Eine Reise durch das südliche Arunachal Pradesh
21. Dezember 2003 06.Januar 2004
II. Teil mit Tonbeispiel
Eine Brücke für die Trockenzeit.
Im Land der Digaru-Mishmis bei Tezu
Begegnungen mit den Volksstämmen und ihrer Kultur im östlichen Himalaya
I. Teil: In Tirap und Changlang ( 17 S., 19 Fotos)
- Bei den Noctes und Wanchos
- Einblicke in die Kultur der Wancho - Nagas
- Die Dörfer der Tangsas
II. Teil: Im unteren Dibang -Valley und in Lohit ( 16 S., 18 Fotos)
- Die Idu-Mishmis: Tiger und Affe als Brüder der Menschen, Die Rolle der Frau in der Kultur der Idus
- Bei den Digaru-Mishmis: Die magischen Rituale eines Schamanen-Priesters
III. Teil: In Assam
- Der Vishnu-Krischna-Kult in den Satras auf der Insel Majuli
Tourverlauf und Karte ( 3 S.)
II. Teil:
9. Tag,, 29. Dezember, 2003, Montag
Changlang-Roing
Auf der Rückfahrt zur Grenze nach Assam regnet es. Die Straßenbautrupps arbeiten trotzdem. Die Straße ist wichtig für die Armee und für den Transport von Kohle und Öl. Begeistert werden wir von der Grenzkontrolle begrüßt, die soviel Mühe mit uns bei der Einreise hatte.
Über eine leidlich gute Landstraße steuern wir in Richtung Brahmaputra, biegen von der Landstraße ab und holpern mit Lkw`s und Bussen auf einem unbefestigten Weg durch die Dünen zum steilen Flussufer. Hier liegen alte Kähne, die, oft zu zweien aneinander gebunden, die Autos auf die andere Seite des Flusses bringen. Mit einem zweiten Auto und einigen Passagieren schippern wir in gut einer Stunde über den Brahmaputra.
Standfischer im Brahmaputra, der alle fünf Minuten das fest verankerte Riesennetz hebt und senkt.
Unterwegs halten wir bei einer Seidenspinnerzucht für Muga-Seide. Da die Zuchtsaison vorüber ist, können wir nur einige alte Seidenkokons sehen, die viel lockerer und härter sind als die Kokons des chinesischen Maulbeerspinners „bombyx mori“. Hier wird der asssamesische Spinner „antheraea assamensis“ gezüchtet. Auf den Futterpflanzen, Farne und bestimmte Bäume, flattern sehr viele wilde Exemplare, nicht mit pelzig weißen Stummelflügeln und dickem Körper wie die Bombyx, sondern elegante Flieger mit vier Augen auf den großen, braunen Flügeln.
Dann wieder eine Grenzkontrolle und wir sind wieder in Arunachal.
In Roing stellt sich heraus, dass unsere Tourorganisatoren wieder wie in Longding und später in Tezu und Guwahati die Unterkunft für die falschen Tage gebucht haben. Aber im Circuit House ist noch ein Zimmer frei. Leider ist das beste Zimmer für einen Minister reserviert. Doch wir haben Strom und ein sauberes Bett. Morgens bekommen wir sogar heißes Wasser, das in einem Eimer zu unserem Zimmer gebracht wird, Da Roing ein Marktort ist, versuchen wir ein Ersatzschloss für Christas aufgebrochenes Kofferschloss zu bekommen. In einem Imbiss essen wir zur Abwechslung eine südindische Crepe- Spezialität, eine Dosa.
Übernachtung im Circuit House, Roing.
10. Tag, 30. Dezember 2003, Dienstag
Ausflug in die Dörfer der Idu-Mishmis
Idu-Mishmi in typischer Jacke, mit Bambushut und Schlagmesser
Die Idu-Mishmis
Die Mishmis sind keine Kopfjäger, aber sie waren in früheren Zeiten berüchtigte Räuber, die immer wieder Durchreisende töteten oder aus ihren Tälern heraus Dörfer in der Ebene von Assam überfielen. Vielleicht reicht aus dieser Zeit noch die Furcht unseres Guides beim Durchfahren des Gebietes zwischen Brahmaputra und dem Vorhimalaya. Hier dürfen wir nicht anhalten, die Leute sind gefährlich. Gefährlich waren seine Vorfahren, die Idus vom Stamme der Mishmi. Von den anderen Stämmen wurden sie „die Leute mit den geschnittenen Haaren“ bezeichnet, weil sie ihre Haare pagenartig kurz trugen. Natürlich trug unser Guide wie fast alle Bewohner der Distrikthauptstadt Roing die Haare nach internationaler Mode. Erst in den Dörfern sehen wir viele Frauen, die noch ihre Haare rund über den Ohren abschneiden, indem sie sie mit dem Schlagmesser der Männer bearbeiten. Unser erster Besuch führt zu dem Haus des Schamanen von Abali.
Bei dem Schamanen-Priester
Vorbei an gelb blühenden Senffeldern und verstreut liegenden Bambushäusern, fahren wir über einen unbefestigten Weg zum Haus, das auf Stelzen zwischen Gras, Gesträuch und Bäumen liegt. Seitwärts des Hauses zapfen zwei Mädchen Wasser. Über einen eingekerbten Baumstamm klettern wir auf die Außenterrasse des langen Bambushauses, gelangen durch eine Tür in den Empfangsraum mit einer Feuerstelle, auf der unter dem schwarzen Funken- und Trockengestell einige sternförmig angeordnete Stämme brennen. Hinter diesem Raum liegen verschiedene Wohn- und Schlafräume, zu denen ein dunkler Korridor führt. Die Töchter kommen und begrüßen uns, zeigen Gerätschaften und einen Korbbehälter, der für unseren Guide und die normalen Dorfbewohner tabu ist. Nur die Familienangehörigen des Priesters dürfen den Korb öffnen und den Inhalt berühren.
Idu-Schamanenpriester in Ritualkleidung
Nachdem die älteste Tochter uns die rituellen Gegenstände gezeigt hat, taucht plötzlich der Priester auf. Überaus freundlich antwortet er auf unsere Fragen. Die Priesterschaft sei nicht erblich, z.B. sei sein Sohn etwas behindert und habe somit keine Chancen sein Nachfolger zu werden. Dagegen stehe seine älteste Tochter in Verbindung mit den Geistern. Im Alter von zwei Jahren sei sie in den Dschungel gelaufen und erst auf Grund eines Traumes, der immer als eine Kommunikationsform der Geister mit den Menschen gedeutet wird, gefunden worden. Damit deutet er an, dass sie als Priesterin geeignet wäre. Auf unsere Bitten hin legt er seinen Zeremonialrock und seine rot gemusterte Schürze an, streift sich eine lange Tigerzahnkette mit über 50 Tigerreißzähnen über die Schultern, an der vier kleine Zimbeln hängen, setzt ein Kopfband mit Kaurischnecken auf sein langes Haar, hängt sich ein Schwert um und nimmt eine kleine Trommel mit einer Tigerkralle und kleinen Schellen in seine rechte Hand und schlägt mit einem dünnen Stäbchen auf die Trommelfläche, während er die Trommel schüttelt und wiegende Bewegungen mit seinen Knien macht. Um seinen Hals trägt er die für Idus typische weiße Muschelkette und in seinen Ohren einen Ring. Singen möchte er nicht, das könnte seinen Schutzgeist verärgern. Über seinen Schutzgeist nimmt er Verbindung zu anderen Geistern auf, denn die Idus glauben, dass die Natur lebendig und voller Geister ist, die das Schicksal der Menschen in gutem oder bösem Sinne beeinflussen. Der höchste Gott hat sich nach der Erschaffung der Welt mit Menschen und Geistern zurückgezogen. Der Mensch muss selbst sehen, wie er mit den guten und bösen Kräften zurechtkommt. Der Priester ist in der Lage, im Zustand der Trance mit der Geisterwelt Verbindung aufzunehmen und seinem Schutzgeist Fragen zu stellen, die die Ursache von Krankheiten und Unglücksfällen betreffen. Hat der Priester herausgefunden, welcher Geist für ein Ereignis verantwortlich ist, wendet er sich mit Bitten und bestimmten Tieropfern an diesen. In den Zeremonien sollen besonders die mächtigen Geister so gestimmt werden, dass sie den Menschen Wohlwollen entgegenbringen.
Feuerstelle
Idu-Schlaflied
Oh Kind, schreie nicht
Wenn Khepa, der Geist des Dschungels dich hört,
wird er dir Böses tun.
Wenn Arru-rallen dich hört,
wirst du Fieber bekommen.
Wenn Athu dich weinen hört,
musst du sterben.
Die Angst vor Geistern und vor möglichen Feinden ist ein bestimmendes Element im Leben eines Idu-Mishmi.
Tiger und Affe als Brüder der Menschen
Der Tiger ist im Glauben der Idus ein Bruder des Menschen, da beide aus der Verbindung des Gottes Ekammo mit seiner Tochter hervorgegangen sind. Der Erstgeborene war der Tiger, allerdings eine verfrühte Missgeburt mit schwarzen Streifen an seinem Körper, der deshalb im Dschungel leben muss. Eine weitere Missgeburt aus einer anderen göttlichen Verbindung ist ein Affe, der schwarze Gibbon, der ebenfalls im Wald leben muss. Da beide Tiere Verwandte des Menschen sind, dürfen sie nicht getötet und gegessen werden.
Vor dem nächsten Haus treffen wir auf eine Gruppe älterer Frauen, die sich sehr fröhlich und selbstbewusst geben. Sie gehen mit uns in das Haus und setzen sich mit uns an die Feuerstelle, kichern und reden recht laut miteinander, bis schließlich eine Frau ein Lied vorsingt in einem alten Dialekt, das selbst unser Guide nicht versteht, der doch aus dieser Gegend stammt. Bei dieser Gelegenheit erfahren wir recht Widersprüchliches über die Rolle der Frau. Obwohl nach der Schöpfungsgeschichte der Idus die Frau vor dem Mann erschaffen wurde und mit den Göttern der Sonne, des Mondes, des Windes und des Feuers zusammenlebte, bis sie zufällig vom Windgott schwanger wurde und einen Jungen gebar, hat sie in der männlich dominierten Gesellschaft der Idus keine Rechte. Sie ist das Eigentum des Mannes und nicht erbberechtigt. Nach dem Tod ihres Mannes bleibt sie normalerweise in der Familie als die Frau eines Stiefsohnes oder eines Bruders des Mannes. Da ein Mann mehrere Frauen haben kann, ist das kein Problem. Sollte die Frau nicht damit einverstanden sein, dann muss sie den doppelten Brautpreis zurückzahlen und auf ihre Kinder verzichten, um frei zu werden. Als Frau darf sie kein Fleisch essen, weil man glaubt, dass sie dadurch unfruchtbar wird. Erlaubt ist der Verzehr von kleinen Vögeln, Fischen und Ratten. Aber sie ist eine Art Kalender in der Familie, weil ein Gott auf die Frage eines Idu, wie er die Tage zählen solle, antwortete, die Frau wird in Zukunft in einem bestimmten Abstand eine Blutung haben und diesen Zeitraum nenne einen Monat.
Weitere Stationen
An diesem Tag besuchen wir noch einen Bauplatz. Das alte Haus ist abgebaut und daneben wird in wenigen Tagen mit Hilfe des Dorfes ein neues Haus errichtet. Der Dezember ist dafür die richtige Zeit, weil es in diesem Monat kaum regnet. Reisbier hilft wie immer bei der Arbeit. Wir sollen an diesem Morgen ein zweites Bier trinken. Diesmal ist das Bier so stark, dass Christa ihres heimlich entsorgt.
Beim Besuch einer Mittelschule mit 11 Lehrern und 8 Klassen zeigt sich, dass nur wenige Mädchen und wenige Idus die Schule besuchen. Die Schüler sind vorwiegend Kinder von Teepflückern und Arbeitern aus Assam und Orissa. Die Lehrer kommen aus Südindien.
An einer anderen Schule finden wir in großen Buchstaben die Inschrift:
Ein Mädchen ist wertvoll für die Familie und die Gemeinschaft.
Ein weibliches Kind vor oder nach der Geburt zu töten ist illegal und wird nach dem Gesetz bestraft.
In Iduli besuchen wir eine Tee-Fabrik mit einer Plantage von über 100 ha, in der täglich 9500 kg Tee verarbeitet werden. Da der Eigentümer mit unserem Guide verwandt ist, führt er uns persönlich und erklärt die Arbeitsvorgänge. Er hat in seinem Garten etwa 28 Teepflanzensorten. Diese werden durch Klonung vermehrt und haben keine Namen, sondern Zahlen als Bezeichnungen, die für uns natürlich völlig nichts sagend sind. Nach dem Pflücken verlieren die Teeblätter bei der ersten Trocknung und Fermentierung 30 % Gewicht. Auf Fließbändern werden sie dann weiter transportiert, gerollt, gebrochen, in einer Trommel entklumpt und wieder 35 Minuten fermentiert. Nach einer 15minütigen Trocknung werden sie gereinigt, sortiert verpackt und dann evtl. nach Assam zum Vermischen geschickt. Der Teestaub wird als Färbemittel genutzt. Als Gastgeschenk bekommen wir 6 Pakete Tee der besten Sorte. Leider entspricht der schwarze Assam-Tee nicht unserem Geschmack. Er ist sehr stark und wird allgemein mit Milch getrunken. Wir ziehen den aromatischen Darjeeling- oder grünen chinesischen Tee vor.
Am nächsten Haus arbeiten drei Frauen. Die seien die Frauen des Eigentümers, erklärt uns der Guide. Jemand, der viele Frauen ernähren könne, dürfe sich entsprechend viele nehmen. Dieser Mann sei reich. Davon zeugen ein Zementhaus mit Fenstern, in dem er nachts schläft, und eine alte Limousine. Tagsüber hält sich die Familie aber in dem Langhaus auf. Auf unsere Frage nach der Anzahl der Kinder muss er erst nachrechnen, wir wollen auch die Zahl der Mädchen wissen. Er kommt auf dreizehn. In seinem Bambushaus hat er an den Wänden, die sonst von Schädeln bedeckt sind, Unmengen von Bierflaschen aufgereiht von der viel sagenden Marke “Godfather“, die wir auch schon probiert haben, aber zu süßlich fanden.
Zwischen fruchtbaren Feldern mit Senf, Buchweizen, Mais, Kardamom, Ananas, Mandarinen und Ingwer fahren wir zu einer Halle der Donyi-Polo-Religion. Wir sind überrascht, auch hier Anhänger dieser Sonne-Mond-Weltanschauung zu finden. Bei unserer ersten Arunachal-Reise hatten wir mehrere Rituale und Prozessionen im mittleren Arunachal um Pasighat erlebt. Dort habe ich auch diese Religion beschrieben. Unser Guide, der ja selbst ein Katholik ist, erklärt, dass der Donyo-Poloismus unter dem besonderen Schutz des letzten Ministerpräsidenten stand, der in dieser Religion die Traditionen der animistischen Naturreligion verfeinern und festschreiben ließ. Nach seinem Ausscheiden aus der Politik könnten sich die anderen Religionen wieder mehr ausbreiten. Morgen ist der Donyi-Polo-Tag, dafür werden in dieser Gegend die Ritualplätze geschmückt.
Am Nachmittag, auf der Fahrt in die Berge, im Hintergrund die schneebedeckten Gipfel des Himalaya, sehen wir die furchtbaren Folgen des Erdbebens von 1950, bei dem mit einer Kraft von 10 000 Atombomben, ganze Berge verrückt und Flussläufe verlegt worden sind. Die Häuser, die wir hier oben sehen, sind fester. Anstatt der Bambuswände haben sie Bretterwände, unterscheiden sich aber sonst nicht von den üblichen Idu-Häusern. An einer Längsseite liegen die Schweineausläufe, zur Hälfte vor dem Haus und zur Hälfte unter dem Haus, so dass sie die herunter fallenden Abfälle und Fäkalien gleich fressen können. Auf der anderen Seite sind schmale Türen zu den einzelnen Räumen. Fenster gibt es wie üblich nicht.
Unser Guide erzählt uns von seiner Verheiratung. Seine Heirat sei eine Liebesheirat gewesen. Nicht die Zustimmung der Eltern sei die schwierigste Hürde gewesen, sondern die Erforschung der Stammbäume. Nach Auffassung der Idus müsse über 13 Generationen geprüft werden, ob eine Querverbindung zwischen ihren Familien bestehe. Eine solche Verbindung wäre als Inzest eingestuft worden. Dieses Wissen sei mündlich überliefert. Nur die Alten könnten dazu etwas sagen. Nach ihrem Tod würde dieser Brauch sicher aussterben. Auch hätte er keine „Sklavin“ bzw. einen Nachkommen von Sklaven, die es früher bei den Idus gab, oder eine Zugereiste heiraten dürfen. Das sei absolut verboten. Dann hätte er alle Rechte als Sohn verloren. Das Land der Idus würde immer an den ältesten Sohn vererbt. Bei seiner Heirat hätte er auch nicht den früher üblichen Brautpreis von bis zu fünf Mithuns bezahlen müssen. Seine Schwiegereltern seien mit einem Schwein zufrieden gewesen. Das übrige Geld hätte er in den Hausstand gesteckt. Da seine Frau noch sehr jung gewesen sei, habe er sie zunächst noch zur Schule geschickt. Aber sie habe es ohne ihn nicht ausgehalten. Jetzt habe er einen fünf Monate alten Sohn.
Übernachtung im Cicuit House, Roing.
11. Tag, 31. Dezember 2003, Mittwoch, Roing-Tezu (150km, 5 Std).
Besuch der Digaru-Mishmi-Dörfer Loiliang and Tafragaon.
Nach einer Nacht mit Mücken im Moskitonetz werden wir am Morgen mit einem Eimer heißen Wassers begrüßt. Beim Frühstück gelingt es uns, statt eines anämisch gebratenen Eis ein gekochtes zu bekommen. Dann warten wir 40 Minuten auf unser Auto. Unser Guide entschuldigt sich nicht und gibt keine Erklärung. Dürfen wir hier keine westlichen Maßstäbe anlegen? In Changlang hatte er ebenfalls ohne Erklärung einen Fremden im Auto mitgenommen.
Die LKW`s fahren durch das Wasser, wir benötigen eine provisorische Brücke.
Über katastrophale Straßen zwischen Feldern und durch Urwald wieder zurück nach Assam und erneute Einreise nach Arunachal. Wir wundern uns immer wieder über die unsystematische Reparatur der Straßen. Nach einigen Kilometern plötzlich ein neues Stück Straße von einigen hundert Metern. In Dörfern stehen viele Männer arbeitslos herum. Für die Reparatur der Löcher fühlt sich keiner verantwortlich. Ist es das Denken in Kasten- und Zuständigkeitskategorien, das eine Aktion auf Dorfebene verhindert? Indien vergleicht sich in letzter Zeit so oft mit China und erwartet einen großen wirtschaftlichen Aufschwung. Wenn wir durch Indien fahren, scheint uns ein ähnlicher Auf- und Umschwung wie in China auf Grund der gesellschaftlichen Bedingungen, s. Kastenunwesen, und der völlig anderen, eher passiven Mentalität der Menschen unmöglich. Nach anfänglich guter Straße geht es über Gras und Schwemmsande der Zuflüsse aus dem Himalaya. Zweimal durchqueren wir Flüsse und zweimal fahren wir über private Behelfsbrücken. Vor uns die schneebedeckten Berge und über uns blauer Himmel. In der Regenzeit sind diese Landstriche unzugänglich.
Bei den Digaru-Mishmis
Die Digarus erscheinen uns noch mehr der Tradition verhaftet als die Idus, die mit ihnen verwandt sind. Wie die Idus glauben auch die Digarus an eine Welt voller Geister, die alles Geschehen und Handeln beeinflussen. Mit Hilfe des Priesters und durch Opfergaben wollen sie diese Geisterwelt beeinflussen. Darauf weisen die vielen Bambusgerüste und Stangen neben den Häusern hin, die zur Ablage der Opfergaben für die Geister dienen. Astgabeln, Bambusstangen, hohe quadratische Plattformen, lange rechteckige Plattformen, zeltartige Stockkonstruktionen, in denen Eierschalen und Steine liegen. An den Stangen hängen Federn und Blutreste, wie wir es an den Bambusgebilden der Apatanis bei unserer ersten Arunachal-Tour gesehen haben.
Neben jedem Haus stehen Opfergestelle für die allgegenwärtigen Geister
Die magischen Rituale eines Schamanen-Priesters
Die wichtigste Zeremonie Rren betrifft die Fruchtbarkeit der Felder und die Abwehr böser Geister. Sie geht über vier Tage. Zuerst ruft der Priester die guten Geister an, dann streicht er auf den Schnabel eines Huhns Reisbier und schlägt den Kopf des getöteten Tieres gegen das Gerüst, an dem die Schädel von Mithuns und Büffeln hängen. Der abgetrennte Kopf wird dann in ein Blatt mit Mais-, Reis- und Hirsekörnern gepackt und an einem Pfosten am Haus befestigt. Am folgenden Morgen lädt der Priester die Vorfahren und verschiedene Geister ein, bietet ihnen das Blut von neu geopferten Tieren an. Danach fällt er in Trance und bittet seinen Schutzgeist, die Opfergaben zu einem bestimmten Ort zu bringen und einzuzäunen.
Oh Vorfahren, oh Väter, oh Großväter, kommt alle und teilt das Blut. Bringt alle Alten mit, die bei euch wohnen, auch die, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnere. Haltet die bösen Geister zurück. Möget ihr über die Opfergaben erfreut sein und beschützt die Familie des Opfernden.
Am dritten Tag ruft der Priester wieder die Vorfahren an und betet um Schutz des Eigentums. Dann beginnt er mit vier anderen Männern zu tanzen, ruft verschiedene Geister an und bittet sie, das Eigentum und die Haustiere nicht zu schädigen. Er tanzt achtmal durch das ganze Haus, opfert ein Huhn den Göttern, die außerhalb des Hauses leben und legt das Huhn unter einen großen Erdbrocken außerhalb des Hauses. Am vierten Tag tanzt der Priester mit zwei Hühnern, die er später tötet. Einen Kopf für den obersten Gott Inni spießt er auf eine Bambusstange außerhalb des Hauses. Den zweiten Kopf erhält der Opfernde zum Verzehr. Den Körper des Huhns bekommen die Nachbarn, die ihn zwei Tage später verzehren dürfen. Darauf nimmt der Priester einen entrindeten Ast, befestigt an der Spitze den Hauer eines Wildschweins und legt ihn als magischen Stab zur Abwehr böser Geister auf das Trockengestell über dem Feuerplatz. Zum Abschluss der Zeremonie ruft er alle Geister an, die das Dorf und die Wasserquelle bewohnen und opfert ihnen Reisbier.
Magische Gegenstände für die Geister
Auch in den Häusern sehen wir die unheimlichen Zeugen der archaischen Naturkulte. Eindrucksvoll ist ein relativ neues Haus eines reichen Mannes mit Zementstelzen und Ziegeldach.
Schädel im Gastraum des Hauses
An einer Seite des ersten Raumes hängen Schädel von Büffeln und Rehen, die als Wohnsitz des Hausgottes angesehen werden, weshalb sich niemand in ihre Nähe setzen sollte und man die Gehörne nicht als Aufhängehaken benutzen darf. Die Schädel glänzen noch wie schwarz-rot lackiert von dem Blut, dass der Priester darauf gestrichen hat. Verschlossene Bambusröhren mit Reisbier für den Hausgeist, Zweig- und Blätterbüschel sind hinter die Bambuswände geklemmt. Außerhalb des Hauses befinden sich an verschiedenen Stellen Ablagegerüste für Opfergaben. Der Garten und der Viehpferch sollen so geschützt werden.
Beim Gang durchs Dorf sehen wir kreisförmige Gebilde aus Bambusstangen, an denen Fahnen hängen. Eine weiße Fahne bedeutet den Tod eines Mannes und eine schwarze den Tod einer Frau. Eine besondere Form hat das Grab vor dem Haus eines Digaru. Durch spitze Bambusstöcke wie bei einer Palisade geschützt befindet sich in der Mitte ein Häuschen, in dem Schmuck- Kleider und Töpfe des Verstorbenen aufbewahrt werden. Ebenfalls die Schädel von zwei geopferten Büffeln liegen dabei. Dieses Eigentum des Verstorbenen wird nach einiger Zeit (2 Monate bis 3 Jahre) verbrannt. Das heißt, alle traditionellen Dinge wie Bärenfelltaschen, Perlenketten, gewebte Kleider usw. werden in einigen Jahren verschwunden sein.
Übernachtung im Circuit House, Tezu.
12. Tag, 1. Januar 2004, Donnerstag, Tezu-Dibrugarh
Tidding und das Tibetische Selbsthilfezentrum.
An diesem Tag wollen wir wieder zurück nach Assam. Unsere 10tägige Sondererlaubnis ist abgelaufen. Am Morgen stoßen wir noch einmal ins Gebirge bis zum Dorf Tidding vor, von 300 m auf 1600 m, 65 km in fünf Stunden.
Vom ehemaligen Dorf ist nur noch ein Haus vorhanden, die anderen sind im Monsun weggespült worden, und die Menschen sind abgewandert. In diesem Haus wohnen ein Ehepaar, deren Sohn mit zwei Frauen, zwei andere Söhne und die Großmutter. Diese Leute leben von Brandrodung und Anbau von Mais, Hirse u.a.
Das Ehepaar sitzt am Feuer und raucht eine Opiumpfeife. Auch wir werden eingeladen, einen Zug zu tun. Das Opium holen sie aus einem höher gelegenen Dorf, wo es viele kleine Mohnpflanzungen für den eigenen Bedarf gibt. Auch in anderen Dörfern zeigten uns die Leute unbekümmert ihre Opiumpfeifen. Das Rauchen von Opium ist in diesen Gebieten ein traditioneller Brauch. Dass dieser Brauch aber nicht von allen gut geheißen wird, beweisen viele Inschriften an den Häusern in Tezu.
Opium is a poison
Say no to opium
Fight against Opium
Bei Tezu gibt es eine große Siedlung von Exiltibetern, deren Häuser sich grundlegend von den einheimischen unterscheiden. Sie sind aus Stein und Brettern gebaut und haben eine Veranda mit Stühlen. Sie erscheinen geradezu luxuriös. Die Tibeter verdienen ihren Lebensunterhalt mit handwerklichen Arbeiten und als Händler. Land können sie nicht kaufen, da dieses nur den Mishmis gehört und nach dem Gesetz nicht verkauft werden darf. Sie haben auch ein Kloster und einen lamaistischen Tempel gebaut. Leider ist ihre Zukunft sehr ungewiss, weil das Militär ihren Siedlungsplatz in ihren Truppenübungsplatz mit einbeziehen möchte.
Trimm-dich-Geräte der Tibeter: alte Frauen setzen die großen Gebetstonnen mechanisch in Bewegung.
Use Dipper at night.
Die Fahrt in Richtung Assam zum Fluss Lohit ist wieder recht abenteuerlich. Unterwegs treffen wir auf die ersten und einzigen westlichen Touristen. Ihr Auto liegt mit einer gebrochenen Feder im Kiesbett der Überschwemmungsebene. Über drei Balkenbrücken und zwei Pontonbrücken der Armee fahren wir durch Urwald und durch das sumpfige Siedlungsgebiet der burmesischen Khamti mit buddhistischen Tempeln im burmesischen Stil, hier wird sogar die burmesische Schrift öffentlich verwendet. Wir kommen an diesem Neujahrstag erst im Dunkeln im muffigen Hotel zu Dibrugarh an. Auch hier haben sich viele Einheimische zum Neujahrstag zu Familienessen eingefunden. Schon unterwegs haben wir immer wieder ausgelassen feiernde Gruppen gesehen, singend, tanzend und trinkend am Straßenrand lagernd, Unser Wagen überholt überladene, swingende Autos, Fahrräder ohne Beleuchtung, Autos mit nur einem intakten Licht, mal rechts, mal links, unbeleuchtete Handkarren, die letzten Kühe, die auf dem Weg zum Stall sind, einige herrenlose Hunde auf der schmalen Straße.
Hotel Little Palace.
13. Tag, 2. Januar 2004, Freitag, Dibrugarh-Majuli
Die Insel Majuli
Heute wollen wir zur größten Flussinsel der Welt übersetzen. Sie liegt im Brahmaputra und ist etwa 100 km lang. Ihre Fläche verändert sich jährlich. Vor 10 Jahren umfasste sie noch 1256 qkm, 2002 waren es noch 880, von denen 460 bewohnbar sind. Große Überschwemmungen 1988 und 1998 haben die Insel erheblich verkleinert. Etwa 152 000 Menschen leben in verschiedenen Dörfern auf der Insel, die in der Monsunzeit von der Außenwelt abgeschnitten ist, wenn keine Boote verkehren können. In den Dörfern stehen Holzboote als Lebensversicherungen unter den meisten Häusern. Auf Majuli wohnen vor allem Mishings und andere Volksstämme, die aus dem nördlichen Arunachal eingewandert sind. Seit 1510 hat sich die Insel zu einem Zentrum hinduistischer Kultur entwickelt und wird heute als das „Herz assamesischer Kultur“ bezeichnet.
Viel mehr wissen wir nicht, als wir und unser Auto in gut einer Stunde mit einem Boot zur Flusssandinsel übersetzen. Während unsere Mannschaft auf dem Bretterboden des Bootes auf einem offenen Feuer ein scharf gewürztes Essen kocht, beobachten wir, wie an den Sandbänken große Hebenetze rhythmisch gesenkt und gehoben werden und wie lange Reihen von Reusen im Flussboden befestigt werden. Im Wasser schwimmen alle Sorten von Dreck vorbei. Das hält die Männer aber nicht ab, für das Essen und den Tee Wasser zu schöpfen. Christa ist so tollkühn und trinkt sogar diesen aromatisierten Tee. Gottseidank ohne Folgen.
Auf der Insel führt der meist unbefestigte Weg über hohe, schmale Dämme ins Innere. Seitwärts liegen abgeerntete Reisfelder und kleine Tümpel mit schwimmenden Pflanzeninseln aus Wasserhyazinthen, unter denen sich die Fische verstecken vor den vielen Reihern, Marabus, Königsfischern u. a fischenden Vögeln. Etwa 82 Vogelsorten und 200 Pflanzenarten haben Biologen gezählt.
Mönche eines Hinduklosters (Satra) beim Dreschen
Der Vishnu-Krischna-Kult in den Satras
Mit einer einheimischen Führerin fahren wir zunächst zu einem der typischen Assam-Hindutempel, die hier Satras genannt werden und Zentren des Neo-Vishnu-Kultes sind. Nach Vertreibung der Vishnu-Anhänger durch die Ahom-Könige von Assam zogen sich die brahmanischen Vishnu-Priester auf diese Insel zurück und gründeten allmählich mit Unterstützung der Ahoms 65 Klöster, von denen heute auf Grund der Erosion nur noch 22 existieren. In ganz Assam soll es nach Auskunft eines Mönchs noch 600 geben. In den Tempeln wird Vishnu in seiner Inkarnation als Krischna verehrt, der für die Vereinigung von Gott und Mensch in gegenseitiger Liebe steht. Am nächsten Tag können wir einen Gottesdienst miterleben, der an baptistisch-emotionale und katholische Rituale erinnert.
Beim Besuch des kleinen Mishing-Dorfes Borguri werden wir von den Einwohnern begeistert begrüßt. Nur die kleinen Kinder weinen bei unserem Anblick. Sie zeigen uns alle Gerätschaften. Neben dem Haus stehen jeweils ein Webstuhl und ein Boot, ein Holzpflug, verschiedene Fischreusen von 30 cm bis 2 m Länge. Während wir schauen, stürzt sich ein Fischadler zwischen die herumlaufenden Schweine und Hühner und holt sich ein Küken.
Die Leute hier sind noch Anhänger des animistischen Donyi Polo-Kultes. Man zeigt uns eine Halle, wo Sonne und Mond verehrt werden.
Neben den Mishings, den Deoris und Kacharis wohnen auf der Insel noch die registrierten Kasten der Kolborta und Bonia und die Kastenhindus der Brahmanen, Kalita und Keot.
Das Circuit House in Garamur ist das schmutzigste unserer Reise. Das Kopfkissen ist schwarz und das Mückennetz stinkt so unerträglich, dass wir es waschen.
14. Tag, 3. Januar, 2004, Samstag
Sonnenaufgang über den Fischtümpeln von Majuli
Da wir vor Sonnenaufgang um 6 Uhr zur Vogelbeobachtung wollen, müssen wir auf das Frühstück verzichten. Sichtbar werden die Vögel erst, als sich der Morgendunst lichtet. Viele Stimmungsfotos entstehen.
Da wir an einer Puja teilnehmen wollen, muss unsere Führerin erst ein Bad nehmen. Auch wir dürfen die Klosterbezirke nur mit nackten Füßen betreten. Die Klöster sind recht groß. Eines hat 200 und ein anderes hat 400 Mönche. Viele Mönche wandern von Kloster zu Kloster. Im Kloster leben nur Kasten-Hindus, keine Angehörigen von unterkastigen Volksstämmen. Also auch hier finden wir die Einteilung in Kasten. Das Alter der Mönche reicht von 4 - 90 Jahren. Die Klöster unterscheiden sich noch dadurch, dass es Klöster mit verheirateten und welche mit unverheirateten Mönchen gibt. Die Mönche können auch wieder zurück in ein gewöhnliches Leben. Sie sind dann Haushaltsmönche, die weiter für das Kloster Geld spenden. Die Mönche leben zu 1-10 Personen in einem Raum. Sie verpflegen sich selbst, arbeiten auf dem Feld und beten dreimal am Tag, auf den Morgen und den Nachmittag verteilt, insgesamt jeweils 14 Gebete. Die Umgangssprache ist nur Assamesisch. Eine weitere Pflicht besteht in der Aufführung von religiösen Spielen zu allen wichtigen Festen, besonders den Feldbestellungsfesten und den Todes- und Geburtstagen von Heiligen. Zu diesem Zweck haben die Mönche 70 Stücke geschrieben. Dazu führen sie verschiedene Tänze auf und singen. Die Gebetshallen sind wohl deshalb große Hallen. An den Decken können wir oft große Figurenteile und Masken sehen. Im Auniati-Kloster werden interessante Bücher aufbewahrt: ein 270jähriges Buch über Elefanten und 100 auf Sachi-Blätter geschriebene Bücher.
Neben Wandmalereien gibt es viele Holzskulpturen in den Tempeln, vor allem das Reittier Vishnus, der Adler Garuda, und der Affenkönig Hanuman. Mehrere Krischnafiguren, die meist aus dem Pilgerzentrum Puri in Orissa stammen, werden verehrt. Sie sind sehr klein und ohne künstlerischen Wert.
Im Kloster der Masken erleben wir eine Art Kommunion. Gesänge von mehreren Mönchen mit Trommeln und Zimbeln locken uns an. Die Mönche sitzen im Halbkreis mitten im Raum, heben die Arme, klatschen rhythmisch zu den Gesängen des Vorsängers, antworten ihm, während vor ihnen ein Licht brennt und Bananenschalen mit Reis, Kichererbsen, Mungkeimlingen, Bananen, Kräutern und Tagetesblüten liegen. In einem Kelch befindet sich Milch. Für uns und eine Familie werden Matten ausgelegt, damit wir Platz nehmen können. Nach den Sprechgesängen und ekstatischen Bewegungen kommt der Priester auf uns zu, schüttet Wasser in unsere Hände, damit wir unser Haupt segnen oder reinigen, gibt uns Basilikum zum Reinigen des Inneren, schüttet dann Milch der Kühe Krischnas in unsere Hände, damit wir sie trinken und eins werden mit dem Gott. Zum Schluss bekommen wir noch vegetarische Kost auf einem Bananenblatt und eine gelbe Tagetesblüte als Symbol des Gottes. Wie viel feiner ist diese Kommunion als die archaische, katholische Form des Essens von Leib und Blut eines Gottes.
Die wilden Fischer auf Majuli
Die Bewohner von Majuli haben eine ganz ungewöhnliche Art des Fischens. Zuerst hören wir lautes Geschrei, dann sehen wir in einem wilden Getümmel etwa 50 Männer und Jungen, die in voller Kleidung durch einen Tümpel waten und dabei große konische Körbe bis auf den Boden ins Wasser stoßen. Ab und zu greift jemand in die kleine Öffnung an der Spitze des Korbes, holt einen Fisch heraus und wirft ihn aufs Land, wo ein anderer eine Bambusschnur durch die Kiemen zieht. So sammeln sie eine große Menge an Fischen auf Schnüren. Beim Stoßen der Körbe auf den Grund spüren sie an den Vibrationen, ob sie einen Fisch getroffen haben. Diese Aktion wiederholen sie alle 8 - 14 Tage. Für uns fast unglaublich bei der Fischmenge, die sie hier herausholen. Dort, wo dichte Schwimmpflanzen die Oberfläche bedecken, waten ältere Frauen, ziehen den Pflanzenteppich in einen großen, flachen Korb, suchen dann die kleinen Fische aus dem Korb und stecken sie in eine Stofftasche im Busen oder vor dem Bauch. Nach dieser lauten Aktion nahen die Frauen des Dorfes, um noch einmal Körbe ins Wasser zu stoßen. Dabei spüren die zarteren Frauenhände wieder eine Reihe von Fischen auf. Dies also ist das Geheimnis der kreisrunden Tümpel mit den befestigten, schwimmenden Inseln, die wir überall beobachtet haben. Wir haben zuerst auf schwimmende Gärten getippt, wie sie auf dem Inle-See in Myanmar angelegt werden. Die Fische werden später getrocknet oder auf Märkten in Assam verkauft.
Circuit House Garamur.
15. Tag, 4. Januar 2004, Sonntag, Majuli-Guwahati, 340km 8 Std
Am Morgen wartet in dichtem Morgendunst wieder unser Boot auf uns. Diesmal fahren viele Einheimische mit. Sie tragen Säcke mit frischen Fischen und Kannen mit Frischmilch für den Markt in Jorhat. Nach 70 Minuten Überfahrt bei Wind und Kälte kommen wir zum Anlegeplatz. Über Bretter und mit Hilfe eines Zugseiles erreichen wir den hohen Uferboden. Dort stehen viele Autos und Busse, die Sonntagsausflügler für Majuli gebracht haben.
Fahrzeugtransport auf dem Brahmaputra
Auf dem Weg nach Guwahati fahren wir an Kaziranga, dem bekanntesten Nationalpark Assams vorbei, können aber keines der vielen Rhinozerosse entdecken. Nach der Tierzählung von 1993 sollen sich im hohen Elefantengras des Parks 1164 Rhinos, 1094 Elefanten, 1034 wilde Büffel, 427 Sumpfhirsche, 2048 Rehe, 140 Wildschweine, 72 Tiger, 34 Sambhar-Hirsche, Bären, Kappen-Languren und Gibbons aufhalten. Ein großes Problem sind hier die Flussüberschwemmungen, durch die in den letzten 30 Jahren über 51 qkm Land weggeschwemmt worden sind und bei denen 90% der Parkfläche unter Wasser standen, wobei viele Tiere ertranken.
Auf dieser Strecke sehen wir zum ersten Mal moderne Asphaltmaschinen im Einsatz. Die Straße ist über weite Strecken sehr gut. In den Städten allerdings wieder typisch indische Bilder. Heruntergekommene Häuser, riesige Plakatwände vor den Häuserfronten, lange Reihen verbeulter LKW`s, kleinste Imbiss- und Reparaturbuden, dazwischen Kühe, Fahrräder, herumliegende Materialien. Rikschas quetschen sich zwischen dauerhupende Autos. Männer verschwinden hinter den großen Karren mit Heu oder Kartons, die sie schieben. Ein kleiner Hund läuft unbekümmert durch den chaotischen Verkehr. Busse übertönen alles mit ihren Signalhupen. Dichter Staub liegt auf den Bäumen und Sträuchern. Im Dreck zwischen Ölpfützen sitzen Händler, die auf Plastiktüchern kleine Berge Auberginen und Ananas aufgetürmt haben. Für einen Europäer sind Chaos, Lärm und Dreck einer indischen Stadt kaum vorstellbar.
Endlich wieder ein angenehmes Hotel, Brahmaputra Ashok, Guwahati
16. Tag, 5. Januar 2004, Montag, Guwahati
Nach mehreren Versuchen, die wieder die Unprofessionalität der Agentur zeigen, gelingt die Rückbestätigung der Flüge.
Da wir die Tempelanlagen in Guwahati schon kennen, fahren wir nach Hajo, 32 km westlich von Guwahati, einem hinduistischen und muslimischen Pilgerzentrum. Während der Fahrt dorthin lichtet sich der Winternebel, so dass wir bei Sonne durch eine wunderschöne Gartenlandschaft mit grünem Gemüse und gelben Senffeldern fahren.
Die Pilgerziele liegen auf runden Bergkuppen am Ufer des Brahmaputra. Der älteste Tempel ist der Madhava, in dessen innerer Höhle fünf Gestalten mit schwarzen Gesichtern, silbernen Kronreifen und weißen Gewändern verehrt werden Der Hauptgott Bura-Madhava hat sogar große Metallohren und geht zurück auf einen alten Fruchtbarkeitsgott. Madhava ist ein Name für Vishnu, Krishna und auch die Verehrer Vishnus. Der Kultort soll 5899 Jahre alt sein. Historisch sind die Gründungsjahre 1583 und das 6. Jh. Das Gebäude ist ein 16eckiger Rundbau, der von kleinen Elefanten getragen wird und in zwei Etagen rundum Skulpturenfenster hat. Bei den Skulpturen fällt ein alter Mann mit einem Pilgerstab auf und ein pferdeköpfiger Gott, eine Erscheinungsform Vishnus als Hayagriva.
Der zweite Tempelkomplex Kedar (assamesisch für Shiva) enthält einen großen Stein als Lingam unter einer großen Metallhaube und eine seltsame Durga-Darstellung als rot bemalter Stein. Beide Heiligtümer dürfen wir fotografieren, aber wir müssen dem Gott und dem Priester ein Geldgeschenk geben. Dafür erhalten wir eine Tagetesblüte mit den Worten „Das ist Shiva.“
Auf einem weiteren Hügel befindet sich das Grab eines iranischen Prinzen, der im 12. Jh. den Islam nach Assam brachte. Neben diesem Grab wurde 1657 die Pao Mekka Moschee gebaut. Eine Wallfahrt hierhin hat ein Viertel der Heiligkeit einer Reise nach Mekka.
Flug nach Delhi in 2.20 Std
Hotel Radisson, ein Superhotel
17. Tag, 6. Januar 2004, Dienstag, International Airport Delhi
6.50 sind wir am Flughafen, aber kein Flugzeug kann landen oder starten, weil dicker Nebel über dem Flugfeld liegt..... Bis wir wieder zu Hause sind, vergehen insgesamt 40 Stunden.
wer scheucht die affen
schmutz lärm chaos
chicken curry reis
schrieb er
blau der himmel
kalt die nächte
und schlug mit den flügeln
hinter dem schmutz
auf hügeln auf wegen
wer tötet das mithun
im lande der wanchos
tattoo feuer hütte
dao tier schurz
sah er
mongolische augen
und lächelte freundlich
darf ich
zwischen schweinen und hühnern
wer zeigt die schädel
aus kopfjägerzeiten
wer baut mir das haus aus bambus
wer gibt mir die kraft des lebens
wer stellt die seelenpuppe aufs grab mir
wer zeigt mir den weg in die andere welt
ein urwald blick
zum letzten mal
Unglaublich, dass wir immer wieder Indien besuchen.
Im Flughafen hängen lange Fahnen von der Decke mit der Inschrift „Merry Christmas“ und „Indicredible India“. Wir denken, es ist unglaublich, dass dieser unscheinbare, kleine Flughafen das Eingangstor zu Indien ist. Ja, je mehr wir Indien kennen lernen, desto unglaublicher finden wir, dass das Leben, der Verkehr, die Demokratie in Indien funktionieren. In der Zeitung lesen wir, dass die Motorisierung in Delhi in 30 Jahren um über 3 Millionen Fahrzeuge zugenommen habe. Es gibt keine Hochstraße, keine Autobahn, keine Metro. Unglaublich, dass der Verkehr noch funktioniert. Wie oft haben wir erlebt, dass die Stromzufuhr oder die Wasserversorgung zusammengebrochen sind oder nur stundenweise vorhanden waren. Wir lesen: im Jahre 2003 wurden allein in Delhi 466 Vergewaltigungen registriert. 1710 Menschen wurden auf der Straße getötet, 7533 verletzt. Wir haben viele tote Hunde, sogar tote heilige Kühe am Straßenrand gesehen, immer wieder ausgebrannte Busse. Die Reifen der Autos sind oft völlig ohne Profil. Wir lesen: Die Polizei tut ihr Möglichstes. Ein Bild zeigt, wie die Delhi-Polizei in perfekter Marschordnung über die Straße paradiert. Wir lesen: 64 Polizeioffiziere wurden wegen falschen Verhaltens aus dem Dienst entlassen.
Blick auf den Vorhimalaya bei Tezu