Süd-Äthiopien I, 2004

Ichi? – Ichi!
Wie geht es? – Gut, o.k.
(amharische Gesprächsfloskel)


Zwei Frauen der Dorze

1. Teil: (22 Seiten, 22 Fotos)

Reisetagebuch 1. - 10. Tag

Informationen über die vielfältigen Kulturen und Völker

- Die schwarzen Völker: Dorze, Konso, Mursi, Karo, Gallep, Hamer, Oromo u.a
s.a. Die Tellerlippen bei den Suri/Surma
West-Äthiopien 2013.
- Die Nationalparks: Mago, Nechisar, Bale und Awash
- Die Bienenbäume
- Der Opferbaum bei den Dorze

Eine Reise durch das südliche Äthiopien

Der Süden Äthiopiens stellt ein großes Völkermuseum dar, ähnlich wie die kleinen indischen Bundesstaaten im nordöstlichen Himalaya. Aber hier wie dort finden sich die Spuren der unaufhaltsam fortschreitenden Globalisierung, die die Kulturen der Welt zu einem Einheitsbrei westlich-amerikanischer Prägung verkommen lässt. Zu den zivilisatorischen Fortschritten, die der Staat oder andere Organisationen in die abgelegenen Regionen tragen, kommen die Verführungen der Konsumindustrie (Stadt, Radio, Film, Kleidungsmoden) und der Tourismus, die eine Veränderung der traditionellen Lebensformen in Gang setzen.

Wer in den Süden Äthiopiens fährt, begibt sich in die Rolle des reichen Ausländers, der nicht nur für seine Reise hierhin ein Vermögen (Die Reisen durch diese Region sind unangemessen teuer!) ausgeben konnte, sondern auch mit Geld gefüllten Taschen kommt, so dass er die Gier der Einheimischen nach Geldscheinen immer erfüllen kann oder erfüllen muss. Überall strecken sich ihm fordernde Hände entgegen „Birr, Birr“.

Winkend und nickend wie die Königin von England oder der Papst sieht der Tourist durch die Autoscheiben auf die herbeistürzenden Kinder und auf die bettelnden Hände der Menschen. Ferenc, Ferenc – Fremder, Fremder. „You, You“ jubeln die Kinder voll Hoffnung auf ein Geschenk. Dieses Verhalten nimmt zu, wird fordernder, je weiter man nach Süden vordringt. Eine entspannte Begegnung mit der fremdartigen Kultur und den Menschen ist nicht möglich. Das sei überall so in Afrika belehren mich meine beiden Mitreisenden. Wehmütig denke ich an unsere Reisen durch Indien, wo wir immer wieder von den Einheimischen eingeladen wurden und eine herzliche Begegnung auf gleicher menschlicher Ebene stattfinden konnte. In Südäthiopien waren wir und auch unser Guide in den Augen der Eingeborenen immer die Fremden aus dem Geldparadies. Nichts war zu haben ohne Bezahlung.

Am besten verzichtet man ganz aufs Fotografieren. Jedes Foto kostet wenigstens zwei Birr (40 Ct.), das Kind auf dem Arm natürlich noch extra und oft auch die Hütte im Hintergrund. Die Rundhütten müssen schnell fotografiert werden, ehe der Eigentümer es merkt, die Marktstände müssen heimlich fotografiert werden, ehe die Verkäuferin und die Käufer es merken. Der reiche Fremde darf kein Foto machen ohne Bezahlung.

Die Begegnungen mit den Menschen und mit den fremden Kulturen müssen den üblichen Situationen abgetrotzt werden. Vielleicht bieten deshalb die Reiseagenturen viel lieber Fahrten durch Naturparks an. Die Begegnung mit seltenen Tieren und einige Fotos können garantiert werden. Tiere sind unproblematischer als Menschen.

So denke ich und verstehe auch die Abneigung unseres Guides, in ein Dorf zu gehen oder ein Gehöft zu betreten. Das müssen wir dann schon allein machen. Der Guide bleibt mit dem Fahrer beim Auto aus Angst vor einer heiklen Situation oder aus Schüchternheit.


Haus im Balegebiet

Überraschungen vor der Reise

Vorweg, die Informationen der Reiseagentur vor der Reise waren chaotisch und voller Widersprüche. Das reichte von den falschen Datumsangaben, den unterschiedlichen Preisangaben in den verschiedenen Prospekten bis zu falschen Versprechungen bei der Bereitstellung der Autos.

Die eigentliche Überraschung erreichte mich einen Tag vor der Abfahrt. Die Reiseagentur rief an und teilte mit, dass die geplante Reise in den Westen nicht stattfinden könnte, weil dort Unruhen ausgebrochen seien, ob ich einer Verlegung der Reiseroute in den Süden zustimmen würde, auch dort gebe es viele, viele exotische Völker, die wir alle besuchen würden. Ich war einverstanden. Etwas schwerer fiel einem anderen Mitreisenden die Entscheidung, da er diese Route bereits in den Neunzigern abgefahren hatte. Aber schließlich starteten wir zu drei Personen, ein Mann aus Süd-, einer aus Nord und einer aus Westdeutschland.

Die nächste Überraschung bereitete uns Habte, unser deutsch sprechender Guide, der erklärte, so wie vom Veranstalter geplant, könne auch die Ersatzroute nicht stattfinden. Einige Fahrziele seien nicht sinnvoll. Er überzeugte uns mit einer neuen Route und mit neuen Reisezielen.

Nach der Reise stellte ich überrascht fest, dass ich eine ganz andere Reise gemacht hatte, als ich sie mir vorgestellt hatte. Die Reise führte nicht nur zu den Menschen, sondern auch und vor allem zu den Tieren und den Tierparadiesen.

Reisetagebuch Südäthiopien
19.2. - 7.3.2004

I.

1. Tag, 19.2.2004, Donnerstag.

Im Zug zum Flughafen Frankfurt

Exotische Gestalten pilgern zu ihrem Ziel. Bocholt – Wesel – Köln. Auf den Bahnhöfen. Im Zug. Frösche, Moorhühner. Baströckchen. Mönche. Gnome. Clowns. Bemalt mit bunten Farben. Ein Herz auf der Wange, einen Luftballon auf der Stirn, Glitzersterne auf der Brust. In der Hand eine Flasche. Auf dem Boden eine Kiste mit Dosen. Altweiberfastnacht. Ein Pilgerzug in Richtung Köln.

Der Regionalexpress ist übervoll. Noch schminkt man sich. Schon kichern sie. Ein Sektkorken knallt. Die Jecken sind unterwegs ins exotische Kölle. Ich bin unterwegs zu den Exoten im südlichen Äthiopien.

Im Flugzeug

Um 15 Uhr rollt die Maschine über die Rollbahn zum Start. Ich sitze in einem schmalen Sessel mit ausgesessenem Polster, schaue auf die beiden defekten TV-Schirme an der Decke und auf meine beiden Mitreisenden, den ehemaligen Richter aus Norddeutschland und den kaufmännischen Angestellten aus Süddeutschland. Wie werden wir uns vertragen, aus West, aus Süd, aus Nord ? Dunkle Gesichter, kunstvoll geflochtene Haare als Vorwegnahme äthiopischer Eindrücke.

0.30 Uhr in Addis Abeba im drei Sterne Hotel Imperial. Das Zimmer klein, sehr heiß, Lärm von der Straße. Ich schlafe nur sporadisch.

2. Tag, 20.2., Freitag, Addis Abeba

Ein gutes, etwas ungewöhnliches Frühstück mit äthiopischem Buffet.

Habte, unser Guide spricht ein gutes Deutsch, das er während einer landwirtschaftlichen Ausbildung bei seinen Gastfamilien bei Düsseldorf gelernt hat.

Das Allrad für unsere Fahrt ist erst ab morgen gebucht, so dass wir nicht gleich starten können, wie wir beschlossen haben. Die Tagesfahrt an den blauen Nil, hin und zurück, halten wir nicht für sinnvoll. Ebenfalls die Fahrt an die kenianische Grenze zum Salzkrater bezeichnet Habte als nicht sinnvoll. Er schlägt vor, stattdessen den Bale Nationalpark zu besuchen. Wir sind einverstanden. Zunächst bleiben wir also in Addis, obwohl wir alle drei schon einmal in Äthiopien waren und Addis kennen.

Blick über Addis vom Entotoberg, Photostopp bei der Marienkirche (fotografieren verboten!). Italienisches Mittagessen. Ethnologisches Museum in der Universität mit Gebrauchsgegenständen und Erklärungen zu den Ritualen bei Geburt, Heirat, Tod und Gottesdienst. Im oberen Stockwerk kirchliche Malereien und eine Sammlung von Musikinstrumenten mit Hörbeispielen. Fahrt über den völlig gesichtslosen Mercado. Einkauf von Rotwein für unsere Abende am Lagerfeuer und von Rasierklingen für die Hirtenvölker im Süden, die aber lieber Geld als Rasierklingen wollen.

Die Bettelei von Kindern und Erwachsenen in Addis nervt. Immer hält jemand die Hand auf und schaut uns mit hungrigen Augen an. Der Richter ist total erschöpft, hat zwei Nächte nicht geschlafen und will ins Bett. Der Kaufmann will nicht zu weit weg vom Hotel. Keine Seitengassen. Aber er begleitet mich. Zögerlich. Auf einem Gelände hinter den Häusern stehen viele Fahnen und ein langes, buntes Zelt mit einer typischen äthiopischen Kreuzverzierung. Priester singen. Gläubige verneigen sich, küssen die Erde mit Mund und Stirn. Weihrauchfässer werden geschwenkt. Ein großes Tragekreuz führt einen Umzug um das Zelt an. Das Kopfende der zukünftigen Kirche wird geweiht. Die Träger vom Weihrauchkessel und vom Kreuz bewegen sich mehrmals gegeneinander. Immer mehr Leute kommen hinzu. Links die Männer, rechts die Frauen. Die Fastenzeit hat begonnen.

3. Tag, 21.2., Samstag, von Addis Abeba nach Jimma

Am Morgen stellt sich heraus, dass unser Auto für unser Gepäck und für die Auto-, Zelt- und Kochausrüstung zu klein ist. Zunächst versuchen wir noch unseren deutschen Reiseveranstalter zu erreichen, um zu klären, ob wir wirklich diese Reise entgegen den vorherigen Aussagen mit nur einem Auto durchführen sollen, zumal am zweiten Tag noch zusätzlich ein Koch im Auto mitfahren soll. Vergeblich. Ein Teil der Kanister, der Ölbehälter und der Zeltausrüstung werden am Hotel zurück gelassen. Wir klemmen uns zu drei erwachsenen Männern auf die Hinterbank, Schulter an Schulter, Schenkel an Schenkel, auf dem Schoß die Tagesrucksäcke und unsere Fototaschen, die nicht mehr im hinteren Teil des Autos unterzubringen sind. Da schüttelt sogar Habte den Kopf, und wir denken an das viele Geld, das wir bezahlen mussten. Wofür? Eingepfercht, ohne die Möglichkeit die Beine zu bewegen, fahren wir bei großer Hitze in Richtung Südwesten.

Die Fahrt geht durch eine afrikanische Bilderbuchlandschaft: mit Gras gedeckte Rundhütten, nur vereinzelt viereckige Hütten mit Wellblechdächern, begleiten uns. Jetzt, kurz vor der kleinen Regenzeit, sind noch viele Hütten im Bau oder werden ausgebessert. Nachdem wir den Fluss überquert haben wird die Landschaft immer grüner. Dort, wo noch ein kleiner Wald steht – meist wachsen dann unter den alten Bäumen Kaffeesträucher – sehen wir auch Paviane und Seidenhaaraffen.

Ein Charakteristikum sind die Bienenröhren in den Bäumen, die wir während der Reise immer wieder sehen werden. Zunächst schauen wir erstaunt auf die meterlangen Röhren, die manchmal zu 10 in den Astgabeln der Schirmakazien hängen. Wer hätte das gedacht: Bienenzucht auf afrikanisch. Die Bienenköniginnen werden mit langen Greifern aus dem Volk herausgeholt, um ein neues Volk zu gründen. Der Honig wird durch Abnehmen des Deckels, durch den die Bienen ein- und ausfliegen, und durch Herausschneiden der Waben geerntet. Das Ergebnis sehen wir auf einigen Märkten: einen Honig mit vielen Fremdstoffen, mit Wachs, Pollen, Maden und Bienenteilen.

Die Biene ist bei vielen äthiopischen Völkern neben Leopard und Schlange ein wichtiges Tier. Die Wahl des Thronfolgers erfolgte häufig mit Hilfe eines Bienenorakels oder wurde durch den Zuflug von Bienen bestätigt. Der Honigwein galt als Königsgetränk. Er wurde bei einem Fest des Königs für das Volk in einen sechs Meter langen Holztrog gegossen. Nur der König und seine Würdenträger tranken den Honigwein aus Hörnern. Könige und Häuptlinge reiben ihren Körper oft mit Honig ein. Nach dem Tod werden sie sogar in Bienenröhren bestattet, während Honig und Blut gegen den Himmel und gegen den Begräbnisplatz gesprengt wird. Wenn z.B. ein Angehöriger einer ranghöheren Kaste heiratet, dann bringt er den Brauteltern als Ehrengeschenke neben Blättern des Chat-Strauches und einem Bullen auch zwei Gefäße voll Honig und Butter mit. Wichtig ist es, den Ahnengeist des Clan-Führers, den Herrn der Leoparden, durch Honiggaben und Rinderopfer zu besänftigen, damit das Vieh des Clans vom Leoparden verschont wird.

Als wir gegen 18 Uhr in Jimma ankommen, erwartet uns erneut eine böse Überraschung. Es sind keine Zimmer für uns vorgebucht worden. Das Hotel ist voll, auch alle anderen Hotels und Pensionen der Stadt. Schließlich suchen wir einen Hotelgarten neben einem Busbahnhof aus, in dem wir zelten dürfen. Nachts klingen die liturgischen Gesänge der Priester zur Fastenzeit herüber, Stimmen und abfahrende Autos und einige Male Schüsse. Die Nacht wird empfindlich kalt. Wir haben nur die Unterzelte aufgeschlagen, so dass Wind und Kälte ungehindert durchs Zelt gehen.

4. Tag, 22.2., Sonntag, von Jimma nach Arba Minch (2300 m)

Nach einem guten Frühstück, bestehend aus Tee, Porridge, gutem Weißbrot, Pfirsichmarmelade, manchmal Butter und Papayas, das wir in ähnlicher Weise jeden Tag bekommen werden, wird das Auto neu bepackt. Zwei neue Seile aus dem Basar ermöglichen einen Dachaufbau von 1.50 m.

Über eine „neue“ Straße, 6 Jahre alt, kaum befahren, geht es durch eine wunderschöne hügelige Landschaft in Höhen zwischen 810 und 2300 m nach Arba Minch am südlichsten See der Seenkette.

Wir fahren durch ein Gebiet mit verschiedenartigen Rundhütten. Das Dach ist immer aus Gras, mal ruht es auf einer Rundwand aus Lehm, mal auf einer Reihe aus Holzpfeilern, mal reicht es bis zum Boden. Die Aufteilung der Hütten ist fast immer ähnlich. Durch einen niedrigen Eingang kommt man in einen fensterlosen Raum. Rechts steht meist ein Bett, links trennt eine Wand das Jungvieh ab und im Hintergrund befinden sich die Vorräte und die Kochstelle aus drei Feldsteinen. Eine Stange mit Astgabeln dient zum Aufhängen von Kleidung und Körben. Neben den Hütten stehen immer auf einem Holzgerüst Vorratskörbe, die ebenfalls mit einem Grasdach abgedeckt sind. In den Astgabeln der Bäume lagert Heu.

Bis zum Mittag sehen wir kein Auto, obwohl die Straße, wohl im Zuge einer perfekten Entwicklungshilfe, mit Leitplanken und vielen Verkehrszeichen versehen ist. Diese Straße hat eine neue Region erschlossen, so dass inzwischen einige Dörfer entstanden sind, erkennbar an den vielen Wellblechdächern. Mehrfach sehen wir unterwegs Prozessionen, in denen zwei Männer auf ihren Schultern eine Trage mit einer Leiche unter einem rotgoldenen Brokattuch tragen, begleitet vom ganzen Dorf. In den Dörfern sind viele Menschen unterwegs, meist von einer Veranstaltung, einem Fußballspiel, kommend.

Irgendwann senkt sich die Straße auf 810 m, es wird heiß, 34°, und wir überqueren den längsten Fluss Äthiopiens, den braunfarbenen Omo. Vorsicht, die Brücke darf nicht fotografiert werden. Hinter dem Omo ändert sich die Landschaft. Sie wird savannenartig, trocken, nur wenig bewohnt. Erst als wir die Hauptstraße an der Seenkette erreichen, wird es wieder intensiv grün und große Rinderherden werden von den Hirten zurück in die Dörfer getrieben.

Gegen 18 Uhr sind wir am Hotel unseres äthiopischen Touroperators Greenland in Arba Minch, im Tiefland, das hier 1400 m hoch liegt. Das, was wir nicht für möglich gehalten haben, tritt ein. Wieder sind nicht genügend Zimmer frei. Wieder werden unvorhergesehene Gäste dafür verantwortlich gemacht. Unser Guide geht auf Zimmersuche, und wir werden in unterschiedlichen Hotels einquartiert. In der Nacht regnet es etwas.

5. Tag, 23.2., Montag, von Arba Minch zum Markt der Dorze und den Krokodilen des Chamo-Sees.


Ein typisches Nahrungsmittel ist das angesäuerte Mark der Ensete, einer bananenähnlichen Staude.

Saro-Saro
(Gruß in der Dorze-Sprache)

Bei dem Volk der Dorze

Die Dorze nehmen zwischen den Völkern des ometischen Sprachraums eine Sonderstellung. Sie sind das einzige Volk, das früher keinen König, sondern zwei Volksführer und einen Ältestenrat hatte.

In früheren Zeiten verdingten sich die Dorze häufig als Krieger in kleinere Nachbarvölker, die in ständiger Fehde lagen. Von dort kehrten sie mit Sklaven, erbeutetem Vieh und abgeschnittenen Geschlechtsteilen ihrer getöteten Gegner zurück

Die Geschlechtsteile eines Getöteten wurden mit Bambusröhren, den Kleidern des Getöteten und der Trinkkalebasse des Töters an einem Holzpfahl (1.30 m hoch) befestigt und auf dem Versammlungsplatz ausgestellt. Später wurden die Geschlechtsteile unter Trophäensteinen vergraben. Bei den benachbarten Otschollo dienen diese Steine auch als Sitze bei einer Versammlung.

Die Kriegsführung der Dorze trägt durchaus Züge einer Hochkultur. Es gab offizielle Kriegserklärungen und Absprachen über Ort und Zeit des Kampfes bei Kriegen mit eng verwandten Stämmen des Hochlandes. Der Handel auf den Marktplätzen durfte während der Kriegshandlungen nicht gestört werden. Nach dem Sieg einer Seite fand eine Friedenszeremonie statt, wobei folgende Worte gesprochen wurden „möge mich dieser Stein, möge mich dieser Speer usw. treffen, wenn diese Übereinkunft von meinem Volk gebrochen wird. “Der Bruch des Landfriedens wurde schwer bestraft. Diese alten Sitten werden von H. Straub in dem Buch „Westkuschitische Völker Südäthiopiens“ ausführlich beschrieben.

Seit der Eroberung des Südens durch die nördlichen Amharen sind die Männer vornehmlich als Weber tätig, die ihre Stoffe auf den Märkten verkaufen, oder als Wanderweber mit ihren Webgeräten umherziehen oder als sesshafte Textilkaufleute im Norden. Auf Grund der Qualität der Stoffe wird das Wort Dorze von manchen Völkern als Bezeichnung für das Weberhandwerk gebraucht.

In 45 Minuten erreichen wir das Gebiet der christlichen Dorze, die im Hochland von Gamu hauptsächlich in und um Chencha in 2300 m Höhe als Ackerbauern, Händler und Weber leben. Das Siedlungsgebiet umfasst nur 30 qkm, schließt keine Tieflandzonen ein und hat fast kein Weideland. Auch in Addis Abeba soll eine große Gruppe von Dorze sich angesiedelt haben. Ihre Sprache ist durch Übernahme vieler Wörter der Nachbarvölker gekennzeichnet.

Die ersten Dorze, die wir am frühen Morgen sehen, sind Frauen, die auf ihrem Rücken schwere Lasten den Berg hinauf und hinunter schleppen und kleine Kinder, die bei unserer Annäherung auf den Weg stürzen und einen grotesken Reihentanz aufführen, bei dem sie ihre Hüften und ihren Popo im Rhythmus ihres Gesanges beweglich und gekonnt einsetzen. Ihre Bewegungen wirken auch deshalb so possierlich, weil die Dorze von kleinem Wuchs sind, und die Kinder wie kleine Zwerge wirken. Wir werden durch die Vorführungen so überrascht, dass wir lachend und ganz perplex vorbeifahren. Leider. Eine kleine Pause mit ihnen wäre sicherlich ein wunderbares Erlebnis geworden. Schade, dass unsere äthiopische Mannschaft für solche Begegnungen keinen Sinn zeigt. Die Geschäftstüchtigkeit der Dorze zeigt sich auch durch die vielen Stände mit Webwaren, die gerade aufgebaut werden. Da auf dem Marktterrain sich erst wenige Frauen und Männer eingefunden haben, fahren wir zunächst etwas weiter zu einem Dorf.

Die Häuser sind ganz ungewöhnlich. Es sind hohe, spitze Hauben mit einer Nase als Eingang. Die Hütten einer Familie und ein kleiner Garten mit bananenähnlichen Stauden sind von einer hohen Bambuswand umgeben. Sofort erscheinen Kinder und Frauen, die gegen Geld fotografiert werden möchten. Die Frauen passen scharf auf, ob wir etwa ihre Häuser fotografieren, dann verlangen sie sofort mit großem Geschrei eine Bezahlung. Wehmütig denke ich an unsere Touren durch den Osthimalaya, wo die malerischen Wanchos u.a. sich gerne fotografieren ließen und uns ihre Häuser zeigten. So von allen Seiten bedrängt, flüchten wir in einen Webergarten.

Im Webergarten sitzen einige Männer in Erdgruben und weben weiße Tücher. Natürlich müssen wir auch hier für jedes Foto bezahlen. Wie wäre es gewesen, wenn wir drei ohne Fotoapparat durchs Dorf gegangen wären? Wahrscheinlich hätten wir ebenfalls Eintritt gezahlt, wie unser Guide sagt, für jeden Blick einen äthiopischen Dollar. Das Erlebnis einer Begegnung mit einer fremden Kultur ist so nur beschränkt möglich. Dabei hatte ich gedacht, dass gerade dies unserer kleinen Drei-Männergruppe gelingen könnte. Das Gegenteil ist der Fall. Auf größere Touristengruppen verteilt sich die Dorfbevölkerung wohl besser. Erst innerhalb eines Gehöftes finden wir Ruhe, um uns alles anzusehen. Aber als unser Guide den Besuch anschließend bezahlt, - wir haben schließlich auch noch bezahlt -, bricht ein wilder Streit zwischen den Bewohnern aus, wer das Geld entgegennehmen darf, die Frauen oder die Männer.

Auf dem Hof befinden sich auch Frauen aus der Nachbarschaft, die ein Fest vorbereiten. Sie rösten in großen Pfannen Gerstenkörner über offenen Feuerstellen. Vier Hütten befinden sich in dem Areal, in der Mitte eine hohe Bienenkorbhütte und ringsum noch drei Hütten, eine für Arbeitsgerät, eine für die Kinder mit Webstuhl und eine weitere. Dazwischen stehen Blumen. Hinter dem Haupthaus und im Hintergrund an einem Abhang befindet sich zwei Gärten mit gewaltigen bananenähnlichen Ensetestauden, Paprika und anderen Gemüsearten.

Der Markt der Dorze findet auf einem unebenen, größeren Platz statt, auf dem ein mächtiger alter Opferbaum steht, der von einem Bambuszaun umgeben ist. Hier wird die Opferzeremonie für den Dorze-halaka vollzogen. Der halaka ist der vom Ältestenrat für eine kurze Zeit gewählte Volksführer. Das ist die höchste nicht erbliche Position, zu der man sich auch freiwillig melden kann. Vor dem Amtsantritt des halaka finden archaische Zeremonien an diesem Baum statt. Vor einem Loch im Bambuszaun wird ein schwarzes Schaf geschlachtet. Mit seinem Blut kennzeichnen ein Clanführer und der halaka ihre Stirn und eine lange Stange aus dem Zaun. Dann wird Blut und Honig in die Umzäunung gespritzt. Darauf werden die Eingeweide auf gute und schlechte Zeichen untersucht. Nach dem Schafsopfer wird ein Bulle vor dem Zaunloch mit einem Säbelmesser getötet. Ein zweiter Bulle wird vor einer heiligen Hütte, die durch ein Straußenei gekrönt wird, getötet. Dessen abgeschnittene Geschlechtsteile bindet sich der halaka um das Handgelenk, während das Fleisch den Leuten überlassen wird. Leider kann ich eine solche Zeremonie nicht tatsächlich erleben.

Als wir den Markt wieder erreichen, wird unter dem magischen Baum Alkohol verkauft. Die Verkäufe werden fast immer von Frauen getätigt. Sie verkaufen Milch, Tabak, braunes, sandiges Salz fürs Vieh, Alkohol, Heu, Zwiebeln, frische Ensetestücke, Ensetebrei (Fruchtmark der Scheinbanane, das geschabt und zur Säuerung zwei Monate vergraben wird), Kaffeestrauchblätter für einen Kaffeetee, Tonkrüge usw., während die Männer gewebte Tücher und Honig verkaufen.

Auf dem Rückweg begegnen wir vielen Frauen, die jeweils mehrere Tonkrüge auf ihrem Rücken den Berg hinab transportieren, weil sie sich auf den Märkten in der Tiefebene einen besseren Absatz versprechen. Alle Lasten werden über den Schultern an Naturbändern wie ein Rucksack getragen.

Am Nachmittag wollen wir mit einem Boot auf den Chamo-See hinaus fahren, um Krokodile und Vögel zu besichtigen. Wieder werden wir ein Opfer einer äthiopischen Unbekümmertheit. Eine Stunde müssen wir warten, bis unser gebuchtes Boot endlich von einer Extra-Tour zurück ist. Inzwischen sehe ich mir an, wie die Bauern hier im Überschwemmungsgebiet des Sees leben. Ein Bauer macht mir klar, dass er kein Fischer sei, sondern nur Landwirt. Er zeigt mir seinen Garten mit Baumwolle, Mais, Süßkartoffeln, Paprika und Kohl. Es ist nur soviel, wie er zum Leben braucht. Vom See her leitet er Wasser zwischen seine kleine Anpflanzung. Immer wieder weist er darauf hin, dass hier eine grüne Region sei, nicht eine graue, braune oder gelbe wie in den Hungergebieten Äthiopiens. Nahe bei seiner Hütte hat er auch leere Bienenröhren, deren Konstruktion ich jetzt ganz aus der Nähe ansehen kann. Am Seeufer behauen einige Fischer Baumstämme, von denen sie jeweils vier zu primitiven Flößen zusammenstellen, mit denen sie zwischen den Krokodilen ihre Netze auswerfen.



Fischen zwischen den Krokodilen

Die Fahrt zu den hundert riesenhaften Krokodilen, Marabus, Pelikanen und Flusspferden dauert nur 50 Minuten. Viele neue Tierarten lerne ich kennen: den Goliathreiher, den Sporenkiebitz, den heiligen Ibis u.a..

Beim Abendessen diskutieren wir, ob der Tourismus für die Erhaltung der Traditionen förderlich oder zerstörend wirkt. Habte sieht nur eine zerstörerische Wirkung auf die Traditionen, es sei denn, ein Volk sieht in den Traditionen sein Wesen, seine Identität. Ich erinnere an Traditionspflege in touristischen Zentren. Lederhosen in Bayern und Kuhfellröcke in Südäthiopien.

In Arba Minch sehen wir viele Schüler, auch ältere. Hier tragen sie Schuluniformen in gelben und lila Farben, in Addis in grünen und blauen. Die Einrichtung von Schulen sei ein wesentliches Verdienst der kommunistischen Zeit, meint Habte.

6. Tag, 24.2., Dienstag, von Arba Minch nach Jinka

Als wir morgens weiterfahren, ist es etwas bewölkt. Die Straße am Chamo-See entlang führt durch grünes Land mit vielen Tieren. Wieder lerne ich neue Vogelarten kennen: den Glanzstar, den Sporenkuckuck, den Schopfadler, Milan u.a. Da der Richter die meisten Vögel schon benennen kann und zwei Bücher über Vögel in Afrika mitgenommen hat, werde ich fundiert in die Vogelwelt eingeführt.

Plötzlich sperren wohl hundert Paviane, bekleidet mit grünlichen Pelzmänteln, den Weg. Ein alter Pavian kommt zu unserem langsam fahrenden Auto, geht zur rechten Tür, dann um das Auto herum zur linken Tür, wartet und geht schließlich wieder zurück zu seiner Gruppe.

In diese fruchtbare Landschaft wurden von der Regierung Bauern aus den hoch gelegenen Trockengebieten des Nordens umgesiedelt, erzählt Habte, leider mit schlimmen Folgen. Die Umsiedler vertrugen nicht das feuchte Klima und viele Kinder starben an Malaria.

Am Ende des Sees ändert sich das Bild der Landschaft. Wir kommen durch intensiv bewirtschaftetes Bauernland. In den gepflügten, braunen Feldern stehen niedrige Bäume in hellgrünem Laub, das als Spinat genutzt wird. An manchen Bäumen lehnt ein eingekerbter Baum als Leiter.

Das Land der Konso

Ascham
(Gruß in der Konso-Sprache)

Volk der Konso, auch Komso, Gato, Karate genannt, südlich des Chamo-Sees, kuschitisches Volk, Übernahme vieler Wörter benachbarter Völker, 1-15% lesekundig, Bauern, traditionelle Religion.

Bei unserer Fahrt durch das Siedlungsgebiet sehen wir nur wenige Gehöfte, weil die Konso in 49 großen Dörfern mit bis zu 10 000 Einwohnern leben. Insgesamt umfasst die Volksgruppe der Konso etwa 200 000 Personen. Obwohl die Konso sehr fleißig sind, kann das Land auf Grund der Überbevölkerung nicht alle ernähren. So kommt es in trockenen Jahren immer zu Notsituationen, und die internationalen Hilfsorganisationen müssen auch hier Getreide verteilen.

Die kleinen Rundhütten der Konso liegen kaum sichtbar auf Bergterrassen. Nur vereinzelte Wellblechdächer blinken in der Sonne und verraten die Dorfsiedlungen. Nach einem Plan der UN sollen einige der uralten Konsodörfer zum Weltkulturerbe erklärt werden, um die ursprüngliche Struktur zu erhalten.

Vereinzelt bieten Kinder am Wegrand primitive, selbst gemachte Masken, kleine Paarskulpturen und kleine Stoffpüppchenpaare im Konsostil an. An einer Stelle winken alle Kinder mit hölzernen Spielzeugen, einem Turner und hölzernen Gewehren.

Die menschenleere Landschaft wird westlich vom Dorf Konso zur Wegekreuzung von Woito und zum Omo hin immer trockener und heißer. Teilweise fahren wir über staubige Sandpisten mit 40-60 km/h. Bei unserer Mittagspause in Woito sehen wir die ersten barbusigen Frauen. Eine Feder am Hinterkopf, ein Holzstück oberhalb der Stirn und Kuhfelle um die Hüften und die Schulter lassen sie sehr exotisch aussehen. Die Kinder tragen Fransenröcke aus Kuhfellstreifen. Etwa 15 Angehörige der Tsemay halten sich hier als Fotomodelle auf. Sie wollen Geld und sie reißen sich gegenseitig die Münzen und Scheine aus den Händen. Einige Männer tragen als Zeichen des Fortschritts Uhren und sie wissen, dass ihre Uhren eine andere Zeit anzeigen als unsere europäischen Uhren. Eine Frau probiert meine Sonnenbrille aus, kann aber durch meine Sehstärkengläser nicht gut sehen und gibt sie mir zurück. Die Männer haben alle eine hölzerne Kopfstütze in der Hand. Die ist für alle Hirtenvölker unentbehrlich und wird überallhin mitgenommen. Hier kann man sie kaufen, auch Räucherharze und bunte Perlenketten.

Woito, nur noch 650 m hoch, besteht aus einem Restaurant mit einer Busstation und ist entstanden, weil es in der Nähe eine Baumwollplantage gibt und sich in der Erntezeit hier manchmal 1000 Leute aufhalten, wie Habte sagt. Wir essen das äthiopische Nationalgericht, einen kalten Injera-Pfannkuchen mit Kichererbsenmus und als Nachtisch Mangos und Bananen, die wir am Chamo-See gekauft hatten.

Hinter Woito beginnt das Grenzsperrgebiet zu Kenia. An einer Schranke werden wir kontrolliert und überqueren dann den Fluss Weito. 38° Hitze. Wir biegen nach Nordwesten ab in Richtung Jinka. Im Schatten eines Baumes lagern Hirten vom Stamme der Benna. Ihre Kopfstützen, Messer, Kürbisflaschen und ein Gewehr liegen neben ihnen, während sie im Sand ein typisches Spiel mit Steinen in kleinen Kuhlen spielen.

Am Wegrand stehen manchmal Körbe mit Holzkohle zum Verkauf.

Allmählich kommen wir wieder auf eine Höhe von 1400 m und die Erde wird wieder fruchtbarer. Hier leben die Ari als Bauern.

In Jinka beziehen wir ein einfaches Hotel anstelle des schönen, terrassierten Campingplatzes. Am Abend haben wir auch Elektrizität, so dass ich meine Kamerabatterien aufladen kann, bevor wir am nächsten Morgen zum Camp in den Mago-Nationalpark fahren.

Da der Tourplan nach Habte voller sinnloser oder unmöglicher Angebote steckt, stellen wir ihn erneut um.

Gegen die Enge im Auto können wir nichts unternehmen.

7. Tag, 25.2., Mittwoch, von Jinka in den Mago-Nationalpark bei Neri (590 m)

Bei den Mursi

Das Volk der Mursi, auch Merdu, Nursu und Dama genannt, 5 000 Menschen, in der Ebene süd-westlich von Jinka, ein nilotisches Volk, verwandt mit den Suri im Sudan, Hirten, trad. Religion.

Heute fahren wir nur 45 km, zuletzt steil abwärts von 1400 m auf 590 m zum Zeltplatz am Fluss Neri. Hier schlagen wir die Zelte auf, und ein Scout führt uns 35 km durch den Busch zu einem Lager der wilden Mursi mit den berühmten Tellerlippen-Frauen. Das Thermometer zeigt 38°. Ein schmaler Weg aus Stein, Sumpf oder Sand, den ein Jägerfreund angelegt hat, führt durch dichtes, dorniges Buschland. Kuduböcke mit schönen Seitenstreifen und gedrehten Spießern, Zwergrehe (Tipis), stolzierende Großvögel, „Sekretäre“, mit hoch aufgerichteten Kopffedern und Streifenhörnchen kreuzen unseren Weg. Dann springen plötzlich drei Mursi-Krieger in Kriegsbemalung auf den Weg. Ihre Brust ist mit weiß-braunen Ornamenten bemalt. Sie wollen natürlich gegen Geld fotografiert werden, aber Amhar, unser Fahrer, und Habte reagieren wie immer bei solchen Gelegenheiten panisch und versuchen so schnell wie möglich wegzukommen. Die Mursi machen aber erst den Weg frei, als der uns begleitende, bewaffnete Scout sie in scharfem Ton anbrüllt.

Die Mursi sind Hirtennomaden, die normalerweise nur für kurze Zeit, 1-2 Wochen, ein Lager einrichten, in dem Frauen, Kinder und ältere Personen sich aufhalten, während die jüngeren Männer mit den Herden unterwegs sind. Dieses Lager hier existiert schon längere Zeit, weil die Regierung, die die Nomaden sesshaft machen möchte, in der Trockenzeit auch Lebensmittel hierhin lieferte.

Vor dem Eingangstor zum Grashüttendorf der Mursi erwartet uns schon eine größere Gruppe halbnackter, fantastisch geschmückter Eingeborener. Ich denke: Karneval auf afrikanisch. Mit großer Fantasie haben sie sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, die die Natur bietet, dekoriert, um fotografiert zu werden. Wir drei Touristen sind gleich von Dutzenden umringt.

Auch die jüngeren Frauen sind noch traditionell mit mehreren Reihen von Schmucknarben auf dem Bauch und mit großen Tellereinsätzen in den Unterlippen und in den Ohren geschmückt. Wenn sie die Teller herausnehmen, hängt ein wulstiger Lippenring übers Unterkinn und zeigt, dass die unteren Zähne heraus gebrochen wurden, um die runden Holz- oder Tonplatten einsetzen zu können.

Die Frauen zeigen sich besonders aggressiv. Eine fasst meine beiden Handgelenke wie mit einem Schraubstock, drängt mich ins dornige Gebüsch und lässt mich erst los, als der Scout hinzukommt. Eine andere Frau will mir unbedingt einen Lippenteller verkaufen. Als ich nur einen Birr statt zwei zeige, entreißt sie mir den Schein und läuft weg, ohne mir dafür den Teller zu geben. Es ist kaum möglich nur einen Menschen zu fotografieren. Hebt man die Kamera, stellen sich gleich 10-20 Menschen in einer Reihe auf. Sie weisen auf sich oder ihre Kinder und alle fordern Geld, jeder für sich einzeln, eine gemeinsame Bezahlung mit einem größeren Geldschein akzeptieren sie nicht. Als ich einen älteren Mann bezahle, gibt er mir die Geldscheine empört wieder zurück. Ich weiß nicht, warum, will er mehr Scheine? Schließlich stellt sich heraus, dass er die älteren Geldscheine nicht akzeptiert, er will ganz saubere, neue. Ich verstehe, die Scheine werden in fettige Kuhfelltaschen oder in Falten der gefetteten Umhänge gesteckt, so dass diese sehr schnell verschmutzen oder zerfallen. Wann haben die Mursi wohl Gelegenheit diese Scheine auszugeben?

Sehr schnell haben wir unsere kleinen Birrscheine weggegeben. Jeder will 2 Scheine für ein Foto (40 Ct). So hatte ich mir die Begegnung nicht vorgestellt. Ich denke, der Ablauf des Treffens muss ganz anders organisiert werden. Zunächst sollten Touristen die Kamera gar nicht zeigen, sondern sich mit den Eingeborenen hinsetzen, sich ihnen präsentieren, ihnen vielleicht die eigene Kleidung zeigen, sich dann erst ihre Kleidung und ihre Gebrauchsgegenstände zeigen lassen, dann mit einem Eingeborenen-Führer durchs Dorf gehen, sich viel Zeit lassen und später kleine Geschenke wie Rasierklingen, Tabak oder Plätzchen geben. So haben wir es bei den Völkern im Osthimalaya gemacht. Sollte das hier nicht möglich sein? Diese Form des japanischen Sightseeings, hinfahren - aussteigen zum Fototermin – schnell Fotos machen - wegfahren, das macht mich unzufrieden. Der schüchterne Habte sieht aber keine andere Möglichkeit. Schade.

Der Abend bringt noch weitere Überraschungen. Neben unserem Zeltplatz fließt ein Bach ohne Krokodile. Kaum zurück von dem Ausflug zu den Mursi, holt der Richter eine Angel aus dem Gepäck, die er aus Deutschland mitgebracht hat und möchte wie bei seiner ersten Reise vor 7 Jahren wieder Fische fangen. Gepackt vom Jagdtrieb, Schweiß überströmt und ohne Kopfbedeckung steht er mit der Angel am Ufer. Wir und die Einheimischen glauben nicht an einen Erfolg. Aber es dauert nur wenige Minuten und die ersten kleinen Welse haben angebissen. Bald stehen zwei Schüsseln mit kleinen Fischen am Ufer. Die größeren springen immer wieder über den Schüsselrand in den Sand. Kinder, die dem Koch helfen wollen, sind aufgetaucht. Sie reinigen die Fische und werfen sie zurück in die Schüssel. Auch sie dürfen angeln und haben Erfolg. Schon freuen wir uns auf eine kleine Abwechslung im Speiseplan und informieren den Koch, da taucht ein Aufseher des Nationalparkes auf. Alle Fische müssen zurück ins Wasser. Hier ist Angeln verboten. Wir trösten uns am Abend mit äthiopischem Rotwein, italienischen Spaghettis und dänischen Käseecken.

Eine abendliche Rundfahrt zur Beobachtung der Tiere im Mago-Nationalpark gestaltet sich weniger problematisch: Giraffengazellen, Wasserböcke, Warzenschweine, Großtrappen u.a. Vögel verlangen keine Geldscheine. Nur die bremsenähnliche Tsetsefliege peinigt uns, aber nur solange die Sonne noch heiß am Himmel steht. Ich bade sogar noch im Fluss, obwohl das warme Wasser den Körper kaum abkühlt. Und Bilharziose? Habte meint, die gibt es nicht in fließenden Gewässern. Na also.

Ein Lagerfeuer weckt Jugenderinnerungen. Erlebnisse beim Jungvolk und bei den Pfadfindern werden ausgetauscht, Lieder aus der Wandervogelzeit angestimmt. Die letzten Reste des Rotweins getrunken. Die Nacht im Zelt verbringen wir ohne Fliegen und Mücken. In der Ferne hören wir mehrmals das dumpfe Gebrüll der Löwen, das Grunzen der Paviane und das schrille „hä hir hir“ der Seidenfellaffen.

8. Tag, 26.2., Donnerstag, vom Camp am Fluss Neri zum Camp Murulle

Morgens noch mal ein Bad im Neri, bei dem die Fische zwischen den Beinen spielen, dann bauen wir unser Lager ab, fahren durch den Fluss, durch eine weite Buschsavanne, die immer trockener wird, bis schließlich nur noch Sandflächen mit meterhohen Termitentürmen uns begleiten. Die Wagenräder wühlen sich durch feinen Sand, dass die Sandwellen über uns zusammenschlagen. Kreuz und quer fahren wir in Schlangenlinien zwischen dornigen Büschen, die ins Fenster hinein schlagen. Gibt es hier ältere Fahrspuren, an denen wir uns orientieren könnten? Hin und wieder. Hier verfahren wir uns immer wieder, sagt Habte. Wenn eine Rinderherde hier gelaufen ist, dann sieht man nichts mehr. Hält der hohe Aufbau auf dem Autodach? Haben wir keine Gepäckstücke verloren? Sind die Kartoffeln noch im Sack oder hängen sie in den Dornenästen? Mehrfach müssen die Aufbauten festgezurrt werden. Die Temperaturen steigen wieder auf 38°. Die Sonne brennt durchs Seitenfenster. Mit einem Hemd wehre ich links die Sonne ab und klammere mich mit der rechten Hand an den Vordersitz des Fahrers, um nicht so stark hin- und hergeschleudert zu werden. Unserem Fahrer geht es gar nicht gut. Seit einigen Tagen hat er Magenkrämpfe und muss sich übergeben. Der Richter hat seine Frühjahrsgastritis aus Deutschland mitgebracht, aber mir, meinem Magen und meinem Rücken geht es gut.

Unser nächster Zeltplatz Murulle liegt nicht mehr idyllisch am Fluss, sondern ist mit einem hohen Zaun umgeben, eine Abgrenzung zu den Unterkünften der reichen Jäger, die hier für 150 US-Dollar die Nacht ein kleines einfaches Häuschen mieten können, um dann für 10 000 US-Dollar einen Elefanten oder einen der seltenen Kuduböcke im NP abzuschießen. Ein norwegisches Paar, ein Engländer und ein Franzose fahren gleich weiter, als sie hören, dass ein einfaches Reisessen 15 Dollar kosten soll. Wir haben einen Koch, der uns Kaschmiri-Reis mit Rosinen, Zuckermais und Thunfisch vorsetzt. Der Fluss Omo liegt tief unterhalb des Übernachtungsplatzes. Wir können es fast nicht glauben, dass in der Regenzeit das Wasser etwa 10 m steigen soll und den Platz und die Häuschen unter Wasser setzt.

Das Volk der Karo

Karo, auch Kere genannt, am Omo-Fluss bei dem Stamm der Hamer-Banna, mit denen sie sprachlich verwandt sind, Bauern, nicht verwandt mit den Kara im Sudan.

Die ersten Angehörigen des Volkes der Karo kommen, als wir die Zelte aufschlagen. Auch sie tragen typische Erkennungszeichen. Ihre dunkelbraune Haut glänzt rötlich von der roten Erde und dem Fett, mit denen sie ihre Haare behandeln. Dazu kommt noch ein langer Nagel, der unterhalb der Unterlippe die Haut durchbohrt und wie ein Dorn absteht. Ihre Kleidung entspricht der anderer Hirtennomaden: Kuhfelle, die mit Glasperlen bestickt sind, und viele Ketten und Kaurigürtel um den Hals. Auf dem Rücken finden sich Schmucknarben.

Das Volk der Karo umfasst nur einige tausend Menschen, von denen die meisten in drei Dörfern wohnen. Sie sind verwandt mit dem Volk der Hamer, die wir später auch kennen lernen. Ihre Feinde, die Bume, wohnen auf der anderen Seite des Omo. Wenn ein Karo einen Bume getötet hat, dann darf er diese Tat durch Schmucknarbenmuster auf der Brust oder auf dem Bauch anzeigen. Hier findet man also eine ähnliche Geisteshaltung und eine ähnliche Tradition wie bei den Wanchos im Osthimalaya, die als Kopfjäger durch Gesichts- und Brusttätowierungen und andere Zeichen ebenfalls anzeigen, dass sie den Kopf eines Getöteten ins Dorf gebracht haben.

In der Mittagszeit steigt das Thermometer auf 40° und die Kamera und die Wasserflasche sind so heiß, dass man sie nicht mehr anfassen mag.

Als 16.30 Uhr ein leichter Wind aufkommt, fahren wir zu einem Karodorf auf einem Bergrücken. Grashütten stehen ohne jeden Baumschatten im Sand. Dazwischen auf niedrigen Gerüsten kleine Vorratshäuschen mit spitzer Grashaube. Ein enger, niedriger Eingang, den man leicht mit einem Schild oder einem Dornenzweig verschließen kann, führt in einen Rundraum mit einer Feuerstelle und einigen Kuhfellen auf dem Sandboden, die als Sitz- oder Schlafstellen dienen. An dem hölzernen Stangengerüst der Hütte hängen Kalebassen für Lebensmittel und Wasser. Die Bewohner arbeiten unter niedrigen Podesten, die etwas Schatten spenden. Einige Frauen zerkleinern mit einer Steinrolle Körner, zwei ältere enthaaren ein Kuhfell, andere stellen aus Glasperlen Schmuckbänder für den Kopf her. Sobald wir ein Foto machen, verlangen auch sie 2 Birr als Bezahlung. Im Schatten einer Grashütte reibt eine Frau einer anderen eine rote Lehmpaste in die kurzen Haare, die sie in einer Dose mit Wasser anrührt. Anschließend streut sie trockenes rotes Pulver über die Haare, bis die Haare kleine dicke Klümpchen bilden. Mit Butter werden die Haare dann zum Glänzen gebracht und in der Sonne läuft das Fett über das Gesicht und den Hals und macht die Frauen zu strahlenden Schönheiten. Die Karo sind nicht so zudringlich wie die Mursi. Sie sind freundlicher, lachen über uns und über sich. Sie versuchen Ketten, Kopfstützen und Dolche zu verkaufen. Die älteren passen auf, dass die jüngeren den Umgang mit Geld lernen und sie ihre Waren nicht zu billig verkaufen.

Auf der Rückfahrt sehen wir plötzlich eine Gruppe vom Volk der Hamer, die schwer bepackt ihren gesamten Hausrat mit sich schleppen, um an den Ufern des Omo etwas Mais oder andere Lebensmittel anzubauen. Die Nomaden nutzen die feuchten Uferränder des Omo, der nach der Regenzeit allmählich die fruchtbaren Uferzonen frei gibt, als Anbaufläche. Im Gegensatz zu den Karofrauen tragen die Frauen der Hamer die Haare lang, aber ebenfalls mit roter Lehmpaste verdickt und mit Butter bestrichen. So sehen sie nicht nur schön aus, sondern duften auch schön nach ranziger Butter und nach Kuhfellen. Sie tragen keinen Nagel durch die Unterlippe.

Die Männer schmücken ihre Haare in ganz besonderer Weise. Sie rasieren die Haare und legen Tonschalen über den Schädel, die sie dann mit Mustern rot, schwarz oder weiß bemalen. Einer der Männer hat die vordere Hälfte des Schädels rot angestrichen, womit er anzeigt, dass er ein größeres Tier, vielleicht einen Schakal, erlegt hat. Schmucknarben auf dem Oberkörper zeigen ebenfalls an, welches Prestige er genießt.

9. Tag, 27.2., Freitag, vom Camp Murulle nach Omorate und Turmi (985 m)

Die Nacht ist unerträglich heiß. Erst gegen 4 Uhr morgens kühlt es etwas ab. Aus den beiden Duschen fließt warmes, braunes Wasser.

Wir fahren in südlicher Richtung durch den Mago-NP in Richtung Turmi. Die Landschaft erinnert an eine Industriebrache. Überall ragen die hohen, dünnen Schlote der Termitenbauten in die Höhe, manche bis in die Wipfel der Bäume. Dann gibt es keine Bäume mehr, nur noch hohes, dürres Gras und Dorngebüsch, zwischen denen Riesentrappen, Kudus und große Herden von Landantilopen laufen. Um die Vögel genau bestimmen zu können, holt der Richter sein Vogelbestimmungsbuch aus dem Rucksack.

Vor Omorate sehen wir in der öden Landschaft Zementaufbauten von Bewässerungskanälen, die während der kommunistischen Zeit Äthiopiens von den Nordkoreanern gebaut wurden, aber nie ganz fertig gestellt wurden. Die Regierung suche einen Investor für eine Anlage von Baumwollplantagen, sagt Habte. Vor Omorate vergammeln ebenfalls etwa 20 Raupenfahrzeuge, die für Straßenbau o. ä Maßnahmen gebraucht wurden. Seit etwa 50 Jahren ständen die hier.

Hier in der Gegend gab es früher eine Brücke über den Omo. Jetzt kann man nur noch mit Booten an das östliche Ufer kommen. In dieser Richtung liegt der abgelegene Omo-NP, zu dem eigentlich unsere Reise hätte gehen sollen, wenn nicht wegen der Unruhen bei Gambela diese Route abgesagt worden wäre. Am Ufer des Omo liegen viele schmale Baumkanus, aber wir benutzen ein Blechboot, um auf die andere Seite zu einem Dorf der Gallep zu gelangen, begleitet von vielen schwimmenden Kindern.

An den feuchten Ufern bauen die Gallep Hirse und Mais an, die später zu Mehl verarbeitet werden und dann zum Essen als Teigwürste im Wasser gekocht werden.

Die niedrigen Rundhütten der Gallep haben außen eine Haut aus Rinde und Stangen und einen kleinen Eingang, der durch einen Dornenzweig verschlossen wird. Wie auch in den Dörfern anderer Nomaden, gibt es im Dorf keinen Baum oder Strauch, der Schatten spendet. Nur 100 m abseits, wo die Männer sitzen, steht ein Baum und ein Schattengerüst für Versammlungen.

Die Frauen der Gallep tragen an ihren Fellschürzen viele verschiedenartige Metallteile, die beim Gehen klingeln. Auch an den Beinen und den Armen befinden sich viele Metallreifen, die beim Tanzen gegeneinander schlagen und einen rhythmischen Sound ergeben. Als ich frage, ob die Frauen tanzen wollen, führt eine ältere Frau für 25 Birr mit etwas schüchternen, jüngeren Mädchen mehrere Tänze vor.

Vor dem Besuch hatte Habte uns gewarnt, die Gallep seien sehr schmutzig, würden sich kaum waschen und würden deshalb unangenehm stinken. Wir können allerdings keinen Geruchsunterschied zu den Karo und Hamer feststellen. Alle riechen nach ranzigem Fett und Kuhfellen. Habte zeigt sich wieder sehr zurückhaltend, so dass wir nach einem kurzen Fototermin wieder zurückfahren.

Im Dorf Omorate auf der anderen Flussseite essen wir ein von unserem Koch vorbereitetes Essen und trinken Kaffee, für den vor unseren Augen Kaffeebohnen frisch geröstet und zerstampft werden, eine in Äthiopien übliche Kaffeezeremonie.

Im Land der Hamer

Die Hamer, auch Hamar-Banna, Hamer-Koke oder Kara genannt, 25 000, am südlichen Omo-Fluss und in der SW-Ecke an den Grenzen zu Kenia, Uganda und Sudan. Die Hamer und Banna gehören zu unterschiedlichen ethnischen Gruppen, sprechen aber dieselbe Sprache. Hirten, trad. Religionen und Christen.

Danach fahren wir in 3 Stunden auf einer breiten Sandpiste durch eine öde Savanne zum Marktort Turmi. Das Zeltcamp liegt neben einem ausgetrockneten Fluss unter dornigen Schirmakazien. Wir beziehen feste Zelte mit Bambusbetten und –Sesseln. Abseits stehen zwei primitive Duschen und Toiletten. Die Wasserbehälter für die Hände und die Wassertonnen fürs Toilettenwasser werden von Bienen als Tränke benutzt. Habte beendet heute sein Führungsprogramm relativ früh, so dass wir bei 38° selbst loswandern können.

Ich nehme mir einen kleinen Guide, der etwas Englisch spricht und gehe mit ihm in ein nahe gelegenes Dorf der Hamer, begleitet von zwei Wasserträgerinnen, die beide mit einem großen Plastikkanister Wasser geholt haben. Die Kanister sind mit Sisalfasern wie Rucksäcke am Rücken befestigt. Eine Frau ruft fröhlich lachend „Foto, Foto!“, die andere redet ernst auf sie ein. Bei ihren Rundhütten gehen sie in die Knie und setzen ihre schweren Lasten auf den Boden. Als die eine Frau in ihre Hütte geht, darf ich ebenfalls durch den engen Einlass hineinkriechen und filmen, wie sie zwischen zwei Feldsteinen ein Feuer anzündet. Als ich danach eine Teilansicht des Dorfes filme, kommt eine alte Frau angelaufen und will für das Foto ihrer Hütte Geld. Eine Diskussion führt zu nichts. Die Kamera hat in Richtung ihrer Hütte gezeigt, also soll ich zahlen. Ich gehe schließlich auf das Geschäft ein und mache ihr mit Gesten klar, sie solle zu ihrer Hütte gehen und hineinkriechen. Für diese Filmszene gebe ich ihr dann 2 Birr. Ganz zufrieden ist sie damit allerdings nicht, weil sie anschließend noch immer auf das Grasdach ihrer Hütte zeigt.

Ich sage o.k. und gehe mit meinem kleinen Guide weiter zu seiner Elternhütte. Dort bereitet seine Schwester gerade aus Hirse und Maismehl Teigwürste, die sie in einen großen Tontopf wirft, der auf Feldsteinen über einem offenen Feuer steht. Die Mutter ist zur Feldarbeit an den weit entfernten Omo-Fluss gegangen, um am feuchten Ufer Mais und Hirse zu säen. Im Hintergrund sitzt die uralte, blinde Großmutter, die aufsteht und sich hinaustastet. Kurz darauf erscheint eine Tante, die mit dem Jungen schimpft und immer erregter auf ihn einredet, so dass er immer kleinlauter wird und vor sich auf den Boden schaut. Mädchen sind inzwischen hinzu gekommen, grienen, vielleicht schadenfroh oder zur Besänftigung, während das Gezeter nicht aufhört. Ich zucke fragend mit den Schultern, was ist, gibt es ein Problem? Schließlich gebe ich dem kochenden Mädchen 2 Birr, nicke der keifenden Tante freundlich zu, gebe ihr einen Birr und verlasse die Hütte mit dem Jungen.

Durch Torbögen in den Dornenhecken, die die einzelnen Gehöfte umgeben, gelangen wir zu einer anderen Hütte. Eine Mutter bestreicht gerade die halblangen, verfilzten Haarsträhnen ihrer Tochter mit Lehm. In der Ferne hören wir noch das Geschrei der Tante. Erst allmählich verliert sich der bedrückte Gesichtsausdruck meines Guides. Ich bringe ihm verschiedene deutsche Worte bei und er sagt mir Begrüßungsformeln der Hamer. „Fedaio“ als Antwort auf eine Begrüßung oder „miso“, wenn man ein Tier erjagt hat und Einschnitte ins Ohr gemacht hat.

10. Tag, , 28.2., Samstag, Ausflug von Turmi nach Dimeka, einem Marktort der Hamer (1170 m)

Die Nacht ist heiß. Erst gegen 4 Uhr wird es etwas kühler. Um 9.30 Uhr fahren wir zum großen Markt der Hamer nach Dimeka. Wie üblich wandern die Hamer von vielen Dörfern aus mit Hühnern und Ziegen, mit Fellen, Butter, Honig, Tabak, Salz und Heu, Holz und Töpfersachen zum Marktplatz am Flussbett des Keske, der auch am Camp von Turmi vorbeifließt, allerdings nur in der Regenzeit Wasser führt. Einige Schwarze haben Löcher gegraben, in denen sich Wasser sammelt, so dass sie sich waschen oder das Vieh tränken können.

Der Markt hier gibt ein überraschend traditionelles Bild. Die Hamer tragen fast alle ihre Lederumhänge, lieben Perlenschmuck und sind freundliche Leute. Bald habe ich wieder einen kleinen Führer, einen Schüler mit Namen Gino, der mir alles erklärt. Er zeigt auf die dicken Eisenreifen um den Hals der verheirateten Frauen, die bei der Heirat vom Schmied vernietet werden. Die Hauptfrau trägt noch einen Zusatzreifen mit einem vorstehenden Griff, der einen Phallus als Fruchtbarkeitssymbol darstellt. Eine Frau koste etwa 20 Kühe. Auffallend sind Männergruppen mit geschorenem Kopf, die statt der Haare eine aus Lehm modellierte, farbige Kopfschale tragen, die mit Perlen und Federn geschmückt ist. In den Händen tragen sie eine lange, dünne Rute, die sie für eine seltsame, schockierende Sitte, das Auspeitschen von Frauen, benötigen.

Dieses so genannte Frauenpeitschen steht im Zusammenhang mit einem einzigartigen Initiationsritus der Hamer. Wenn junge Männer ihre Familie verlassen, um ein eigenes Leben zu führen, dann lassen sich die weiblichen Mitglieder der Familie peitschen, um damit ihre Trauer über den Verlust und ihren Mut zu zeigen.

Viele Frauen, die hier Ware verkaufen, haben auf dem Rücken lange Narben von solchen Ritualen, die sie ungeniert, ja stolz zeigen.

Die Hamermänner zeigen uns die vielen Messingringe an den Armen, die sie beim Tanzen rhythmisch aneinander schlagen und reiben, wodurch die Haut unter den Ringen entzündet und geschwollen ist.

Auf dem Marktplatz steht nur ein Baum und seitwärts eine Baumgruppe. Gino fragt, ob ich das schwachprozentige Hirsebier oder das stärkere Honigbier probieren möchte. Ich möchte bei Temperaturen von 38° Celsius nur etwas Wasser trinken. Im einzigen Restaurant gibt es kein Flaschenwasser mehr, nur süßes Pepsi und Kaffee. Ich möchte Ambo, eine Flasche Wasser. Habte kann es besorgen.

Gino macht mir das Angebot zu filmen, er brauche nicht dafür zu zahlen, aber er brauche Geld, da er in Jinka zur Schule gehe, seine Eltern brauchen Geld und die Schule brauche Geld. Später möchte er gerne nach Deutschland.

Auf dem Rückweg zum Camp stoppt uns unterwegs eine Gruppe Kinder, die begeistert Lieder von ihren Rindern singen. Endlich wieder lebendige Folklore. Ich filme. Habte gibt allen 15 Birr.

Ein Höhepunkt unserer Reise wäre der Besuch eines „Bullensprungs“ gewesen. Leider erklärt Habte, das Dorf, in dem es zum Bullensprung käme, läge zu weit abseits. Mir wäre dieses Erlebnis mehr wert gewesen als die Besichtigung weiterer Nationalparks mit Tierbesichtigungen. Der Bullensprung ist wie das Frauenpeitschen ein Teil des Initiationsritus der jungen Männer, die viermal über den Rücken von etwa 20 Stieren laufen müssen, um in die Gemeinschaft der Männer aufgenommen zu werden.

Im Camp angekommen, stellen wir überrascht fest, das Camp ist voll belegt. Zwei Trucks mit etwa 20 Holländern sind da und ein Dutzend Jeeps. In der folgenden Nacht nimmt das laute Starten und Abfahren der Autos kein Ende. Das ist keine Buschidylle mehr!

Im ausgetrockneten Fluss neben dem Camp graben die Hamer tiefe Löcher, aus denen sie Wasser in Eimern und Kalebassen herauf schaffen. Bei dem Volk der Borenas an der kenianischen Grenze, zu denen wir ursprünglich auch fahren wollten, wird das Wasser mit einer Menschenkette in 5 Stationen aus tiefen Löchern nach oben geholt.

Wenn die Hamar ihr barjo älá feiern, dann kommen die Männer zusammen und der Älteste singt Verse, deren letztes Wort von allen wiederholt wird. Text nach Ivo Strecker (1979b)

The rain. shall fall, fall (hanshé)
the children shall play, play (yegé)
the plants shall smell good, smell good (gáme)
the rains shall stand in puddles, stand in puddles (káte)
the rain shall turn into plants, turn into (maté)
the herds shall enter the homestead, enter (ardé)
the flood water shall flow upwards, flow (mirsé)
(it shall be like) butter, butter (bodi)
rain (dobi)
well being, well being (nagaia)
sickness shall go away (yi'é)
it shall fall like a dried up leaf, fall (pille)
away, away (wollall).

Zum Mittagessen zeigt uns unserer Koch Salomon wieder seine Kochkünste: es gibt Pizza und Gemüsesalat. Wir spenden ihm wieder einmal Beifall.

Einer der Mitreisenden zeigt, wie man den Menschen hier helfen kann. Bereits während der ersten Tage hatte er in einer abgelegenen Hütte eine große Tasche mit gebrauchten Kleidern verteilt. Hier im Camp versorgt er mehrere Hautentzündungen mit einer antibiotischen Salbe, mit Puder und Pflaster, verteilt sogar Vitamintabletten, dabei ist er nicht Arzt, sondern kaufmännischer Angestellter. Sehr lobenswert! Besonders kümmert er sich um ein augenkrankes Mädchen, das aber selbst bei der Behandlung nicht vergisst, uns zu fragen „Foto, Foto? – Birr, Birr !“ Die mitgebrachten Rasierklingen für die Rasur der Köpfe stehen nicht so hoch im Kurs, wie erwartet.

Dass man hier im Süden auch per Anhalter reisen kann, erfahren wir von einem Franzosen aus Lyon, den wir bereits im Camp des Mago-NP getroffen haben. Auch er ist schockiert von dem Massentourismus im Camp von Turmi.

Am Nachmittag, die Hitze steigt wieder über 38° C, - selbst meine beiden Mitreisenden stöhnen, eine solche Hitze hätten sie in Afrika noch nicht erlebt - , fahren wir gegen 16.30 Uhr in ein Dorf der Hamer mit mehreren Gehöfteinheiten. In einer Hütte können wir eine Frau sehen, die sich mästen lässt. Sie trinkt unablässig flüssige Nahrung, während eine andere Frau Mais zerreibt und für den Erfolg der Schönheitskur verantwortlich ist. Diese Frau lebt etwa einen Monat in der Hütte. Während dieser Zeit darf sie die Hütte nicht verlassen. Sie darf nur essen und trinken, damit sie zunimmt, um ihren Mann mit ihrer Körperfülle zu beglücken.


Bennafrau mit Hausrat auf Wanderung

Fortsetzung des Reiseberichts, Süd-Äthiopien II (15 Seiten, 14 Fotos)

Reisetagebuch 11. - 18. Tag

Äthiopische Probleme der Gegenwart

1. Das Minderheitenproblem (Die Oromo und ihre Geschichte, Die Janjero)
2. Politische Situationen (Die Umsiedlungsprogramme unter der Militärregierung, Verfolgungen und Tötungen von Oppositionellen)
3. Das Aids-Problem
4. Archaische Muster in den alten traditionellen Kulturen einiger Völker Südäthiopiens,
5. Meinungen: „Necrologie. Pourquoi l`Afrique meurt“ von Stephen Smith, weitere Literatur

West-Äthiopien 2013
Nord-Äthiopien I 2003 Infos zur politischen und geschichtlichen Entwicklung und geographischen Karten
Nord-Äthiopien II 2003
Imkerei im Bienenland Äthiopien 2013

Homepage