"India shining" oder ein Land voller Widersprüche

Wenn Indien sich selbst als die größte und dynamischste Demokratie der Welt bezeichnet, dann heißt das nicht, dass die politischen und sozialen Entwicklungen im 21. Jahrhundert bisher die Widersprüche zwischen der Gewaltausübung von Regierung und Militär und freiheitlich-demokratischer Verfassung und zwischen großer Armut der Massen und dem Reichtum einer Minderheit vermindert haben.

Indien, ein Irrenhaus und eine Hölle mit faschistischen Zügen?

Die Schriftstellerin Arundhati Roy zeichnete in einem Vortrag am 6.4.2004 vor der Aligarh Muslim Universität ein kritisches Bild der indischen Gesellschaft. Der Titel ihres Vortrags "How deep shall we dig?" fragt, wie tief unter der zerstörten Moschee von Ayodhya liegt die Wahrheit? Liegt nicht unter dem Hindutempel, den die Hindunationalisten finden wollen noch eine andere historische Wahrheit? Vielleicht ein buddhistischer Stupa oder ein Adivasi-Heiligtum? Die historische Wahrheit beginne nicht mit dem Savarna-Hinduismus. Hätten die Ureinwohner Indiens nicht ein größeres Recht auf Rache und Gewalt als die Hindus?

Sie meint, dass im indischen Staat mit Hilfe zweier Gesetze Gewalt gegen verschiedene Bevölkerungsgruppen, die Minderheiten und die Armen, ausgeübt wird. Sie fragt, wie kann sich der Normalbürger gegen einen zunehmend gewalttätiger werdenden Staat zur Wehr setzen.

Zunächst weist sie auf das Antiterrorismusgesetz hin, das der indische Staat gegen jede Art von Widerstand anwendet. In Uttar Pradesh gegen Demonstranten, die gegen Landraub protestierten. In Gujarat und Mumbai gegen Muslime. In Jharkhand gegen Ureinwohner, von denen 3200 Adivasi eingekerkert wurden, weil sie maoistische Rebellen seien.

Nach einem Pogrom, bei dem im Jahre 2002 etwa 2000 Muslime getötet worden waren und 150 000 aus ihren Häusern vertrieben worden seien, wurden nur 287 Personen angeklagt, davon 286 Muslime und ein Sikh.

Die Polizeifolter ersetze oft die polizeilichen Untersuchungen. Die Arten der Folter erinnern sehr an die aufgedeckten amerikanischen Methoden im irakischen Gefängnis Abu Ghraib. Bei einem Volkstribumal hätten Zeugen berichtet von Schmähungen, erzwungenem Urintrinken, der völligen Entblößung des Körpers, Verbrennungen mit Zigaretten, Elektroschocks, dem Einführen von Eisenstäben in den After bis zu Tritten und Schlägen mit Todesfolge. Von den Tätern sei bis heute noch keiner verurteilt worden. Sie wundere sich, dass Indien trotz solcher Geschehnisse in der internationalen Gemeinschaft seinen Ruf als legitime Demokratie behalte.

Das zweite Gesetz betrifft die Sondervollmachten der Streitkräfte und werde genutzt, um jemanden verschwinden zu lassen, zu vergewaltigen oder zu foltern.

Zu der Spaltung der indischen Gesellschaft in Arme und Reiche, sagt sie, die relativ kleine Gruppe immens reicher Bürger eigne sich alles an: Flüsse, Wasser, Freiheit, Sicherheit, Würde, Grundrechte, einschließlich des Rechts auf Protest. Die öffentliche Infrastruktur werde vom Staat im Namen des Neoliberalismus verkauft, so dass die Infrastruktur, die Ressourcen und die Medien mehr und mehr von einigen Unternehmen (z.B. von India Pvt.Ltd.) kontrolliert werden. Dadurch solle ein gutes Inverstitionsklima geschaffen werden. Roy weist darauf hin, dass 700 Millionen Inder in ländlichen Gebieten leben ohne die Errungenschaften des städtischen Indiens mit Kaufläden, Restaurants, Bahnhöfen, Flughäfen, Oberschulen und Krankenhäusern.

Sie fordert eine Besinnung auf neue Formen des zivilen Ungehorsams, weil der gewaltlose Ungehorsam eines Gandhi seine Wirkung verloren habe. Sie schlägt z.B. die Wahl eines Schattenparlamentes neben dem Unterhaus des indischen Parlamentes vor.

http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/regionen/Indien/roy2.htm,

Interview mit A Roy

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