Schon wieder dieses Geschrei. Schließlich sind wir in N., einer anständigen Stadt. - Vielleicht sollte jemand das Jugendamt benachrichtigen. - Ja, man sollte es nicht für möglich halten. - Was erwartest du denn von diesen Zugereisten. - Hast du die Frau gesehen ? Der möcht ich nicht in die Hände fallen. - Das arme Kind. So richtig wussten sie nicht, was sich da hinter der großen roten Mauer abspielte. Die Leute, die dort wohnten, waren auf der Straße freundlich und zurückhaltend, vielleicht zu zurückhaltend. Das war doch nicht normal. Nie blieb die Frau bei ihnen stehen, nie erzählte sie etwas,keinen Klatsch, keinen Tratsch. Was wusste man eigentlich von ihr und ihrer Familie ? Wenig, sehr wenig. Ihren Sohn, den ließ sie immer nackt herumlaufen oder lief er ihr nackt davon ? Das war doch keine Art. Wo blieb denn die Erziehung? Seltsam war die Kopfbedeckung des Knaben. Er trug einen gelben Ring um den Kopf, der häufig herunterrollte und dann in einer Ecke der Straße herumlag. Meist dauerte es nicht lange, bis dann die Mutter auftauchte und diesen Ring suchte. Für sie war dieser Ring wohl von ganz besonderer Bedeutung, während ihr Filius ihn nicht besonders schätzte, sonst hätte er besser auf ihn aufgepasst. Jedenfalls dieser Ring war wohl häufig ein Grund für dieses Geschrei aus dem roten Haus. Inzwischen leben wir aber in einer anderen Zeit und in dem Haus mit der roten Mauer sitzt eine große Mutter aus Gips mit einem Kind aus Gips auf dem Schoß und vor ihr knieen viele betende Menschen. Sei gegrüßt, o Königin, Mutter der Barmherzigkeit, unser Leben, unsere Wonne und unsere Hoff-nung, sei gegrüßt, o gütige, Und während das Volk sich beugte und Kerzen entzündete, schlugen die schweren eisernen Klöppel der Bronzeglocken gegen die eisernen Wände, daß die roten Mauern erzitterten. O, o, o, o, o, schrie es hinaus auf die Straße, aber es gab keine Nachbarn mehr, die es hätten hören können. 29.11.99 |