2. Kapitel
Drogen, Frauen und Parteien
Blick vom Hotel auf den Strand:
im Vordergrund Fischerhütten und im Hintergrund Ölraffinerien
Das Flugzeug bringt uns in die Stadt Aden, die nach Aussage eines Jemeniten die Fortschrittlichkeit repräsentiert hat, als sie noch kommunistisch war. Dem Südjemen gelang es, die Islamisten erfolgreich zurückzudrängen, aber wegen des Niedergangs der Sowjetunion und wegen der Unterstützung der Opposition durch die USA und den Nordjemen konnte er sich nicht halten.
Mo 22.11.
(Temperaturen in Aden: mittags 34,5°, abends 32,2° trotz schwacher Bewölkung, im Zimmer 23,5° trotz AC)
Als ich am Morgen in unserem Hotel in Little Aden erwache, meine Füße auf den Boden stelle und das kühle Wasser zwischen den Zehen spüre, weiß ich, heute ist ein Badetag eingeplant. Wir fahren mit einem Boot hinaus zu einer einsamen Bucht, um zu baden. Die Überschwemmung in meinem Zimmer rührt von einem Rohr, das Wasser aus der Klimaanlage auf meinen Minibalkon entleert.
Nach 30 Minuten Fahrt haben wir eine einsame, schattenlose Bucht erreicht, in der neben einem Zelt nur vier Hunde umherstreunen. Das saubere und kühle Wasser eignet sich vorzüglich zum Schwimmen und die Sonne ist so angenehm, dass ich mir einen starken Sonnenbrand hole. Die Rückfahrt wird zu einem Abenteuer. Zunehmender Wind und hohe Wellen machen uns zu schaffen. Kreischend reagieren die Frauen, wenn Wellen trotz des ausgezeichneten Steuermanns von oben ins Boot schlagen. Bald habe ich keinen trockenen Faden mehr am Körper. Meine Sandalen schwimmen wie in einer Badewanne auf dem Boden hin und her. Die Rucksäcke stehen halb im Wasser. Hoffentlich nimmt der Fotoapparat keinen Schaden. Eine Welle kommt, das Boot fällt ins Wellental. Die Frauen schreien vor Entsetzen. Vor Vergnügen?
Einsamer Badestrand bei Little Aden
Die Besichtigung von Aden am Spätnachmittag zeigt eine hässliche Stadt: Plattenbauten aus der sozialistischen Zeit, viele Neubauten, viele Baracken. Ein großer Supermarkt zeigt, dass Aden begonnen hat, westliche Wirtschaftsformen zu übernehmen. Die Touristen allerdings suchen lieber die romantischen Souks auf, die manchmal noch ans Mittelalter erinnern. Der Reiz der kleinen Basare wirkt sich auch auf unsere Reisegruppe aus. Tücher, Nüsse, Rosinen, Schmuck, immer wieder Schmuck. Ich erlebe den ersten Einkaufsrausch unserer Gruppe. Mit Hilfe von Shukri suche ich jemenitische Musik; schließlich finden wir ein Geschäft, das CDs verkauft. Hier zeigt sich die Widersprüchlichkeit der jemenitisches Gesellschaft. Die VCDs enthalten Clips im Stile westlicher Musiksender mit betont erotischem Ausdruck und in sexuell freizügiger Darstellung. Gegenwelten aus ägyptischen und syrischen Filmserien und Werbespots.
Das Alkoholverbot und die Ersatzdroge Qat
In Medina und Mekka entstand schon im 8. Jh eine Dichtkunst, die die Liebe sehr direkt verherrlichte und das Weintrinken pries. Heute kann man im Jemen keinen Alkohol mehr bekommen, der steht ihnen nach dem Koran erst im Paradies zu. Als ich 1993 kurz nach der Vereinigung im Jemen war, konnte man bei Aden noch überall Bier bekommen. Im nördlichen Jemen, in Saada, konnte man von Juden, die nicht dem Alkoholverbot des Koran unterlagen, auch selbst gebrannten, hochprozentigen Alkohol bekommen. Die Bierbrauerei in Aden wurde erst im späteren Bürgerkrieg zerstört.
O ihr, die ihr glaubt, siehe, der Wein, das Spiel, die Opfersteine und die Pfeile (fürs Losen und fürs Orakel) sind ein Gräuel von Satans Werk. Meidet sie; vielleicht ergeht es euch wohl. Der Satan will nur zwischen euch Feindschaft und Hass werfen durch Wein und Spiel und euch abwenden von dem Gedanken an Allah und dem Gebet. (Sure 5 V.92,93)
Die Schätzung von Rauschmitteln lässt sich aus Gedichten ablesen.
Qat:
ich diene vornehm dem Genuss,
wohn Edlen und auch Fürsten bei.
Die Jungfer blickt mit süßer Lust
Mich an, und Jünglinge, wer es auch sei
Berühren meine Blätter zart
Ein jeglicher nach seiner Art......
Da sagte ich:
Ich schätz euch beide hoch.…
Doch wünsch ich obendrein
Mir auch den Traubenwein
und muntre Freundesrunde!
Und den, des Herzenswunde
Ihn schmerzt, mach ich gesunde.
Die Droge Qat ist das ökonomisch und sozial wichtigste Produkt des Jemen. Auf 20% der landwirtschaftlichen Fläche wird er angebaut und ist die wichtigste Einnahmequelle der Bauern. Aber es ist auch eine Katastrophe, da früher ab 14 Uhr zum Beginn der Qatzeit das gesamte wirtschaftliche Leben zum Erliegen kam. Deshalb hat der Staatspräsident für Militärs, Polizisten und Beamte das Qatkauen im Dienst verboten und die Arbeitszeit um 2 Stunden verlängert. Es ist ebenfalls eine Katastrophe, weil das Kauen ein teures Laster ist. Etwa 25-40% des Einkommens wird dafür verwendet. Ein Bündel Qat kostete 2000 zwischen 200 und 2000 Rial.
Glücklich, weil er sein Qatbündel in den Armen hält.
Qat
Kefalek ? Kefalek ? Al hamdulilllah
Wie geht es ? wie geht es ? wunderbar
Ein Pfund Bohnen, Hirse und Reis
vor allem noch Mehl,
meine Frau und die Kinder,
sie sollen nicht hungern.
sabah alchair - guten Tag
sabah annur - dir auch
Nelken, Paprika, Zimt
tjai jemenia - jemenitischer Tee, 1 kg
sabah alchair
O je, noch das Qat, ein großes Bündel
500 Rial
Allah soll dich strafen
450
musch muschkila- kein Problem
440
keinen Reis, keine Hirse
kein Mehl für die Fladen
Qat
sabah alchair
Guten Tag
(hg n. 22.2.97)
Gute Qat-Sorten wachsen in Höhen, in denen die Kaffeepflanze nur schlecht wächst wie bei Manakha in 2500 m Höhe. Junge Triebe und Blätter werden täglich geerntet und auf speziellen Qat-Märkten, die in jeder Siedlung zu finden sind, als Genussmittel verkauft. Im 13.Jh. wurde Qat (catha edulis) von Äthiopien aus eingeführt und zu einem festen Bestandteil der Alltagskultur. Keine Hochzeit, keine Feier, kein Wahlkampf ohne Qat. Der Qatkonsum der Frauen bei geselligen Zusammenkünften hat zugenommen. Die vom Ehemann zugeteilte Qatmenge betont den Status des Gatten, den die Frau repräsentiert. Shukri erzählt, dass Lastwagen voll Qat bei einer Hochzeit herbei geschafft werden. Die leicht bitteren Triebe der Pflanze wirken ähnlich wie Marihuana. Nach einigen Mundvoll stellen sich Entspannung, Redelust und dann Erregtheit ein. „Wenn ich Qat kaue, dann bin ich glücklich,“ bedeuten uns immer wieder lächelnd die Männer und bieten uns Blätter zum Probieren an. Qat wird ebenfalls in Somaliland als Tschat und in Kenia als Miraa gekaut.
Unterschiedliche Qat-Backen bei Vater und Sohn
Die Unterdrückung der Frau in der islamischen Gesellschaft
Als es dunkler wird, tauchen immer mehr Frauen in den Straßen auf. Schwarze Gestalten. Nur die Augen leuchten im Sehschlitz manchmal neugierig auf. Shukri meint, das sei doch sehr erotisch. Noch mehr weibliche Haut ist wohl kaum zu ertragen. Nach der gängigen Koraninterpretation ist eine „Entblößung“ moralisch verwerflich. P, eine 43 jährige Frau, sagt dazu: „Die Verhüllung hat die Männer geil gemacht auf Frauen, auf Sex, auf Frauenfüße, auf Frauenhände, sogar auf Frauenohren.“
Das Abendessen nehmen wir islamisch nach Geschlechtern getrennt ein. Die Frauen gehen in den Esssaal für Frauen. In anderen Städten gehen üblicherweise nur die Männer zum Essen in Restaurants. Geschlechtertrennung gibt es nicht nur in den Restaurants, sondern auch in der Arbeitswelt und in den staatlichen Schulen. Warum diese rigorose Trennung der Geschlechter in islamischen Gesellschaften? Wer muss geschützt werden?
Wer ist gefährlich? Es sieht so aus, als ob die Männer ihre Frauen vorrangig als gefährdetes Eigentum betrachten, was man wegschließen muss. Natürlich berufen sie sich dabei auf Äußerungen ihres Propheten Mohammed.
„Vor der Vereinigung der beiden jemenitischen Staaten hat hier in Aden außer den Alten kaum eine Frau ein Kopftuch getragen, ganz anders als in Sanaa“, sagt uns ein Jemenit. Ein anderer meint, „Das Tragen der Kopftücher und der schwarzen Umhänge ist eine arabische Mode, die sich im Laufe der Jahre immer weiter ausgebreitet hat.“ Berichte in deutschen Zeitungen sprechen eine andere Sprache.
Als z.B. eine Richterin aus Aden nach Sanaa umzog, um dort zu arbeiten, kam es zu Protesten vor dem Gerichtssaal. „Wir wollen keine Frau als Richter“, rief man ihr entgegen und hinderte sie am Einlass. Nun arbeitet sie in einer Abteilung des Justizministeriums. Es sei sehr schwierig, eine Gesellschaft von Stämmen und Scheichs zu ändern, sagt sie.
Das Gedicht „Schrei an die Schlafenden“, das Diwan al-Zubayri 1945 als Aufruf zur politischen Befreiung schrieb, könnte jetzt als Aufruf an die jemenitischen Frauen zur Befreiung von der Männerherrschaft gelesen werden. Im zweiten Teil heißt es (aus „Jemen, Zeitgenössische Dichtung“ von Abd al-Aziz al-Maqalih, 1988)
Grausamen und Unbarmherz`gen unterwerft ihr euch.
Sitte kennen sie nicht, Gesetz nicht und Recht.
...weder Geduld noch Unterwerfung haben euch genutzt:
die Lust zur Unterdrückung verlässt den hungrigen Wolf nicht
solange er weiß, dass ihr Schafe seid! Drum lasst ihn endlich fühlen,
dass er die Dunkelheit ist.
Bewegt euch, damit er merkt,
dass ihr keine Toten seid!
Lasst ihn spüren, dass ihr Götter seid!
Die ganze Menschheit hat sich zum Fliegen erhoben,
doch ihr habt weder Flügel noch Füße,
um beim Wettlauf mitzuhalten:
wenn ihr nicht zum Himmel fliegen wollt,
dann bleibt euch nur,
mit Schaf und Strauß zu laufen!
Unsere Begleiter
Unsere sympathischen Fahrer zeigen typisch jemenitische Eigenschaften, die ich auch bei meinen früheren Reisen durch den Jemen erlebt habe. Ihre Menschlichkeit zeigt sich darin, dass sie sich um die Gäste bemühen, sich gefühlsmäßig engagieren, den Fahrgästen auch imponieren wollen und zeigen, wenn es ihnen nicht gut geht. Ihr Selbstbewusstsein und ihr Freiheitswille zeigt sich darin, dass sie nicht ohne weiteres bereit sind, eigene Bedürfnisse zurückzustecken und auf Touristen Rücksicht zu nehmen. Sie kauen auch bei der Fahrt Qat und rauchen Zigaretten und hören ihre Musikkassetten mit schmalzigen Liebesliedern. Oft erinnerten sie mich an Kinder, die Zuwendung und Beachtung wünschen.
O du, die du zum Brunnen hinab gehst.
Mein Herz fliegt zu dir.
Deine Kleider sind aus reiner Seide,
deine Augen wie die einer Gazelle.
Du bist wie der Vogel am frühen Morgen,
Der die schlafenden Augen erweckt.
Wenn ich dir etwas wert bin,
Gebe ich deinem Vater 100 als Brautpreis.
Wenn die Taube gurrt.
Früh. Wenn der Tag anbricht,
Dann erzählt sie von mir,
Dass ich eine Jemenitin liebe.
Mein Herz möchte trinken
Aus einer reinen Quelle,
Nur von der Hand meiner Geliebten
Kann der Durst in mir gestillt werden.
(Ein taghazzul, typisches Liebeslied v. Ahmad al-Jabiri, Aden)
Nach solchen Liedern sind die Fahrer süchtig. Immer wieder legen sie die Kassetten ein und singen die Texte mit sehnsüchtiger Stimme und wehmütigem Gesichtsausdruck mit.
Der häufige körperliche Kontakt von Männern in der Öffentlichkeit, die Hand in Hand durch die Gassen gehen, sich häufig umarmen und die Hände küssen, weist sicherlich auch auf eine Kompensation von sexuellen Bedürfnissen hin. Jemenitische Frauen sind in der Öffentlichkeit tabu. Nur Touristinnen darf man berühren.
Shukri, unser Guide, ist ein ernster, eifriger und angenehmer Führer. Er ist ein überzeugter sunnitischer Moslem, der uns sowohl in den Islam als auch in die jemenitische Geschichte einzuführen weiß. Die deutsche Sprache hat er wie viele Jemeniten auf Grund sozialistischer Bruderschaft zwischen dem Jemen und der DDR in Deutschland erlernt. Im Jemen wurde auch seine Familie vom kommunistischen Programm der Regierung betroffen, als das Geschäft seines Vaters enteignet wurde und er als Kind mit der Familie über die Grenze in den Norden wechselte.
Das Pferd springt für die Regierungspartei auf einem Markt bei Turbah
Exkurs:
Die Parteien
Bei den letzten Parlamentswahlen am 27.4.1997, die von der JSP boykottiert wurde, erreichte die AVK, die Partei des regierenden Präsidenten Ali Abdallah Saleh, die absolute Mehrheit, (187 der insgesamt 301 Parlamentssitze) während die Islah nur 53 Sitze erhielt. Präsident Saleh konnte nun die neue Regierung ohne Beteiligung der Reformpartei bilden.
- AVK (Allgemeiner Volkskongress)
Sie ist die Partei des Präsidenten Ali Abdallah Saleh, die noch vor der Vereinigung als einzige politische Organisation zugelassen war. STIFTL sieht Saleh und seine Partei als den wichtigsten Bestandteil eines patrimonialen Herrschaftssystems. ,,Die patrimonialen Herrschaftsinstrumente - personale und informale Beziehungsgeflechte, Pfründenvergabe, Kooptation, Spaltung und ggf. gewaltsame Unterdrückung oppositioneller Gruppen - sind größtenteils identisch mit den Hemmnissen für die Schaffung eines modernen effektiven Staates." (STIFTL 1997, S.15) So steht auch auf der offiziellen Agenda aller politischen Parteien die Einführung von institutionellen Instrumenten und Satzungen, die personale Beziehungen und informelle Abläufe einschränken sollen. In der religiösen Sprache ist dies die Forderung nach der Anwendung der Scharia, des islamischen Rechts. Ein solches Herrschaftssystem schränkt den Präsidenten auch ein. So ist sich Saleh bewusst, dass er keine Politik gegen die Stämme und ihre Interessen führen kann, da sie erstens in der innerjemenitischen Politik eine große Bedeutung haben und er zweitens dem Führer des Stammes der Haschid, Abdallah al-Ahmar, durch die Zugehörigkeit zum gleichen Stamm eng verbunden ist. Andererseits hat die AVK versucht, den Islamisten durch eine Verstärkung der Rolle des zaiditischen Islams zu begegnen. Darauf lässt die Berufung (1997) von Qadi al-Shami, von der Hizb al-Haqq, zum Minister für religiöse Angelegenheiten schliessen. ,,Al-Shami gilt als strenger Verfechter der zaiditischen Lehre und als konsequenter Gegner der Islamisten, die überwiegend sunnitische, wenn nicht die wahhabitische Richtung vertreten" .(KOSZINOWSKI, S.151)
- JSP (Jemenitische Sozialistische Partei)
Die JSP ist die Partei, die nach der Vereinigung die sozialistischen Kräfte aus dem Süden vertrat. Sie spielt eigentlich keine Rolle mehr, denn das Ergebnis des Bürgerkrieges war zwar die Sicherung der Einheit, aber bedeutete auch das Ausscheiden der JSP als bestimmenden Machtfaktor, was kaum zu überschätzen ist. ,,Mit der JSP schieden gerade die Elemente aus der Politik aus, die konsequent für eine Modernisierung von Staat und Gesellschaft eintraten." (KOSZINOWSKI, S.147) Der damalige JSP-Generalsekretär Ali Salim al-Bid machte sich zum Sprecher der Bevölkerung des Südjemen, für die die Einheit spürbare Nachteile, wie z.B. die Explosion der Lebenshaltungskosten oder auch die Aufhebung der Errungenschaften in der Rechtsprechung und der gesellschaftlichen Stellung der Frau, gebracht hatte.
Nach Rückfragen zu meiner Darstellung der politischen Situation im Jemen füge ich noch Textstellen aus anderen Publikationen ein.
Der Bochumer Journalist Thomas Ludwig beschreibt sehr anschaulich die Situation im Internet unter jemenjahrb11_2. (In Einheit entzweit? Der Jemen im Jahr sieben nach der Vereinigung, Republik Jemen vom 11. 7. bis 11. 10. 1996)
Denn dass die Sozialisten eine andere Politik machen würden als Volkskongreß und Islah, steht für die im Raum Anwesenden außer Frage: gerecht müsse Politik sein, den Menschen das Notwendige zum Leben bieten, zudem Sicherheit und die Einhaltung von Menschenrechten garantieren. All das böte die Politik der derzeitigen Regierung nicht. „Wenn du nicht in der richtigen Partei bist, hast du keine Chance“, ärgert sich ein Mann mittleren Alters, der seinen Namen nicht nennen möchte. Er selbst habe Geschichte studiert und vor der Einheit in einem Ministerium gearbeitet. „Es gibt hier Tausende mit guten Zeugnissen und Ausbildungen. Weil sie Sozialisten waren oder noch sind, sitzen sie auf der Straße.“ Kassem Ahmed Shalah stellt verdrossen die Frage, warum sich alle Macht in Sana’a konzentriere. „Und warum muß der Polizeichef von Al-Thali aus dem Norden stammen?“
Die Liste der Kritik wird länger und länger: Viele Männer hätten sich bereichert, es würden ohne Erlaubnis Häuser errichtet. Die Menschen mißachteten das Verbot der Regierung, auf landwirtschaftlichen Flächen zu bauen. Investitionen flössen zur Hälfte in private Taschen. Das Militär mische sich in zivile Angelegenheiten, Menschen würden unter fadenscheinigen Begründungen festgenommen und längere Zeit festgehalten. Verletzungen von Menschenrechten? Natürlich gebe es die. „Beispiel: Ein Mann heiratete eine Frau, die afrikanischen Ursprungs ist. Weil die Familie damit nicht einverstanden war und sich in ihrem Stolz gekränkt fühlte, hat der Bruder des Mannes die Polizei eingeschaltet. Diese nahm den Frischvermählten fest und hielt ihn so lange in Gewahrsam, bis er der Scheidung zugestimmt hat.“ Die Qat-Runde ist sich einig: Seit der Einheit seien Stammessitten stärker als die Gesetze.
- VVK (Vereinigung der jemenitischen Volkskräfte)
Sie befindet sich an den Rändern des islamistischen Spektrums und verfolgt ein verhältnismäßig klares politisches Projekt. Sie ist eine von Intellektuellen geprägte Partei. Sie versteht sich als Fortsetzung der Bewegung der Modernisten und ähnelt in vielem dem islamischen Reformismus (Salafiya). Es besteht eine Tendenz, aus dem Westen stammende Institutionen, Begriffe und Rechtsstandards lediglich islamisch zu begründen.
- Hizb al-Haqq
Sie ist vor allen Dingen von zaiditischen Rechtsgelehrten geprägt, hat also auch einen deutlich traditionelleren Charakter als die VVK. Sie richtet sich nicht nur gegen die patrimonialen Praktiken der Exekutive, sondern auch gegen das in vielen Punkten der Scharia widersprechende Stammesrecht. Sie leistete Oppositionsarbeit und unterhielt bis 1994 bündnisähnliche Beziehungen zur JSP. "In the period from 1990 to 1994, however, al-Haqq worked quite readily with members of the YSP (JSP), who defined themselves as forces of progress and modernity..." (DRESCH, S.412) Dies vielleicht auch deshalb, da sie über keine eigenen Machtmittel verfügt und auf einen starken Verbündeten angewiesen war und ist. Außerdem ,,... steht die zaiditische Gemeinschaft unter dem Druck propagandistischer (gelegentlich auch gewaltsamer) Angriffe von seiten anderer islamistischer, speziell wahhabitischer Gruppen. Diese sind über die Islah- Partei mit der Staatsmacht verbunden und betrachten die Schiiten wie die Sozialisten gleichermaßen als ihre Hauptgegner." (STIFTL 1997, S.16)
- Islah (Jemenitische Sammlung für Reform)
Sie ist wohl die wichtigste Organisation der islamistischen Szene. Es handelt sich hier eigentlich um eine Sammlungsbewegung, um ein Bündnis aus Stämmen, Elementen des Bürgertums und islamistischen Gruppen. Die Stämme, ein dominierendes Element der jemenitischen Gesellschaft, traditionell auf Unabhängigkeit von der Zentralregierung bedacht, sahen in der Partei die Möglichkeit ihre politische Unabhängigkeit von der Regierung zu stärken. Der Vorsitzende der Partei ist der Oberscheich der Haschid- Föderation, Abdallah al-Ahmar, der seit 1993 auch Sprecher des Parlaments ist. Sie sind eigentlich keine speziell jemenitische Bewegung, sondern vielmehr die jemenitischen Vertreter islamistischer Strömungen und Organisationen, die in vielen islamischen Ländern anzutreffen sind. Dazu gehören die Muslimbruderschaft, die gihad- Organisation, von denen manche Vertreter einen Übergangsbereich zu den sogenannten ,,Afghanen" bilden. Bei den Afghanen handelt es sich um Jemeniten, die als Söldner in Afghanistan gekämpft haben. Als nach dem Bürgerkrieg die JSP aus der Politik ausschied, kam dies in erster Linie den Islamisten zugute, die sich nun noch ungehemmter entfalten und ihre islamistische Ideologie, vor allem im Südjemen, ungehindert propagieren konnten. Sie gingen im Süden gegen den dort verbreiteten Heiligenkult vor, indem sie die Gräber von lokal verehrten Heiligen zerstörten. Aber ,,To call Islah a fundamentalist group was never accurate. More to the point was that Islamists who favored direct action were both found inside and outside Islah." (DRESCH, S.426)
Die zaiditischen Interessenvertreter, die Hizb al-Haqq, sehen diese Entwicklung mit Sorge, da die anti-schiitische Einstellung eine Bedrohung für die `ulama ist. Denn schon Kindern wird in der ma′ahid beigebracht, dass ihre Vorfahren als Ungläubige erzogen wurden (kuffar), und dass die Heirat ihrer Eltern und der freitägliche Besuch der Gräber der Verwandten Häresie ist (bid′a). ,,The Hizb al-Haqq considers its main enemy to be the wahhabiyya, which al-Haqq describes as imperialism in an ,,islamic guise." It is ,,an irrational and uncompromising version of our religion", and its ,,intellectual advances" into
Zum Verhältnis der politischen Parteien zur Regierung noch folgender Auszug:
aus ami 32. Jg., Heft 2, Februar '02, (Jemen. Eine Hand wäscht die andere), s. Internet
Die einzige ernst zu nehmende Herausforderung für Salih stellt daher die 1990 gegründete islamische Reformpartei Islah dar. Dies hat auch noch einmal die Kommunalwahl im März 2001 bestätigt, wo die Islah Partei 78 der 401 Wahlbezirke gewinnen konnte (der AVK gewann 277, die JSP nur 16).
Ihrem Anführer und Gründer Scheich Hussein al- Ahmar ist es gelungen, die Islah-Partei zu einem immer erfolgreicheren Sammlungsbecken radikal-islamischer Bewegungen und konservativer lokaler "Stammesfürsten" zu machen. Die Partei versucht vor allem die Autonomie der "Stammesfürsten" zu schützen und sich als Wächter des Islams zu präsentieren.
Alle Versuche des Präsidenten, die Islah-Partei politisch zu schwächen, sind bislang fehlgeschlagen. Salih hatte einen Konsultativen Rat der Ältesten (Majlis-Shura) eingerichtet (dessen 111 Mitglieder er selber ernennt), um die lokalen Machthaber des nördlichen Hinterlandes in seinen Einflussbereich zu ziehen. Aber er konnte ihnen angesichts der desolaten Wirtschaftslage nichts als Gegenleistung für ihre Gefolgschaft anbieten und auch nicht seine Undankbarkeit nach dem Sieg im Bürgerkrieg vergessen machen.
Nach Auffassung der "Stammesfürsten" waren sie es, die Präsident Salih während des Bürgerkrieges zum Sieg verhalfen und durch Schwächung der JSP seine Wiederwahl gewährleisteten. Tatsächlich konnte vor allem dank der "Afghanistan-Veteranen" unter Führung des ehemaligen Sultans Tarik al-Fadhli die nordjemenitische Armee die modernen südjemenitischen Einheiten schlagen. In den 80ern wurden in Saudi-Arabien viele Exilanten aus dem Südjemen und Stammesangehörige aus dem Norden angeworben. Anfang der 90er Jahre kehrten diese mit weiteren arabischen Gotteskriegern nach Jemen zurück, was zu einer Militarisierung und Islamisierung der Stammesverbände führte.
Danach mussten die "Stammesfürsten" und Veteranen erkennen, dass ihnen von Salih aufgrund ihrer militärischen Eigenständigkeit in den Stammesgebieten statt einer politischen und ökonomischen Belohnung Misstrauen entgegengebracht wurde. Bald begann die Regierung mit der Deportation der nicht-jemenitischen "afghanischen Araber". Dazu der damalige Innenminister Alimi: "Wir unterscheiden - und wir müssen unterscheiden- zwischen denjenigen, die gegen den Kommunismus gekämpft haben, auch aus religiöser Motivation, und denjenigen, die im Kreislauf des Terrorismus weiterkämpften."
Alhamdulillah - "Lob Gottes" in Form und Inhalt.