergalerie italienischer Maler, heiße Bäder und ein halbes Dutzend schwarzer Diener besaß.

Die Konkurrenz mit Santa Catalina, in dem ebenfalls 100 Nonnen lebten, war so groß, dass die neue Äbtissin Elvira sechs Jahre lang nicht das Kloster La Concepcion betreten durfte. Elvira baute das beliebteste Fotomotiv der Stadt, den gelben Straßenübergang von Santa Catalina Martir.

 

Die reichen Clarissen wiederum machten durch ihre Kochkünste und durch ihre Streitsucht auf sich aufmerksam. Als sich die 45 Nonnen nicht auf eine Äbtissin einigen konnten, machte der Erzbischof die Köchin zur Äbtissin.

Die Kapuzinerinnen nahmen im Gegensatz zu den anderen Orden auch Frauen ohne Mitgift für den "himmlischen Bräutigam" auf. Eigentlich mussten sie ein strenges Leben ohne Sichtkontakt zur Außenwelt führen, Verwandte durften sie nur durch ein Gitter sprechen, die groben Kutten durften sie nur zum Baden ablegen, sie mussten auf harten Holzbetten mit Strohkissen schlafen, aber inzwischen wurden unterirdische Gänge zu einem benachbarten Männerkloster entdeckt und auf dem Nonnenfriedhof fand man viele Knochen von neugeborenen Kindern.

Ein ganz anderes Beispiel für religiösen Fanatismus finden wir in der Kirche San Francisco, in der der Begründer der Bethlehemiten als Wundertäter verehrt wird. Die Leute kommen zum Marmormausoleum und klopfen kräftig an die Wand "Hörst du mich? Hilf mir!" An der Wand hängen kleine Püppchen. Neben dem Grab vollzieht ein Schamane einen Ritus mit einem Baby. Die Mutter und die Schwester weinen, während der Schamane weiße Kerzen auf das Gesicht und auf die Schultern des Babys legt, danach legt er die Kerzen auch an das Gesicht der Mutter. Dieser Heilige, Pedro de San Jose de Betancur, meist Hermano Pedro genannt, starb 1667. Um den Armen und Kranken zu helfen, trug er Schwache auf seinen Schultern in seine strohgedeckte Hütte. Den Kranken leckte er die Wunden, um sie zu heilen, täglich geißelte er sich und in der Karwoche legte er den Weg zu den 12 Altären des Antigua-Kreuzweges auf den Knien rutschend zurück.

Im einst größten Kloster San Domingo ist ein Luxushotel eingerichtet worden. Der Tourist wandelt, wohnt, badet und isst zwischen den barocken Altären und Heiligenstatuen, er sitzt in den Klosterzellen und Kreuzgängen und lauscht den vielen Springbrunnen oder dem Gesang der Mönche.

In einer Verkaufshalle für einheimische Kunst finden wir mehr Objekte als in einem Museum. Neben indianischen Kleidungsstücken, den bunten Huipiles aus verschiedenen Dörfern, gibt es hier viel religiöse Kunst, sowohl christliche Heilige, Masken als auch MaXimon und Pascual Abaj.

Vor den Wäschereien am Ort müssen wir warnen, unsere Wäsche hat sich vermehrt und war z.T. stark beschädigt.

Sehr viele Fotomotive und unbekannte, exotische Früchte bietet der große Markt. Eine riesige Knolle, die aussieht wie ein nacktes Huhn, zarte Fruchtstände, die aus einem Stängel herausgeschnitten werden, große, braune, eierförmige Knollen, die innen rot sind, lange, säbelförmige Bananen, ganz dicke, kurze Bananen, rote und grüne Bananen...

Für die Hauptstadt Guatemala-City haben wir nur eine Stunde Zeit, die selbst für den protzigen Palacio Nacional nicht reicht. Er bietet ein Stilgemisch aus Klassizismus, Barock und Jugendstilelementen, kitschig verlogene Wandmalereien, die das friedliche Zusammenleben von Eroberern und Eroberten und die Heirat eines Spaniers mit einer nackt- und großbrüstigen Indigena darstellen, den Saal für Staatsempfänge in feinsten Edelhölzern und mit einer Goldkuppel. Im hinteren Gebäude finde ich noch eine Gemäldeausstellung, in der mich besonders die naiven Darstellungen aus dem Leben der Indigenas faszinieren, eine Fotoausstellung und noch eine Dokumentation der alten Mayastadt Tikal. Zu wenig Zeit, um alles richtig ansehen zu können!!

 

Wir sehen nicht das beste Museum Guatemalas, das Museum für Archäologie und Ethnologie, nicht das Museum für Volkskunst mit naiven Bildern aus Indianerdörfern wie Comalapa und Santiago Atitlan, nicht das Museum Popol Vuh, mit vielen Steinskulpturen, Keramiken und der Figur des MaXimon aus Santiago Atitlan und Zunil, dargestellt als Mafiaboss mit Nadelstreifenanzug und seinen Opfergaben Zigarren, Schnaps, Geld und Kerzen.

Drei Stunden später sind wir in Rio Hondo, in einem Hotel an der Fernstraße zum einzigen karibischen Hafen Guatemalas. Riesige Lastzüge donnern am Hotel vorbei, dass die Suppe in den Tellern tanzt.