3. Kapitel
Mit Kamelen im Djibal al-Khadra
Abseits der üblichen Touristenpfade
Rast auf dem Plateau von at-Turbah
Die 23.11.
Wir starten mit Jeeps, Zeltausrüstung und Nahrungsmitteln über eine neue, breite Ausfallstraße durch ein neues Stadtviertel im Westen Adens vorbei an grünen Oasentälern und Bienenständen von Wanderimkern in Richtung des Plateaus von at-Turbah. Nachdem wir in ein Wadi zwischen schroffen Felswänden eingebogen sind, werden wir von einem Polizeiwagen mit elf Polizisten begleitet. An den Rändern des trockenen Flusstals, nur wenige Meter höher, stehen Steinhäuser oder kleben in Felsspalten. Keine Feldterrassen. Wovon leben die Menschen hier? In der Nähe der Häuser stehen Brunnen, auf denen die Symbole verschiedener Parteien aufgemalt sind. Man gewinnt den Eindruck, dass der Jemen ein Vielparteienstaat ist. Im Gegensatz zu Sanaa und Aden, wo man überall das springende Pferd der Regierungspartei sieht, sehen wir hier Bilder der Sonne, des Halbmondes und der Waage.
Am Ende des Wadis steigt der Weg in engen Kehren von 1000 auf 2200 m Höhe. Von hier haben wir einen wunderbaren Rundblick auf burgähnliche Siedlungen auf den schmalen Felsgraten und in Felshöhlungen tief unter uns. Das ist ein idealer Picknickplatz. Uns gegenüber liegt in der Ferne auf dem Felsplateau von al-Qalah die ehemals türkische Festung Mataqira. Dann geht es wieder vom Ort Tembla hinunter auf 600 m und durch einen schmalen Hohlweg 400 m hinauf zum Haus des Adil, in dem wir übernachten werden. Es ist ein archaisches Haus, das dem Schwager des Scheichs des Stammes der Duba gehört, der im Emirat Dubai sein Geld verdient.
Im Dorf sieht man neben den Hühnern und Ziegen vorwiegend Kinder, ein typisches Bild der Bevölkerungsstruktur die Hälfte der 18 Mill. Jemeniten ist jünger als 15 Jahre jährlich suchen 400000 einen Arbeitsplatz die Arbeitslosenrate liegt bei 25% (FAZ, 13.3.00). Der Eingang des Hauses gleicht einer Festung. Der Treppenaufgang im Innern des Hauses ist so breit und flach, dass auch Tiere auf das Dach gelangen können, ganz anders als die engen und steilen Wendeltreppen in der Altstadt von Sanaa. Die hygienischen Einrichtungen und die Räume sind spartanisch. Die weite Welt kommt allerdings nicht nur in Form von Touristen in diese Einöde, sondern auch über einen kleinen Fernsehapparat, der auf einer Kiste im Treppenhaus steht. Die meisten Gruppenmitglieder entscheiden sich, auf der Dachterrasse unter freiem Himmel zu schlafen, obwohl es nach Regen aussieht.
In der Nacht zeigt sich, wie vorteilhaft es ist, zwei fürsorgliche Ärzte in der Reisegruppe zu haben. Eine Mitreisende hat einen Kolikanfall und wird noch in der Nacht zu einem Arzt gebracht. Später hören wir mehrfach von Todes- und Krankheitsfällen bei europäischen Touristen, die das Klima und ihren Kreislauf nicht richtig eingeschätzt haben.
Um 7 Uhr werden die Kamele mit unserem Gepäck, den Zelten und den Nahrungsmitteln beladen und wir starten zum Höhepunkt unserer Reise. Jedes Kamel hat seinen einheimischen Begleiter, der es an einem Nasenstrick führt. Drei Kamele sollen uns als Reittiere dienen. Wie mögen sich die Kamele auf den steilen, felsigen Pfaden im Gebirge verhalten? Mir war noch nie in den Sinn gekommen, dass sich Kamele mit ihren langen, staksigen Beinen und den weichen Hufen als Last- und Reittier im Fels eignen würden. Maultiere und Esel als Lasttiere bei Wanderungen hatte ich ja schon bei meiner Reise im Jahr 1997 kennen gelernt. Das Reiten auf einem Kamel ist etwas gewöhnungsbedürftig und meistens reicht mir eine Stunde. Zweimal streikt mein Kamel bei Auf- und Abstiegen, geht auf die Knie und legt sich einfach hin. Um den Kamelen das Gehen zu erleichtern, werden sie in Schlangenlinien geführt.
Zunächst geht der Weg über große, breite Lehmterrassen mit abgeernteten Feldern.
Dann wandern wir zwischen blühenden Kakteen, auf deren gelben Blüten Hornissen und Bienen sitzen, über eine relativ flache Hochebene in 850 m Höhe. Der Blick vom Kamelrücken ist um vieles besser als der Blick vor die Füße beim Gehen. Eine Bäuerin meint, wir wären aus China, weil die Chinesen ihre Camps im Gebirge hatten, als sie im Jemen Straßen bauten.
Zum Mittagessen unter einem Baum mitten auf einem abgeernteten Hirsefeld gibt es Brot, Fladen, Zwiebeln, Tomaten, Gurken und Bananen mit Tee und Wasser.
Wir erkundigen uns, welche speziellen landwirtschaftlichen Produkte es gibt:
Weihrauch: zur Römerzeit kostete 1 Tonne etwa 70 000 $, heute unter 200$
Kaffee: aus der Frucht des Kaffeebaumes wurden zwei unterschiedliche Getränke hergestellt: „bum“ aus der Bohne, „qishr“ aus der Schale, im 16. Jh. Hauptexportartikel, kräftiger, schokoladenartiger Geschmack
Bezoar: im Magen von Säugetieren, Ziegen, Antilopen, entstehen steinartige, grünlichbraune, glatte Kugeln, als Medizin, Gesundstein, Gegenmittel gegen Gifte
Aloe: der Saft als Medizin (Abführmittel, Hautschutzmittel), die Fasern für Seile und grobe Gewebe
Ambra von Walen, an den Stränden der Insel Sokotra gesammelt
Weintrauben: 70 Sorten, Hauptfrucht östlich von Sanaa
Dattelpalme: vorislamisch als Gottheit, im Islam als Baum des Paradieses. Grüne Blüte hat sich bis 15. Dez. enttwickelt, nach sechs Monaten (Juni/Juli) erntereif. Die Farben wechseln beim Reifeprozess.
Hirse: 25 Sorten (rot, weiß, gelb) für Brot und Brei
Weizen (burr, birr) und Gerste (shair). Zuckerrohr, Reis
Linsen (adas): 3 Sorten (kurze, mittlere, lange)
Erbsen, Saubohnen, dicke Bohnen, Labla-Bohnen.
Kaum Gemüse, traditionell nur Zwiebeln, Lauch, Rettiche
Karten zur landwirtschaftlichen und industriellen Nutzung
Als wir besonders archaisch wirkende Häuser aus geschichteten, unverputzten Feldsteinen passieren, deutet mein Kamelführer an, dass seine Familie hier wohne. Die Kameltreiber gehören nicht zum Stamm der Duba. Sie durften sich in trockenen Tälern niederlassen, die nicht von den Duba besiedelt worden sind. Hier halten sie Ziegen und Rinder. Wenn sie nicht für Touristen oder die Duba arbeiten, transportieren sie mit ihren Kamelen schwere Lasten. Bebaubare Felder konnte ich in der Nähe der Häuser nicht sehen.
Nicht weit von den Häusern auf dem Djebel al-Manar oder Djabal ar-Ruwi,1300 m hoch, bauen wir zwischen dem Geröll und den Dornen unsere Zelte auf, bereiten das Essen zu, spülen ab, waschen uns und schon fällt die Dunkelheit herein.
Es bleibt uns nicht die Muße, von der der Nomadprospekt spricht: keine Zeit, um an schönen Stellen zu verweilen, keine längere Ruhepause, keine Zeit, um die Umgebung zu erkunden oder ins Tagebuch zu schreiben. Heute nicht und an den anderen Trekkingtagen auch nicht. Erst wenn es dunkel ist, sitzen wir gemeinsam mit einem Glas Tee am Feuer „und lassen den Tag ausklingen.“
Die Schreie der angekündigten Paviane bleiben uns am Abend und am Morgen erspart, auch die Sterne zeigen sich nicht. Ein schlechtes Omen?
Do 25.11. Tuer Wadi - Wadi Hamam, 850 1200 m, 31°
Für alle, die neben dem Zelt geschlafen haben, war es tatsächlich eine Warnung. Der Morgentau läuft am Morgen wie Regen an den Zelten und an den Schlafsäcken herunter. Alles, was draußen lag, ist nass. Dieser Tau ersetzt hier wohl den Regen.
Das rote Meer können wir bei dem diesigen Wetter nicht sehen.
Nur wenige Menschen sind zu sehen. Die Kinder sind sehr scheu und laufen weg. Nach 9 Stunden erreichen wir das idyllische Wadi Tuer mit Palmen und kleinen Feldern, und dann die heißen Quellen im Wadi Hamam. Zuerst suchen wir im feinen Sand einen Platz fürs Zelt und dann können wir im Knie hohen, heißen Wasser baden. Es ist eine Wohltat.
Fr 26.11.
Am Ende des Wadis steht der „Wunderstein“. Hier werfen Frauen Lehmkugeln gegen eine Felswand, um zu erfahren, ob sich ihr Wunsch nach einem Mann oder nach Kindern bewahrheiten wird. Bleibt die Kugel am Fels haften, dann wird sich der Wunsch erfüllen.
Nach einem anstrengenden Marsch für Mensch und Tier, über einen Pass von 1200 m Höhe, erreichen wir nicht mehr den vorgesehenen Zeltplatz. Gegen 17.30 Uhr halten wir an einem abgeernteten Hirsefeld beim Dorf Lofar und schlagen zwischen den Hirsestrünken und auf einem Schotterweg unsere Zelte auf, unter dem Protest eines Bauern. Dann beginnt es zu regnen. Um 18 Uhr wird es immer sehr schnell dunkel, so dass wir meist bei Taschenlampenlicht essen.
Sa 27.11. Habashi, Stammesgebiet der Howar
Inzwischen fordert das Kameltrekking weitere Opfer: Zwei Reiter haben ein wundes Gesäß, einen so genannten „Wolf“ und ein lädiertes Bein, Abdullah ist von einem Kamel getreten worden und humpelt. Heute hole ich mir noch zwei Blasen unter dem Fußballen, denn heute wandern wir 10 Stunden ohne eine längere Pause. Bereits um 6 Uhr brechen wir auf, um die Strecke von gestern aufzuholen. Zwei steile Pässe sind zu bewältigen. 700 m müssen wir den Djebel Habashi hinauf bis auf 1500 m Höhe.
Das Wadi Habban ist sehr grün, voller Maisfelder, und bei jedem Haus stehen Papayas. Da mir die Kameltreiber die Befehle für die Kamele beigebracht haben, wird der Tag trotz der anstrengenden Route sehr kurzweilig. Prrrrrrr dirrdirr schneller, schneller heidaheida und nanah für ein Stopp und zum Hinlegen der Kamele. Die Arbeits- und Wechselgesänge der Nomaden, die wir immer wieder anstimmen, kann ich leider nicht wiedergeben. Aber von den Kameltreibern habe ich inzwischen den Ehrennamen Günter Maholi bekommen.
Leider können wir den vorgesehenen Zeltplatz (1260 m) wegen einer stinkenden Hundeleiche nicht benutzen. Nach einiger Hin und Her-Suche, was wegen der beladenen Kamele etwas schwierig ist, haben wir einen Schotterplatz im Wadi gefunden. Wegen aufkommenden Windes müssen wir diesmal die Heringe mit dicken Steinen beschweren.
Imkerei im Jemen
An unseren Trekkingwegen sehen wir mehrfach Wanderimker mit bis zu 50 Bienenröhren. Sie bieten ihren Bienen als Tracht die Euphorbiablüte. Die Kanten der Pflanzen sind mit unzähligen kleinen gelben Blüten bedeckt. Bei einem Regen wird deren Nektar allerdings ausgewaschen. Nach der Euphorbienblüte werden die Bienenvölker oft in die Tihama zur Akazienblüte (bis in den März) gebracht. Früher benötigte ein Imker aus dem Wadi Dabab für die Reise in die Tihama zum Wadi Zabid für 200 km 10 Tage, nur nachts wurde gewandert, jetzt braucht ein Imker nur noch 4 Stunden. Die Imker in dem Hadramaut, die lange, schwere Tonröhren benutzen, wandern nicht.
Eine Imkerin schneidet für uns Honigwaben aus den Kästen.
Meistens werden ausgehöhlte Stammstücke oder zusammengenagelte Kisten aus schmalen Brettern des Sukam-Baumes als Bienenwohnungen genutzt. Eine weitere traditionelle Art ist ein Zylinder aus gesplittenem Rohr, der mit Kuhmist und Lehm abgedichtet wird. Die Enden werden mit Holzdeckeln verschlossen. In Äthiopien werden meist Deckel aus Dosenblech oder Plastik verwendet. Etwa 10 Röhren werden meist gebündelt auf ein Eisengestell gelegt, gegen Ameisen in Wasser gestellt und gegen Sonne mit Papier oder Stoff bedeckt.
Interessant ist, dass für die Beuten seit alter Zeit an einer Länge von 160 cm und an einen Durchmesser von 9 cm bzw. an Kisten von 14 x 9 cm festhalten wird. Das Geheimnis dieser Maße beruht auf der Beobachtung, dass die Bienen bei diesem Durchmesser Honig und Brut trennen, so dass man die hinteren Waben als Honigwaben ausschneiden kann. In dieser Weise habe ich ebenfalls Imkereien in Marokko gesehen. Normalerweise legen Bienen die Honig- und Pollenzellen immer in einem Halbkranz über die Brutzellen an.
Als wir bei einem Bienenstand neben einem Haus anhalten und unser Interesse an den Bienen zeigen, kommen Frauen. Eine Frau stülpt eine Haube über, nimmt ein glimmendes Stück Holz oder Kuhdung und schneidet mit einem langen Messer eine hintere Honigwabe aus, um sie uns zu schenken. Die Wabe sitzt voller Bienen, aber niemand von uns wird gestochen. Als wir Stücke von der triefenden Wabe abbrechen und den nach Orangenblüten und scharfem Pfeffer schmeckenden Honig mit den säuerlichen Pollen probieren, kann ich die gutmütigen, kleinen, jemenitischen Bienen, die am Abdomen blassgraue Streifen zeigen, unbekümmert mit dem Finger abstreifen.
In Trockenzeiten gehen oft über 50 % der Völker zugrunde, da kein Zuckerwasser zugegeben wird. In den einsamen Gegenden an der Küste oder in Wadis betreiben Männer die Imkerei. Da viele Jemeniten oft jahrelang im Ausland arbeiten, üben in den Dörfern die Frauen das Handwerk aus. Der Honig wird in Flaschen oder Büchsen verkauft. Wenn oben noch Wachsreste, Pollen, Larven und tote Bienen schwimmen, so ist das ein Zeichen der „Reinheit“ des Honigs, d.h. hier handelt es sich um garantierten Landhonig (baladi) und nicht um billigen importierten Honig aus Australien. Der Honig wird im Jemen als Medizin teurer als in Deutschland verkauft. Für einen Christusdorn-Honig wurden 1993 im Hadramaut für 1 kg 100-250 DM verlangt.
Bei unserer Reise durchs Hadramaut sahen wir im Wadi Jischbum ähnliche Holzbeuten (meist aus Brettern). Andere Beuten sahen wir auf dem Weg von Shibam nach al Qatn, als wir an einer Töpferei vorbei kamen, wo 1 m lange Tonröhren hergestellt wurden, die an der einen Seite offen sind und an der anderen Seite sich zu einem kleinen Loch verengen.
So 28.11. Yafrus, Taizz
Aufstehen 5.30 Uhr, Aufbruch 7 Uhr, das Wadi abwärts und nach einer Stunde stehen wir wieder im 21. Jahrhundert.
Vorher führen uns die weißen Mauern der Moschee von Yafrus schon eine ganze Weile wie der Stern von Bethlehem. Die Zugänge zur 500jährigen Moschee sind festungsartig verwinkelt. Über Treppen, durch Tore und einen Wehrgang tritt man in den Moscheehof mit seiner Waschzisterne und ist geblendet vom Weiß der Wände vor einem tiefblauen Himmel. Über eine 3 km lange Wasserleitung kommt Wasser aus den Bergen. Die Proportionen von Kuppel, Minarett und Mauern verleiten uns zu vielen Fotos. Weniger angenehm ist die gierige Bettelei des Vorstehers und der übrigen Bettler.
Über die breite Asphaltstraße von Taizz nach Aden brummen wieder riesige Tanklaster, brausen Jeeps und Pkws. Alle benutzen ihre Hupen. Manche winken, rufen „tamam“ und heben den Daumen, als sie die Kamelkarawane sehen. Gottseidank ziehen wir nur einige hundert Meter über diese vielbefahrene Straße, dann biegen wir in einen Flusslauf ein, gehen durch das wassergefüllte Wadi bis zu einem Wassermarkt, wo die Kühe, Kamele, Schafe und Ziegen z.T. im Wasser stehen und Händler auf kleinen Inselchen und am Rand ihre Verkaufsstände aufgebaut haben. Die Kamele sind gar nicht begeistert von dem Wasser und sind nur mit Mühe durchs kniehohe Wasser zu führen.
Hier verabschieden wir uns von den Kameltreibern und ihren Kamelen. Die Trinkgelddiskussion hatten wir schon am Vorabend geführt und hatten dabei leider sehr unangenehme Diskussionen. Die neun Kameltreiber jedenfalls sind mit ihrem Trinkgeld von 125 $ zufrieden und verabschieden sich lachend von mir, ihrem Günter Maholi.
Auf dem Markt treffe ich überraschenderweise einen der ausgezeichneten Tänzer aus dem Funduk von Hajjarah von 1996, der jetzt für Hauser Gruppen führt.An der Straße nach Taizz erwarten uns unsere Jeeps. Bevor sie ins Hotel fahren, geht es ein Stück den 3200 m hohen Hausberg von Taizz, Djebel Saber, hinauf. In einem typischen Mafratsch mit Blick über die Stadt trinken wir den typischen übersüßten Tee und essen in der Stadt in einem typischen Männerrestaurant im typischen Höllenlärm der Küchenflammen und dem Geschrei der Leute wieder das schmackhafte jemenitische Essen mit dem riesigen, knusprigen Fladenbrot, diesmal dabei auch Dattel- und Bananenbrot.
Hier in Taizz haben wir endlich wieder etwas Muße. Ich telefoniere für 4€ nach Deutschland, lasse die stinkende Wäsche im Hotel waschen und bummele mit der Gruppe durch die überschaubare, kleine Altstadt, deren Geschäfte in der Gruppe einen vier Stunden anhaltenden Kaufrausch auslösen. Währenddessen trinken wir Schalenkaffee, jemenitischen Milchtee und Mangosaft.
Mo 29.11. Taizz, Khawkhah
Um 5 Uhr vibriert die Stadt von den Rufen der Muezzin, schrillt wie ein Wecker in die Stille, die über der Stadt liegt, reißt die Menschen aus dem Schlaf zu einer Zeit, in der eigentlich nur Mönche, Gottgeweihte, zum Gebet aufstehen. Vereinzelt kräht ein Hahn oder jemand ruft durch die Stille, kaum Autos.
Um 7 Uhr öffne ich das Fenster, lasse die Sonne ins Zimmer, mit ihr den Verkehrslärm und den klösterlichen Gesang eines Imams, als ob ich die Kirchentüren einer Benediktinerabtei geöffnet hätte. Noch überlagern die Rufe an Allah den Lärm und das Getriebe in der Stadt, liegen beruhigend darüber, Töne aus einer anderen Welt. Ganz anders war es am vorigen Abend. Die Gebetsrufe mischten sich in den Verkehrslärm, wurden abgewehrt vom Hupen der Autos und dem Geschrei der Händler. Niemand war da, der inne hielt zum Gebet. Die moderne Stadt zog Allah hinein in ihren großen Magen und absorbierte ihn wie ein fremdes Geräusch.
Der Palast des Imam, gebaut im Stil der Sanaa-Häuser, ist wohl ein einzigartiges Museum der Kuriositäten. Die Zimmer sind vollgestopft mit allen Dingen, die der Imam hinterlassen hat. Es ist unglaublich, dass solche Massen von alltäglichen Gebrauchsgegenständen und Geschenken ausgestellt werden. Eigentlich handelt es sich nicht um ein Museum, sondern um eine Gedenkstätte oder eine künstlerische Installation. Über 100 Füllfederhalter, ohne jeden Hinweis von wem sie stammen, Brillen, Schuhe, Kleider, Möbel, Spielsachen, Dokumente, Fotos. Ein riesiger Haufen Trödel. Historische Dokumente befinden sich im Eingangsraum mit Fotos vom Marsch der Revolutionäre in Fußeisen und Handketten von Sanaa nach Taizz und nach Hajja und von deren Enthauptung 1948. Die aufbewahrten Krankenstühle erinnern an das Attentat von 1961 auf den Imam, der erst anderthalb Jahr später seinen Verletzungen erlag.
Die folgende Revolution mit dem Ausrufen einer Republik, ihren Zielen und den Bürgerkämpfen, bei denen das monarchische Saudi-Arabien den Imam unterstützte und das sozialistische Ägypten die Republik Jemen, wird hier leider nicht dokumentiert.
Dass die Regierung jetzt plant diesen historischen Palast abzureißen, um ein neues Regierungsgebäude zu bauen, finden wir allerdings unverständlich.
Über den ehemaligen Kaffeehafen Mocha, heute ein trostloses Wüstendorf am Wasser, fahren wir nach Norden durch die Tihama. In Mocha essen wir wieder in einem Höllenlärmrestaurant bei 41° und sehen hinaus auf das grünlich leuchtende Wasser.
In Khawkhah, in der neuen Bungalowanlage Marine Village, haben wir um 15 Uhr nur noch 34°. Auch in der Nacht sinkt die Temperatur nicht unter 27°.
Shukri nutzt die Abende, um uns über bestimmte Themen zu informieren. Heute geht es um das Bildungswesen.
Das Lehrerproblem
Nach der Revolution von 1962 gab es im Lande nur etwa 100 ausgebildete Lehrer. Ägypten entsandte auf eigene Kosten zunächst 342. Für die schnell zunehmenden Schülermengen in den 70er und 80er Jahren wurden in allen Dörfern Schulen eingerichtet, und die Zahl der ägyptischen und sudanesischen Lehrer stieg auf 16 000 (85%), von denen über 3000 von arabischen Ländern bezahlt wurden, die Hälfte von Saudi Arabien. Unterrichtet wurde zunächst nach ägyptischen Lehrplänen. Für Lehrer wurde eine Freistellung vom Militärdienst und ein Lehrpflichtjahr nach dem Abitur und nach der Hochschule eingeführt. Trotzdem gab es zu wenig Ausbildungswillige und zuviel Abwanderer. Als die Golfstaaten nach dem ersten Golfkrieg die Bezahlung der Lehrer einstellten, brach der Schulunterricht zusammen. Man richtete eine dreijährige Ausbildung für Mittelschulabsolventen 1968 und eine fünfjährige Ausbildung für Grundschulabsolventen 1981 ein. Inzwischen gibt es nach Shukri viele arbeitslose Lehrer.
Die Schüler wählen in der 9. Klasse, die höhere Schule umfasst die Klassen 9-13, neben Englisch meist Französisch als Fremdsprache, allerdings sei in Taizz die Nachfrage nach Deutschkursen sehr stark. Auf Grund der Geschlechtertrennung in der jemenitischen Gesellschaft sind die Berufs- und Ausbildungsmöglichkeiten für Mädchen sehr begrenzt. Die Ausbildung in technischen Berufen bleibt Jungen vorbehalten, da die angegliederte Praxis von Mädchen nicht wahrgenommen werden kann. Für die Mädchen bleibt die Theorie oder das Programmieren von Prozessen.
Strand vor unserer Bungalowanlage
Die 30.11. Khawkhah
Dieser Tag dient der Entspannung in Khawkhah am Roten Meer. Flamingos, Möwen, Krähen, Wattläufer, Reiher, Schnepfen und noch viele andere Vogelarten finden sich auf dem Binnensee vor der Bungalowanlage, während in der Ferne auf einer Landzunge die Boote der Fischer liegen.
Morgens 6.30 Uhr kommen die Boote von ihrem Fang zurück und die Familien holen mit rhythmischen Rufen ihre Netze ein. Es sind Millionen winziger Fische, die in den Netzen zappeln. Mit großen Körben werden sie an Land gebracht und auf dem Sand zum Trocknen ausgeschüttet. Abends kommen die Händler mit LKWs und transportieren sie in Säcken ab.
Gegen 9 Uhr bei 30,6° fahren die meisten Gruppenmitglieder hinaus, um an Korallenbänken zu schnorcheln. Leider sind keine Fische mehr zu sehen, weil das Wasser schon zu sehr aufgewühlt ist. Die Krähen und Möwen kämpfen nicht mehr um die kleinen Fische am Strand. Nur die Milane suchen weiter nach Beute.
Auf der anderen Seite des roten Meeres liegen Eritrea und Äthiopien.
Da die Trennung durch das rote Meer erst vor 10 000 Jahren entstand und dieselben klimatischen Bedingungen in diesen Ländern herrschen, kann man vegetationsmäßig von einer Einheit sprechen. Gleiche Gräser, Bäume (drei Feigenarten), Euphorbien, Weihrauch, Myrrhe (Im 2.Jh.n.Chr. wurden 3000 Tonnen Weihrauch geerntet, jetzt nur noch einige Tonnen).
Aus Äthiopien stammend: Kaffeebaum; Qatpflanze; Sorghum; schwarzköpfiges, stummelschwänziges Somalischaf; Esel; Pavian.
Aus dem Jemen stammen: Weinstock; Kamel (Dromedar); Schaf; Ziege; Rind; Schwein; Steinbock.
Der Staat von Aksum (Nordäthiopien) vereinigte im 4. und 6.Jh.n.Chr. südarabisches, afrikanisches, griechisch-hellenisches und christliches Kulturgut. Nach der Eroberung großer Teile Südarabiens nennt sich der Herrscher von Aksum „König von Himyar und von Habashat und der Sabäer und von Salhin und der Tihama…“(Gebiete, die zum heutigen Jemen gehören.)
Die ersten moslemischen Flüchtlinge aus dem noch heidnischen Mekka wurden im christlich-jüdischen Äthiopien freundlich aufgenommen.
Nach dem Abstammungsmythos der äthiopischen Könige wurde die Dynastie der Kaiser von dem Sohn von Salomo und der Königin von Saba begründet, der mit einer Gruppe Juden (Stamm der Falasha) nach Äthiopien kam.
Südarabische archäologische Funde in Äthiopien: Steinbockfriese aus Alabaster, Mondsymbole, Sichel und Scheibe auf Münzen, Tempelruine von Yeha mit geometrischen Verzierungen, fugenlosen Steinquadern in rechteckiger Anlage, Tempel des südarabischen Mondgottes Almaqah,; die Stockwerkstelen von Aksum ähneln arabischen Hochhäusern; die Scheintür der Stelen zeigt südarabische Fallriegelschlösser; Wasserspeicher, Terrassenfeldanbau
Verwandtschaft der Schriftarten: auch die äthiopische Schrift besitzt bis ins 4.Jh. keine Vokale, Inschriftenfunde in sabäisch-himjaritischer Schrift, Granitplatte aus Aksum mit griechischer, alt-äthiopischer und sabäischer Schrift.
Somaliland war eine „Weihrauch“-Kolonie des südarabischen Qataban
"Afrikanische" Hütte in der Tihama