2010-I

Schreibwerkstatt Günter Neuenhofer, VHS-Bocholt, 3.3.2010

Etwas genau wahrnehmen, die Worte auf Wesentliches reduzieren und Klischees vermeiden!

1.       Christine Lavant (aus „Das Kind“)

Da ist ein langer Gang. Und er hat weißgestrichene Türen rechts und links - viele weißgestrichene Türen. Oben, ganz hoch oben, wo vielleicht schon der Rand vom Himmel anfängt und wo man auch mit ganz weit aufgerissenen Augen nicht hinaufsieht, ist etwas Schwarzes. Was dieses Schwarze ist, wird man vielleicht einmal wissen, wenn man gestorben ist, weil dann weiß man alles.

2.       Ernst Jandl ( „war einst weg und bin jetzt hier“ 1976)

Der tisch, das ist mein tisch. Mit hand und hand spür ich den tisch. Du bist brav, mein tisch. Du beißt mich nicht. Hier schreib ich. Hier schrieb ich, ich schreib ich. Ich schreib, was ich schreib, weil ich schreib, was ich schreib. Ich schreib weil ich schreib was ich schreib. Ich ball die faust. Ich hau auf den tisch. Mein tisch! Der tisch schreit nicht, der tisch sagt nicht au weh!

3.        Der Radwechsel (Bertolt Brecht, Buckower Elegien)

Ich sitze am Straßenrand
Der Fahrer wechselt das Rad.
Ich bin nicht gern, wo ich herkomme.
Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.
Warum sehe ich den Radwechsel
Mit Ungeduld?

 

4.        liegen, bei dir (Ernst Jandl, dingfest)

ich liege bei dir. deine arme
halten mich. deine arme
halten mehr als ich bin.

deine arme halten, was ich bin
wenn ich bei dir liege und
deine arme mich halten.

 

5.    frau puppengesicht (Ernst Jandl)

 

frau puppengesicht

hat unser sofa besucht

 

melancholisch wie ein waschbrett

lehnte sie

und seufzte seifenblasen.

 

ihre verlangen

haben sich zu symptonen verschärft

mit denen sie ärzte abnützt.

 

ihr mann, ach – ihr mann, ach –

ach ach, ihr mann.

 

 

6.   Bild  (Rolf Dieter Brinkmann)

Die Frau mit dem
weißen
Sommerhut

die langsam
einen Kinderwagen die
Straße

hinunterschiebt
was
denkt sie. Dass

sie einen Karren
voll
Laub

vor sich her
schiebt
rosafarben, gleich

Plastik? Oh wie sie
geht.
Der weiße

Hut in der…

 

Variationen zu Jandl und Brecht
von Günter Neuenhofe
r

Der sessel

Der sessel, das ist mein sessel. Mit gesäß und rücken lieg ich im sessel. Du bist willkommen, mein sessel. Du krümmst mich nicht. Hier lag ich. Hier lieg ich. Ich ruhe. Ich liege, wie ich liege, weil ich liege, wie ich liege. Ich liege wie ich liege weil ich liege wie ich liege. Ich drücke in flacher. Mein sessel. Der sessel spricht nicht, der sessel  fühlt, so ist es richtig.

Der treter

Das fahrrad, das ist mein fahrrad. Mit fuß und fuß spür ich das fahrrad. Du bist drahtig, mein fahrrad. Du trittst mich nicht. Hier trete ich, hier trat ich fuß nach fuß ich. Ich trete, wie ich trete, weil ich trete, wie ich trete. Ich trete wie ich trete weil ich tret wie ich trete. Ich stemme ein bein. Ich zwinge das rad in bewegung, den fuß ins geschirr. Mein rad. Es ächzt, es krächzt. Mein Rad sagt, ich kann nicht, ich leide oh je.

Die Wolken im Wind

Ich stehe am Fenster.
Der Wind treibt die Wolken.
Ich seh in die Ferne, woher sie kommen.
Ich seh in die Ferne, wohin sie wehen.
Warum bleib ich nicht ruhig
zu Hause?

Zeugin der wahrheit

frau redselig
stand in der haustür

bemüht wie eine wissende
hielt sie
ein buch in den  händen

der tonfall  der stimme
hatte an anmut verloren
beim letzten kunden

die wahrheit der bibel, ja - die wahrheit, ja-
ja, ja, eine katastrophe.

 


Schreibwerkstatt Günter Neuenhofer, VHS-Bocholt, 10.3.2010

Kriterien zur literarischen Wertung von Texten


1. Ein Klischee ist eine überkommene Vorstellung oder ein eingefahrenes Denkschema, eine abgedroschene Redensart oder vorgeprägte Ausdrucksweise, ein überbeanspruchtes Bild (Stilmittel), das sich auf eine entweder regelhaft wiedererkennbare oder äquivalent dazu häufig zugeschriebene gemeinsame Eigenschaft einer Menge von Personen, Objekten etc. bezieht und auf welche das Klischee demnach angewendet werden kann. Das Klischee existiert als etwas geistig bzw. sprachlich Schablonenhaftes. (Wikipedia)
Das Wort Klischee stammt vom französischen cliché, welches ursprünglich „Abklatsch“ bedeutete und später auch für „billige Nachahmung“, „überbeanspruchte Redensart“ stand. Das deutsche und auch das französische Wort bezeichneten ursprünglich die gleichnamige Druckform, den sogenannten Abklatsch, einen Probeabzug im Druckwesen.

Filmklischees sind in Filmen Motive, Ausstattungsdetails, Wendungen der Handlung, Dialoge und ähnliche Einzelheiten, die in verschiedenen Produktionen immer wieder aufgegriffen und in gleicher oder ähnlicher Form benutzt werden. Oft gewinnt das Aufgreifen eines Klischees einen besonderen Reiz, wenn es sich um eine ganz gezielte Anspielung, ein „Filmzitat“, oder eine Parodie handelt, die nur durch Kenntnis des Originals richtig verstanden wird. Genrefilme kommen ohne Klischees nicht aus.

2. Die Trivialliteratur widmet  sich in realitätsfremder, klischeehafter Weise Themen wie Liebe, Tod, Abenteuer, Verbrechen, Krieg usw.. In Sprache, Verständlichkeit, Emotionalität  ist sie so strukturiert, dass sie den Erwartungen eines großen Massenpublikums gerecht wird.

Z.B. benutzt Hedwig Courths-Mahler  immer die gleichen Klischees: Sozial Benachteiligte erlangen Reichtum und Ansehen, Liebende kämpfen gegen allerlei Intrigen und finden schließlich zueinander. (Aschenbrödel-Rezept). (Emphatisierung des Banalen“: „Das schönste Lied kennt Guildo Horn“, „Ich find Schlager toll“, „Ich mag Steffi Graf“.)

3. Vgl. Kitsch . Konfliktlosigkeit, Kleinbürgerlichkeit, Massenkultur, Verlogenheit, Stereotypisierung, Zurückgebliebenheit, Wirklichkeitsflucht, falsche Geborgenheit oder etwa dümmlich Tröstendes. Kitsch  wiederholt, was dem Betrachter bereits geläufig ist. „Kalkulierte Gefühlsverlogenheit“ durch Idyllen- oder Kindchenschemata.  Vom Kunstwerk wird Originalität erwartet.

Hallo, Frau Nachbarin /„An meim Hauserl steht a Bankerl da sitz i gern und trink mein Wein /
 und mein Blick geht oft hinüber in den Nachbargarten nei, / denn die Aussicht ist so schön wenn sie auf der Leiter steht / und beim Kirschen pflücken mir den Kopf verdreht.
  (Wildecker Herzbuben)

4. Vgl.  Trash. In der Postmoderne ist der Begriff Kitsch teilweise durch das Wort Trash ersetzt worden, das einige Arten von Kitsch zum Kult erklärt und damit die negative Konnotation umkehrt.

5. Camp ist alles Übertriebene, Übergeschnappte. Camp ist die Negation dessen, was traditionell in Deutschland ästhetisch hochgehalten wird: das Seriöse, Metaphysische - oder auch nur das Authentische, Natürliche. Camp sieht alles in Anführungsstrichen. Anhänger des Camp-Geschmacks abstrahieren oft von den Inhalten der dargebotenen Artefakte, sie genießen Form, Dekor, Ornament und Variation - daher sind weitgehend festgelegte Genrekünste auch besonders dankbare Objekte für Camp-Konsumenten. z.B. Ronald Firbank (1886-1926), "Die Blume unter dem Fuße". „Campige“ Tableaus mit Atmosphäre, die "Parfüms verströmen sollen". Sinnenreize durch Dekors, phantasievolle Garderoben, Landschaftsarrangements - und möglichst elegisch-intensiver Genuss  durch exzentrische Figuren.

6. Popliteratur:  wesentliche Merkmale dieser neuen Ästhetik nach dem britischen Pop-Künstler Richard Hamilton: "populär, vergänglich, entbehrlich, preisgünstig, massenproduziert, jugendlich, witzig, sexy, glamourös und als big business".


7. Texte zur Sehnsucht

Ich träume lange
schon viel zu lange
von einer Insel im blauen Meer.
Von weißen Schiffen und braunen Mädchen

von blauen Nächten und noch viel mehr.
Komm doch mit mir auf diese Reise

und wir vergessen die alte Welt.
Wo Palmen stehen an weißen Stränden
gibt es ein Leben
das uns gefällt.

Komm auf das Schiff meiner Träume,
es liegt schon unten am Kai.
Unter den Sternen des Südens
wartet das Glück auf uns zwei.
Zwei Ukulelen
die klingen

ein weißes Boot fährt vorbei.
Und dann hörst du
wie sie singen
A-lo-ha-oe auf Hawai.

Morgens Sonne und abends Sterne
dazwischen Blüten und roter Wein.
Ganz ohne Sorgen ist jeder Morgen
im Land der Liebe
komm und steig ein.

 

Es schienen so golden die Sterne,          
Am Fenster ich einsam stand           
Und hörte aus weiter Ferne
Ein Posthorn im stillen Land.
Das Herz mir im Leib entbrennte,
Da hab ich mir heimlich gedacht:
 Ach, wer da mitreisen könnte          
 In der prächtigen Sommernacht!          

 Zwei junge Gesellen gingen    
 Vorüber am Bergeshang     
 Ich hörte im Wandern sie singen         
Die stille Gegend entlang:
Von schwindelnden Felsenschlüften,
Wo die Wälder rauschen so sacht,
Von Quellen, die von den Klüften          
 Sich stürzen in die Waldesnacht.

Sie sangen von Marmorbildern,           
Von Gärten, die überm Gestein
In dämmernden Lauben verwildern,
Palästen im Mondenschein,
Wo die Mädchen am Fenster lauschen,
Wann der Lauten Klang erwacht
Und die Brunnen verschlafen rauschen
In der prächtigen Sommernacht.

 


7. Zum Schreibprozess

Hermann Burger (1942-1989) Die allmähliche Verfertigung der Idee beim Schreiben. Frankfurter Poetik-Vorlesung. 
Das Dilemma des Aufsatzschülers, keine adäquate Sprache für einen bestimmten Inhalt zu haben…. Als ich die Blechtrommel las, ging ich dazu über, ganze Perioden abzuschreiben, indem ich das Grass`sche Satzschema übernahm und mit eigenen Ausdrücken füllte.
Die Idee wird auf dem Papier erschrieben. Ja, aber erst wenn ein Ansatz da ist, ein Angelpunkt, woran man sich festhaken kann… Schreiben als Existenzform. Schreibend-Sein bedeutet , die Welt als Sprache erfahren, in Sprache zu transponieren. Der Schriftsteller entdeckt eine Perspektive, etwa die Weltsicht eines Zauberers …zugleich entdeckt er ein Wort, eine ganze Fachsprache. Bei der Herstellung einer Fiktion verwende ich immer wieder die Technik der schleifenden Schnitte zwischen Realität und Irrealem, die Verfremdung der Kenntlichkeit… Ich gebe gerne zu, dass mir das Circensische wichtiger ist als derAlltag der Normalität
.

Schilten. Schulbericht zuhanden der Inspektorenkonferenz, Roman.
Das Verfahren ist immer dasselbe: ein Motiv, etwa das Friedhoftelefon, wird umfassend durchexerziert bis zu den Spezialitäten der Telefonseelsorge und der Telefonunzucht, dann komprimiert und in konzentrierter Form eingebaut. Im weiteren gehört zu den Stilmitteln der Verunsicherung die Synonymen-Vielfalt und Bezeichnungs-wut.

 

Der Verzicht
(Variation zu Hermann Burger von G.Neuenhofer)

Meine unvorhersehbare Abstinenz von jeglichem Geigenspiel wird dadurch erträglich, dass ich in der glücklichen Lage bin, mir fast jederzeit mehrmals am Tag, wenn ich denn wollte, den Genuss ausgezeichneter Cellomusik erlauben zu können. Das Schicksal gab mir durch die Entwicklung elektronischer Aufnahme- und Abspielmöglichkeiten von Musik die Möglichkeit, meine Hörlust adäquat meinen speziellen Bedürfnissen zu befriedigen. Zumindest erlaubt es mir diesen Konsum, falls nicht das Ruhebedürfnis und die zurückhaltende Aufnahmebereitschaft meiner Frau dem entgegensteht. 

Sicherlich hat der geneigte Leser den lebendigen, wohltuenden Klang eines Cellos schon einmal wahrgenommen. Der sonore Klang eines Cellos schafft atmende Stücke. „Innehalten und zuhören, dann wieder loslassen und mitreißen, energische Strahlkraft ebenso wie berührende Zartheit“, so hat ein Liebhaber das Spiel auf diesem Streichinstrument umschrieben. Der Cellospieler ist sein eigener Ausdruckskünstler und die Art der Bogenführung unterliegt vollkommen seinem Willen. Er kann den Ton an- und abschwellen lassen.

Natürlich tut man sich leicht, wenn man so viel Kraft hat, dass das Anstreichen des Cellos und das Niederdrücken der Saite keine Mühe machen. Andererseits kann es dem Spieler, der über viel Körperkraft in Armen und Fingern verfügt, auch leicht passieren, dass er seine Kräfte dermaßen verschwenderisch anwendet, dass er darüber die Feinfühligkeit der Tonbildung verliert.

Der  Anfänger beim Streichen spürt  vor allem, dass er mit Arm und Fingern viel Kraft aufwenden muss. Den Bogen zu halten, ihn bis zur Spitze zu bewegen und auch dort noch so viel Gewicht auf die Saite zu bringen, dass sie zum Klingen gebracht werden kann, wird oft als enorm anstrengend erlebt. Dieses Spüren der eigenen Kraftanstrengung aber macht das Gefühl für das Reiben des Bogens auf der Saite fast unmöglich. Oft passiert es, dass dem Spieler der Bogen einfach nicht gehorchen will, dass der Arm seiner eigenen Trägheit nachgeht, anstatt den Wünschen des Spielers zu gehorchen.

Streiche ich eine leere Saite an, so merke ich ganz deutlich, dass zwischen dem Streichen in der Gegend des Frosches, und dem Streichen an der Spitze ein deutlich spürbarer Unterschied besteht. Am Frosch fühlt es sich an, als wäre es ganz mühelos, einen Ton hart oder weich, akzentuiert oder etwa getragen anzustreichen. In Richtung der Spitze aber, wird es schwieriger, das Gleiche zu tun.

Aber gerade in dem vollkommenen  Streichen gipfelt die ganze Cellokultur. Sie ermöglicht es dem Streicher geradezu, seine Seele mit dem Bogenstrich in das Instrument hineinzustreichen.

Ist es nicht erstaunlich und faszinierend zugleich, das leichte, mühelose Cellospiel mancher Musiker zu beobachten? Zu beobachten, wie elegant sich die Bewegungen eines wahren Könners in die Musik einfügen; als wären sie von ihr geschaffen worden? Er stellt sich selbst und der Musik keinerlei Widerstände entgegen. Erwecken nicht die Finger eines großen Könners immer wieder unser Aufsehen? In unglaublicher Geschwindigkeit und Gewandtheit bewegen sie sich über das Griffbrett, und hinterlassen den Eindruck, als machten ihre Bewegungen genau den Ausdruck der Musik sichtbar; geschmeidig, wo es lyrisch zugeht; zupackend, wenn die Musik Kraft ausdrückt. Unbegreiflich, wie der Spieler mit dem Bogen und einem scheinbar schwerelosen rechten Arm mühelos die Saiten anstreicht.

Ein mittelmäßig begabter Cellist wird an der Expression scheitern. Vielleicht scheitert er auch schon an der Angst vor den Folgen eines expressiven Streichens der Saiten. Seit 34 Jahren glauben Mediziner und Cellisten, dass das Einklemmen des Holzkörpers zwischen den Oberschenkeln zu Hodenbeschwerden führen kann.

Es sei denn, der  Cellist säße vorn auf einem Stuhl, lehnte sich nicht an, sondern brächte seine Wirbelsäule in eine ausbalancierte aufrechte Haltung und stellte seine Füße so vor sich auf, dass die Unterschenkel wie zwei  senkrechte Säulen von den Füßen nach oben zeigten. Die Füße selbst müssten mit der ganzen Fußfläche stehen, also mit Hacken und Ballen auf dem Boden. Die Höhe des Stuhls sollte dabei so gewählt werden, dass die Oberschenkel in etwa waagerecht stehen.

Dann lege der Cellist sein Instrument so zwischen die Knie, dass die untere rechte Ecke des Instrumentes hinter dem linken Kniegelenk zu liegen kommt, vorausgesetzt die Länge des Stachels ist entsprechend eingestellt. Jetzt ragt das Knie rechts etwas weiter über die Ecke hinaus und das Instrument wird leicht nach rechts gedreht gehalten.

Infolge dieser technischen Raffinessen kann beim hingebungsvollen Streichen eines so großen Resonanzkörpers  ein körperlicher Schaden leicht vermieden werden, und die strömende Fülle des seelenvollen Cello-Tons bringt  dem ganzen Menschen ein wunschloses Glück.

Aber man stelle sich einmal vor, in einem Mehrfamilienhaus lebte in einer Nachbarwohnung ein Nachbar, der eine " Eule" ist, der also nachtaktiv ist oder auch ein Nachbar, der grippekrank sein Bett hüten muss. Welche Beeinträchtigung des freien Streicherlebens hätte das zur Folge. Wäre sich der Cellist wohl der Bauakustik bewusst?  Das Cello steht ja mit einem Stachel auf dem Boden, und der Schall würde sich
auf Boden und Wand übertragen und
über die ganze Zimmerdecke gehen, so dass es für den Nachbarn nicht viel anders wäre, als wenn der Cellospieler im Nebenraum mit angelehnter Tür spielte.

Würde eine solche Situation nicht dem Musikerglück und der Musikerkarriere im Wege stehen? Selbst wenn der Musik liebende Nachbar zunächst darauf verzichtet hätte, Maßnahmen zu ergreifen und auch nur selten gegen die Wand getrommelt hätte, so würde er sich doch mit der Frage beschäftigen, welche Regelungen in Sachen "Lärmschutz" gibt es bei Musik? Und wie viele Stunden darf man auf einem lautstarken, wenn auch seelenvollen Instrument pro Tag üben und in welchen Zeiträumen?

Da dem so ist, werde ich in Anbetracht der vorhersehbaren Schwierigkeiten auch weiterhin auf einen lebensnahen Genuss aller Streichinstrumente verzichten.

Keine Geige, kein Cello!

 

Schreibwerkstatt Günter Neuenhofer, VHS-Bocholt, 17.3.2010

1. Formale Kriterien zum Kitsch (Häufung von Adjektiven und Attributen, Redundanz/Weitschweifigkeit, Wiederholungen und Überladung, Schwarzweißmalerei) und zu guter Literatur (Stimmung als notwendiger Ausdruck im inhaltlichen Zusammenhang, echte Symbolhaftigkeit)

2. Textanalyse: Die handwerklichen Qualitäten bei Eichendorff und die romantischen Topoi bzw. Klischees

3. Rhythmus (Jambus, Trochäus, Daktylus, Anapäst, musikalische Beschreibung “mit Auftakt”, Hebungen – betonte Silben und Senkungen – unbetonte Silben pro Zeile)

4. Endreim (Kreuzreim, stumpf – klingend, Assonanz, Vokal- und Konsonantenhäufung))

5. Wörter und Wortfelder  als Schreibanreize
 Suche einen Gegenstand aus und fertige einen Wortstern aus Wortableitungen an (z.B. Schrank – beschränken – Schranke – verschränken – Schranktür …usw.)

6. Schreibe einen Text im Stile von Burger oder Grass. Hermann Burger, Schilten (Das Harmonium) und  Günter Grass, Hundejahre (1. Schicht, “Brauxel”)

Der Wortstern ist ein erster Schritt, eine erste Annäherung an ein Thema und dient der Entwicklung der Idee. Der zweite Schritt ist der erste Textentwurf im Stile eines der vorgegebenen Texte.

Das Ausgangswort bzw. der Hauptgegenstand des Textes kann sich auch auf angrenzende Wortfelder beziehen. Wähle – wie im Burger-Text das Harmonium – einen Gegenstand als durchgehenden Bezugspunkt oder spiele in Dialogform – wie Grass mit Hund und mit dem Namen Brauxel – mit einigen Wörtern. Die Entwicklung der Idee ist wichtiger als die enge Bindung an Regeln!

Frühlingsgedichte

Haiku von Matsuo Basho, Japan 1644-1694

Ume ga ka ni
Notto hin no deru
Yamaji kana

Mit dem Duft der Pflaumenblüte
Geht plötzlich die Sonne auf
Über den Bergpfad

Die Übersetzung sollte nach den Zählregeln (5-7-5 Silben) verbessert werden.


Frühling lässt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen
Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's!
Dich hab ich vernommen
!

(Eduard Mörike, 1804-1875)

Am Abendhimmel blühet ein Frühling auf;
unzählig blüh'n die Rosen
 und ruhig scheint die gold'ne Welt:
oh dorthin nimmt mich purpurne Wolken
und möge droben in Licht und Luft
zerrinnen mir Lieb' und Leid!

Hölderlin, Friedrich (1770-1843)


 

im frühling

im frühling da lass ich`s wieder flattern

das band der reisen von den feldern

riech ich mir wohlbekannte düfte ich

verschließ die fenster ahnungsvoll

 

von fern hab ich vernommen die erde

schlägt macht neu der mai wer

lust hat ohne sorgen zu hause

ist es nicht am schönsten denen

 

die seele frisch und frei wie

mir steht der sinn in

die weite, weite welt ruft

der kuckuck herein.

Günter Neuenhofer


 

Schreibwerkstatt Günter Neuenhofer, VHS Bocholt, 24.3.2010

Thema: Die Zeit

Verstreichende Zeit beschreiben und schreibend darstellen

1. Romantexte:

Der Zeitplan, Die Ankunft von Michel Butor und, Mann ohne Eigenschaften, Die Reise ins Paradies von Robert Musil

 

2. Frühlingsgedichte


Friedrich Hölderlin
Abendphantasie
 
Vor seiner Hütte ruhig im Schatten sitzt
  Der Pflüger, dem Genügsamen raucht sein Herd.
   Gastfreundlich tönt dem Wanderer im
    Friedlichen Dorfe die Abendglocke.

Wohl kehren itzt die Schiffer zum Hafen auch,
  In fernen Städten, fröhlich verrauscht des Markts
   Geschäft’ger Lärm; in stiller Laube
    Glänzt das gesellige Mahl den Freunden.

Wohin denn ich? Es leben die Sterblichen
  Von Lohn und Arbeit; wechselnd in Müh und Ruh
   Ist alles freudig; warum schläft denn
    Nimmer nur mir in der Brust der Stachel?

Am Abendhimmel blühet ein Frühling auf;
  Unzählig blühn die Rosen und ruhig scheint
   Die goldne Welt; o dorthin nimmt mich,
    Purpurne Wolken! und möge droben


In Licht und Luft zerrinnen mir Lieb und Leid! -
  Doch, wie verscheucht von töriger Bitte, flieht
   Der Zauber; dunkel wird’s und einsam
    Unter dem Himmel, wie immer, bin ich -

Komm du nun, sanfter Schlummer! zu viel begehrt
  Das Herz; doch endlich, Jugend! verglühst du ja,
   Du ruhelose, träumerische!
    Friedlich und heiter ist dann das Alter.

 

Haiku von Matsuo Basho, Japan 1644-1694

梅が香にのっと日の出る山路かな

Ume ga ka ni
Notto hi no deru
Yamaji kana

Übersetzungen:

Pflaumenblütenduft
und plötzlich scheint die Sonne
den Bergpfad entlang.

 

Mit dem Duft der Pflaumenblüte
Geht plötzlich die Sonne auf
Über den Bergpfad

Der Pflaumenblüte

Duft. Plötzlich scheint die Sonne

den Bergpfad entlang.
(Bollnow:“evozierendes Sprechen“)

pflaumenblütenduft
plötzlich geht die Sonne auf
über dem Bergpfad

Im Duft der Pflaumenblüten/
ist der Bergpfad.../
wo die Sonne plötzlich aufgeht.

in the fragrance of plum blossoms
the sun comes out -
(on) this mountain road

To fragrance of plum blossom
All of a sudden, the rising sun --
Mountain path.

In the plum blossom scent,
the sun pops out,
a mountain path

Scent of plum blossoms  
on the misty mountain path
a big rising sun

Haiku von Matsuo Basho, Japan 1644-1694

Haru nareya,
namonaki yama no
usugasumi.

Wirklich, Frühling ists!
Auch auf dem Berg Namenlos
ruht Morgennebel
.

 

im frühling

im frühling da lass ich`s wieder flattern

das band der reisen von den feldern

riech ich mir wohlbekannte düfte ich

verschließ die fenster ahnungsvoll

 

von fern hab ich vernommen die erde

schlägt macht neu der mai wer

lust hat ohne sorgen zu hause

ist es nicht am schönsten denen

 

die seele frisch und frei wie

mir steht der sinn in

die weite, weite welt ruft

der kuckuck herein.

Günter Neuenhofer


 

Schreibwerkstatt Günter Neuenhofer, VHS-Bocholt, 21.5.2010


Kreatives Schreiben

I. Zum Haiku: "Vom Spielerischen ausgehend, findet das Haiku zu metaphysischer Tiefe, angedeutet im Bild eines Augenblicks", heißt es im Brockhaus.

EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy ("Haiku-Herman")  wird einen Gedichtband veröffentlichen.  Blog von Van Rompuy


Pasen

gele paaslelies
kleuren het kale landschap
knikkend en biddend

Ingekort tot homp,
staat de struik jaarlijks weer op.
Overal Pasen

 

In der Schneenacht ruft
eine Eule in die Stille.
Komischer Vogel.
"


II. "Spracherweiterung durch formale Zwänge.  – Spielerisch nach Regeln schreiben. "

 Zunächst wird eine Regel vorgegeben, die eine sprachliche oder auch eine mathematische Vorgabe sein kann. Dann wird darauf aufbauend das Gedicht oder der Essay erstellt.

Georges Perec führte dies beispielhaft vor, indem er einen Roman "La Disparition" 1969 schrieb (deutsch: Anton Voyls Fortgang), in dem der Buchstabe "e" nicht vorkommt. In einem anderen Buch verwendet er als Vokal nur das e (Les Revenentes, deutsch: "Dee Weedergenger", übersetzt von Peter Ronge)

Klaus Ferentschik verwendet im ersten Teil seines Buches “Schwelle und Schwall” (2000) nur weibliche Substantive, im zweiten Teil dagegen ausschließlich männliche. Der Roman “Scharmützel “ (2003) enthält nur sächliche Substantive.

Gerhard Rühm verwendet in “Die Österreichische Bundeshymne, um einen Schritt weiter” (1986) die Regel: Jedes Wort des Originaltextes wird durch das nachfolgende Wort im Österreichischen Wörterbuch ersetzt.

Oulipo ist ein Autorenkreis vornehmlich französischer, italienischer (Italo Calvino), US-amerikanischer (Harry Mathews) und siebenbürgisch-sächsischer (Oskar Pastior) Schriftsteller. Das Akronym Oulipo kommt von L' Ouvroir de Littérature Potentielle (franz. "Werkstatt für Potentielle Literatur").


Lebenslauf (Rainer Brambach)

Wasserfläche
Wasserwurzel
Wasserjunge
Wassermann
Wassergreis
Plumps!
Wasserringe
Wasserfläche

 

Das
das nicht
das geht nicht
das geht so nicht
das geht so doch nicht
das geht so doch alles nicht
das geht so doch alles immer nicht
das geht so doch alles immer gar nicht
das geht so doch alles immer ganz und gar nicht
das geht so doch alles immer überhaupt ganz und gar nicht
das geht so doch alles immer überhaupt ganz und gar immer wieder nicht
das geht so doch alles immer und überhaupt und ganz und gar und immer wieder nicht

(Uwe Warnke)


 

Ernst Jandl

ottos mops

ottos mops trotzt
otto: fort mops fort
ottos mops hopst fort
otto: soso

otto holt koks
otto holt obst
otto horcht
otto: mops mops
otto hofft

ottos mops klopft
otto: komm mops komm
ottos mops kommt
ottos mops kotzt
otto: ogottogott

 

fortschreitende räude

him hanfang war das wort hund das wort war bei
gott hund gott war das wort hund das wort hist fleisch
geworden hund hat hunter huns gewohnt

him hanflang war das wort hund das wort war blei
flott hund flott war das wort hund das wort hist fleisch
gewlorden hund hat hunter huns gewlohnt

schim schanflang war das wort schund das wort war blei
flott schund flott war das wort schund das wort schist
fleisch gewlorden schund schat schunter schuns gewlohnt

schim schanschlang schar das wort schlund schasch wort
schar schlei schlott schund flott war das wort schund
schasch fort schist schleisch schleschlorden schund
schat schlunter schluns scheschlohnt

s-----------------------c--------------------h
s-----------------------c--------------------h
schllls-----------------c--------------------h
flottsch

 

Inhaltliche Variationen zu vorgegebenen Texten von Günter Neuenhofer, April 2010

 

 

so

so ist

so herzlich ist

so herzlich mutig ist

so herzlich mutig gerecht ist

so herzlich mutig gerecht ist sicherlich

so herzlich mutig gerecht ist sicherlich nicht

mein Nord mein Nord-Rhein mein Nord-Rhein-Westfalen

so herzlich mutig gerecht

ist sicherlich nicht unser Präsident mit seinen Funktionären

sicherlich 

sicherlich nicht

wenn es darum geht

 

 

Nicht

Nicht herzlich

Nicht herzlich sozial

Nicht herzlich sozial mit

Nicht herzlich sozial mit rot

Nicht herzlich sozial mit rot-rot

Nicht herzlich sozial mit rot

Nicht herzlich sozial mit

Nicht herzlich sozial

Nicht herzlich

Nicht

Nicht mit

Nicht mit Jürgen

Nicht mit Jürgen Rüttgers

 

 

 

Demokratie

 

Wahljahr

Wahlmänner

Wahlfrauen

Wahlsprüche

Wahlgang

Wahlzettel

„Hinein in den Schlitz“

Einwahl

Abwahl

Durchwahl

 

Unsere Freiheit

 

 

Vokalgedicht

 

Sinnig Lied 

Nicht mit mir,

die Hitti schimpft.

Nickt Irmi.

 

Nicht mit mir, singt Willi.

Will die Hitti wild,

Linki grinst, wird irr.

Hitti ringt, Linki drischt.

 

Sing, Linki, sing mir.

Hit hier, Hitti, bitt.

Sing nie Hinki,

blick nie Ricki,

klickt nie Dicki.

Stimm, sing, lieb nie

die Irmi.

  

Irmi will hin mit Willi,

nie mit Litschi

iiiihbibiiii.

Ickirickimickizick.

 

Hirn flirrt

Stirn frisst

Wind-Irrlicht.

 

Hitti nimmt Gift

indisch Indiz drin

find Kind

 

hihi grins hiiii

schitschiiit

finiii