VHS 1.Hj 2005
(Es sind hier nur die Texte der
Kursteilnehmer wieder gegeben worden, die mir per Email zugeschickt wurden.)
1. Schreibwerkstatt 16.2.05
Thema:
Vor dem Ziel
Beispieltext:
Joseph von
Eichendorff (1788-1857): „Aus dem
Leben eines Taugenichts“
Unterwegs erfuhr ich, dass ich nur ein paar Meilen von Rom wäre. Da erschrak ich ordentlich vor Freude. Denn von dem prächtigen Rom hatte ich schon zu Hause als Kind viele wunderbare Geschichten gehört, und wenn ich dann an Sonntagnachmittagen vor der Mühle im Grase lag und alles ringsum so still war, da dachte ich mir Rom wie die ziehenden Wolken über mir, mit wundersamen Bergen und Abgründen am blauen Meer und goldnen Toren und hohen glänzenden Türmen, von denen Engel in goldnen Gewändern sangen.-
Die Nacht war schon wieder lange hereingebrochen, und der Mond schien prächtig, als ich endlich auf einen Hügel aus dem Wald heraustrat und auf einmal die Stadt in der Ferne vor mir sah.- Das Meer leuchtete von weitem, der Himmel blitzte und funkelte unübersehbar mir unzähligen Sternen, darunter lag die heilige Stadt, von der man nur einen langen Nebelstreif erkennen konnte, wie ein eingeschlafener Löwe auf der stillen Erde, und Berge standen daneben, wie dunkle Riesen, die ihn bewachten.
……..
Wie ich nun eben so weiter fortschlendere und vor Vergnügen, Mondschein und Wohlgeruch gar nicht weiß, wohin ich mich wenden soll, lässt sich tief aus dem einen Garten eine Gitarre hören….
Variationen zu Eichendorff
Unterwegs erfuhr ich, dass ich nur ein
paar Meilen von B. wäre.
Mein GPS im
Armaturenbrett zeigte nur noch 5 km an. Seit kurzem, ungefähr ab Rhede, standen linker Hand weiße, schlanke Pfosten,
an deren Spitze sich langsam riesige Flügel drehten. Bis zur Vardingholter Kirche begleiteten sie mich wie ein Gitter,
das die Sicht in den westfälischen Himmel verwehrte. Engel, die in ein
neues Paradies hineinwinkten. Starre, blinkende Ungeheuer, die alle
Jugenderinnerungen hinwegzuwirbeln schienen. Sie stachen in die Wolken, als ob
sie mit Gewalt ein neues Bild malen wollten. Eine neue Welt: Wir mahlen nicht
mehr Körner zu Mehl. Wir mahlen mit Wind den Strom. „
„Alternativ, ökologisch, gewinnbringend“ sangen die
Flügel über die Felder. „Wir sind die Sparstrümpfe des Bauernlandes“.
Und die drei Arme der Flügel drehten sich majestätisch und riefen:
„mit uns, für uns, durch uns.“ Auf der Straße bewegten
sich klein die Autos, nur einmal ein eiliger Trecker. Kein Mensch. Kein Tier.
Niemand schien ihnen antworten zu wollen.
Da bog die
Straße hinter dem Friedhof nach rechts und vor mir sah ich wieder kleine
Wäldchen, rote Bauernhöfe, die auftauchten und hinter Hecken
verschwanden.
Da wusste ich,
es war alles, alles gut.
g.neuenhofer
Wortelfchen:
WEISS /
DER ABEND /
UNTER TANZENDEN
FLOCKEN /
DUNKELHEIT
NIMMT DIE SICHT /
SCHATTENGESTALTEN
Silbenelfchen:
WEISS /
DAS BLATT /
IN HÄNDEN
/
JETZT SCHREIBE
ICH /
NICHTS
g.neuenhofer
2. Schreibwerkstatt 2.3.05
Buchstabengestöber: die Binnenbuchstaben werden vertauscht.
Mäerchn, das wir nhict gsheriebn haebn, snoredn Jcoab und Wlhilem Gimrm. Breokn.
Thema:
Das Starten und
Ankommen beschreiben. Prosa und Lyrikform
Beispieltexte:
Max Frisch: Homo Faber (1957)
Wir starteten in La Guardia, New York, mit dreistündiger Verspätung infolge von Schneestürmen. Unsere Maschine war, wie üblich auf dieser Strecke, eine Superkonstellation. Ich richtete mich sofort zum Schlafen, es war Nacht.
….der junge Deutsche neben, der mir sogleich auffiel, ich weiß nicht wieso, er fiel auf, wenn er den Mantel auszog, wenn er sich setzte und sich die Bügelfalten zog, wenn er überhaupt nichts tat, sondern auf den Start wartete wie wir alle und einfach im Sessel saß, ein Blonder mir rosiger Haut, der sich sofort vorstellte, noch bevor man die Gürtel geschnallt hatte. Seinen Namen hatte ich überhört, die Motoren dröhnten, einer nach dem andern auf Vollgasprobe -…
Ich war todmüde.
….Endlich ging`s los –
….Er kam aus Düsseldorf, mein Nachbar, und so jung war er auch wieder nicht, anfangs dreißig, immerhin jünger als ich; er reiste, wie er mich sofort unterrichtete, nach Guatemala, geschäftlich, soviel ich verstand –
Wir hatten ziemliche Böen.
….(Gespräche)…..
Sein Gesicht (rosig und dicklich, wie Joachim nie gewesen ist) erinnerte mich doch an Joachim.
Robert Crawford: St
Andrews
Ich lieb es, wie sie plötzlich aus dem blauen
Nordseeufer tritt, sonnenscharf, mit Austernfischern:
Ein Volltreffer, am äußersten Rand zentriert,
ein Nebel voller Kirchtürme – vom Jenseits kaum ein Schritt.
(Übersetzt v. Ian Galbraith)
I love it
comes right out of the blue
A bullseye centred at the outer reaches,
Ahaar of kirks, one inch in front of
beyond.
Variation zu Crawford
Für
Landschaftsschutz und Schutz der Tierwelt
Wilde Jagd im Borkener
Biotop
wie es sich
duckt hinter den Büschen entkommt
mit
rotfarbigen Bauernhäusern aus denen
die Kühe
nicht brüllen,
die Schwalben
nicht fliegen
zwischen
Wallhecken Bäumen
mit Feldern
auf denen
der Kiebitz
nicht stürzt, nicht steigt, nicht taumelt,
Kornblume und
Klatschmohn nicht blühen
in Einöde
Wüstenboden Mais
wie es sich
duckt hinter den Büschen entkommt
den Bauern zum
Trotz,
die
aufräumen Landschaft ausräumen
die Herren der
neuen Windtürme
unter
Fortschrittsdächern blaulila gespiegelt
die Bäche
verrohrt
die Landschaft
bereinigt
mit Gülle
gefüllt die Furchen
100jährige
Eichen gefällt
im
Frühjahr müssen viele dran glauben
dann duckt es
sich tiefer
hinter
Waldruinen
schließt
fester die Augen
vor
Heckenstümpfen
o Landschaftsschutz
o Kreisbeamte
wilde Jagd
geht durch das Land
g.neuenhofer
3. Schreibwerkstatt 16.3.05
Thema:
Reisestationen
beschreiben.
Beispieltexte:
G. Eich: D-Zug München-Frankfurt (in Botschaften des Regens, 1955)
Die Donaubrücke von Ingolstadt
Das Altmühltal, Schiefer bei Solnhofen,
in Treuchtlingen Anschlusszüge-
Dazwischen
Wälder, worin der Herbst verbrannt wird,
Landstraßen in den Schmerz,
Gewölk, das an Gespräche erinnert,
flüchtige Dörfer, von meinem Wunsch erbaut,
in der Nähe deiner Stimme zu altern.
Zwischen den Ziffern der Abfahrtszeiten
Breiten sich Besitztümer der Liebe aus
….
Der Zug aber
Treibt an Gunzenhausen und Ansbach
Und an….
……
Vorbei
Italo Calvino: Wenn
ein Reisender in einer Winternacht (1979)
Der Roman beginnt auf einem Bahnhof, eine Lokomotive faucht, Kolbendampf zischt über den Anfang des Kapitels, Rauch verhüllt einen Teil des ersten Absatzes. In den Bahnhofsgeruch mischt sich ein Dunstschwaden aus dem Bahnhofscafe.….
Die Buchseiten sind beschlagen wie die Fenster eines alten Zuges, der Rauch legt sich auf die Sätze. Es ist ein regnerischer Abend; der Mann betritt das Cafe, knöpft sich den feuchten Mantel auf, eine Wolke von Dampf umhüllt ihn; ein Pfiff ertönt über die Gleise, die von Regen glänzen, so weit das Auge reicht.
Ein Pfiff wie von einer Lokomotive und ein Dampfstrahl lösen sich aus der Kaffeemaschine..
Alle Bahnhöfe gleichen einander; es macht nichts, wen die Lampen kaum über ihren fahlen Lichthof hinausleuchten,…Die Lichter des Bahnhofes und die Sätze, die du hier liest, sollen anscheinend eher trüben als klären, was da auftaucht aus einem Schleier von Nebel und Dunkelheit…
Variation zu Eich
Richtung Kalkutta Indien
Worte rollen in Durchleuchtungsmaschinen,
Düsseldorf Flughafen, British Air.
Stewardessen in Putzfrauenkitteln.
Menschenschlangen vor London-Heathrow.
In Kalkutta Anschlussflüge.
Dazwischen
Länder, in denen Phantasie erstarrt,
Berge voll Schnee in die Täler hinein,
Wälder im fahlen Licht der Neugier,
In denen Worte noch fehlen.
Zwischen den Hin- und Rückflügen
Breitet sich Zweifel aus.
Das Flugzeug aber
Nimmt sie mit, ngika oh
Schamanengebete zum Tod der Tiere,
Hält sie fest ngika oh
in blutigen Händen frische
Herzen,
Bilder,
flimmernd im Dunst des Morgens:
Guerilla tötet Menschen in Assam.
Kontrolle der Pässe,
Afghanistan, Russland, Deutschland.
Worte brennen Weiß zu Schwarz
g.neuenhofer
4. Std. Schreibwerkstatt
13.4.05
Thema:
Naturbeobachtung auf
Reisen
Beispieltexte:
J.W.Goethe, Italienische Reise
Auf dem Brenner, den
8.September 1786, abends
Hierher gekommen, gleichsam gezwungen, endlich an einen Ruhepunkt, an einem stillen Ort, wie ich ihn mir nur hätte wünschen können. Es war ein Tag, den man jahrelang in der Erinnerung genießen kann. Um sechs Uhr verließ ich Mittenwald, den klaren Himmel r, die grauen Kalkfelsen dazwischen und dahinter die beschneiten höchsten Gipfel auf einem tieferen Himmelsblau, das waren köstliche, ewig abwechselnde Bilder.
Goethe, Ein gleiches
Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.
Meeresstille
Tiefe Stille herrscht im Wasser,
Ohne Regung ruht das Meer,
Und bekümmert sieht der Schiffer
Glatte Fläche ringsumher.
Keine Luft von keiner Seite!
Todesstille fürchterlich!
In der ungeheuern Weite
Reget keine Welle sich.
[Goethe: Gedichte (Ausgabe letzter Hand. 1827)
Variationen zu Goethe
Hierher gekommen, gleichsam
gezwungen, endlich an einen Ruhepunkt, an einem stillen
Ort, wie ich ihn mir nur hätte wünschen können. Es war ein Tag,
den man jahrelang in der Erinnerung genießen kann. Um sechs Uhr
verließ ich Mittenwald, den klaren Himmel, die grauen Kalkfelsen
dazwischen und dahinter die beschneiten höchsten Gipfel auf einem tieferen
Himmelsblau, das waren köstliche, ewig abwechselnde Bilder.
Immer zur gleichen Zeit, wie ich
es gewohnt war, saß ich auf dem selben Platz, in
dem Raum, den man auch gemütlicher hatte einrichten können. Wieder
waren die vierzehn Tage so schnell vergangen und ich hätte mehr Text auf`s Papier bringen müssen. Aber was sollte ich
unserem Kursleiter, der so hohe Erwartungen an mich hatte, die ich aber nicht
erfüllen konnte, vorlegen, als diese weißen, zwar sauberen, doch
leeren Blätter ohne die genialen Gedanken, wie sie Goethe mal
aufgeschrieben hatte.
Freitag,
22.3. Angekommen, einfach überrascht, endlich eine Aussprache zwischen mir
und Taalke, wie ich es mir im Stillen gewünscht.
Es war ein Tag, den ich noch jahrelang im Gedächtnis behalten werde. Um 11
Uhr stand sie vor der Tür, ihre roten Haare durchsetzt von schwarzen
Strähnen, die blauen Augen im weiß gepuderten Gesicht, im rechten
Nasenflügel ein glitzernder Stein, darunter die breiten Lippen
maulbeerrot. Herausfordernd ihr Blick. Das war ein Wechselbild aus meinen
Kindheitsträumen.
Besuch
der Venus,
o.k.
hinter augenlidern
webt sie
in meinen liedern
lebt sie
als eine wiesenblume
die zitterspinnen
sind wieder da
frühlingsrunen
anti-narcotica
g.neuenhofer
5. Std. Schreibwerkstatt
27.4.05
Thema:
Phantasiereisen
Beispieltexte:
Walter Moers, Wilde Reise durch die Nacht, nach Bildern von G.Dore
Als es dunkel wurde, stach Gustave in See. Er zog es vor, während der Nacht zu reisen - da er sowieso nicht wusste, wohin die Fahrt gehen sollte, schienen die Sichtverhältnisse nebensächlich zu sein. Der Himmel war von tintigen Wolken überzogen, nur ab und zu lugte ein Stern oder das kraternarbige Gesicht des Mondes dazwischen hervor und spendete gerade genug Licht, um das Steuerrad erkennen zu können……
W.Moers, Ensel und Krete
Wenn man in Zamonien das Bedürfnis nach vollkommener Harmonie hatte, dann machte man Ferien im Großen Wald. Ein Aufenthalt im Großen Wald garantierte Forstnatur in ihrer vielfältigsten Art, nur hier standen Nadel- und Laubbaum einträchtig beisammen, wucherten Zyklopeneichen neben Druidenbirken, streckten sich Hutzenlärchen neben florenthischen Rottannen, hausten Eichhörnchen, Schuhu und Kassandraspecht. Dem dort lebenden Buntbärenvolk beim Zelebrieren seiner tagtäglichen Eintracht beizuwohnen war nach dem gewöhnlichen zamonischen Chaos so erholsam, dass sich daraus ein ganzer Tourismuszweig entwickelt hatte.
…..
Bilder von G-Dore (www.wilde-reise.de)
Variationstexte zu W. Moers
Tremsen
und Kreisel
(Text frei nach dem Muster Ensel und Krete von W. Moers)
Wenn man in Borkensien
das Bedürfnis nach vollkommener Harmonie hatte, dann hielt man Tremsensonntag .Seit alters her am letzten Sonntag im April
traf man sich in den Straßen der Stadt, um unter rituellen Gesängen
die Tremse in den bekannten Borkener
Wind zu hängen. Schon Wochen vorher hatten sich die Weibchen eines jeden borkensischen Rudels, Nachbarschaften genannt, in
kaffeeduftschwangerer Atmosphäre zusammengetan, um die Tremse,
als Zeichen ihres Zusammenhalts zu basteln: Streifen bunten Eintrachtpapiers
wurden dafür um einen Lampenschirm der Verbindlichkeit gewebt und
schließlich Heuchel-Ei um Heuchel-Ei zu einer langen Kette aufgeriehen, um das Tremsenwerk
zu krönen. Ja, die Eingeborenen waren hier stolz darauf, dass man
zusammenhielt. Hier in Borkensien war die Welt in Ordnung: Man interessierte sich
noch für seinen nächsten und wusste, wer samstags sein Auto nicht
gewaschen hatte!
Ein Besuch des Tremsensonntag garantierte auch den von fern einfallenden
Großstadtvölkern Einkaufsfreuden in gut bestellter Kauflandschaft,
denn an diesem besonderen Tag waren
die Geschäfte der Stadt, jedenfalls die, die es noch gab,
a l l
e geöffnet und was andernorts selbstverständlich erscheinen mochte,
sogar zur gleichen Zeit. Dem einheimischen Borkenkäufervolk beim
Zelebrieren seiner Eintracht
beizuwohnen, war umso erholsamer, wenn man sich zuvor schon in den zahllosen
Kreiseln der Stadt schwindelig gefahren und sich an der darauf wuchernden Fauna
berauscht hatte. Hier auf den Kreiseln wuchsen noch Kassklingeltulpen
in üppigen, verlockend duftenden Büschen auf einem Bett bodendeckenden, schon leicht vertrocknet wirkenden
Ladenhütergrüns.
Und wer des Abends die Stadt nach Tremsengesang und Einkaufsbummel sich wiederum schwindelig
fahrend verließ, tat dies in dem sicheren Bewusstsein, dass Borkensien sich zu Recht „Kreiselstadt aus gutem
Grund“ nannte.
Valeron
Als
der Rittersporn sich anschickt seine unberechenbaren blauen Augen wieder zu
öffnen, hält es Leon nicht mehr in seinem Winterbett. Mit einem
unverhältnismäßig weiten Sprung bringt er sich hinaus in die
Welt. Die Wege und normalen Fortbewegungsmöglichkeiten interessieren ihn
nicht. Wo er ankommen wird, weiß er nicht. Seine Vergangenheit versinkt
in einem blutroten Sonnenaufgang. Nur ein leichtes Ziehen unter seiner Kopfhaut
erinnert ihn an Wünsche aus einem anderen Land.
Ein
Schmetterlingsblütenseidentraum eröffnet das Unvorhersehbare, zieht
ihm den Boden unter den Füßen weg und erlaubt einen Blinzelblick in
den Roman seines Lebens.
Sein
Bedürfnis nach vollkommenem Glück hebt sein Lebensschiff über
die schwarzen Wellen. Begleitet vom Geschrei der weißen Möwen,
bauschen die Windböen seine Segel und treiben ihn durch die Spitzen roter
Gischt hinein in den Horizont der aufgehenden Sonne. In den Rotschauern des
offenen Himmels verlischt sein Gefühl wie ein mathematisches Schnippchen.
Ich,
stammelt er, ich und sieht sich als letzten in einer Reihe mit Taalke, Lara, Ibeth und Bodo im
großen Wald des Lebens verschwinden, während eine Amsel von der
dicksten Germaneneiche herab ein Liedchen pfeift: wer weiß, vielleicht gibt`s die, vielleicht was andr`es
auf dem schmalen Wege zum Glück, Leon, Leon, Leon. Und das Echo klang wie Valeron, und das war der Name einer Eichendorffschen
Landschaft jenseits aller bösen Märchen.
g.neuenhofer
6. Std. Schreibwerkstatt
11.5.05
Thema:
Eine selbst erlebte Reise anders erzählen, indem ein Erzähler von den Erlebnissen einer historischen Person schreibt. Die Reise spielt in der Gegenwart und in der Vergangenheit.
Beispieltext:
G. Grass: Der Butt
Vasco kehrt wieder
In einem Jumbojet reist er an. Eigentlich will er nur die schwarze Kali besuchen und sehen, wie sie die rote Zunge rausstreckt.
Vasco hat alle Statistiken gelesen. Vasco weiß, was der Präsident der Weltbank über Kalkutta denkt. Vasco soll einen Vortrag halten…..
Schon vor der Zwischenlandung in Kuwait zerbricht seine Brille. Übrig bleibt andere Vorsorge: Vasco hat sich in Hamburg, in einem Geschäft für Tropenkleidung, Hosen, Hemden, Socken aus Baumwolle gekauft wegen der Luftfeuchtigkeit in Kalkutta. Vasco hat Mexaform plus bei sich. Vasco ist gegen Cholera und Pocken geimpft
…
Vasco ist Gast der indischen Regierung. Im Jumbojet weiß man das. Vasco ist unter anderem Namen bekannt.
…
1498: Vasco weiß, dass er sich damals belogen hat, wie er sich heute beschwindelt.
Variation zu Grass „Vasco kehrt wieder“
Valeron kehrt wieder
Im größten je gebauten
Raumschiff aller Zeiten reist er an. Eigentlich will er nur die Vorzeit kennenlernen und sehen, wie seine Vorfahren in den
Erdhöhlen leben und sich mit einer Trommelsprache über die Berge
verständigen.
Valeron hat alle Informationsschriften gelesen. Valeron weiß, was das Büro des Präsidenten
über das Höhlensystem Cenobio de Valeron veröffentlicht hat. Valeron
soll Kontakt mit den Medien aufnehmen.
G.Neuenhofer
7. Std. Schreibwerkstatt
25.5.05
Thema: Aufbruch. Beschreibe ähnlich wie Kafka eine Aufbruchsituation zu einer unwirklichen Reise. Der Weg und das Ziel sollen ähnlich fremd erscheinen wie bei Kafka.
Franz Kafka: Der Aufbruch
Ich befahl, mein Pferd aus dem Stall zu holen. Der Diener verstand mich nicht. Ich ging selbst in den Stall, sattelte mein Pferd und bestieg es. In der Ferne hörte ich eine Trompete blasen, ich fragte ihn, was das bedeute. Er wusste nichts und hatte nichts gehört. Beim Tore hielt er mich auf und fragte; „Wohin reitest du, Herr?“ – „Ich weiß es nicht“, sagte ich, „nur weg von hier, nur weg von hier Immerfort weg von hier, nur so kann ich mein Ziel erreichen“ – „Du kennst also dein Ziel?“ fragte er. „Ja“, antwortete ich, „ich sagte es doch: „Weg-von-hier“, das ist mein Ziel.“ „Du hast keinen Essvorrat mit“, sagte er. „Ich brauche keinen“, sagte ich, „die Reise ist so lang, dass ich verhungern muss, wenn ich auf dem Weh nichts bekomme. Kein Essvorrat kann mich retten. Es ist ja zum Glück eine wahrhaft ungeheure Reise.“
Variationen zu Kafka
Aufbruch der Wanderin
Als ich an
diesem Morgen erwachte, wusste ich es plötzlich. Heute würde ich
aufbrechen, diese Herberge verlassen und meine Wanderschaft endlich
fortsetzen. Leicht war mir ums
Herz. Ich schaute mich noch einmal im Zimmer um. Es kam mir nun so fremd vor.
Ich war hier nur untergekrochen auf
meiner Wanderschaft. Der andere Wanderer, mit dem ich dieses Zimmer bislang geteilt hatte, bemerkte, dass
ich gehen wollte und fragte erstaunt: „ Du willst schon fort? Wie
spät ist es denn?“ „Es ist höchste Zeit!“, antwortete ich.
Er schien mich, wie so oft, nicht zu verstehen und fragte nach der genauen
Uhrzeit. Ich hatte nichts hinzuzufügen. Es war längst höchste
Zeit, ich hätte schon eher gehen müssen. Die Luft in dem Zimmer war
verbraucht, reichte nur noch für ihn. „Wir haben es doch schön
hier, du musst es nur mit meinen Augen sehen! Du solltest noch
ausruhen!“, sagte er, „Ich bin zu erschöpft, um zu
bleiben“, sagte ich, „sonst verliere ich meinen Weg aus dem
Blick!“ „Aber wo willst du denn hin?“, fragte er,
“Draußen wartet nur die Einsamkeit!“„Schlimmer
wäre es, am Ende nicht meinen Weg gegangen zu sein, wer weiß schon,
was mich dort erwartet?“, antwortete ich.
„Wirst
du etwas mitnehmen, wovon du unterwegs zehren kannst?“
„Natürlich“, sagte ich, “die Erinnerungen, denn damit
wird mein Weg ja gepflastert!“
Ab in die Rente
Jetzt ist es soweit, endlich
ist die Zeit abgelaufen und der Griffel wird hingeworfen. Nichts geht mehr,
nichts läuft mehr, nichts fasse ich mehr an. Frei, vogelfrei so will ich sein.
Weg, nur weg und raus von hier. Kein muffiges Büro mehr, kein kleinkariertes Reagieren auf noch kleinkariertere
Vorschriften. Weite, Größe, Erhabenes und Echtes ziehen mich an, das
wollte ich schon immer und eile aus dem Büro.
„Wo willst Du denn
hin“, fragt mein Kollege unverständlich. „Nur raus und weg von
hier“ rufe ich ihm nach. „Aber warum denn so eilig“ fragt er
verstört. „Das kannst du junger Spund noch nicht verstehen“,
schreie ich ihm nach. An der Ausgangstür hält mich ein weiterer
Kollege an, „wann gibst Du Deinen Ausstand?“ fragt er mich.
„Ausstand“ antworte ich entrüstet. „Aus dem Stand heraus
will ich meine Bestimmung erreichen“, schleudere ich ihm entgegen.
„Was faselst Du für ein Zeug da“, erwidert er. „Ich habe
sie immer erreichen wollen, immer davon geträumt, nun werde ich sie
erreichen“, flüstere ich ihm triumphierend ins Ohr. Er drängt
mit der Hand unwirsch meinen Kopf weg und fragt: „Wirst Du sie mit dem
Fahrrad oder zu Fuß finden? „Gedanken, mein Freund, es sind die
ungestörten Gedanken, die ich nun haben werde, die mich wie auf
Flügeln forttragen in eine Welt, in der ich mich sonne und wohlfühle, von der du kleiner Sesselpuper
keine blasse Ahnung hast.“
Der Aufbruch oder Leons Weg ins Ungewisse
Hat Leon Grund und Boden
verlassen, als sein Lebensschiff, getrieben von Glücksschauern, in
Flugträumen verschwand?
„Wohin begibst du
dich?“ fragte ihn Taalke, als er in einer Reihe
mit ihr, Lara, Ibeth und Bodo am Eingang zum
großen Wald des Lebens stand. „Ich weiß es nicht“,
sagte er, „nur hinein in das Leben, immer tiefer hinein, hinein in das
Leben, nur dann kann ich ankommen.“ „Du weißt also, wohin du
gehst? fragte Lara. „Ja“, antwortete Leon, „ich sagte es
schon, immer tiefer hinein, das ist die Richtung.“ „Du hast kein
Ticket und keine Orientierung“, sagte Ibeth.
„Ich brauche nichts“, sagte Leon, „der Weg ist so offen, dass
ich nicht ankomme, wenn mir keiner hilft. Kein Ticket, kein Reiseplan kann mir
helfen. Es ist wirklich eine wunderbare Reise der Erfüllung.“
„Unten ist sein wahrer
Himmel, inmitten schwarzer Wellen, inmitten kafkaesker Wolkenbildung“,
rief Bodo, ohne dass jemand seine Worte verstand, während eine Amsel
von der dicksten Germaneneiche herab verkündete, „wer weiß,
wer weiß, vielleicht geht`s hier, vielleicht geht`s dort zum Glück, Leon.“
G. Neuenhofer
8. Std. Schreibwerkstatt
8.6.05
Thema: Wörterwelt.
Aufgabe: Mache Natur zu einem Teil der Schreibwelt.
Paul Celan (1920-1970)
Kermovan
Du Tausendgüldenkraut-Sternchen,
du Erle, du Buche, du Farn:
mit euch Nahen geh ich ins Ferne, -
Wir gehen dir, Heimat, ins Garn.
Schwarz hängt die Kirschlorbeertraube
Beim bärtigen Palmenschaft.
Ich liebe, ich hoffe, ich glaube, -
Die kleine Steindattel klafft.
…..
Sommerbericht
Der nicht mehr beschrittene, der
umgangene Thymianteppich.
Eine Leerzeile, quer
durch die Glockenheide gelegt.
Nichts in den Windbruch getragen.
Wieder Begegnungen mit
vereinzelten Worten wie:
Steinschlag, Hartgräser, Zeit.