Vogelnest und Wolke
„Indische Gedichte“
Bild von der Durga-Puja in Köln
umgeben von kiebitzsternen.
über den heiligen
wassern
bei den anderen sein
wie gut
nicht warten
fliegen
durch welten
sehen, wie jemand ins
leben gerufen wird
Durga
zeige
deine rote zunge
rassle
mit der kopfschnur deiner feinde
dämonentod
im schnurren des katers möcht` ich den sieg hören
die feuer der farbigen silbenbilder
mit schwarzen augen sehen
im osten über den Rand
die Sonnenscheibe
mit wieviel worten
welt
schaffen
ein vogel- und wolkenparadies
oder
weiter im osten
näher der erde den menschen
auch hier trägt die kröte auf ihrem schild
die welt
nur mäßig
selbst wenn du es
glaubst
es liest in den
heiligen büchern
wieviel
pathos
für ein vogelgefühl
ohne namen und ohne geschlecht
er
maskulin nur
durch grammatik und erzähltradition
er
oder du oder wir
ich
lass die rätsel,
schlag nach sei banal
lies die wörter in der zeitung
wieder
asche deutscher spachkunst
dschungel-tempel
der kali
schwarzer hahn weiße ziege
kumbh
mela
mein gott
sieh zu
dass du wegkommst
die ganges heilt
wasser wäscht
die postkarten bilder
die haut bleibt blau
und
er glaubte
die flugtickets bezahlt
vogelnest
hin
oder
wolke
her.
indien
2. Shiva
schreibe
unter dem fels
aus der höhle
in das tal
vor meinen augen
vor meinen ohren
tanzjagd der weißen geister
ben zi bena
lid zi geliden
buchstaben
sing ich schlag
die weißen saiten
schreibe
in den fels
aus dem tal
in die hohle hand
wie man zer welte solte
leben
relikt in deinen händen
ende
über den berg
den spalt
in die tiefe
wo tropft
heiliges wasser
shiva
3. Kali
Solange er seine Augen
geschlossen hält,
yogamäßig weg,
kann ich was machen,
sagt sich Kali,
die Schreckliche, und leckt wie gewöhnlich
mit ihrer langen Zunge
über ihr Brustbein.
Wie Zecken, diese
Sucher. Abgedreht und durcheinander.
Wahrscheinlich tanzen
im Hohlkopf
alle seine Frauen.
Jetzt saugt er tatsächlich,
aber bin ich die Alte
von Ephesus,
schau her,
1000 Männerköpfe an
meinem Hals,
pass auf,
lass das Schnurren,
Katzen haben Flöhe.
Ich verpass ihm den
Punkt, dann hat er das rote Auge der Weisheit. Vielleicht sieht er dann klarer.
Flügel und Brüste, da gröhl ich mein Nachtlied doppelt
laut. Und lass das Saugen, ich vertrag das nicht. Lächeln ist nicht mein
Markenzeichen.
du liegst in meiner hohlen hand
kühl, glatt und hart
dafür gemacht
du füllst sie ganz
du liegst in meiner hohlen hand
mal hier, mal da,
dafür gemacht
mein muschelmund
du liegst in meiner hohlen hand
folgst meinem wunsch
ein wenig grau,
mein niemandsland
So sang er hinter dem Herbstblumenfenster die rostroten Töne Shivas in den Leib der Gitarre.
Schön könnte es sein. Seine Finger spielten auf den Tasten und mit der rechten Hand bewegte er seine Zaubermuschel. Zwei hatte er. Falls die erste nicht wollte, nicht mehr wollte, spielte er linkshändig. Versonnen schaute er auf die Nabelschnur zu seiner Linken. Seine rechte Muschel hatte dagegen keine feste Verbindung zu seinem Bildfenster. Voll Wohlbehagen legte er seine Hand auf ihre Wölbungen und schob sie langsam über ihren Rücken. Es bereitete ihm Vergnügen. Sie strahlte zwar nicht die sinnliche Wärme der anderen aus, ihre Haut war kühl und glatt, aber sie war technisch besser. Mit ihr konnte er weite Reisen unternehmen, konnte durch leichten Druck in die rechte oder linke Hüftseite sie dazu bringen hier und dorthin zu springen, über die Zeit und über die Räume.
An kalten Tagen, wenn er Schnee und Eis über diese Welt kommen ließ, nahm er lieber seine Kleine und drehte mit seinem Zeigefinger das Rädchen und sprang zu den verschiedensten Stellen, ließ Eis und Schnee verschwinden, zauberte Paradiese, hatte Mitleid mit den Menschen, die ihre Heimatdörfer verlassen mussten, gab ihnen eine weiße Wolke, gab ihnen ein Vogelnest, ließ die Katze für sie schnurren.
Er liebte beide. Er war Shiva, der tanzend Welten zerstörte und neue erschuf. Manchmal saß er hinter seinem Blumenfenster und alles war wüst und leer. Dann nahm er seine Muscheln und siehe, es ward Licht und das Feste schied sich von dem Wässrigen, er ließ Gras und Kraut aufgehen und er brachte Lebendiges hervor. Er glaubte nicht den Bibelworten, die da sagen, das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.
Gab es nicht Vogelnest und Wolke und stand es nicht in seiner Macht die Muschelhörner zu blasen, bis Durga erwachte und die kosmische Ordnung wieder herstellte?
Du liegst in meiner hohlen hand
Da ruh dich aus
denn manchmal ist`s finster
und wüst und leer
So schlug er seine Akkorde in den Leib der Gitarre und hörte genussvoll die perlenden Sonnentöne der vor ihm auftauchenden eisbedeckten Spitzen des blauen Himalayas.
.
4. Krischna
indisch-argentinisch
Atahualpa y Krischna
In Perlengesichter hab ich geschaut wie in schwarze Spiegel
Duerme, duerme, negrito.
Im Baum sitzt der schwarze Mann, in seinen Händen Musik.
Zu ihm geht er mit Wünschen aus Silber und Gold,
campesino, haryan, por ti canto
In weiß leuchtende Augen hab ich geschaut zwischen staubigen Blättern
Duerme. Nunca
muerto, si dormido.
Im Baum sitzt der schwarze Mann vor den Lippen Musik
Sing mit ihm das Lied „Soy libre! Soy bueno!“
dein Glück in den Zweigen des Baumes.
Die Gopis hab ich geschaut, die Pilger unter dem heiligen Baum
krishna der Klang der Flöte im Sonnenlicht krishna
schwarzes Gesicht zwischen den Ästen
y puedo querer schwarzer Mann
y voy a dormir
campesino haryan
5. Rupmati
Ich oder er, real oder fiktiv.
Über Rupmati ist schon geschrieben worden. Eine Traumgeschichte doch von einem schönen, aber tragischen Leben.
In der großen Ruinenstadt von Mandu, die lange vergessen im Urwald verborgen lag, wo nur noch einige Ureinwohner in ihren Lehmhütten lebten, dort sitzt der alte Bahu unter den herunter hängenden Zweigen eines mächtigen Baum. Seine rechte Hand liegt auf den Brettern eines runden Resonanzkörpers und seine linke Hand hält den langen Hals eines Saiteninstruments. Mit fast blinden Augen starrt er vor sich hin, während er mit einiger Anstrengung die Geschichte von Rupmati herausschreit.
Rupmati, du Mädchen aus dem Narmada-Tal
mit den langen blonden Haaren,
du entzündetest Bahadurs Leidenschaft,
der dich nahm, dich in den Pavillon setzte
hoch über Fluss und Ebene.
Du schaust herab auf dein Heimatdorf,
auf Freundinnen und Verwandte.
In der Ferne versinkt die Sonne
Tag für Tag.
Dunkel sind deine Gefühle.
Vom Palast weht Musik hinauf,
wie Perlenschnüre an deinen Hals.
In der Stadt der Freude am See
feiert Bahadur mit seinen weiblichen Wächtern
das Lichterfest.
Die Späher stehen am Tor.
Du blickst hinaus in das Dunkel,
das Geflüster der Lichter.
Ach, Rupmati,
Stern am dunklen Himmel.
So träg der Sänger fast krächzend die Erinnerung vor, erzählt von Rupmatis Liebe und ihrem Unglück und hält die Hand auf, um Mitleid bittend auch mit ihm, der achtzigjährig hier sitzt und niemand hat, der sich um ihn kümmert.
Dank im Namen Rupmatis, die sang und tanzte für Bahadur, den großen König von Mandu.