Fuerteventura lyrisch gesehen

F.H. fordert den Leser in seinem Lyrikbändchen "Im Garten der Engel - Fuerteventura" indirekt auf, sich mit dem heterogenen Material kreativ auseinanderzusetzen. Mich reizten die Bilder und die Engeltexte Franks. Antworttexte sind entstanden.

Mexikanischer Engel aus der Ausstellung "Altäre"

Text von Frank Herdemerten:

Himmlische Walstatt

Verlegen sehe ich zu.
Hier finde ich euch, ihr Verleugneten?

Gäbe es euch doch,
himmlische Heerscharen?
Hier also wäret ihr galandet,
gestrandet
in heilloser Zeit?

Hier stünde die Waage?
Behutsam höbe er die Seelen,
gebettet in Tücher,
um sie in die Schale zu legen?
Hier wöge er die Seelen,
der gewaltige Michael?
Hier wäre bereits der jüngste Tag?

Hier kämpfte er gegen die seelenverschlingenden Dämonen?
Von hier geleitete er
die nackten Seelchen
ins Totenreich?

Oder hat hier die Schlacht getobt,
die apokalyptische,
in der der Himmelsstratege
das gefallene, ausgewiesene
Heer Luzifers
hinmetzelte?

(herdemerten)

Antworttext 1
Dem Umweltengel von Fuerte ins Gewissen

Der du uns sprichst:
Feuerwind, Windling, Alltagstäter, Arbeitsloser.
O Frank, der du uns öffnest den Blick ins Heterogene.
O Frank, der du uns gabst die Bilder, die wunderschönen.
O Frank, der du ihn fandest,
den Garten der Engel.

Lieber Frank,
du öffnest und schließest.

Bei dir, o Frank,
leih ich
die Worte zum Gebet:

Begnadeter,
die Hekatomben deiner Vernunft

lobpreisen wir,
den Leichtigkeitsduft deiner Fittiche
bewundern wir.

So setzt ich frei die Kreativität.
Sie geht mit Dank
an dich, o Frank, zurück.

Traumgespinste, Wortgespiele,
die Engel?
Sie sollten dir Alptraum sein.

Die Fetzen.
Die Ausgefransten,
Zerfaserten, Vergilbten und Verdreckten,
Abfall und Schmutz von Tomatenfeldern.
Vergessener Müll.

Augensaat und Augenweide?

Ärgernis.
Wunden im Fleisch der Landschaft

Fuerte ventura,
feg sie hinweg,
die Verschmutzer,
die Zerstörer der Insel
Fuerteventura.

II.

mehr als haut über kopf

Wenn die welt trostlos ist,
sich der magen umdreht beim anblick der zerfledderten engelsreste
und der faulige gestank der weggeschütteten tomaten in die nase dringt,
der wind in den drähten jammert,
dann kann es sein, dass in der hintersten ecke etwas liegt,
mit dem gesicht im dreck,
bewegungsunfähig, weil die plastikfetzen ihn nach unten drücken.
Dann schau ihn an mit bestürzung, den lumpensammler,
die verblichenen strähnen auf dem kopf,
die wenigen zähne im mund,
zerrupft, gestrandet.

Ein engel,
der weder die sprache gottes versteht,
noch ein gebet kennt.
Seine zuständigkeit für den schutz der natur
und den frieden der menschen leugnet,
der keine wunder vollbringt,
weder den krieg in tschetschenien beendet,
noch den amerikanischen präsidenten vom krieg abhält,
der fuerteventura nicht rettet vor der geldgier der menschen.
Er wird noch lange dort liegen im dreck,
umgeben vom pestgestank der pestiziden,
die von den tomatenfeldern herüberwehen

Glaubst du, es wird ein wunder geschehen?
Glaubst du, seine flügelfetzen werden sich zusammenfügen zu einer herrlichen leinwand?
Glaubst du, er wird sich eines tages erheben im frühlingswind?

Glaubst du, er wird hoch über der insel die zauberworte sprechen,
dass jeder weiß,
so soll es sein,
so wird es sein?

Oder glaubst du, er wird verschwinden als kleiner punkt am horizont,
keine last mehr für das gewissen
der menschen von fuerteventura
und anderswo?

In einem neuen Fuerte-Lyrik-Foto-Heft "IM BARRANCO DE LOS MOLINOS" besingt Frank Herdemerten wieder die kargen Schönheiten der Insel Fuerteventura. Diesmal geht es nicht um landwirtschaftliche Plastikabfälle, die sich in den Augen des Poeten in Engel verwandelt haben, sondern um verschlammte Wasserrinnsale, die Frank poetisch beschreibt und in einem Lobgesang als Sinnbilder natürlicher Vorgänge begreift. Die Texte haben mich wieder zu einem "Antworttext" angeregt, der sich auf die Bildwelten und die etwas provozierenden Assoziationen Franks bezieht, indem seine Worte und Wortfügungen benutzt werden.
Im ersten Text zeichnet er in langen, fließenden Wortreihen zwei unterschiedliche Landschaften.

Foto Herdemerten (Ausschnitt)

Beispieltext (insges. 12 Texte):

Zwei Landschaften

Die eine:

Sanft, mild,
zart, sacht,

freundlich,
barmherzig,

behutsam,
fein, verletzlich,

zärtlich, hingebend, rührend,
zauberhaft.

Die andere:

Schroff, hart,
grob, jäh,

abweisend,
erbärmlich,

rau, abrupt,
öde, wüst, leer,

einsam, langweilig, brutal,
lebensfeindlich.

In derselben
ein Bach.

(herdemerten)

Antworttext:

Im Barranco der Worte

unter Schlamm
unter Schleim
unter Algen

Wasser

dreht
quirlt
und
zieht

die Fäden in Blasen

grün
braun
gelb
und
grau

die Insel
die Scheide
der Muttermund
Gebärmutter-
kuchen

Entgegen der Klarheit

in Fäulnis
und
Ekel

Wo ist

dein Strahlen
dein Lodern
dein Licht
dein Spiegel

der lohende Tanz

Wo sind

die Perlen für Busen Hals und Arm

?

Foto Herdemerten (Ausschnitt, bearbeitet)