März/April 2002

Arunachal Pradesh,
ein lebendes Völkerkundemuseum,
ein indischer Bundesstaat zwischen Bhutan und Myanmar
(2002, 23 S., 24 Fotos, mit Tonbeispiel)

Eine Reise in die abgeschlossenen und noch z.T. verbotenen Gebiete des östlichen Himalaja stand schon seit einigen Jahren auf unserer Wunschliste. Seitdem wir eine Maske aus dem Nagaland gekauft hatten und das Buch "Die nackten Nagas, Dreizehn Monate unter Kopfjägern Indiens", von Chr. v. Fürer-Haimendorf (1939) gelesen hatten, schauten wir uns immer wieder auf der Indienkarte die wie ein Blinddarm zwischen Bangladesh, Myanmar und China liegenden kleinen indischen Bundesstaaten Arunachal Pradesh, Nagaland, Manipur, Mizoram, Tripura und Meghalaya an. s. Infos

Schließlich planten wir in Zusammenarbeit mit einem lokalen Touranbieter per E-Mail eine 15tägige Rundreise durch Arunachal Pradesh während der Osterferien 2002. In den Indien-Reiseführern wird dieser Bundesstaat nicht beschrieben.

Die Begegnung mit den vielen Völkern und ihren fremdartigen Lebensweisen wurde für uns zu einem großen Erlebnis. Häufig hatten wir den Eindruck gar nicht in Indien zu sein, so fremdartig war die Welt, in die wir hineingeraten waren.

Wir lernten Dörfer und Angehörige folgender Volksstämme kennen: Mishing, Mishi, Monpa, Nishi, Apatani, Adi, Singpho, Kampti, Hill Miri, Adi Minyong, Tagin, Gallong

Bereits ein Jahr später fahren wir in den kleinen indischen Bundesstaat Nagaland an der Grenze zu Myanmar. Dort finden wir ganz andere kulturelle Entwicklungen. Die ehemaligen Kopfjägerstämme sind inzwischen zu 90% christlich-baptistisch. s. Reisebeschreibung Nagaland.

So grüßt man in verschiedenen Himalaja-Sprachen Arunachals:

Namaste als Hindu

Tashi Deleck bzw. Deley als Monpa
Al-do als Nishi
Aya-do als Apatani
Ale-pa als Gallong
Ai-du als Minyong

Reiseeindrücke

01. Der Kampf der Muslime mit dem Teufel.
02. Die Opferstätten der schrecklichen Kali auf dem Hügel von Guwahati.
03. Im Land des Mithun und des Nashornvogels.
04. Der Krieg zwischen Indien und China.
05. Die tanzenden Nonnen von Tawang.
06. Kleine Schwierigkeiten.
07. Menschen aus der Arche Noah: Bei den Bergstämmen Arunachals.
08. Die Nishi.
09. Die Apatani.
10. Die blutigen Rituale der Apatani und Adi. Donyi-Polo, eine archaisch-animistische Naturreligion
11. Bei den Hill-Miri, Tagin, Gallong und Adi-Minyong.
12. Die Fähre über den Brahmaputra.

1.

Der Kampf der Muslime mit dem Teufel.
In der Nordostecke Indiens: die Brahmaputra-Ebene

Vor unserem Weiterflug von Delhi nach Guwahati, der Hauptstadt von Assam, werden wir immer wieder nach Waffen durchsucht, noch vor dem Betreten des Flugzeugs an der Treppe. Nach zwei Stunden Flug mit der Sahara Air landen wir bei 23° C im wolkenverhangenen Guwahati an den Ufern des Brahmaputra. Auch hier Kontrollen. Viel Militär in Waffen und in kugelsicheren Westen. Wir denken an die Unruhen im westlichen Indien, in Ahmedabad und Ayodha, wo sich seit Wochen Moslems und Hindus umbringen.

In der Stadt begegnen uns immer wieder kleine Prozessionen, die auf Tragestangen einen mehrstöckigen Tempel tragen. Manche Teilnehmer springen begleitet von mehreren Trommeln wild vor dem hohen Tempelaufbau hin und her und schlagen mit langen Holzstöcken um sich. Sie wirken wie Trancetänzer, die ihr Tun nicht mehr kontrollieren können. Andere schwenken grüne Fahnen. Die Prozessionen bewegen sich durch überfüllte Straßen zwischen Menschen und Autos. Einige Polizisten begleiten jeweils diese seltsamen Aufzüge und drängen die Zuschauer zurück. Was geht hier vor sich? Unser Guide, ein Apatani aus den Bergen, kann uns das Geschehen nicht erklären. Aber unser Fahrer weiß Bescheid. Er ist ein assamesischer Moslem. Wir staunen. Hier feiern die Moslem das Ende einer Fastenzeit. Der gezeigte Tempel symbolisiert Allah. Wir denken an die Stupas und Pagoden der Buddhisten, die die Erleuchtung und den Aufstieg zum Nirwana symbolisieren, aber wir denken auch an die Götterfiguren der Hindus, die an vielen Festen durch die Straßen getragen werden. Hier haben sich die Moslems aus diesen alten Ritualen etwas Ähnliches ausgeliehen. Das Bedürfnis nach sinnlicher Präsentation war stärker als das Darstellungsverbot des Koran. Jetzt entdecken wir auch an den bunten Tempelhäuschen aus Papier weitere islamische Symbole, den Halbmond und den Stern. Auf den Absätzen der Häuschen stehen Gefäße, in die man versucht süße Kugeln zu werfen. Da wir auf allen Straßen diese Prozessionen sehen, schließen wir auf einen starken moslemischen Bevölkerungsanteil in Assam. Die Nähe zum islamischen Staat Bangladesh wird uns bewusst. Hoffentlich gibt es keine religiösen Auseinandersetzungen. Viele Gruppen sammeln sich auf einem großen Platz bei einer Moschee. Dort tanzen und schreien die Leute und schlagen sogar mit Säbeln um sich. Als wir uns nähern, werde ich in einen Kreis hineingezogen. Man drückt mir einen langen Holzstab in die Hände und einige springen Stöcke schwingend und Fratzen schneidend auf mich zu. Was bleibt mir übrig, als mich zu verteidigen. Also beginne ich auch zu springen, schwinge den Stock im Kreis und stoße Schreie aus. Das facht die anderen Teilnehmer noch mehr an und so wird es immer dramatischer, bis ich schließlich mit einem eigenartigen Gefühl im Magen aufgebe und lächle. Alle Gesichter strahlen und die Köpfe nicken anerkennend. Ich habe mit dem Teufel gekämpft, erklärt mir Ali später. Der aber ist unsichtbar. Mir aber war, als hätten die Moslems mit den wilden Schlägen in die Luft und gegen die anderen Stöcke mit einem wirklichen Teufel gekämpft, vielleicht gegen einen ausländischen Teufel oder gegen den Teufel im anderen?

2.

Die Opferstätten der schrecklichen Kali auf dem Hügel von Guwahati.

Kali, die schwarze Göttin, nackt, mit langem, aufgelöstem Haar, mit scharfen Eckzähnen, als Gürtel abgetrennte Arme, als Halskette abgeschnittene Köpfe, als Ohrringe Kinderleichen, als Armbänder Schlangen, heraushängender Zunge, langen Nägeln, blutbeschmierten Lippen, auf einem Leichnam sitzend, umgeben von Kobolden und weiblichen Schakalen. Sie gebraucht den Schleim von Leichen als Kosmetika, badet in Wein und Blut, trinkt aus menschlichen Schädeln. Ein monströses Bild des Unreinen. Aber doch symbolisch als zerstörerischer, weiblicher Teil des Seins verstanden, aus dem die Wirklichkeit ihre Lebenskraft bezieht. Die Frau als dynamischer und der Mann als ruhender Pol des Seins, aus deren Spannung eine schöpferische Spannung entsteht. Diese Ideologie liegt dem Tantrismus zugrunde, der hier im Kamakhya-Tempel von Guwahati zu finden ist.

Während in der Stadt die Muslime im Schatten der Moschee ihren Gott Allah und das Ende der Fastenzeit feiern, befindet sich oberhalb der Stadt in einem Komplex von Hindutempeln das Kaliheiligtum der Kamakhya, deren Verehrung besonders im 17. Jh. von den Ahom-Königen Assams gefördert wurde. Dort werden der Göttin der Zerstörung noch täglich blutige Tieropfer dargebracht. Die uralten Tempel sind halb im Boden versunken, so dass manche Skulpturen nur noch halb zu sehen sind. Auf den Treppen und unter den Bäumen laufen die Ziegenböcke, die irgendwann geopfert werden, dort sitzen auch in Gruppen viele malerisch gekleidete Saddhus. Vor jedem Tempel befindet sich eine Opferstelle für die Blutopfer. Beim Hauptfest im September werden auch Ochsen hier getötet. Die Götterfiguren an der Außenseite der Tempel sehen ungewöhnlich urig aus und sind meist rot angestrichen. Wir dringen in das dunkle Innere vor, vorbei an langen Schlangen von Gläubigen, die bis zur heiligen Quelle vordrängen. Dort, 160 m hoch über dem Brahmaputra, soll Wasser des heiligen Ganges hervorquellen. Auf glitschigen Stufen abwärts in ein dunkles, verräuchertes Verlies, vorbei an roten, unkenntlichen Götterbildern an den Wänden und Priestern in roten Gewändern, die im Gedränge für Ordnung sorgen und den Gläubigen einen roten Punkt auf die Stirn drücken, tasten wir uns vorwärts. Erinnerungen an eine ähnliche Pilgerstätte in Pandharpur (Maharashtra), die wie ein Schock auf mich gewirkt hatte, und an die schwarzen, öligen Wände im Tempel von Madurai (Tamil Nadu) kommen hoch. Das wichtigste Symbol des Kamakhya-Kultes ist eine Yoni, der weibliche Geschlechtsteil, die eine schöpferische Öffnung der göttlichen Erde darstellt. Entsprechend werden im Tempel während des Ambubachi-Festes Rituale vollzogen, die die Menstruation der Göttin anzeigen.

"Da Du KALA (die Zeit) verschlingst, bist Du KALI, die ursprüngliche Form aller Dinge, und da Du der Ursprung und das Ende aller Dinge bist, wirst Du ADYA KALI genannt. Nachdem Du nach der Auflösung Deine eigene Gestalt wieder annimmst, dunkel und formlos, bleibst Du allein bestehen, als das Eine, unbeschreibbar und unfassbar. Obgleich Du eine Form hast, bist Du dennoch formlos; obgleich Du selbst ohne Anfang bist, durch die Macht der Maya vielgestaltig, bist Du der Anfang von allem, Schöpferin, Beschützerin und Zerstörerin, das bist Du."
(Mahanirwana -Tantra)

3.

Im Land des Mithun und des Nashornvogels.
Die exotisch-archaischen Stammeswelten in den Regenwäldern des östlichen Himalaja

Die beiden Tierarten Mithun und Nashornvogel werden von den meisten exotischen Volksstämmen in Arunachal Pradesh auf ähnliche Weise verehrt. Der Mithun ist ein halb wilder Büffel, der als Brautpreis bei Hochzeiten und zur Opferung im archaischen Sonne-Mond-Kult mit anschließendem Verzehr gehalten wird, und der Nashornvogel wird bei den Nishi als Kopfschmuck der Männer genutzt, vor allem sein riesiger Schnabel und seine langen schwarz-weißen Federn. Die Nutzung der beiden Tierarten ist für die Volksstämme ein charakterisierendes Element.

Nach unseren Begegnungen mit den beiden so unterschiedlichen, aber doch gewalttätigen Religionen, dem modernen, "bilderlosen" Islam und der blutigen Urreligion der Muttergottheit Kali, fahren wir vom Bundesstaat Assam in die Nordwestecke des indischen Himalajastaates Arunachal Pradesh, in das Land der Hornbills und Elefanten und der tibetisch-mongolischen Stammesvölker. Über eine breite Straße mit viel Verkehr, vorbei an vielen überladenen LKWs mit Bambusstangen für eine riesige Papiermühle, einige liegen umgestürzt im Straßengraben, gelangen wir über Waldwege zum luxuriösen Zeltcamp Namiri. Die einzelnen Zelte haben elektrisches Licht und einen Waschraum! Im nahe gelegenen Dschungelgebiet versuchen wir unter dem Schutz zweier bewaffneter Wächter Elefanten und Leoparden zu beobachten. Faszinierend ist hier die noch unberührte Vegetation des Regenwaldes, aber von den Großtieren finden wir nur Fußabdrücke und Dung. Vom Hornbill, dem Nashornvogel, finden wir viele große schwarz-weiß-gelbe Federn und sehen unter bestimmten Fruchtbäumen auch die Vögel. Vom wilden Mithun sehen wir nur Hufspuren im Sumpf. Später jedoch tauchen in den Bergen immer wieder diese typischen halbwilden Prestige- und Opfertiere mit dem voluminösen Körper und den imponierenden Hörnern auf.

4.

Der Krieg zwischen Indien und China.

Die erste Straße in den Vorhimalaja, die wir eingeschlagen haben, führt an der Grenze von Bhutan entlang bis zur tibetisch-chinesischen Grenze. In endlosen Serpentinen schlängelt sich die Straße höher und höher. Zunächst reiht sich zu unserer Überraschung Militärlager an Militärlager. Hier halten sich mehr Soldaten als Eingeborene auf. Auf die Militärpräsens in Kaschmir waren wir durch die Berichte über die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Indien und Pakistan vorbereitet, aber hier hatten wir kein Militär erwartet. Scheinbar findet es Indien notwendig auch seine Grenzen gegen China und Myanmar militärisch zu sichern. Der Straßenzustand wird immer schlechter. Oberhalb von 2000 m liegt die Rhododendronzone. Große Bäume stehen in voller Blüte. In Nepal hatten die Bäume nur wenige Blüten, hier sind sie über und über damit bedeckt. Auf der Straße begegnen uns immer wieder die langhaarigen Yaks. Sie genießen das kühle Klima, wir frieren. Unser Auto hat keine Heizung. Wenn die Fenster des Autos geschlossen werden, beschlagen alle Fenster. Allmählich wird es immer kälter. Auf dem Sela-Pass in 4000 m Höhe schneit es. Der Schnee liegt sogar in der buddhistischen Gompa und in dem kleinen Hindutempel. Nur in einer kleinen Imbiss-Hütte können wir uns an einem Kanonenofen und mit heißem Tee aufwärmen. Hier wissen wir noch nicht, welch ein Luxus das ist. Später in Tawang fehlt in den Unterkünften und Restaurants jegliche Möglichkeit die Räume aufzuheizen. Auf der nördlichen Passstraße liegt noch viel mehr Schnee. Die steilen Felsabstürze fehlen, ähnlich wie in Ladakh nach der Überquerung der ersten hohen Pässe. Dafür werden die Straßen durch abrutschende Erdmassen bedroht. Inschriften begleiten uns, die helfen sollen, das Analphabetentum ( 60 % ) und Vorurteile gegen Lepra zu bekämpfen. "Illiteracy is your biggest enemy. Drive it away." .....

Lepra scheint ein großes Problem in den Bergen zu sein, weil die Menschen glauben, dass die Lepra z.B. nicht wie andere Krankheiten aus der Erde kommen, sondern als Donner und Blitz von einem Gott geschickt wird, der - wie die Wancho glauben - sein Gewehr abfeuert. Wenn dann die Kugel nicht in die Erde dringt, sondern nur die Blätter der Bäume streift, dann wird Lepra durch die Berührung dieser Blätter übertragen. Die Leprakranken werden von Essen, Arbeit und Treffen der Gemeinschaft ausgeschlossen. Der Ehepartner darf sich von ihm trennen. Der einzige Vorteil eines Leprakranken war früher, dass Kopfjäger ihn mieden, weil sein Blut als ansteckend gilt.

Eine große Überraschung erleben wir, als wir über die Berge zum letzten Seitental, dem Tawang -Tal, vorstoßen. Auf der Anhöhe, hoch über dem Tal, treffen wir auf einen besonderen Tempel. Es ist ein Märtyrertempel, in dem einige Soldaten, die 1962 im Kampf gegen die eindringenden Chinesen getötet wurden, wie Götter verehrt werden. Obwohl die Chinesen militärisch weit überlegen waren und bis zur Assamebene vordrangen, wird hier im Tempel behauptet, dass die Inder im Grunde unbesiegbar seien. Erst nach vier Attacken, bei denen 200 Chinesen getötet worden seien, mussten die indischen Soldaten sich wegen der Überlegenheit der Chinesen zurückziehen. Der Hauptheld, der "göttliche" Gawant, opferte dabei selbstlos sein Leben. Neben der Straße sehen wir überall noch die steinernen Schutzhütten und Unterstände. Seit damals haben die Militärs ihre Hauptbasen zurückverlegt hinter den höchsten Pass. Wir können nicht einsehen, warum diese Stammesgebiete zu Indien gehören müssen. Wir verstehen nicht, warum das riesige Indien an seinen Grenzen so waffenstarrend sich gegen seine Hauptfeinde Pakistan und China präsentieren muss. Sicherlich hat das auch mit dem Sinn, Selbstverständnis und der Eigendynamik einer militärischen Maschinerie zu tun. Die Wichtigtuerei der Militärs zeigt sich in Indien auch in dem Fotografierverbot für Brücken und militärische Anlagen.

5.

Die tanzenden Nonnen von Tawang.

Auf dem Weg in die höher gelegenen Bergregionen durchqueren wir zunächst das Gebiet der mongolischen Miji, die Sonne, Mond und Geister verehren und kommen dann zu den buddhistischen Monpa von Tawang, die nicht in Bambushäusern wohnen, sondern in Steinhäusern. Die Unterkunft im Tourist-Logde ist sehr primitiv und schmutzig. Zum Essen gehen wir in das Snowland-Restaurant, in dem es dunkel und kalt ist und schlechtes Essen serviert wird. Auch das Wetter wird zusehends schlechter: schwarze Wolken, Regen, Hagel und Schnee. Die Menschen hier sind nicht so empfindlich wie wir. Die Mönche und Nonnen laufen oft mit nackten Füßen über den Steinfußboden und durch den Schlamm. Als Schuhe trägt man auch hier wie überall in Indien Gummisandalen.

Wir besuchen im Regen zwei abgelegene buddhistische Nonnenklöster. Im ersten finden gerade einige Zeremonien statt. Da im allgemeinen nur die Mönche eine Ausbildung im buddhistischen Ritual bekommen, müssen die Nonnen jeweils für eine religiöse Zeremonie zwei Mönche kommen lassen, die begleitet von Trommeln, Zimbeln, Glocken und kleinen Butter- oder Gerstenskulpturen ihre beschwörenden Litaneien singen. Eine Zeremonie findet zur Genesung einer älteren Nonne statt, die im Nebenzimmer, durch einen Vorhang von den Mönchen getrennt, die Gebetsschnur durch ihre Hände gleiten lässt, aber dabei einer jüngeren Nonne die Anweisung gibt uns mit Buttertee zu bewirten.

Auf einer schmalen, unbefestigten Bergstraße fahren wir zum zweiten Nonnenkloster, klettern im Regen einen Fußweg hinab und stehen vor verschlossenen Gebäuden. Aus der Ferne dringt Gesang zu uns herauf. Wir sehen unten auf einer Bergwiese Jungen, die um ein qualmendes Feuer tanzen, singen und heraufwinken. Zunächst meinen wir, dass sie uns zuwinken, bis wir seitwärts eine Gruppe junger Nonnen entdecken, die ebenfalls ausgelassen herumspringen und singen. Nach und nach kommen sie den Pfad zum Kloster hoch. Einige schleppen unter den Armen Bastmatten, andere große Körbe. Einige schützen sich sogar mit einem Schirm vor dem Regen. Oben auf dem kleinen Klostervorhof angekommen wirken sie etwas schüchtern. Als ich sie filme, holt eine Frau aus der Gruppe, die nicht die rote Nonnentracht trägt und sich als die Mathe- und Englischlehrerin der Nonnen bezeichnet, eine Kamera und möchte mit uns fotografiert werden. Angefeuert von dieser ständig kichernden Einheimischen, die einige Worte Englisch spricht, geben die Nonnen etwas ihre Zurückhaltung auf und lassen sich fotografieren. Anschließend laden sie uns zu einem Buttertee ein, wir sollen mit ihnen in die Küche kommen. Dort holen sie ein Kassettengerät hervor und beginnen wieder zu tanzen.

Unser Guide schlägt vor, sie sollten einen Monpa-Volkstanz vorführen. Sie bilden eine lange Reihe und bewegen sich jetzt zu einem Volkslied. Allmählich verlieren sie ihre Scheu. Sogar die älteren Nonnen und unser Guide tanzen mit, schließlich zu ihrer Freude auch wir. Draußen regnet es und langsam wird es immer dunkler. Unser Guide dolmetscht auf Hindi. Wir versuchen mit der Lehrerin auf Englisch zu sprechen. Sie kennt nur wenige Wörter. "What is your name"? Sie wollen uns nicht gehen lassen. "Noch etwas Buttertee?" Die kleinen Nonnen haben rote Wangen. Ihre "Lehrerin" zeigt, dass sie auch moderne Tänze tanzen kann. Schließlich tauschen wir die Adressen aus und steigen im Dunkeln und bei Regen in Begleitung der netten Lehrerin den steilen Hang zum Fahrweg empor, wo unser Fahrer Ali wartet. Wir sprechen noch viel über die jungen bäuerlichen Nonnen, die jetzt in die Hände einer Eva, einer Schlange, geraten sind, die sie in die Freuden der modernen Zeit einführt. Wie sie uns erklärt hat, ist sie mit ihrer jüngeren Schwester täglich im Kloster, um die Nonnen 2 Jahre lang jeweils 3 Stunden zu unterrichten. Heute hatte sie den Unterricht mit einem Picknick verbunden. Die Nonnen genießen sicherlich die lustigen und unterhaltsamen Stunden mit ihr. Ob sie nach den zwei Jahren wohl noch im Kloster bleiben wollen, nachdem sie erfahren haben, dass das Leben nicht nur aus Leid besteht, wie ihr großer Lehrer Buddha gesagt hat?

Am nächsten Morgen besuchen wir die große Klosterstadt der Mönchsgemeinde mit 392 Mitgliedern und über 50 Mönchskindern. An den Berghängen liegt frisch gefallener Schnee und es ist recht kalt. Als wir um 6 Uhr im Kloster ankommen, haben die Mönche schon die ersten Gebete gesungen und ihren Buttertee getrunken. Die Kinder laufen trotz des kalten und nassen Wetters mit nackten Füßen herum. Zwischen den Mönchshäusern laufen viele Hunde herum und Hähne krähen von den Balustraden herab. Als nach einiger Zeit eine große Trommel wieder zum Gebet ruft, laufen die Kinder wieder bei strömendem Regen über den großen Klosterhof in die Gebetshalle. Schnatternd und mit einem munteren Gesang nehmen sie auf Bodenmatten Platz. Der Lama sitzt schon auf einem erhöhten Thron und stimmt ein munteres Lied an, während ein anderer Lama die Jungen auf ihre Plätze weist und mit einem Räucherbündel sie zu segnen scheint. Es klingt wie "Im Frühtau zu Berge wir zieh`n fallera." In einem Nebenraum mit vielen Butterskulpturen singen zwei ältere Mönche in der typisch leiernden Weise Mantras aus einem Blockbuch. Zwischen den vielen urigen Häusern sehen wir hohe Holzstapel zum Heizen, aber auch gestapelte neue Blechkästen mit Stromzählern für jedes Haus. Im Museum des Klosters werden uralte Gegenstände aufbewahrt, eine riesige Schüssel soll 1800 Jahre alt sein, mittelalterliche Schießrohre, Spieße, Fahnen, ein Brustschutz aus dem Panzer eines Gürteltiers und viele lamaistische Bronzefiguren und Stoffmandalas. All das darf nicht fotografiert werden. Warum?

Der Tiger symbolisiert die Vergänglichkeit der Welt und bewacht das Dreijuwel, die Hauptelemente der buddhistischen Lehre: Buddha, Dharma und Sangha.

6.

Kleine Schwierigkeiten.

Auf die Kälte waren wir nicht vorbereitet. Um uns vor der Kälte zu schützen, ziehen wir fünf Schichten übereinander an. In Bhutan war es zur Osterzeit viel wärmer gewesen. Ein Inder erklärt uns, zurück in den südlichen Bergen erwarte uns in Bomdila wieder ein gutes Hotel. Etwas Trost für uns nach einer achtstündigen Fahrt, denken wir. Aber Inder messen mit anderen Maßstäben. Das Hotel starrt vor Schmutz, ist kalt und hat ein miserables Essen. "Soll ich einen Teller bringen?" "Nein zwei." Der Kellner schaut erstaunt. "Können wir Besteck bekommen?" Der Kellner bringt uns Löffel. Auf dem Zimmer: "Wir möchten Handtücher." Der Kellner bringt uns ein Handtuch. "Wir möchten noch ein zweites." "Sie wollen zwei Handtücher?" Der Kellner schaut uns ungläubig an und bringt uns kein zweites. Als wir unterwegs in einer dunklen schmutzigen Bambushütte essen sollen, streiken wir. Wir denken an unsere europäischen Mägen, an die Töpfe auf dem Lehmofen und an das Spülwasser im Eimer. Auf der anderen Straßenseite rieselt das Wasser durchs Gebüsch. Viele kleine bunte Fähnchen stecken seitwärts. Wir trauen diesem Zauber aber nicht und trinken nur abgekochtes Wasser in der Form von Tee.

Als wir weiterfahren, zeigt sich wieder die Sonne. Menschengruppen tauchen auf mit farbigen Köpfen, als habe man die Köpfe in verschiedene Farbtöpfe getaucht. Die Inder feiern das Frühlingsfest Holi. Die Leute bewerfen sich mit Farbstaub, reiben ihn in die Haare und ins Gesicht, freuen sich, singen, tanzen und umarmen sich. Auch wir müssen dran glauben. Vorsicht, nur das Gesicht, wir haben schließlich keine alten Kleider angezogen. Mehrmals werden wir angehalten, rot die Stirn, grün die Wange, blau das Kinn, dann werden wir mit süßem Gebäck beschenkt. Je tiefer wir kommen, umso wärmer wird es. Von 2330 m fahren wir runter in die Brahmaputraebene auf 5 m. Endlich wieder sommerliche Temperaturen. Die Fahrt bis zur Hauptstadt Itanagar dauert allerdings 10 Stunden. Christa meint, sie sei auf der falschen Tour, solch lange Fahrzeiten überfordern sie. Ein Trost: wir sehen auf einem Markt der Hauptstadt die ersten Apatani-Frauen und Nishi-Männer mit Nashornvogelhauben.

7.

Menschen aus der Arche Noah:
Bei den Bergstämmen im zentralen Arunachal.

Überraschung und Exotik pur. Solche Schönheitsvorstellungen hatten wir nicht erwartet, hatten auch noch keine Bilder von diesen Völkern gesehen. Die Begegnungen mit den verschiedenen Stammesvölkern besonders auf der Strecke von Itanagar über die schmale, einzige Straße nach Ziro, Daporiji, Along und Pasighat werden zum Höhepunkt unserer Entdeckungsreise durch diesen entlegenen Teil Indiens. Immer wieder haben wir die Vorstellung, ein Reservat, eine Arche Noah oder einen Menschenzoo zu besuchen, so vielfältig und ungewöhnlich erscheinen uns die Menschen und ihre animistische Kultur. Umso mehr bedauern wir es, dass auch hier die westliche Zivilisation mit Kleidung, Fernseher und fremder christlicher Religion in die Bambushütten eindringt. Die Menschen machen nicht den Eindruck primitiver, verschüchterter Völker. Besonders die Nishis und Adis sind sehr selbstbewusst, sehr freundlich und entgegenkommend. Die Männer tragen noch stolz ihre Stammestracht und zeigen sie gerne den Fremden. Ihre animistische Religion wird bei vielen Gelegenheiten gepflegt. Die Tieropfer werden überall vollzogen, die Bambusgerüste für die Geister vor den Hütten zeugen von einer lebendigen Religion.

8.

Die Nishi bzw. Nishang.

Erste Stelzenhäuser der Miji hatten wir schon gleich hinter der Grenze von Arunachal gesehen, aber die Häuser der Nishi in den höheren Bergregionen sind viel größer. Wir besuchen ein Haus, in dem drei Familien mit 27 Personen leben. Ein eingekerbter Baumstamm dient als Treppe zur überdachten Veranda. Im Innern hat jede Familie eine offene Feuerstelle auf dem schwankenden Bambusboden. Da die Feuerstellen keinen Rauchabzug haben, zieht der Rauch durch das ganze Haus und färbt die Palmdächer schwarz. Immer wieder streife ich mit meinem Kopf die rußigen Balken, da ich größer bin als die Eingeborenen. Freundlich werden wir immer an das Feuer gebeten, bekommen manchmal ein kleines Brett oder einen Hocker als Sitzgelegenheit und werden mit einem Glas Hirsebier bzw. Reiswein bewirtet, der wohl in jedem Haus vorrätig ist. Kein Schrank oder Bett, nur ein Brett zum Abstellen der Töpfe und Gläser, gehört zur Ausstattung der Wohnfläche. Solch ein Haus soll nach Auskunft unseres Guides etwa 15 Jahre halten, nur die Dächer müssen immer wieder repariert werden. Meist sitzt ein Mann auf der Veranda und stellt einen Bambuskorb oder eine Bambusschüssel her, denn die Korbflechterei ist Männerarbeit, während die Frauen das Weben beherrschen. Die Bewohner zeigen uns gerne ihre Schätze, vor allem das lange Buschmesser, das schon jeder drei- oder vierjährige Junge bekommt, den Schießbogen, das Gewehr und den Regenumhang aus Bambus oder Schilfgras. Rings um die wenigen Häuser liegen die Ackerflächen im Wald.

9.

Die Apatani.

Als wir nach Ziro ins Wohngebiet der 30 000 Apatani kommen, sind wir in der Heimat unseres Guides. Die tibetisch-mongolischen Apatani haben sich in neun großen Stelzendörfern angesiedelt und pflanzen Reis und züchten in den Reisfeldern Fische. Ihre Identität zeigen die Frauen durch eine Gesichtstätowierung und durch extrem große Nasenpflöcke. Als wir zum ersten Mal ein solches Gesicht sehen, können wir gar nicht glauben, dass diese entstellende Gesichtsveränderung bei diesem Volksstamm allgemein üblich ist. Als wir eintreffen, haben wir das Glück, noch das Ende des zehntägigen Myoko-Festes mitzubekommen, bei dem es jetzt im März vor dem Beginn des neuen Biojahres um ein gutes Wachstum und Schutz der Reisfelder vor Hagel, Sturm, Insekten und wilden Tieren geht und um das Wohlergehen der Dorfbewohner. In allen Familien finden religiöse Zeremonien unter Anleitung eines Schamanen statt. Vor den Häusern stehen seltsame Zeichen aus Bambus, die an Voodookult erinnern. Blut, Reismehl, Federn, Eierschalen, 5 m hohe Bambusstangen wie Fernsehantennen und kleine "Reitsättel" aus Holz verkünden den Geistern und den anderen Dorfbewohnern, wir haben geopfert, wir stehen in Kontakt mit euch, wir haben Hühner und Mithun-Stiere geopfert und der Schamane hat die Leber der Tiere geprüft, wir haben nichts zu befürchten, wir leben in Harmonie mit den Naturgeistern. Die hohen Stangen weisen noch darauf hin, dass hier Jungen unter 10 Jahren leben. Einen Tempel gibt es nicht, nur heilige Orte in der Nähe von Bäumen und Steinen. An einigen Stellen des Dorfes befinden sich erhöhte Plattformen, auf denen die Männer und unverheirateten Mädchen während des Festes tanzen und singen. Für verheiratete Frauen ist dieser Platz tabu. An einigen Straßen stehen kleine Bambusfluchthütten, in der jeder, der von einem Geist verfolgt wird, sicher ist. Die Häuser sind ähnlich leer wie die Häuser der Nishis. Eine offene Kochstelle genügt. Ungewöhnlich ist die enge Bauweise der Bambushäuser. Bei einem Brand ist hier nichts mehr zu löschen.

Ein Schamane (nyibo) singt stundenlang Gebete, schneidet mit einem Messer den Hals des einmonatigen Kükens durch und prüft die Akzeptanz des Opfers durch Abtasten und Ablecken der Hühnerleber auf Faltenbildung, Löcher, Linien und Flecken. Dann schlägt er Eier in ein Bambusrohr mit Wasser und kocht sie im Herdfeuer. Danach werden sie geschält und das trockene Eigelb wird geprüft. Auf diese Weise findet der Schamane heraus, welches Opfer zu machen ist oder im Krankheitsfall, welcher Geist für die Krankheit verantwortlich ist.

10.

Die blutigen Rituale der Apatani und Adi.
"Donyi Polo", eine archaisch-animistische Naturreligion.

Die meisten Stammesvölker des östlichen Himalaja glauben an eine unsichtbare, höhere Macht , aus der Sonne, Mond, Sterne und Erde, aber auch Elemente wie Luft, Wasser, Hitze und Licht hervorgegangen sind. Diese Macht empfinden sie als allgegenwärtig und allmächtig. Als Symbole dieser unsichtbaren Macht betrachten sie Sonne (Donyo) und Mond (Polo). In vielen Geschichten wird dargelegt, dass das natürliche Leben von Sonne und Mond, von Licht und Dunkel, abhängig ist und dass die höhere Macht auch Richter über Recht und Wahrheit ist.

Neben der allmächtigen göttlichen Hauptmacht werden noch weitere gute Götter angerufen: Dooying Bote als Beschützer der Menschen, Kiine Naane als Beschützerin der Nahrungsmittel, die vor allem die Reisfelder vor Gefahren schützen soll, Daadi Bote als den Beschützer der Haustiere, Guumin Soyin als Beschützer von Haus und Dorf.

Die Apatani glauben, dass ihre Seele nach dem Tode ein ähnliches Leben in einem typischen Apatanidorf mit langen Häuserreihen weiterführt. Je nach Todesart geht die Seele (Yalo) in die unterirdische Welt Neli oder bei einem unnatürlichen oder unerwarteten Tod in die himmlische Wolkenwelt Talimoko. Die überirdische Welt wird zum Aufenthaltsort für Männer, die von den Feinden getötet wurden, oder für Frauen, die bei der Geburt eines Kindes gestorben sind. Am Eingang von Neli werden sie von Nelkiri, dem Türwächter, befragt, wie viele Feinde und wilde Tiere sie getötet haben, wie viele Sklaven sie gekauft haben und wie viel Land sie besitzen. Die während seines Lebens geopferten Stiere findet der Apatani hier wieder. Aber die vererbten Stiere sind für ihn auf immer verloren. Nachdem er hier sein Leben wieder mit Arbeit verbracht hat, geht er nach einem erneuten Tod in ein anderes Land.

Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit

Im Vertrauen auf die gute Macht haben sie Verfahren entwickelt, die Wahrheit und Gerechtigkeit zu finden. Dabei werden einige der folgenden Materialien benötigt: Eier, Hühner, Mithuns (Stiere), Tigerzähne, Schlangenzähne, Wasser, Reis, Erde, Feuer, Bananen u.a.. Zunächst werden Gebetsgesänge an Donyi und Polo um Hilfe bei der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit gerichtet.

Donyi siling lo tinga molangk
Polo menyolo duang molangka

Sonne und Mond, ihr immer wachsamen Mächte, zeigt die Wahrheit und Gerechtigkeit zugunsten der Seite, die im Recht ist, und bestraft den Lügner.

Das geschieht unter freiem Himmel bei einer öffentlichen Versammlung, in der z.B. Behauptungen von Streitenden mit Hilfe göttlicher Hilfe überprüft werden. Es gibt verschiedene Methoden eines Gottesurteils. Eine Methode besteht darin, dass die streitenden Parteien ihre Mithuns herbeibringen und in einer Art Litanei den allmächtigen Donyipolo anrufen, er möge Recht und Unrecht zeigen und einen Mithun eines unnatürlichen Todes sterben lassen. Für dieses Ritual stehen in den Dörfern spezielle Bambusgerüste, an denen die Mithuns aufgehängt werden. Bei einer anderen, weniger grausamen Methode werden Eier benötigt. Eier der streitenden Parteien werden in einem Bambusgefäß gekocht und wenn die Eier im kochenden Wasser tanzen, müssen die Parteien die Eier mit der bloßen Hand herausfischen und der anderen Partei ins Gesicht werfen. Dabei beten sie wieder zu Donyi - Polo, dass er nur die Hand des Lügners verbrennen möge, nicht die der unschuldigen Person.

Diese Gottesurteile zeigen archaische Rituale, die an ähnliche Vorgänge im europäischen Mittelalter denken lassen, bei denen Personen in einem Sack ins Wasser geworfen wurden oder über glühende Kohlen gehen mussten.

In einem anderen Ritual werden mit Hilfe eines Schamanen, - die Eingeborenen sprechen von Priester-, die bösen Geister durch Tieropfer abgewehrt, indem ein Bild des bösen Geistes aus Blättern, Holz und Bambus errichtet wird, dem dann u.a. Reis, Apong (Hirsebier oder Reiswein), Ingwer und Blut des getöteten Tieres angeboten wird. Vorher muss der Priester den bedrohlichen Geist identifizieren mit Hilfe von Reis, Steinen, Blättern, Hühner- und Schweineleber, Hühnerfedern u.a.. Diese Praktiken werden allerdings von vielen Eingeborenen als geheimnisvoll und überholt bezeichnet, die nichts mit dem Glauben an das allmächtige Wesen zu tun haben.

Ein anderes "friedvolles" Ritual ist die Opferung eines Mithun an die Sonne (Donyi), an die Vorfahren oder andere Geister, um materiellen Reichtum und eine gute Gesundheit oder auch Mut und Tapferkeit zu erlangen.

Ein weiteres magisches Ritual dient der Rache bzw. der Vergeltung für ein Unrecht mit Hilfe einer übernatürlichen Macht (s. oben Gottesurteile).

Darüber hinaus werden Stiere und andere Tiere geopfert, um im Land des nächsten Lebens diese Tiere als materielle Grundlage wieder zur Verfügung zu haben.

Nach solchen Opferungen beachten viele Stämme über mehrere Tage ein Essenstabu, d.h. sie dürfen bestimmte Pflanzen nicht essen, oder ein Arbeitstabu (bestimmte Dinge nicht tun) oder ein Bewegungstabu.

11.

Bei den Hill-Miris, Tagins, Gallongs und Adi-Minyongs.

Inzwischen habe ich durch die vielen Hausbesuche bereits so viele Menschenflöhe eingefangen, dass meine Beine von oben bis unten zerbissen sind. Am linken Bein zähle ich über 30 entzündete Stellen. Das sind bei weitem noch nicht so viele Bisse, wie ich sie mir bei den privaten Übernachtungen bei einem Eselstrekking im Jemen zugezogen habe. Aber für die Zukunft nehme ich mir vor, die Häuser nur noch mit zubindbaren Hosenbeinen zu betreten.

Nachdem es die ganze Nacht geregnet hat, regnet es auch noch den ganzen Tag während der 160 km langen Fahrt von Ziro bis Daporijo. Mehrmals sehen wir Regenschirme an der Spitze von Zeremonialmasten. Soll hier ein Geist geschützt werden oder ist dies eher eine Ehrerweisung, so wie ja auch Buddhafiguren durch Schirme verehrt werden?

Die verstreut lebenden Hill-Miri haben Regenschilde aus Bambusgeflecht und Straußgras, die sie wie Rucksäcke über den Rücken ziehen, um mit diesem Schutz auch arbeiten zu können. Ihre Häuser sehen besonders ärmlich aus. Materielle Unterstützung (z.B. Schulen) und der ohnehin vorhandene Glaube an die allmächtige, göttliche Hauptmacht Donyi-Polo erleichtern den christlichen Missionaren die "Bekehrung" der Hill Miris. An einigen Häusern finden wir Kreuze oder im Inneren ein Zertifikat der Baptisten.

Die Tagin erweisen sich als sehr freundlich. Als wir den schlammigen Steilhang zum Haus hochklettern, nehmen alle Anteil und helfen. Im Haus führt ein Opa mit einem Regenschild ganz realistisch die Rodung und Bepflanzung eines Berghanges vor, indem er sogar eine Handvoll Maiskörner holt und "aussät". Eine sehr lustige Vorführung.

Später treffen wir auf Vogelfänger, die Leimruten präparieren, Bambus verknoten, die Ruten kreisförmig in die Knoten hineinstecken und aufgespießte, geflügelte Ameisen als Lockmittel dazu setzen. Über 50 Vögel würden sie am Tag fangen.

Am nächsten Tag, auf der Fahrt nach Along, lernen wir die auf hohen Stelzen am steilen Berghang gebauten Siedlungen der Gallong kennen. Sie wohnen in Häusern mit riesiger Grundfläche. Das Kernhaus ist dunkel, ohne Fenster, mit einer offenen Feuerstelle. Rundum führt ein breiter Gang mit tief gezogenem Dach. Dagegen sind die Minyongdörfer in der Siangebene um Pasighat eher nach außen angelegt. Die Häuser haben eine überdachte und eine freie Bambusveranda. Zwischen den Häusern laufen auf den Rasenflächen schwarze Schweine, Kühe und Hühner, und einige Jugendliche fahren mit einem Fahrrad. Ihre Zugehörigkeit zum animistischen Donyi-Polo-Kult demonstrieren manche Minyongs durch Halsanhänger mit den Sonne-Mond-Symbolen. Auf der Wiese stehen Gerüste für Opferungsriten. Bei der Opferung von Stieren und Schweinen praktizieren sie die grausame Methode des Sich-selbst-Strangulierens, während die Gallongs die Stiere mit einer Axt töten, aber Schweine mit einem dünnen Bambusstab ins Herz.

Nach unserer Übernachtung in einem sauberen, sehr schönen Circuithaus in einem Blumengarten fahren wir zu einem Platz, auf dem das mehrtägige Mopinfest stattfindet. Die Priester sind gerade dabei Schmuckutensilien aus Bambus herzustellen. In einem kreisrunden Gatter steht ein Gerüst für die Opferung des Mithun-Stieres. Seitwärts werden zwei Bambuspuppen aufgestellt, eine kleinere und eine größere mit einem Bambus-Schwert, ein Bild der Mopin-Gottheit. Die Figuren stehen auf Bananenblättern, die vorher mit Reismehl und Ingwer geweiht worden sind. Dahinter stehen zwei hohe Stangen, die mit Bambusschmuck behängt sind. Auf der rechten Seite steht ein Gerüst, an dem Tragekörbe aufgestellt werden, die, gefüllt mit Nahrungsmitteln, von Gläubigen gebracht worden sind. Fünf Priester in weißen Gewändern mit besonderen Symbolen auf dem Rücken stellen sich vor diese Puppen, wiegen sich in den Hüften und beginnen zu singen, wobei sie Bambuswedel in der Hand hin- und herschwingen. Nicht weit von dieser Stelle steht unter einem Baum das Opfertier. Auf der anderen Seite des Platzes hängen an einer erhöhten Plattform zwei riesige Trichter aus Bananenblättern, in denen sich Hirsebier befindet.

Auf der Straße bewegt sich unter Leitung eines Priesters eine Prozession weiß gekleideter Frauen singend und im Wiegeschritt auf den Platz zu, die Popir-Gruppe. Aus gedruckten Einladungen, die wir erhalten, geht hervor, dass zu dem Fest auch verschiedene Minister des Staates erwartet werden.

12.

Die Fähre über den Brahmaputra.

Obwohl wir einen großen Tata Sumo haben und Ali ein außergewöhnlich umsichtiger und ausgezeichneter Fahrer ist, haben wir zwei Reifenpannen. Über unbefestigte Feldwege kommen wir zum Ufer des Brahmaputra. Keine Anlegestelle, ein ziemlich steiles Ufer, aber keine Fähre, die uns erwartet. Nur einige kleine Bambusbuden, die Getränke und Tee verkaufen, stehen am Ufer. Nach längerem Warten stellt sich heraus, dass unser Boot, eigentlich keine Autofähre, schon vor einer halben Stunde abgefahren ist. Einen richtigen Zeitplan scheint es nicht zu geben. Unser Team verhandelt mit einigen Fischern. Die Zeit verrinnt, ohne dass wir wissen, was vor sich geht. Wo sollen wir übernachten? Hier am Ufer oder in einer Bambushütte möchten wir in der Nacht nicht bleiben. Unsere beiden Führer laufen hin und her, sprechen mit verschiedenen Leuten. Endlich erfahren wir, dass die Fischer unsere Notsituation ausnützen wollen. Sie verlangen das Zehnfache des üblichen Preises. Es dauert. Schließlich fährt Ali mit uns zu einer Stelle, an der ein Boot liegt, das aber ablegt. Wir fahren zu einer anderen Uferstelle. Da kommt ein kleines, schmales Fischerboot. Das soll uns über den Fluss schippern. Wie soll unser Auto da drauf passen, wie soll es vom Steilufer auf das Mittelteil des Schiffes kommen?

Es werden zwei Bretter geholt. Die Fischerjungen stellen sich mit Bremsklötzen bewaffnet auf das Boot. Langsam rutscht der Wagen durch den Ufersand hinunter zu den Brettern. Sollen wir nicht besser unsere Koffer aus dem Auto herausholen? Die Lage der Bretter muss noch mehrmals korrigiert werden und dann rollt der Wagen auf die Schiffsplanken. Hektisch werden die Klötze unter die Vorderräder geschoben, das Boot schaukelt, ich halte die Luft an, nur wenige Zentimeter stehen die Räder vom Rand entfernt. Die Bretter werden weggewuchtet und schnell wieder ein Paar Klötze unter die Hinterräder. Das Boot schwankt hin und her. Der Wagen steht an beiden Seiten weit über den Bootsrand hinaus. Die Mannschaft und unsere Begleiter nicken uns zu. Sie winken. Jetzt sollen wir aufs Boot. In der vorderen Mitte sitzt ein Boy in einem niedrigen Häuschen mit Steuerrad. Der für den Motor und für das Gasgeben zuständige Boy sitzt irgendwo unten im Schiffsrumpf. Durch Zurufe oder indem einer über das Auto hinweg klettert, um mit dem anderen zu sprechen, verständigen sich die beiden. Wir suchen uns auf dem Dach der Steuerkabine einen Platz. Eine bequeme Sitzgelegenheit gibt es nicht. Der Boy, der am Steuerrad steht, sucht inzwischen herunterhängende Drähte zusammen, um seinen Kassettenrekorder zu starten. Nach einigen Schlägen gegen das Gehäuse und veränderten Drahtverbindungen ertönen indische Schlager, während wir zwischen den vielen Sandbänken und Inseln zwei Stunden über den Fluss tuckern, um die andere Seite zu erreichen. Wieder keine reguläre Anlegestelle, aber einige Schiffe liegen schon am Ufer. Also machen wir längsseits fest und unser Auto macht Anstalten über ein anderes Schiff über Bretter auf den Ufersand zu gelangen. Der Driver gibt Gas, die kleinen Bretter zwischen den beiden Kähnen verrutschen und schon hängt das Auto mit den Hinterrädern zwischen den beiden Booten. Gott sei dank sind wir vorher ausgestiegen. Ali gelingt es das Auto aus der Falle zu befreien und steil abwärts fährt er über schmale Bretter, die allerdings erst mehrmals justiert werden müssen, auf das Ufer und mit Schwung durch den Sand zu einer höheren Stelle. Wir steigen ein, er gibt Gas und schon drehen unsere Räder durch, wir sitzen fest. Palaver, ein Allrad muss her. Danach fahren wir noch eine halbe Stunde durch weißen Schwemmsand und wir erwarten bald wieder festzusitzen. Ali schafft es mit Schwung und dosiertem Gasgeben ohne erneute Panne unser letztes Ziel in Assam, die Stadt Dibrugarh, zu erreichen. In früheren Jahren wären wir auf Grund der ungewöhnlichen Reisebedingungen genervt und gereizt gewesen, inzwischen haben wir den Zustand einer asiatisch-buddhistischen Entspannungs- und Ruhehaltung erreicht, mit der wir Stresssituationen leicht wegstecken können. Die Ausstrahlung der freundlichen und aufgeschlossenen Asiaten hat uns verändert.