Willkommen im Jemen
Ahlan wa Sahlan filyaman
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Religiöses Bild eines Kindes und natürliche Schönheit in den Bergen. 2008
Als ich noch ein Kindchen war
ein kleines Mädchen,
noch im Vergnügen reiner Unschuld schwamm,
als Liebe mir bedeutete
von meinen Eltern einen Kuss -
damals waren meine einz`ge Sorge
die Pflichten in der Schule.....
(Lutfi Dschafar Aman)
In den Bergen des Jemen
März/April.1997 und November 2008
Bereits 1997 wanderte ich mit Christa drei Wochen in den Bergen des Bura-Massivs und dem Djabal Raymah. Diese Teile des Jemen sind so phantastisch, dass ich im November 2008 zum zweiten Mal mit meinem Sohn Matthias dort eine Woche unterwegs war. Der jetzt fertig gestellte Fotobericht zeigt Ereignisse und Höhepunkte aus beiden Reisen.
Auch heute noch wie eine Festung: das alte Hajjarah
Mit Eseln im Haraz, Bura-Massiv und Djabal Raymah
Einmalig in der Welt: alle Häuser stehen auf Felsgraten an fast unzugänglichen Stellen.
Wie fremd ist mir der Jemen, fragte ich mich 1997 nach meinem dritten Besuch des Landes. Diese Frage stelle ich mir jetzt, nach meinem fünften Besuch, wieder.
1997 - wir sind zu drei Personen - führte uns Abdullah aus Taiz, ein Hauptmann aus dem Innenministerium, der einige Jahre in der DDR als Polizist geschult worden war. Seine Verbindungen zur DDR erfahren wir erst, als er uns nach den Vopos, den Volkspolizisten, fragt. Er kommt ohne Ahnung von den Gegenden, durch die wir wandern wollen. Er kommt direkt von seinem Schreibtisch ohne feste Schuhe, die er erst unterwegs kauft, und ohne eine feste Tasche. Unser Geld trägt er in einer Plastiktüte mit sich herum. Aber er hat genaue Instruktionen, falls wir entführt werden sollten. Eine Waffe braucht er nicht.
Unsere Wanderrouten im Djabal Bura, 2008 von Matthias Neuenhofer mit GPS aufgenommen.
2008 - wir waren mit einer Gruppe von 11 Personen unterwegs - führt uns Shukri, mit dem ich bereits ein Kameltrekking im Süden gemacht habe. Er braucht ebenfalls keine Waffe. Die Menschen sind gastfreundlich wie bei der ersten Trekkingtour. Die Kinder sind vielleicht nicht mehr so fremdenfeindlich wie bei den beiden ersten Touren, bei denen wir zweimal grundlos mit Steinen beworfen wurden. Inzwischen sind die entlegenen Gebiete durch ausgebaute Autostraßen touristisch besser erschlossen und die Kinder besser erzogen.
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Bauern aus einem Bergdorf des Djabal Bura und aus Hajjarah, 2008
Der Funduk von Hajjarah und der Funduk von Manakha sind die Startorte für die Entdeckungen der bizarren Wohnwelten. In beiden Übernachtungshäusern werden wir ähnlich und sehr unterhaltsam durch Gesänge, Tänze und Spiele mit der traditionellen Kultur des Jemen bekannt gemacht. Auch der Besuch des Ismaelitenheiligtums von Hutheib gehört zum üblichen Pflichtprogramm. Ausführlichere Beschreibungen s. in meinem Reisebericht von 2004.
2008 fahren wir über die neuen Asphaltstraßen zu unserem Zeltplatz im Bura-Massiv, 1200 m hoch. Nachts ist es kühl, deshalb gibt es keine Mücken. Leider haben wir zu wenige Zelte und müssen zusammenrücken. Die fehlenden Zelte werden am nächsten Tag per Taxi gebracht.
Abends sitzen wir an einem Lagerfeuer. Das Holz stammt aus den Küstenebenen. Holz ist eigentlich sehr rar.
In der Osterzeit 1997 regnete es immer wieder. Wolken verhinderten den Blick in die Täler und auf die unwirklichen Siedlungen im Fels.
Regenfall in den Bergen von Bura, Haraz und Raymah s.(http://www.brainworker.ch/reports/yemen/41CL2.HTML)
Unser Weg führt 1997 durch folgende Orte
- Sana`a; Hajjarah;
- Haraz (3 Tage): Wadi al-Hadjaylah;
- Djabal Bura (4 Tage): Wadi Riqaf;
- Djabal Raymah (6 Tage): Magraba, Wadi al-Mawrat, Bilad at-Tam;
- Khawkhah. as-Sukhnah, Hajjarah; Sana`a.
(Organisation Nomad-Reisen)
Kinder aus dem Djabal Bura, 2008
Eine Hochzeit im Djabal Bura
O du, die du zum Brunnen hinabgehst,
mein Herz fliegt zu dir.
Deine Kleider sind aus reiner Seide,
deine Augen wie die einer Gazelle.
Du bist wie der Vogel am frühen Morgen,
der die schlafenden Augen erweckt.
Wenn ich dir etwas wert bin,
gebe ich deinem Vater hundert als Brautpreis
......
Mein Herz möchte trinken
aus einer reinen Quelle.
Nur von der Hand meiner Geliebten
kann der Durst in mir gestillt werden.
Liebeslied (taghazzul) von Ahmad Al Jabiri
Schüsse, laute Stimmen von der anderen Seite des Tals. Zwischen den grauen Felswänden können wir einige Häuser ausmachen. Menschen bewegen sich dort. Schnelle, harte Trommelschläge zwischen dem Widerhall der Schüsse. Durchs Fernglas kann ich einen Mann in einem weißen Gewand erkennen, der einen Stock hin und her schwingt und wie wild umherspringt, wobei er etwas laut zu verkünden scheint. Abdullah weiß Bescheid, keine Stammesfehde, nein, eine Hochzeit. Auf dem Weg zum Hochzeitshaus machen die Männer an einer bestimmten Stelle halt und feuern mit ihren Kalaschnikow-Schnellfeuergewehren auf einen einige hundert Meter entfernten Fels. Bald liegen jede Menge Patronenhülsen auf dem Boden. Auch das ist ein Ritual der jemenitischen Männergesellschaft bei festlichen Gelegenheiten. Es scheint ihnen Spaß zu machen. Ein Treffer bringt Glück. Kurz vor dem Ort, wo der Begrüßungstanz stattgefunden hat, schießen die Männer noch einmal in die Luft. Über schmale Steintreppen bewegt sich der Zug zwischen den engen, festungsartigen Häusern und verschwindet in einem dunklen Hauseingang. Auch ich werde mit Abdullah eingeladen. Die Frauen müssen draußen bleiben.
Die traditionelle Kleidung besteht aus einem langen, schwarzen Samtkleid,
einem farbigen Hüftgürtel und einem Kopftuch. 1997
Hier treffen sich nur Männer und Jungen, Frauen und Mädchen sind nicht zu sehen. Begonnen wird eine Hochzeit im Jemen meist an einem Mittwoch, und bis einschließlich Freitag, an dem das große Festmahl stattfindet, verbringen Braut und Bräutigam die Zeit nur noch unter gleich geschlechtlichen Freunden und Verwandten. In einem großen schmalen Zimmer mit relativ kleinen Fenstern sitzen schon viele Männer. Inmitten großer Berge grüner Blätter und Äste hocken sie auf dem Boden. An den weiß getünchten Wänden hängen die Schusswaffen der Gäste. Neugierig werde ich angestarrt. Einige Männer rücken zusammen, machen mir Platz und reichen mir sofort einige Äste mit zarten grün-roten Blättchen Qat. Viele haben schon eine prall gefüllte Backe, stopfen neue Blättchen hinein, nehmen einen Schluck Wasser oder einen Zug Tabakrauch aus der Wasserpfeife. Mit dem Stopfen der großen Pfeifenköpfe ist draußen vor der Tür extra ein Mann beschäftigt. Ein Vorsänger stimmt von Zeit zu Zeit ein Lied an, ein Gebet oder ein erzählendes Lied aus alter Zeit. Alle Versammelten fallen ein oder antworten mit einem Refrain. Die Kinder schreien geradezu die Texte heraus. Es ist nicht ersichtlich, dass es eine fröhliche Hochzeitsgesellschaft ist. Als ich 2008 von einer Beerdigungsgesellschaft eingeladen werde, erlebe ich die gleichen Rituale: Qat, Wasserpfeifen und Gesänge.
Die Wasserpfeife
Ist man als Tourist im Jemen unterwegs, könnte man beinahe meinen, dass es in diesem Land gar keine Wasserpfeifenkultur gibt - Sie ist, anders als die Shisha in vielen arabischen Ländern, eher in dem privaten Bereich zu finden und nicht in jedem Kaffeehaus und Restaurant. Während unserer Reise 2008 wurde uns die Shisha mehrmals angeboten und die Jemeniten rauchten den aromatisierten Tabak mit Genuss.
Die Worte "Shisha" und "Narhile" werden kaum verwendet, um die einheimische Variante der Wasserpfeife zu bezeichnen, diese heißt "Medê'a". Natürlich sind andere Dinge auch nicht unwichtig, die Dicke der Alufolie, Anzahl der Löcher, die richtige Kohle usw., und nicht zuletzt der Tabak.
Der Wasserpfeifentabak besteht im wesentlichen aus Tabak, Melasse (Erdbeeren, Kirschen, Schoko, Minze, Mango, Orangen, Kaffee, Zimt oder Karamell-Geschmack) und Glycerin und sollte immer schön feucht sein, um sein optimales Aroma entwickeln zu können. Er ist von seiner Konsistenz her nicht mit gewöhnlichem Tabak zu vergleichen und hat wegen seiner viel höheren Feuchtigkeit (ca. 27 Prozent) eine klebrige, teigartige Konsistenz.
Je kühler das Material, desto dichter und angenehmer der Rauch!
Im Jemen wird angefeuchteter Tabak, auch "Tutun" genannt, geraucht.
Mädchen in Sana`a und in den Bergen, 2008
Ein Hochzeitslied
Vogel des Glücks und der Wonne
Im Volksglauben der Jemeniten bringt ein Rabe, der sich krächzend auf einem Hausdach niederlässt, gute Nachrichten.
Der Vogel des Glücks und der Wonne
hat sich heut` bei uns niedergelassen.
Dieser junge Mann ist gekommen -
er kam, um sich mit unserer Tochter zu verloben.
Er sagt: "Mein guter Onkel Hassan,
gib mir deine Tochter Sa`diyah zur Braut.
Ich werde sie in reine Seide hüllen
und dir hundert als Brautpreis geben."
"Mein Sohn, ich habe nichts dagegen,
wenn nur das Mädchen zustimmt.
Die Terrassenfelder
Die Terrassen im Bura sind klein und schmal wie künstliche Blumenkästen auf einer Fensterbank. Oft wurde für eine Pflanze eine Terrasse gebaut. Zwischen den steilen Terrassen befinden sich überall Zisternen für die Bewässerung, insgesamt sollen es 360 Stück sein. Seit vier Jahren soll es hier nicht mehr geregnet haben. Auf den Feldern wachsen Qat- und Kaffeesträucher.
Stolz zeigt uns ein junger Dorfbewohner sein neues Terrassenfeld. Mit 100 Lastwagenladungen Muttererde hat er es aufgefüllt, eine gewaltige Investition. Was er anbauen will? Qat natürlich, denn das bringt zehn Mal mehr ein als Gemüse, Sorghum, Kartoffeln oder Tomaten. Umgerechnet 5000 Euro im Jahr könne er mit dem Qat-Feld verdienen, sagt der Bauer, fünf bis sechs Mal ernten.
Der Anbau ist sehr lukrativ und hat dadurch z.B. im Jemen andere Kulturen wie Kaffee oder Gemüse weitgehend verdrängt. Er verbraucht 30 bis 40 Prozent des landwirtschaftlich genutzten Wassers.
Qat-Anbau in jemenitischem Ausmaß ist nur möglich, weil das Land 75 Prozent seiner Lebensmittel importiert und weil Diesel hier nur ein Viertel des Weltmarktpreises kostet. Das funktioniert so: Der Jemen lässt sein Öl im Ausland raffinieren, führt es wieder ein - auch als Diesel - und subventioniert den Preis so weit herunter, dass die Bauern die zur Bewässerung ihrer Qat-Felder nötigen Pumpen betreiben können.
Zweieinhalbtausend Brunnen hat das Wassereinzugsgebiet Amran, und die mit einer Rate von mehr als drei Prozent explosionsartig wachsende Bevölkerung entnimmt ihnen zehnmal mehr Wasser, als durch Regenfälle nachfließt. Der Grundwasserspiegel sinkt mittlerweile jedes Jahr um sechs Meter, die Brunnen müssen schon 250 bis 400 Meter tief gebohrt werden.
Eine Männergruppe inmitten einer Wagenladung Qat
gedenkt singend, kauend und rauchend eines Verstorbenen. 2008
Der Qatstrauch (Catha edulis, Kath oder Kat),
auch Abessinischer Tee genannt, ist eine Pflanze aus der Familie der Spindelbaumgewächse (Celastraceae). Er wird hauptsächlich in Kenia, Oman, Jemen und Äthiopien angebaut.
Beim Kauen der Qatblätter wird hauptsächlich der Wirkstoff Cathin, ein Amphetamin, über die Mundschleimhaut aufgenommen. Lang genug gekaut, macht das Kraut euphorisch, umgänglich und hellwach. So wach, dass viele Konsumenten ohne Hilfe nicht mehr schlafen können. Immer wieder ist vom Jemen als größtem Valium-Konsumenten der Welt die Rede. Weitere Folgen des langjährigen Konsums der Blätter sind Depressionen und Psychosen auch Leberzirrhose, Nierenversagen und Krebserkrankungen in Mund und Rachen, da die Qat - Felder massiv mit Pestiziden besprüht werden.
Qat muss schnell nach dem Pflücken konsumiert werden, da er in der Regel innerhalb eines Tages vertrocknet und seine Wirkung verliert.
In Deutschland ist Qat nach dem Betäubungsmittelgesetz (Besitz und Handel) illegal. Legal ist Qat in Großbritannien und den Niederlanden. In Dänemark soll Qat laut Polizeiangaben auf dem Schwarzmarkt einen Wert von 60 € pro Kilogramm haben.
Im islamischen Recht wird Qat mehrheitlich als verboten (haram) angesehen, so etwa in Saudi-Arabien; in den Ländern, wo der Genuss verbreitet ist, wird er jedoch von der herrschenden Lehre gerechtfertigt. Täglich gehen zudem 15 Millionen Arbeitsstunden verloren, da viele Jemeniten nachmittags Qat kauen statt zu arbeiten. Nach einer Weltbankstudie konsumieren 72 Prozent aller Männer und 33 Prozent der Frauen das Kraut. Mittlerweile verfallen auch immer mehr Kinder dem Kraut, stellte die Universität Sana`a fest.
Immer wieder werden wir in Häuser eingeladen. Dort probieren wir oft eine jemenitische Spezialität, den Schalenkaffee. Die Jemeniten verzichten auf die edlen Arabica-Kaffeebohnen und benutzen nur die Schale der Bohne. Zusammen mit Ingwer und Kardamom kochen sie daraus ein Getränk, das nur entfernt an europäischen Kaffee erinnert.
Terrassen mit Kaffeesträuchern in den Bura-Bergen
Kaffee im Jemen
Die Umweltbedingungen für den Anbau von Kaffee im Jemen können nicht als ideal bezeichnet werden. Die hohen Lagen für den Anbau und das Wachstum eines exzellenten Kaffee-Arabica sind zwar vorhanden, es gibt aber einige, den Anbau zum Teil stärk einschränkenden resp. gefährdenden Faktoren.
Zu diesen zählen: Vielerorts zu geringe Regenfälle, das Fehlen von Schattenbäumen auf den Terrassen, zu geringe Anbauflächen, die zu einem zu dichten Baumbestand, d.h. zu einem zu geringen Pflanzabstand verleiten, und die gleichzeitig Umfang des Kaffee-Anbaus stark einschränken. Das sicherlich größte Problem, der Wassermangel, kann allerdings, zumindest teilweise, durch künstliche Bewässerung bzw. durch eine geschickte Weiterleitung des Regenwassers kompensiert werden.
Oberhalb von 2000 m Höhe besteht im Jemen die Gefahr von Nachfrösten, dass hier etwa die Obergrenze für den Anbau gezogen werden kann; nur in einzelnen Fällen, in mikroklimatisch begünstigen Lagen innerhalb der zerklüfteten Gebirge, kann der Anbau durchaus 200 - 300 m höher erfolgen. Unterhalb von 1250 m wird der Anbau von Kaffee in der Regel durch die dort herrschenden zu hohen Temperaturen verhindert; aber auch hier gibt es kleinklimatische Ausnahmen, so dass der Anbau vereinzelt bis auf etwa 1000 m herab reichen kann. Im Mittel erfolgt der Kaffee-Anbau im Jemen also zwischen 1250 - 2000 m, in seinen Extremen zwischen 1000 - 2300 m.
Auf Grund der topografischen und klimatischen Verhältnisse konzentriert sich der Kaffee-Anbau im Jemen auf die Gebirge im Westen und Süden des Landes.
Morgendlicher Aufbruch 1997
Mit Eseln ab Hajjarah ins Gebirge, 1997
Christa hat kurz vor dem steilen Aufstieg in den Djabal Bura einen Schwächeanfall. Sie soll deshalb mit Ali ans Meer fahren und sich während unseres Aufstiegs wieder erholen. Unser Aufstieg bis zu einem Höhenrücken ist steil und schweißtreibend. Oben ist nur wenig Platz für Zelte, so folgen wir der Einladung, im oberen Männerraum auf Teppichen zu schlafen. Natürlich haben wir dort weder Wasser noch Toiletten. Als Toilettenplatz wird uns ein Felsspalt draußen über dem Abgrund zugewiesen. Die Tür zu unserem Schlafraum sollen wir gut verriegeln. Diese Übernachtung wird mir unvergesslich bleiben. In der Nacht werden alle Flöhe im Raum aktiv und sammeln sich in meinem Schlafsack. Füße, Beine, Po, Hüften, Arme, Rücken, Hals - Biss neben Biss. Am nächsten Morgen ist mein ganzer Körper von roten Stellen übersät. Ich sehe aus, als ob ich die Masern hätte. Wie ich später erfahren muss, bin ich immer wieder durch Flöhe gefährdet. Im Gedränge eines Basars und bei Teebesuchen in Häusern springen sie über und dringen über die Hosenbeine am liebsten in die Hüftregion vor. Als ich den Gastgebern die Bissstellen zeige, nicken sie verständnisvoll und sagen "Ormuz", Ormuz".
Vom Djabal Bura kommen wir nach Uzbah, wo angeblich keine Flöhe auf uns warten. Diese "Kreisstadt" hoch in den Bergen ist der schmutzigste Ort, den ich bisher gesehen habe. Ein verfallenes Gebäude ist der Sitz des Gerichtes, der Verwaltung und der Partei. Nur über Berge von Müll sind die Häuser erreichbar. Wir wohnen bei unserem lokalen Führer Mohammed. Die Familie ist sehr gastfreundlich. Allerdings suchen sie in unserem Gepäck immer wieder nach Geschenken. Eine Toilette gibt es nicht. Irgendwo im Fels...Aber da wir unter dauernder Beobachtung stehen, ist das etwas schwierig. Nachts doch wieder Flöhe. Der Juckreiz ist unerträglich. Aus den Bissstellen entwickeln sich kleine Pusteln, die später aufplatzen. Christa sieht später im Traum, dass mein Rücken mit dicken Flohballen bedeckt ist und ich von ihr verlange, sie abzustreifen.
Von den Wolkendörfern geht es abwärts ins Wadi, 2008
Über viele Treppen geht es hinab bis zum Wadi Riqaf. Dort unten erwartet uns das Auto mit Christa und Ali. Suknak erweist sich als halb verfallenes Kaff. Der Funduk ist unzumutbar. Durch einen Sandsturm, fahren wir nach Hodeidah, während dunkle Regenwolken aufziehen. Vom Hotel aus haben wir einen freien Blick aufs Meer.
Auf dem Fischmarkt von Hodeidah, 1997
Auf dem Weg zurück in die Berge sehen wir, dass die Regenmassen mehrere Dämme bei Bilad al Tam zerstört haben.
Djabal Raymah (6 Tage): Magraba, Wadi al-Mawrat, Bilad at-Tam; 1997
Nach unserer Rückkehr von Hodeidah, wo Christa sich zwei Tage erholt hat, müssen wir wieder neue Esel und Treiber finden. Da Abdullah sehr geizig ist, gibt es lange Auseinandersetzungen, während wir von Dorf zu Dorf fahren. Schließlich streikt unser Fahrer Ali und hält neben einem Gemäuer, das sich als die Schule von Magraba erweist. Dort können wir übernachten. Ein alter Jemenit mit lebhaft funkelnden Augen führt uns hinauf zur alten Moschee und zu drei großen Kuppelgräbern, die 750 Jahre alt sind, zu deren Renovierung er Hilfe aus Europa erwartet. Dafür übergibt er uns einen entsprechenden Brief. Am nächsten Morgen stehen tatsächlich drei neue Esel bereit. Dafür ist Ali krank und Abdullah betrunken.
Kuppelgräber bei Magraba, 1997
Gegen acht Uhr kommen die Schulkinder mit fünf Lehrern. Dann läuft ein militärisches Zeremoniell ab. Die Kinder stehen in Reihen, marschieren auf der Stelle, üben Kehrtwendungen, singen patriotische Lieder, einige Schüler rufen Parolen und deklamieren Losungen. Die gymnastischen und patriotischen Übungen enden mit einem Gebet an Allah für Schule, Vaterland und den Präsidenten Saleh.
Ein Klassenzimmer, das uns in der Nacht als Unterkunft gedient hat, 1997.
Unsere Wanderung mit den Eseln führt uns zu den Ruinen alter türkischer Festungen und schließlich zum Haus des Scheichs, das uneinnehmbar auf der Spitze eines hohen Felsens steht. Der Scheich erweist sich als ein wunderbares Beispiel der jemenitischen Gastfreundschaft. Wir werden zum Mittagessen eingeladen und beim Abschied mit Gewürzen, Kaffee und einem Strauß Tagetes beschenkt.
Die Terrassenlandschaft besteht aus breiten und sehr langen Feldern, ganz anders als im Djebel Bura. Die Berge sind hier sanft geschwungen und nicht so steil und zerklüftet.
Am Abend schlagen wir unsere Zelte hoch in den Bergen unterhalb einer Moschee auf. Bei Laternenlicht und unter großer Teilnahme der Dorfkinder von Ash Shaw`a kochen Christa und Helga ein Kartoffel-Möhrengericht mit Salat und Melonen.
Morgentoilette. Die Ziege (rechts) soll für uns geschlachtet werden. 1997
Am nächsten Morgen befinden wir uns in dichtem Nebel. Mehrere Stunden wandern wir durch die Wolken, während ein leichter Regen einsetzt. An unserem Ziel al Urr spannen wir eine Plane auf, stellen unsere Zelte auf und warten, bis unsere Eseltreiber ein Lamm zerlegt und gekocht haben. Viele Kinder haben sich ebenfalls unter die Plane gesetzt. Die kleinen Jungen kauen Qat und beobachten uns sehr genau. Die Mädchen drängen in unsere Zelte. Eines gibt uns zu verstehen, es habe Malaria. Helga träumt vom Meer und erklärt, sie möchte nicht mehr wandern.
Mädchen aus dem Djabal Bura und Raymah, 1997
Abdullah ist nicht mehr ansprechbar, er denkt nur noch an Qat. Regen setzt ein. Das Lammfleisch erweist sich als so zäh, dass wir es nicht zerbeißen können. Es bleibt für unsere Führer und Eseltreiber. Die Bewohner des nahe gelegenen Dorfes bringen uns frische Brotfladen und begrüßen uns immer wieder.
Da der Nebel auch am nächsten Tag nicht zerreißt und wir nichts von der Landschaft sehen, beschließen wir, die Bergwanderung um einen Tag zu verkürzen, um einen Erholungstag am Meer verbringen zu können. Die Esel werden wieder beladen, das überflüssige Wasser weggegossen und der lange Abstieg beginnt.
Unterwegs wieder Einladungen zu einem Tee und später zu einem Mittagsessen. Allmählich verlassen wir die Welt der mittelalterlichen Steinhäuser und Gipfeldörfer. Der Weg hinab ist etwas langweilig und wird nur angenehm von einer Karawane unterbrochen, die uns mit Gesang entgegen kommt. Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir al Khokha und beziehen ein Hotel direkt am Strand.
Die Frauen nehmen ihren Fischanteil in Empfang. Strand von al Khokha, 1997.
Die Spannungen zwischen unserem Fahrer Ali und unserem Führer Abdullah verschärfen sich. Ali widerspricht bei jeder Gelegenheit. Er hält Abdullah für nicht ganz richtig im Kopf. Nach einem Ruhetag fahren wir durch die Tihama an Bienenstöcken und an vielen Plantagen mit Papaya und Bananen vorbei zum Bergdorf Hajjarah. Dort konzentriert sich alles auf die Touristen. Nachmittags schon hat das Team des Funduks für eine große Gruppe Franzosen getanzt, abends wieder für eine große Gruppe Deutscher. Es ist erstaunlich, mit welcher Anteilnahme das Team musiziert, singt, tanzt und die Touristen bedient. Immer finden gespielte Hochzeiten statt, Tanzanimationen und Geschicklichkeitsspiele. Mir gefallen vor allem die Trommler.
In der Nacht setzt ein großes Regenunwetter ein. Am nächsten Tag sind wir wieder in Sana`a.
"Der Jemen ist ein Planet für sich", das denke ich rückblickend, ein fremde Welt, die sich mir nur scheinbar öffnet durch das Lachen und durch die Gastfreundlichkeit der Menschen. In den isolierten Dörfern im Fels wurden wir angestarrt wie Wesen von einem anderen Stern. Die Lebensweise der Bewohner, die Waffen- und Qat-Rituale dieser männlichen Gesellschaft, der Ausschluss der Frauen aus der öffentlichen Kommunikation, die Dominanz der islamischen Religion zeugen von einer anderen Welt.
Bei meiner zweiten Reise in diese abgeschiedene Bergwelt zeigen sich Ansätze einer möglichen Veränderung. Die neu gebauten Straßen und die verbreiteten Handys schaffen neue Kommunikationsstrukturen. Das Fremde wird vertrauter. Darunter leidet vielleicht die traditionelle Gastfreundschaft. Aber das konstitutive Element der Gesellschaft sind immer noch die gemeinsamen Stunden beim Qat-Kauen.
Dreschen in der Tihama
"Koran - Qat - Kalaschnikow", das sind die Begriffe, mit denen der Jemen oft charakterisiert wird. Es soll 50 Millionen Feuerwaffen im Jemen geben. Eine Magazinfüllung, 30 Patronen, kostet etwa 8,- €.
Im September 1997, ist ein Anschlag auf die amerikanische Botschaft verübt worden und sind zwei Touristen im Süden entführt worden, einige Monate später im Dezember, wir waren gerade wieder zu Hause, wurden 130 km von Sana`a drei Deutsche im Bergjemen (Raada) entführt.
Lustvolles, gemeinsames Schießen auf einen Felsen anlässlich einer Hochzeit
Habt Ihr nicht Angst, dass Ihr entführt werdet? fragen unsere Bekannten.
Seit Mitte der neunziger Jahre sind im Jemen mehr als 200 Ausländer entführt worden, die entweder im Land gearbeitet oder es als Urlauber bereist haben. Überwiegend standen die Entführungen im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen, die die Stämme mit der Zentralregierung in Sana`a austrugen.
Die Entführungen sind eine Folge davon, dass in mehreren Regionen lokale Stämme die Herrschaft ausüben, nicht aber die Zentralregierung. Versucht sich diese durchzusetzen, beispielsweise mit der Verhaftung von Mitgliedern der Stämme, die gegen nationales Recht verstoßen, setzen Stammesmitglieder die Regierung über Entführungen unter Druck. An viele Sehenswürdigkeiten können Urlauber daher nur mit jemenitischer Polizeibegleitung gelangen.
Wiederholt wurden deutsche Urlauber Opfer der Entführungen. Im Dezember 2005 wurde der frühere Staatssekretär im Auswärtigen Amt Jürgen Chrobog mit seiner Frau und drei Kindern verschleppt. Nach drei Tagen ließen die Entführer die Familie unversehrt frei. Im März 1997 dauerte die Verschleppung von vier deutschen Urlaubern 10 Tage.
Fordern die Entführer nicht die Freilassung verhafteter Stammesmitglieder, verlangen sie, dass der Staat seine Dienstleistungen an ihren Stamm erweitert. So hatten Stammesmitglieder bei mutmaßlich zwei Entführungen von Ausländern nahe einem Gasprojekt in der Provinz Shabwa bewirken wollen, dass mehr Angehörige ihres Stammes bei dem Vorhaben beschäftigt werden. In einem Fall waren zwei Kolumbianer entführt worden, in einem anderen wurde ein Franzose verschleppt. Im vergangenen März gab es auf dem Gelände einer Baufirma Zusammenstöße mit Waffengewalt zwischen Sicherheitskräften und Angehörigen des Stammes.
Bis auf wenige Ausnahmen kamen alle Entführten wieder frei. 1998 allerdings sind bei der Befreiungsaktion durch jemenitische Sicherheitskräfte in der Provinz Abyan, in der viele Entführungen stattfinden, vier der 16 Entführten getötet worden.
Die Regierung hat 2008 Sondergerichte für Entführungen eingeführt, und die Strafen für Entführungen erhöht. Diese können nun mit der Todesstrafe geahndet werden.
Steinbockrelief im Museum in Sana`a
16.1. Allah sprach zur Erde: "Erde, aus deinem Boden werde ich neue Menschenwesen erschaffen, von denen manche mir gehorchen werden, andere aber nicht. Wer mir gehorcht, der soll ins Paradies eingehen, wer mir aber nicht gehorcht, wird in die Hölle fahren."
20. Jibreel tränkte den dreifarbigen Erdklumpen im köstlichen Quellwasser des Ain Tasneem, knetete ihn und ließ ihn vierzig Jahre liegen, bis er stank und zu weichem Lehm geworden war, und aus dem weichen Lehm formte Allah die Gestalt des Menschen nach seinem eigenen Bilde und mit seinen eigenen Händen.
23. Allah ließ die Menschengestalt vierzig Jahre trocknen und hart werden und stellte sie weitere vierzig Jahre an den Weg, den die Engel auf ihren Reisen zwischen Himmel und Erde benutzen.
19.1. Allah schuf die Seele des Menschen aus seinem eigenen Atem viertausend Jahre vor Adam.
9. Die Seele brauchte noch weitere fünfhundert Jahre, um jeden Körperteil der Gestalt zu erreichen, und aus der Gestalt wurde ein lebendiger Körper mit Fleisch und Knochen, Blut, Adern und Muskeln. (Ausschnitte aus der 16. und 19. Sure)
Sabäische Figuren (Alabaster, Holz und Bronze) aus vorislamischer Zeit
im Museum in Sana`a
Die jemenitische Regierung kontrolliert nicht das ganze Land. So kam es auch mehrfach zu Sprengstoffanschlägen. Mitglieder von Al Qaida stehen unter dem Schutz einiger auf Unabhängigkeit von der Zentralgewalt pochender Stämme und auch von radikalen Geistlichen. Zudem sollen Teile des staatlichen Sicherheitsapparats mit den Dschihadisten sympathisieren.
Im Juli 2007 fuhr bei Marib ein mit Sprengstoff beladener Wagen in einen Bus von Urlaubern und tötete acht Spanier und zwei Jemeniten. Im September wurden bei einem Anschlag auf die amerikanische Botschaft in Sana`a 16 Personen getötet, im September 2006 gab es einen Doppelanschlag auf Ölanlagen.
Im Oktober 2000 hatte Al Qaida ihren ersten spektakulären Anschlag verübt. Dessen Ziel war das amerikanische Kriegsschiff „USS Cole“, das im Hafen von Aden lag. 17 amerikanische Marinesoldaten wurden getötet. Tags darauf wurde auch die britische Botschaft Ziel eines Bombenanschlags, bei dem allerdings niemand verletzt wurde.
Zwei Jahre später wurden beim Angriff auf den französischen Tanker Limbourg ein Bulgare getötet und 12 Personen verwundet. Ein muslimischer Extremist erschoss Ende Dezember 2003 in einem Krankenhaus der Baptisten drei Amerikaner und verwundete einen vierten. Ein anderer Jemenit erschoss im März 2003 im Vorfeld des Irak-Krieges einen amerikanischen und einen kanadischen Angestellten einer ausländischen Ölfirma in der Provinz Marib und beging anschließend Selbstmord. Beiden Tätern werden Verbindungen zu Al Qaida zugeschrieben.
Diese farbige Agame
"Acanthocercus adramitanus" bzw. "Laudakia adramitana",
die im Jemen relativ häufig zu sehen ist,
wird mit fünf lat. Synonymen bezeichnet.
Der jemenitische Name ist Hawani
und der arabische Sehliyyeh
Sehr unterschiedliche Moden im modernen Jemen?
"Jemen ist ein Planet für sich"
Unsere reichen Nachbarn sehen auf uns herab, wegen der extremen Armut und der großen Bevölkerung. Im Jemen zählen wir 25 Millionen Menschen, mehr als der ganze Golf zusammen. 2030 werden 60 Millionen erwartet.
Der Jemen ist also kein typisches Beispiel für die Länder der Golf-Region?
Absolut nicht. Der Jemen ist ein Planet für sich. Es gibt frappierende ökonomische Unterschiede und Sie dürfen nicht vergessen, dass wir eine Republik sind und relativ faire Wahlen haben im Vergleich zu allen Königtümern und Staaten um uns herum.
Wir sind eine Quelle der Bedrohung, was Demokratie und politische Rechte der Frauen betrifft, weil wir ihnen um Kilometer voraus sind.
(Qantara.de - nach Nadia A. Al-Sakkaf, Chefredakteurin der englischsprachigen und unabhängigen Tageszeitung Yemen Times, die seit 1990 existiert.)
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Sana`a mit dem Blick eines Malers und eines Fotografen
Zusätzliche Informationen:
QANTARA.DE - Dialog mit der islamischen Welt
Ein Internetportal von Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), Deutsche Welle (DW),
Goethe-Institut (GI) und Institut für Auslandsbeziehungen (ifa)
www.yemeninfo.gov.ye (s. Wortlaut der Verfassung)
http://www.derjemen.de/index2.php ( eine ausgezeichnete Homepage zum Jemen)