VHS Schreibwerkstatt 2008 – 1 6.2.08

Orte

Schreibe Variationen zu folgenden Gedichten!
Stilübungen

I. Beispiele für eine Ortsbeschreibung

Mitten
Auf der Straße
Die Frau
In dem
Blauen
Mantel

(Brinkmann, 1940-1975)


In einer Stadt (I. Z.)

In einer grauen, grauen Stadt
war eine graue, graue Straße.
Auf dieser grauen, grauen Straße
stand ein graues, graues Haus.
In diesem grauen, grauen Haus
war ein graues, graues Zimmer.
In diesem grauen, grauen Zimmer
stand ein grauer, grauer Stuhl.
Auf diesem grauen, grauen Stuhl
saß ein grauer, grauer Mensch.
Er streckte eine graue, graue Hand aus
und schaltete den Farbfernseher ein.


Unter der Schwarzpappel, Liebste,
Unter der Schwarzpappel, nein.

Am Fuße der Silberpappel, ja
Der Silberpappel weiß und grün

Weißes Blatt, du
Grünes Blatt, ich

Debajo del chopo, amante,
debajo del chopo, no.

Al pie del alamo. si
Del alamo blanco y verde.

Hoja blanca tu,
Hoja verde yo.

Sumpfland des Parana.

Vom Balkon sieht ein Mensch
den Wind, der kommt und geht.

Die sich bewegenden Schluchten
Des Winds, der kommt und geht.

Die Pferde wie Steine
des Winds, der kommt und geht.

Die Weiden als grünes Meer
des Winds, der kommt und geht.

Den Fluss als breiten Schwanz
des Winds, der kommt und geht.

Banado del Parana!

Desde un balcon mira un hombre
El viento que viene y va.…

Los caballos, como piedras
Del viento que viene y va

… R. A. (Madrid, 1972)



Effi Briest (Theodor Fontane, 1895), Erstes Kapitel

In Front des schon seit Kurfürst Georg Wilhelm von der Familie von Briest bewohnten Herrenhauses zu Hohen-Cremmen fiel heller Sonnenschein auf die mittagsstille Dorfstraße, während nach der Park- und Gartenseite hin ein rechtwinklig angebauter Seitenflügel einen breiten Schatten erst auf einen weiß und grün quadrierten Fliesengang und dann über diesen hinaus auf ein großes, in seiner Mitte mit einer Sonnenuhr und an seinem Rande mit Canna indica und Rhabarberstauden besetzten Rondell warf. Einige zwanzig Schritte weiter, in Richtung und Lage genau dem Seitenflügel entsprechend, lief eine ganz in kleinblättrigem Efeu stehende, nur an einer Stelle von einer kleinen, weiß gestrichenen Eisentür unterbrochene Kirchhofsmauer, hinter der der Hohen-Cremmener Schindelturm mit seinem blitzenden, weil neuerdings erst wieder vergoldeten Wetterhahn aufragte. Fronthaus, Seitenflügel und Kirchhofsmauer bildeten ein einen kleinen Ziergarten umschließendes Hufeisen, an dessen offener Seite man eines Teiches mit Wassersteg und angekettetem Boot und dicht daneben einer Schaukel gewahr wurde, deren horizontal gelegtes Brett zu Häupten und Füßen an je zwei Stricken hing - die Pfosten der Balkenlage schon etwas schief stehend. Zwischen Teich und Rondell aber und die Schaukel halb versteckend standen ein paar mächtige alte Platanen.

Auch die Front des Herrenhauses - eine mit Aloekübeln und ein paar Gartenstühlen besetzte Rampe - gewährte bei bewölktem Himmel einen angenehmen und zugleich allerlei Zerstreuung bietenden Aufenthalt; an Tagen aber, wo die Sonne niederbrannte, wurde die Gartenseite ganz entschieden bevorzugt, besonders von Frau und Tochter des Hauses, die denn auch heute wieder auf dem im vollen Schatten liegenden Fliesengange saßen, in ihrem Rücken ein paar offene, von wildem Wein umrankte Fenster, neben sich eine vorspringende kleine Treppe, deren vier Steinstufen vom Garten aus in das Hochparterre des Seitenflügels hinaufführten…..

R. W. (1878-1956), Kleine Wanderung

Ich lief heute durch das Gebirge. Das Wetter war nass, und die ganze Gegend war grau. Aber die Straße war weich und stellenweise sehr sauber. Zuerst hatte ich den Mantel an; bald aber zog ich ihn ab, faltete ihn zusammen und legte ihn auf den Arm. Das Laufen auf der wundervollen Straße bereitete mir mehr und immer mehr Vergnügen, bald ging es aufwärts und bald stürzte es wieder nieder. Die Berge waren groß, sie schienen sich zu drehen. Die ganze Gebirgswelt erschien mir wie ein gewaltiges Theater. Herrlich schmiegte sich die Straße an die Bergwände an. Da kam ich hinab in eine tiefe Schlucht, zu meinen Füßen rauschte ein Fluss, die Eisenbahn flog mit prächtig weißem Dampf an mir vorüber. Wie ein glatter, weißer Strom ging die Straße durch die Schlucht und wie ich so lief, war`s mir, als biege und winde sich das enge Tal um sich selber. Graue Wolken lagen auf den Bergen, als ruhten sie dort aus…. Einige Fuhrwerke begegneten mir, sonst nichts, und ein paar Kinder hatte ich auf der Landstraße gesehen. Man braucht nicht viel Besonderes zu sehen. Man sieht so schon viel.
…..

Elfchen –– Variationen zu den vorgegebenen Texten (günter neuenhofer, Februar 2008)

Das weiße Papier
Immer wieder

Weiß
Das Blatt
Auf dem Tisch
Ich träume vom Leben
Papier

Weiß
Das Papier
Auf dem Tisch
Wie werd ich beginnen?
Träumend!

„Wortfotos“

Vor ihm
auf dem Tisch
Papier
mit
braunen
Flecken

Mitten
Auf dem Tisch
Sein Schreibzeug
Fragend,
was willst du
von mir?

Weiße Wüste

Aus dem Fenster der Unterkunft seh ich
Den Fortschritt, der auftritt und niedertritt

Häuser aus Lehm verlieren die Form,
Fortschritt, der auftritt und niedertritt

Wellblech deckt die Wand aus Zement.
Fortschritt, der auftritt und niedertritt

Motoren heulen im Strom des Wohlstands.
Fortschritt, der auftritt und niedertritt

Zwischen Beton und Asphalt
hinaus in die Zukunft sehen und gehen
Menschen der weißen Wüste.

Entwicklungs-Projekt
Wüstenoase

Am trockenen brunnenrand, kind,
Am trockenen brunnenrand, nicht

An den quellen des palmwaldes, ja
An den quellen, feucht und grün

Brunnenrand, du
Quellwasser, ich

Trockenzeit im Tschad

1.
In einem fahlgelben Land
waren fahlgelbe Felder.
Auf den fahlgelben Feldern
stand fahlgelbe Hirse.
zwischen fahlgelber Hirse
liefen fahlgelbe Rinder.
mit den fahlgelben Rindern
liefen fahlgelbe Kinder
auf fahlgelben Wegen
zu fahlgelben Hütten.
In den fahlgelben Hütten
hielten fahlgelbe Kinder
ihre fahlgelben Hände
entgegen den fahlgelben Touristen,
die fahlgelbe Bonbons
verschenkten.

2.

In einem armen Land
waren ärmliche Felder.
Auf den ärmlichen Feldern
Stand ärmliche Hirse.
Zwischen ärmlicher Hirse
Liefen erbärmliche Rinder.
Mit den erbärmlichen Rindern
liefen erbärmliche Kinder.
Die erbärmlichen Kinder
Wohnten in ärmlichen Hütten.
In den ärmlichen Hütten
Hielten erbärmliche Kinder
Ihre erbärmlichen Hände
entgegen den reichen Touristen,
die erbärmliche Bonbons
verschenkten.

Auf dem Weg zum Amon-Tempel

Gestern lief ich zwischen Palmen durch die Oase hinaus in die weiße Wüste. Das Wetter war kalt, und die ganze Gegend war staubig. Aber die Straße war hart, ohne Tadel. Zuerst hatte ich einen Schal um den Kopf gewickelt; bald aber legte ich ihn ab und steckte ihn in meinen Wanderrucksack. Das Laufen auf der Straße wurde immer mühsamer je stärker die Sonne den Asphalt aufheizte. Vorbei an Olivenplantagen und Dattelpalmen, die hinter einem tiefen Graben lagen, der die Sumpflandschaft der Oase entwässern sollte. Bald wand sich die Straße nach rechts und bald wieder nach links. Die Bäume nahmen kein Ende. Es schien als saugten sie die Straße in sich hinein und dann wieder hinaus in einen fernen, fahlen Wüstengebirgszug. Die Wanderung kam mir vor wie ein endloses Vorspiel zu einem Theaterstück, das ich jenseits der staubigen Gärten erhoffte. Da kam ich um eine Straßenbiegung, mehrere Häuser aus grauem Lehm erwarteten mich, ein Eselskarren, beladen mit Orangenkörben, trabte mir entgegen und am blauen Himmel kreiste ein Geier. Wie in einem Kinofilm belebte sich die Straße, und wie ich so lief, war`s mir, als ob ich zu einer Hauptfigur in einem beginnenden Drama würde. Kleine Wölkchen standen am Horizont, als wollten sie etwas verkünden, eine Botschaft aus der Vergangenheit dieser Wüsteninsel. Eigentlich hatte ich nichts Besonderes erlebt. Einige Stimmen aus einer Schule hatte ich gehört, ohne die arabischen oder beduinischen Worte zu verstehen, ein Esel hatte geschrieen wie im Schmerz und ein Bauer hatte mit harten Schlägen in der Oase seine Arbeit getan. Man braucht nicht viel zu hören. Man spürt schon so viel vom Leben.

Das Haus (Beschreibung im Stil Fontanes)

Zur Rückseite des seit einem Jahr bewohnten Hauses fiel greller Sonnenschein auf die Terrasse und den Wiesenhügel, auf dem sich das Haus erhob, während nach der vorderen Eingangsseite hin die Höhe des breiten Daches einen Schatten auf den gepflasterten Zugangsweg und über die Sträucher und Hecken der schmalen Grünanlage und auch über den breiten Eingang, an dessen Seite eine Theatermaske aus Kreta hing, warf. Etwa sieben Schritte seitwärts, der Richtung der östlichen Seitenwand entsprechend, standen mächtige Rhododendronsträucher vor einem hohen Maschendrahtzaun, hinter dem zwischen einigen uralten Kopfweiden am Uferrand des Sandbaches der Blick auf einen rötlichen Spazierweg fiel, auf dem jeden Morgen die Frauen und Herren Hundebesitzer ihre Lieblinge ausführten. Von der entgegengesetzten Seite des Hauses tönten von Zeit zu Zeit die Bässe eines Autoradios herüber, nicht gedämpft von der hohen Tanne und den hohen Lebensbäumen, die das Haus gegen Blicke von der Straße abschirmten. Die Südseite des Hauses – eine mit einer riesigen Agave, einigen Blumenkübeln und Gartenstühlen besetzten Terrasse – gewährte bei Sonnenschein einen vorzüglichen Sommerurlaub, zumal man, wenn die Sonne allzu heiß nieder brannte, sich unter eine ausfahrbare Markise zurückziehen konnte, so dass dieser Platz ganz besonders von der Hausfrau bevorzugt wurde, was sie auch heute wieder genoss, obwohl sie hier manchmal den Blicken der Nachbarn preisgegeben war, was ihr aber nichts auszumachen schien, da sie freundlich mit einem „Hallo, Hallo“ hinübergrüßte, als sich das obere Fenster des gegenüberliegenden Hause öffnete und ein Mann mittleren Alters mit einer Zahnbürste in der Hand erschien und sich kräftig die Zähne bearbeitend gegen die Morgensonne hin stellte, während er sich recht wohl zu fühlen schien. (günter neuenhofer, Februar 2008)


VHS Schreibwerkstatt 2008 – 3 20.2.08

Augenblicke und Erinnerungen

nachmittage (Norbert Hummelt, geb. 1962)

wenn einer klingeln kam, scherenschleifer oder
eiermann, kaum unterscheidbar nach dem klingelton
war da ein schatten hinterm milchglas sichtbar
u. nahe bei mir eine stimme: wart, ich gehe schon.

Aus Malina (Ingeborg Bachmann, 1926 - 1973)

Wieder geraucht und wieder getrunken, die Zigaretten gezählt, die Gläser, und noch zwei Zigaretten zugelassen für heute, weil zwischen heute und Montag drei Tage sind, ohne Ivan. Sechzig Zigaretten später aber ist Ivan zurück in Wien, er wird zuerst die Zeitansage anrufen und seine Uhr kontrollieren, dann den Weckauftrag 00, der gleich zurückruft, danach sofort einschlafen, so rasch, wie nur Ivan das kann, aufwachen, vom Weckauftrag gerufen, mit einem Groll, dem er jedes Mal einen anderen Ausdruck gibt, mit Gestöhne, Flüchen, Ausbrüchen, Anklagen.

Der Fahrgast, Franz Kafka (1883-1924)

Ich stehe auf der Plattform des elektrischen Wagens und bin vollständig unsicher in Rücksicht meiner Stellung in dieser Welt, in dieser Stadt, in meiner Familie. Auch nicht beiläufig könnte ich angeben, welche Ansprüche ich in irgendeiner Richtung mit Recht vorbringen könnte. Ich kann es gar nicht verteidigen, dass ich auf dieser Plattform stehe, mich an dieser Schlinge halte, von diesem Wagen mich tragen lasse, dass Leute dem Wagen ausweichen oder still gehn oder vor den Schaufenstern ruhn. - Niemand verlangt es ja von mir, aber das ist gleichgültig. Der Wagen nähert sich einer Haltestelle, ein Mädchen stellt sich nahe den Stufen, zum Aussteigen bereit. Sie erscheint mir so deutlich, als ob ich sie betastet hätte. Sie ist schwarz gekleidet, die Rockfalten bewegen sich fast nicht, die Bluse ist knapp und hat einen Kragen aus weißer kleinmaschiger Spitze, die linke Hand hält sie flach an die Wand, der Schirm in ihrer Rechten steht auf der zweitobersten Stufe. Ihr Gesicht ist braun, die Nase, an den Seiten schwach gepresst, schließt rund und breit ab. Sie hat viel braunes Haar und verwehte Härchen an der rechten Schläfe. Ihr kleines Ohr liegt eng an, doch sehe ich, da ich nahe stehe, den ganzen Rücken der rechten Ohrmuschel und den Schatten an der Wurzel. Ich fragte mich damals: Wieso kommt es, dass sie nicht über sich verwundert ist, dass sie den Mund geschlossen hält und nichts dergleichen sagt?

Variationen zu den vorgegebenen Texten (günter neuenhofer, Februar 2008)

1.)

Morgens

Wenn einer flüsterte, Mädchen oder
Junge, kaum unterscheidbar nach der Farbe der Stimme,
war da zwischen den Reihen ein Schatten sichtbar
u. nahe bei mir eine Stimme: abgeben, Täuschungsversuch.

Mittags

Wenn jemand an die Tür klopfte, nachbar oder
postbote, kaum unterscheidbar nach dem klopfgeräusch,
war da in meinem innern eine unruhe spürbar
u. ein starkes gefühl: jetzt kommt nachricht von dir.

Abends

Wenn es aus dem Kasten tönte, Radio oder
Fernseher, kaum unterscheidbar nach den Inhalten,
war da eine Stimme aus dem Sessel hörbar,
u.: stell ab, da ist heute nichts Neues.

2.)

Glücklich mit W.

Wieder gehorcht und wieder zum Fenster gegangen, die Stunden gezählt, zur Tür, und noch mal einen Fernsehfilm zugelassen, weil zwischen dem Termin und jetzt zwei Stunden sind, ohne dich. Drei Fernsehstunden später aber bist du da, du wirst am Schreibtisch deine Post kontrollieren, den PC anwerfen, die Emails aufrufen, einige gleich beantworten, dann erschöpft in den Sessel fallen, schlafen, so lange, wie nur du das kannst, schlafen, vom Telefon aufgeweckt, dich abwenden, mit zusammengekniffenen Augen dich zurückziehen, verstecken, wimmern, stöhnen.

3.)

Die Touristin

Ich stehe auf der Treppe des Flugzeugs und bin vollständig sicher in Rücksicht auf meine zukünftigen Unternehmungen in der weiten Welt, in diesem Land, auf meine Reisegruppe. Sogar beiläufig könnte ich angeben, welche Ansprüche ich in jeder Richtung sicherlich mit Recht vorbringen kann. Ich kann durchaus sagen, dass ich auf dieser Treppe stehe, mich an dem Geländer halte, die Treppe hinunter gehe, versuche mit den drängenden Mitreisenden in den Bus zu kommen, in den sich viele hineinzwängen. Manche stehen auch nur, warten auf den nächsten Bus oder sehen hinaus auf die neue Welt. – Niemand verlangt etwas von mir.

Ein Mann von zwei Meter Länge stellt sich zu mir vor meinem Zugang zum Bus, verwehrt mir das Fortkommen. Er erscheint mir so nahe, als ob ich ihn berührt hätte und sein Körpergeruch an meinen Wangen hinge. Er trägt eine helle Jacke und eine rotes Hemd. Der Hemdkragen bewegt sich fast nicht, während er tief einatmet, als ob er in der tropischen Luft nicht genügend Luft bekommen würde. Seine rechte Hand und sein Arm drücken eine braune Aktenmappe gegen die Jacke. Die linke Hand hält sich mit dem Daumen an der Hosentasche fest. Auf seinem schwarzen, runden Gesicht stehen viele kleine Schweißperlen wie Sterne an einem Nachthimmel. Ich fürchte, sie fallen auf meine Augen und machen mich blind oder die schwarzen, salzigen Tropfen nehmen mir die Sprache, falls sie meine Lippen treffen.

Ich frage mich, wieso schaut er so hoch über meinen Kopf hinweg, ist er hier zuhause in diesem afrikanischem Land, bin ich der Eindringling?


VHS Schreibwerkstatt 2008 – 3 5.3..08

Die ersten Sätze einer Geschichte

1. Schreibe einen Fortsetzungsabschnitt zu einem Text!
2. Verändere den Inhalt, aber übernimm die Satzstruktur!

Mark Twain (1835-1910): DIE GESCHICHTE EINES INVALIDEN (http://www.sterneck.net/literatur/twain-invalide/index.php)

Ich sehe aus, als wäre ich sechzig und seit langem unglücklich verheiratet. Mein Aussehen ist aber nur auf meine miserable Gesundheit und eine traumatische Erfahrung zurückzuführen, schließlich bin ich Junggeselle und erst einundvierzig. Ich bin nur noch ein Schatten meiner selbst, deshalb wird es Ihnen sehr schwer fallen, mir zu glauben, dass ich vor knapp zwei Jahren ein gesunder und rüstiger Mann war, ein Mann aus Eisen, ein richtiger Athlet! Das ist die Wahrheit. Noch merkwürdiger als mein Zustand ist, wie ich meine Gesundheit verlor: Ich verlor sie beim Aufpassen auf eine Kiste voller Gewehre während einer Zugfahrt über dreihundert Kilometer in einer Winternacht. Das ist die reine Wahrheit und ich werde es Ihnen erzählen.

Josef Reding: Zum Runterschlucken für Grabner, 1967

-Fährst wieder Rad, Heincken?
-Jau, hab den Wagen übern Winter abgemeldet, Grabner. Kann ja man nicht raus mit. Und bloß für die Fahrt zum Werk, dat lohnt sich nicht.
-Auch wegen der Moneten, Heincken?
Heincken zögerte. -Na ja, sagte er schließlich. Auch wegen der Moneten. Weiß ja, keine Überstunden mehr. Mit denen hab ich den Wagen früher gehalten. Wenn noch ein paar Feierschichten kommen, verklopp ich das Dingen. Hab ihn schließlich fünf Jahre gehabt. Kann später wenigstens mal sagen: war Herrenfahrer.
Die beiden Radfahrer bogen in den feuchten Tunnel neben dem Schiffshebewerk ein. Heincken schellte. Einfach so, weil es so schön hallte.
-Bei dir ändert sich auch nicht, Grabner, was? fragte Heincken. Du hast immer noch dieselbe Kaffeepulle wie vor zwölf Jahren, als du bei uns angefangen bist, und fährst noch den denselben Drahtesel.

Peter Zeindler: Die Meisterpartie (1989)

Gerhard Brenner spürte die Vibrationen unter seinen Füßen. Er schaute auf die große Bahnhofsuhr. Mitternacht. Dann erfasste ihn auch das anschwellende Geräusch des einfahrenden Zuges. Er griff nach seiner braunen eichen Ledertasche und ließ sich im Strom der Reisenden, der sich träge in Bewegung gesetzt hatte, mittreiben. Die schwere Lokomotive donnerte an ihm vorbei. Die Fenster der Waggons waren schwarz verhängt. Ein Geisterzug. Wie im Krieg dachte er uns scherte nach rechts aus, als ihm das Gedränge zu dicht wurde. Er verstärkte den Griff seiner Rechten, in der er den Diplomatenkoffer trug.
Wagen 271. Abteil 53.
Als er den Fuß auf die Stiege setzte, drang der scharfe Geruch von Urin in seine Nase. Das Metall der Handgriffe fühlte sich an wie Eis. Der Schlafwagenschaffner nahm die Fahrkarte....
.

3. Formuliere einige Anfangssätze für eine Geschichte!

z. B. „Ich mochte keine grünen Sonnenuntergänge.“


VHS Schreibwerkstatt 2008 – 4 9.4..08

Die Technik der literarischen Montage ist eine Bezeichnung für das Zusammenfügen unterschiedlicher Texte oder Textteile. Heute wird meist der Collage-Begriff benutzt, wodurch der

Realitätsbezug durch die Verwendung von Alltagstexten besser hervorgehoben wird.

Z.B der Dada-Kunst ging es bei der Verbindung von Werbe-, literarischer und Umgangssprache vor allem um eine ästhetische Provokation, die das Publikum schockieren sollte.

Montagen/Collagen

Reklame (Ingeborg Bachmann)

Wohin aber gehen wir
OHNE SORGE SEI OHNE SORGE
wenn es dunkel und wenn es kalt wird
SEI OHNE SORGE
aber
MIT MUSIK
was sollen wir tun
HEITER UND MIT MUSIK
und denken
HEITER
angesichts eines Endes
MIT MUSIK
und wohin tragen wir
AM BESTEN
unsere Fragen und den Schauer aller Jahre
IN DIE TRAUMWÄSCHEREI OHNE SORGE SEI OHNE SORGE
was aber geschieht
AM BESTEN
wenn Totenstille

eintritt.

Im Märzen (Ulla Hahn)

Im Märzen da reiß ich
den Samt vom Himmel der Sonne
mach ich die Laden dicht ich
hack der Krähe ein Auge

aus Amsel Drossel Fink und Star
dreh ich den Hals um dem Krokus
köpf ich die Knospen ich schmeiß
dir mit Veilchen die Fenster

ein jeder sehe wie
ich`s treibe wenn
du nicht sofort
die Rösslein einspannst.

Beschreibung von Szenen

Dobermann (gewidmet dem Hundezüchter D.) von Jan Wagner (geb. 1971)

dies ist das dorf, und dies am waldesrand
die wasenmeisterei, von deren dach,
ein dünner rauch sich in den himmel stiehlt.

die leeren felle an der wand. der korb
mit welpen, ihre augen noch vernäht
von blindheit: so beschnüffeln sie die welt.

Die deutliche Amsel von Per Højholt („Der Kopf des Poeten“)

Eine Amsel kommt geflogen
aus dem Nebelinnern

hier sitzt sie nun
und singt auf einer nassen Latschenkiefer

gleich fliegt sie zurück
zur Natur

Den tydelige solsort

En solsort kom flyvende
inde fra tågen

den sidder her nu
og synger i en våd bjergfyr

om lidt flyver den tilbage
til naturen

http://www.straelener-manuskripte.de/NeueFolge/NF4Leseprobe.html