Südäthiopien 2004 Teil 2


Grüne Landschaft südlich von Addis Abeba im Februar

1. Teil (22 Seiten, 22 Fotos)

2. Teil: (15 Seiten, 15 Fotos)

- Reisetagebuch: Konso, Nechisar Nationalpark, Awasa, Bale-NP, Oromoland, Awash-NP, Addis Abeba

- Äthiopische Probleme der Gegenwart (Das Minderheitenproblem, Die Oromo, Politische Situationen, Aidsproblem, Archaische Muster in den traditionellen Kulturen, Fragen und Meinungen)


Trockene Landschaft südlich von Addis Abeba im Februar

Reisetagebuch

11. Tag, 29.2., Sonntag, von Turmi nach Erbole und Konso

Am Morgen sind die Wasservorräte des Camps aufgebraucht. Sie reichen nicht für über 100 Personen. Die Toiletten, zwei betonierte Löcher, sehen entsprechend aus.

Die Piste nach Woito führt zunächst bei 33° C durch öde Savanne. Der Weg wird immer schlechter, entlang den Hamerbergen sind große Teile des Fahrdamms weggespült worden, deshalb müssen wir durch das ausgetrocknete Flussbett fahren. Immer wieder treffen wir freundlich winkende Hamer, die mit Ziegenherden unterwegs sind.

Der Besuch des Dorfes Erbole wird wieder sehr stressig, weil die Einwohner für alles eine Bezahlung fordern: für das Fotografieren des eigenen Körpers, für das Baby auf dem Arm, für die Hütte im Hintergrund. Bei den Begegnungen geht es immer nur ums Geschäft. Vielleicht sind menschliche Begegnungen in den Dörfern und auf den Märkten ohne einen Fotoapparat möglich, aber nur vielleicht, denn der reiche Weiße wird auch ohne das „Tauschgeschäft“ Körperfoto gegen Geld angebettelt.

Am Nachmittag sind wir in Konso in dem Hotel Edget, einem Absteigehotel für LKW-Fahrer. Das Zimmermädchen sagt „I love you“, schaut mit schrägem Kopf und sehnsuchtsvollen Augen und nimmt eine Hand in ihre schwarzen Hände, um sie bewundernd wie ein Kleinod zu betrachten und sagt noch mal „I love you“. Auch sie bietet ihren Körper, um Geld zu verdienen.


Das von Kindern gemalte Plakat eines Konsodorfes

Wir besuchen eines der urigen Konsodörfer. Da heute Sonntag ist, haben die Schüler schulfrei und eine Schar von 100 Kindern begleitet uns auf unserem Gang durch die schmalen und steilen Dorfgassen. Am Eingang des Dorfes stehen noch die Reste von Gesichtssäulen und hölzerner Schilde und Speere. Die Gehöfte liegen meist hinter Steinmauern und hohen Holzzäunen als müssten sie sich gegen gefährliche Feinde schützen. Nur an den Steilseiten, dort, wo man nur sehr schwer leben kann, weil der Erdhang senkrecht nach oben oder unten führt und in der Regenzeit das Wasser durch die Häuser schießt, gibt es keine Abzäunungen. Zu einem Gehöft gehören etwa 7 Häuser, in denen mehrere Generationen zusammen mit Ziegen und Hühnern wohnen. Vor den Häusern wird Maniok und Kaffee getrocknet. Etwa 2000 Menschen wohnen hier in 400 Häusern auf engstem Raum. Manche reagieren aggressiv, nehmen Steine in die Hand, wenn ich den Fotoapparat hochhalte, andere winken, wollen fotografiert werden. Die Gassen führen alle auf den Hauptplatz, auf dem die Geschlechterstangen der Clans und Siegessteine stehen. Die Konsos teilen sich in 9 Clans auf, die friedlich nebeneinander wohnen. Für eine Heirat ist eine Nichtverwandtschaft über viele Generationen erforderlich.

Da heute am Sonntag alle Kinder frei haben, werden wir von ihnen in großer Masse umringt. Das nervt unseren Guide Habte wieder so sehr, so dass er nach einem schnellen Rundgang durchs Dorf schon wieder nach Konso zurückfährt.

Am Abend und in der Nacht hören wir wieder Schüsse. Die Polizei empfiehlt über Lautsprecher, das Gehöft nicht zu verlassen, da ein Streit zwischen zwei Clans ausgebrochen sei, außerdem sei ein Lkw mit vielen Mitfahrern verunglückt.

Nach Einbruch der Dunkelheit klopft das schwarze Zimmermädchen mehrmals an das Fenster, geht dann weiter zum nächsten Fenster. Sie möchte von den Touristen etwas Geld. Kurze Zeit darauf geht ein Mann von Fenster zu Fenster und ruft ihren Namen. Gegen 3 Uhr kräht der Hahn zum ersten Mal.

12. Tag, 1.3., Montag, von Konso nach Gidole und Arba Minch

Durch das Land der roten und braunen Erde, vorbei an den grünen „Spinatbäumen“.

Der Markt von Gidole im Flusstal. Frauen bieten in großen Krügen ein alkoholisches Getränk an. Sie wollen kein Geld fürs Fotografieren. Sie sind in Hochstimmung, albern herum, reichen mir einen Becher, sind begeistert oder entsetzt, sich im Display der Kamera zu sehen. Eine Frau mit einem tätowierten Strich über der Nase holt Erdnüsse. An den Ohren trägt sie wie viele andere Frauen Spiraldrähte als Ohrringe. Als Kleid tragen sie ein weißes Webtuch wie eine Toga. Im Konso-Gebiet dagegen tragen die Frauen weite Rüschenröcke und über dem Haar schwarze Netze oder Kopftücher.

In Arba Minch beziehen wir wieder unsere Wabenhäuser im Dorze-Stil mit Blick auf die beiden Seen.

Am Nachmittag steht wieder ein Nationalpark auf dem Programm, der Nechisar-NP auf der Landbrücke zwischen den beiden Seen Chamo und Abachya. Interessant ist, dass die Regierung den Park für 25 Jahre an einen reichen Südafrikaner verpachtet hat.

Wegen der schlechten Wege ist es nicht einfach, in den 1640 m hoch gelegenen Park zu gelangen. Aber die 4 ½ stündige Fahrt lohnt sich wegen der landschaftlichen Schönheiten. Im unteren Teil umgibt uns dichter Busch, dann durchqueren wir einen Urwald mit riesigen Bäumen, dann einen Fluss, an dem sich eine Pavianherde aufhält. Auf steilen Pisten erreichen wir die Hochebene, auf der etwa 4000 Plain-Zebras leben sollen. Immer wieder begegnen uns Riesentrappen, Hornraben und Kudus. In dem hohen Gras der weiten Steppe leben neben den Wildtieren auch die Rinderhirten der Gudji. Einige Grashütten sind leer. Wieder hält sich unser Guide zurück, wie meist, wenn ich Kontakt mit den Menschen aufnehmen möchte und näher an eine Hütte herangehen möchte. Diesmal geht ein bewaffneter Parkwächter mit. Mir ist nicht klar geworden, ob Habte aus Schüchternheit, aus Angst oder auf Grund äthiopischer Traditionen die Begegnungen scheut.

13. Tag, 23.2., Dienstag , von Arba Minch nach Awasa

Nach drei Stunden Fahrt durch ein dicht besiedeltes, fruchtbares Ackerland kommen wir nach Sodo (120 km). Wir sind im Land der moslemischen Oromo. Die Straßen sind voller Menschen, die Frauen tragen schwarze Kopftücher, die Häuser sind größer, die Türen höher. Auf der Straße sind viele Pferdewagen und bepackte Esel unterwegs. Die Oromo unterscheiden sich von den anderen schwarzen Völkern im Süden. Sie sind groß gewachsen, selbstbewusst und misstrauisch.

s. Details unter äthiopische Probleme

Von Sodo aus fahren wir auf einer sehr guten Asphaltstraße über eine flache Hochebene (1700 m hoch) in Richtung Osten. Der Fahrer beschleunigt sein Tempo auf 100. Zitternd zeigt der Wagen, wie schnell er sein kann. Nach 6 Stunden Fahrt treffen wir in Awasa ein.

Vom heutigen Nationalfeiertag, an dem die Äthiopier ihren Sieg über die Italiener bei Adua am 1.3.1896 feiern, merken wir unterwegs nichts. Dabei haben die Italiener gerade erst die von Mussolini entführte Stele von Aksum zurückgegeben.

Im guten Hotel Pina zeigt das Fernsehen unentwegt Szenen und Bilder von der historischen Schlacht bei Adua und von einem Treffen der letzten Kriegsveteranen in der Hauptstadt Addis. Die historischen Bilder zeigen den Kaisers und die Regentin, Leute, die auf einem Löwen reiten, Männer mit Löwenmähnenhüten, tanzende Männer mit Speeren, Schlachtszenen.

Ein Sprechstück, in dem ein Regisseur ein historisches Stück über die Schlacht einstudieren will, wird als lehrreiches Diskussionsstück vor einer Berg- und Sonnenaufgangskulisse geboten. Danach folkloristische Tänze, die ich schon bei der ersten Äthiopienreise durch den Norden gesehen habe.

Darauf Nachrichten aus dem Irak: am Festtag der Schiiten 170 Tote durch schwere Explosionen. Das Wetter: Rom 9°, Paris 8° C., auf dem Balkan in Sarajewo hoher Schnee.

14. Tag, 3.3., Mittwoch, von Awasa (1700 m) nach Goba (2600 m) und dem Bale-Nationalpark

Zum Frühstück gehen wir an das Seeufer, wo wir viele Vögel beobachten können: die Nilgans, den Hammerkopf, den Seidenreiher mit den gelben Füßen, den Blaupunktkopf, Rohrdommeln u.a. Schließlich tauchen auch Affen auch, die unser Frühstücksbrot vom Teller stehlen.

Auf der Post, wo wir unsere letzten Grußkarten einwerfen, klebt der Angestellte zwei zu große Briefmarken übereinander und knickt den Rand auf die andere Seite der Postkarte und ist ganz stolz, dass er das Problem gelöst hat.

Für unser nächstes Ziel benötigen wir 8 Stunden Fahrt. Auf einer Piste mit feinstem Staub geht es endlos lange in Richtung Osten. Am Straßenrand strömen viele Menschen zu einem Marktplatz, viele auf einem Pferd. Leider halten wir an keinem dieser Märkte, wo man die Landbevölkerung eigentlich immer am besten kennen lernen kann.

Die Landschaft verwandelt sich immer wieder. Mal fahren wir durch baumlose Gebiete, mal durch Nadelwälder. Diese Wälder sind ein Werk der Kommunisten, die neben dem Bildungswesen besonders die Aufforstung gefördert haben. Meist fahren wir in einer Höhe von 2500 m. Wegen des Windes und der relativ kühlen Temperaturen haben sich die Einheimischen in alle möglichen Tücher eingewickelt. Nachdem wir einen Pass von 3460 m überwunden haben, geht es am Nordrand des Bale-Nationalparks vorbei, wo wir von vielen Warzenschweinen, Riesen-Erdmännchen, Nyalas und Reedbucks begrüßt werden. Als wir die Lodge im NP erreichen, ist sie von Studenten belegt, so dass wir eine Stunde weiter fahren, um in einem Hotel in Goba zu übernachten. Zum wiederholten Male treffen wir hiermit auf eine Unterkunft, die von der Reiseorganisation nicht vorbestellt worden ist.

15. Tag, 4.3., Donnerstag, von Goba (2600 m) nach Dinsho (3020 m)

Die Bale Mountains

Zunächst fahren wir am Vormittag über staubige Pisten durch aufgeforstete Eukalyptuswälder, zwischen Erikabüschen mit weißen Strohblumen und dunklen Wacholderbäumen in den Nationalpark. Rundhütten liegen im Schatten unter hohen Hagenia-Bäumen, deren rot-braune Fruchtdolden den Bäumen eine herbstliche Farbe verleihen. Dann wird die Landschaft kahler, je höher wir kommen. Schließlich stehen im Felsgeröll nur noch Riesenlobelien wie Sträuße oder Kugelschreiber in der steinigen Landschaft.

Mehrmals sehen wir oberhalb von 3000 Metern den seltenen, endemischen äthiopischen Wolf, auch Schakal oder Simienfuchs genannt, der hier von großen endemischen Wühlmäusen lebt, die bis zu 1 kg schwer werden. Im Jahre 2002 wurden hier 275 Wölfe gezählt; in ganz Äthiopien gibt es nur 600. Von den Riesenwühlmäusen leben auf einem Quadratkilometer etwa 6000, eine Gruppe in einem Tunnelsystem von 90 m. Diese Tiere werden von verschiedenen ausländischen Studien-Gruppen intensiv beobachtet. In 3000 m Höhe ist es lausig kalt. Die kleinen Moortümpel haben am Rand eine Eisschicht. Trotzdem schwimmen auf ihnen dunkle Gänse und Enten mit gelben Schnäbeln. Auf der schmalen Piste kommt uns sogar ein Linienbus entgegen. Wir steuern den Gipfel des Tullu Deemtu (4377 m) an, auf dem sich eine Funkstation mit einer Wärterwohnung befindet. Von hier aus geht der Blick über das Sanetti-Plateau, wo Hasen, Bussarde, Adler, Eulen, Falken und Lämmergeier leben.

Nach 28 km bricht die Hochebene plötzlich auf 1500 m ein und geht in den Harenna Forest mit dichtem Bambuswald und bis zu 30 m hohen Bäumen über, in deren Schatten wilde Kaffeesträucher wachsen und früher, bis 1950 etwa, auch Elefanten und Büffel lebten. Aber soweit fahren wir nicht mehr. Wir fahren zurück zur Lodge des Bale-NP bei Dincho, wo wir einfache Jugendherbergszimmer beziehen. Schweden haben 1980 bei dem Wiederaufbau dieses ehemaligen Farmhauses eines belgischen Schafzüchters sogar eine Sauna eingebaut.

Am Nachmittag wandern wir mit einem Scout durch den angrenzenden Wald. Es ist wie in einem zoologischen Garten. Überall begegnen wir den Nyala-Antilopen mit großen spiralförmigen Hörnern und Punktmustern an der Seite, von denen es im Bale-NP 1500 Exemplare geben soll, den dunklen Menelik-Buschböcken, den sandfarbenen Reedböcken und den mit geschwungenen Hauern bewaffneten Warzenschweinen.

Sobald die Sonne verschwunden ist, wird es sehr kalt. Im Haus sitzen wir am Abend um ein großes Feuer. Oberhalb des Hauses steht im Wald das Zelt eines Ehepaares. Wir haben im Süden schon mehrmals bei 30° gezeltet, aber hier friert es in der Nacht und wir sind froh, nicht in einem Zelt schlafen zu müssen. Allerdings werden die Zelter hier von Warzenschweinen, Nyalas u.a.Tieren besucht.

Während das Simiengebirge im Norden von Trekkern fast überlaufen wird, werden
die Bale Mountains noch als Geheimtipp für Trekkingtouren gehandelt. Es ist möglich mit Maultieren zu fünf Hütten zu wandern und dort zu übernachten oder zu zelten. Achtung! Gefahr der Höhenkrankheit! Diese öko-touristischen Unternehmungen werden mit Hilfe des deutschen technischen Entwicklungsdienstes durchgeführt.

Wir beschließen am nächsten Morgen wieder in wärmere Gefilde zu fahren.

16. Tag, 5.3., Freitag, von Dinsho nach Nazaret, 8 Stunden

Am Morgen liegt Raureif auf den Gräsern und unser Atem zeigt mit einem weißen Schweif die Morgenkälte an. Wie wir suchen auch ein zahmes Nyala und ein Hornrabe die ersten Sonnenstreifen, um sich zu wärmen. Als wir zurückfahren zum Parkeingang, pfeift ein Popol und einige Nyalas schauen uns nach.

Auf staubiger Piste geht es durch schöne Gebirgslandschaft über einen 3500 m hohen Pass nach Dodola. Dort essen wir Spaghetti, während Kinder unser Auto reinigen. Dafür dürfen sie alle Essensreste verspeisen. Ab Dodola verschlimmert sich die Staubpiste noch. Nach endloser Fahrt durch reizlose, braune Hügellandschaft mit wenigen Fotostopps ohne jede Besichtigung beenden wir nach 120 km in Nazareth unsere Reise wegen der Krankheit eines Mitreisenden.


Die Fahne der Oromo neben der Fahne Äthiopiens

Durch das Land der Oromo

Die Oromo, auch Galla genannt, wohnen hauptsächlich in westlichen und zentralen Regionen des Landes, auch östlich von Dessie und Woldiya. Viele Subdialekte, Wochenzeitungen, tägliche Radio- und Fernsehsendungen von Regierung und religiösen Gruppen, 5-15% lesekundig, trad. Religionen, Christen und Muslime.

Im Klappentext zum letzten Äthiopien-Buch des Schriftstellers und Pastors G.Hasselblatt wird noch 1982 in Bezug auf das Oromoland von einem weißen Fleck auf der Landkarte gesprochen und gefragt, ob im nächsten Jahr oder in 10 oder in 50 Jahren die Möglichkeit einer Reise in das Oromoland besteht, „weiß niemand“. Jetzt, 24 Jahre später, fahre ich durch dieses Land und werde zum zweiten Mal mit dem Namen Oromo (s. Reise durch Nordäthiopien) und zum ersten Mal mit den Problemen zwischen Oromo und „Äthiopien“ konfrontiert.

In den Städten und an den Straßen stehen Schilder in lateinischer Schrift mit ungewöhnlichen Buchstabenfolgen, in Oromiya, der Sprache der schwarzen Oromo. Die Sprache der Oromo wird in lateinischer Schrift wiedergegeben und nicht in der alten klassisch Schrift der christlichen Äthiopier. Habte, der zum Volk der Amharen gehört, nimmt das zum Anlass, auf die Gefahr eines Bürgerkriegs hinzuweisen. „Wenn die Oromo sich von Äthiopien trennen werden, wird es einen Krieg geben mit Zuständen wie in Uganda. Hier in Nazaret, der Hauptstadt der Oromo, ging das Streben nach Unabhängigkeit so weit, dass die amharische Schrift nicht akzeptiert wurde und Amharen als Ausländer angesehen wurden. Auch die Oromo haben dem Staat gegenüber bestimmte Verpflichtungen. Gottseidank sind diese Abgrenzungen rückläufig. Die Übernahme des lateinischen Alphabets für das Oromiya hat sich durch die vielen Doppelvokale als unpraktisch erwiesen“. Habte ist stolz auf das große äthiopische Reich, das Kaiser Menelik I. in 15 Eroberungsfeldzügen im 19. Jahrhundert zur Zeit der Kolonialisierung Afrikas durch die Europäer begründete. Dieses riesige Land kann er als Reiseleiter bereisen und kennenlernen. Das sieht er als ein großes Glück an, „denn Äthiopier reisen normalerweise nicht“.

Jetzt am Ende der Reise wird mir bewusst, was der Name Äthiopien alles abdeckt, wie viele Völker mit unterschiedlicher Hautfarbe und unterschiedlicher Kultur und entsprechenden Konflikten sich dahinter verbergen. Habte hat uns durch fremde Länder geführt, in denen er sich oft nicht wohl gefühlt hat. Waren es sogar Teile eines feindlichen Landes? Während er sich bei den südlichen Völkern als überlegener Kulturträger fühlte, weil diese ihn mit Dankbarkeit und oft mit Freundlichkeit akzeptierten, zeigte er sich ängstlicher und zurückhaltender, je weiter wir in das mitteläthiopische Oromoland vordrangen.

Das klassische Äthiopien mit der uralten jüdisch-christlichen Kultur ist nur ein Teil des Staates. Die vielen schwarzen Völker haben ganz andere Wurzeln, bekennen sich zum Islam oder sind Animisten, haben eine andere Geschichte, eine andere Gesellschaftsordnung. Sie wollen sich nicht länger kolonisieren lassen. Sie bekennen sich zu einer anderen Identität. In diesem Vielvölkerstaat gibt es unendlich viel Konfliktpotential. Während die europäischen Mächte ihre Kolonien in die Selbständigkeit entlassen haben, besteht das äthiopische Kolonialreich noch heute. Von draußen dringt der Ruf des Muezzins in mein Zimmer und bestätigt, du bist nicht in dem klassischen Äthiopien mit seiner christlich-orthodoxen Kultur.

Für Habte ist Äthiopien vor allem ein Land mit wundervollen Naturschönheiten, wozu er wohl auch die Hirtennomaden des Südens rechnet. Dieses Land mit seinen Schönheiten ist der Besitz dieses Staates, der den Besitzstand wahren soll. Ich diskutiere mit Habte über die Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Minderheiten und vor allem gegenüber den Kritikern. Aber solche Hinweise tut er ab mit dem Argument, dass der Staat bei einem Auseinanderfallen in einen Bürgerkrieg versinken würde. Gefährlich seien christliche Organisationen wie die Kirche von Brandenburg, die den Separatisten Waffen besorgt hätte.

17. Tag, 6.3., Samstag, von Nazaret zum Awash-Nationalpark, 1000 m

Auf der guten Straße von Addis nach Djibouti kommen wir in 2 Stunden in den Awash Nationalpark. Bis in den Park hinein läuft die Straße parallel zur einzigen Schienenstrecke Äthiopiens, die die Franzosen gebaut haben als Entgeld für einen Pachtvertrag für den Hafen Djibouti, inzwischen ein unabhängiger Staat.

Wir übernachten auf einem Zeltplatz im südlichen Teil in der Nähe des Awash-Flusses. Der Platz befindet sich unter uralten Bäumen, in denen Paviane und Meerkatzen herumturnen. In der Mittagspause schleichen sich die Affen an die Nahrungskiste, reißen Tüten auf und fressen geröstete Gerste. Die Zelteingänge müssen wir verschlossen halten. Auch von oben aus den Bäumen droht Unheil, wenn die Affen von dort ihr Geschäft auf die Zelte verrichten. Wir sind die einzigen Zelter. Die nahe gelegenen Wasserfälle sind eindrucksvoller als die Fälle des blauen Nils bei Bahar Dar. Ein großer Waran stürzt sich in die Fluten. Krokodile, Vögel und viele Schmetterlinge beleben die Flussränder.

Trotz der Höhe von 1000 m haben wir über 33° Hitze. Deshalb fahren wir erst zum Nachmittag mit einem alten Veteranen durch den Park, der vorwiegend aus Busch und Gras besteht und in dem sich nur wenige Tiere aufhalten. Eine Besonderheit sind die Onyxantilopen mit langen spitzen Hörnern und schöner Gesichtszeichnung und Gazellen mit gebogenen Hörnern, weißem Bauch bis zum Hinterteil, wo das Weiß zwei Winkel bildet.

Unser origineller Scout zeigt uns auch einen besonderen Baum mit Bienen, der regelmäßig von einem bunten Bienenfresser-Vogel besucht wird. Dann erzählt er, wie die Schwarzen den Honig aus dem Baum holen. Durch einen Spalt, den sie vielleicht etwas verbreitern müssen, greifen sie mit einem Arm in das Bienennest und brechen die Honigwaben heraus. Damit sie nicht so schnell gestochen werden, bestreichen sie vorher ihren Arm mit Honig, so dass die Bienen zunächst damit beschäftigt sind, den Honig aufzuschlecken.

Am Abend sitzen wir an einem großen Lagerfeuer, das die ganze Nacht brennt und die Tiere von unseren Zelten abhalten soll. Als zusätzlicher Schutz sitzt dort noch ein bewaffneter Parkwächter. Der Nachthimmel wird von einem großen Mondgesicht beleuchtet, das dem europäischen Mondgesicht ganz unähnlich ist, so dass wir den zunehmenden Mond mit dem abnehmenden verwechseln. Die Mondbahn verläuft fast senkrecht über uns in einem geraden Bogen. Grillen zirpen, bis die Nachtkälte durch den Wald zieht, so dass ich meinen Sommerschlafsack mit mehreren Kleidungsstücken bedecke, um nicht zu frieren. Von der anderen Flussseite, wo sich die Mais- und Hirsefelder des Volkes der Keionten befinden, schreit ein Esel ob dieser unangenehmen Kälte.


Auf der Schnellstrasse nach Addis Abeba

18.Tag, 7.3., Sonntag, von Awash nach Addis Abeba

Am Morgen begrüßt uns ein Kuckuck und versucht uns unablässig zurück nach Deutschland zu locken. Die Fahrt zurück geht zunächst durch das Gebiet der Keionten, aber es kommt zu keinem Fotostopp. Habte ist wie meist ganz beschäftigt mit seinen beiden Teamkollegen. Am Straßenrand werden viele längliche Körbe mit Holzkohle angeboten. Wir sehen aber nur niedriges Buschland und fragen uns, woher stammt das Holz? Dann fahren wir mehrfach an Ständen mit großen Stampfbottichen für Hirse und mit Unterlegkeilen für Autos vorbei. Später werden die Angebote an Holz von Plastikkanistern mit Wasser für Lastwagenfahrer abgelöst. Die Kanister sind in einem Bastgeflecht eingebunden, um das Wasser zu kühlen.

Im Hotel erwartet uns eine große Hochzeitsgesellschaft, die von bewaffneten Soldaten begleitet wird. An der Rezeption werden alle Gäste kontrolliert. Nach mehreren Stunden mit Musik und Tanz und lauten Klagen der Brautmutter endet die Feier. Die Braut steigt in einen überlangen Mercedes und die Gesellschaft folgt in sieben weißen Mercedes, während mehrere Fernsehkameras dieses Geschehen aufnehmen. Die Abendnachrichten berichten von der Hochzeit des Sohnes einer wichtigen politischen Persönlichkeit.


Eine reiche Äthiopierin mit Goldschmuck

Damit endet mein zweiter Besuch Äthiopiens, der ganz anders verlief als geplant.

Äthiopische Probleme der Gegenwart

1. Das Minderheitenproblem (Die Oromo und ihre Geschichte, Die Janjero
2. Politische Situation (Die Umsiedlungsprogramme unter der Militärregierung, Verfolgungen und Tötungen von Oppositionellen)
3. Das Aids-Problem
4. Archaische Muster in den alten traditionellen Kulturen einiger Völker Südäthiopiens,
5. Meinungen: „Necrologie. Pourquoi l`Afrique meurt“ von Stephen Smith, weitere Literatur

1. Das Minderheitenproblem

Die Reise machte mir bewusst, dass Äthiopien nicht nur das „Hungerland“ und das exotisch romantische Reich der Königin von Saba mit der alten jüdisch-christlichen Kultur ist, sondern ein Staat, der mehrere revolutionäre Umwälzungen durchgemacht hat und auch jetzt noch voller explosiver Kräfte steckt.

Ein Problem der Gegenwart beruht auf den vielen Völkern, die unter dem Namen Äthiopiens zusammengefasst sind. Diese Völker haben eine ganz andere Herkunft als die hellhäutigen, christlichen Herren des Nordens, die Amharen, die als Kolonialmacht die schwarzen Völker, etwa 80 verschiedene ethnische Gruppen, im 19.Jh. unterworfen haben.

D` Biyab`r Anbassa Yas`r
Wenn die Fäden zusammen sind, können sie einen Löwen fesseln.

K`fat leseriw Ischok latariw
Die üble Tat trifft den Verursacher. Wer seinen Zaun mit Dornen baut, wird als erster gestochen.

Die Oromo

Die Oromo, auch Gallas genannt, besiedelten von Shoa aus den Norden Äthiopiens. Im äthiopischen Staat bilden sie mit 20 Mill. Menschen die Mehrheit. Sie fühlen sich von den nördlichen christlichen Tigrern und Amharen unterdrückt. Habte argumentiert immer wieder gegen ihr Streben für mehr Selbständigkeit. Sie sollten sich zurückhalten, sonst gäbe es einen Bürgerkrieg und chaotische Zustände wie in Uganda.

Nach dem Sturz des sozialistischen Militärregimes im Mai 1991 nach 17 Jahren Bürgerkrieg und 2,5 Mill. Toten hofften sie auf eine Dezentralisierung der Macht und auf Rechtstaatlichkeit. In der neuen Verfassung wurde das Recht auf Selbstbestimmung, auf eine eigene Kultur, Geschichte und Sprache festgeschrieben. Sogar das Recht auf Abspaltung wurde einem Volk zuerkannt, falls es bei der Ausübung der Selbstbestimmung meinen sollte, seine Rechte würden ihm verweigert. (Art.2.) Die politische Entwicklung führte dann aber wieder zu einem Einparteienstaat unter der Vorherrschaft der Tigray, neben den Amharen eine christliche Minderheit aus dem Norden.

Die Oromo verschriftlichten ihre Sprache, das Afaan Oromo, in der lateinischen Schrift und führten ihre Sprache als Verwaltungs- und Unterrichtssprache in der Oromia-Region ein. Diese Zugeständnisse der Regierung sollten wohl die Abspaltung eines eigenständigen Staates Oromiyaa verhindern, und die fruchtbarsten Gebiete Äthiopiens an den Norden binden. Durch die Festlegung des Afaan Oromo als Hauptsprache ergibt sich wiederum die Unterdrückung kleinerer Minderheiten in der Oromia-Region.

Fidel, die aus der Bibelsprache Ge`ez entstandene Schrift der Amharen.
Afaan Oromo, die Oromo-Sprache in lateinischer Schrift

Mainzer Linguisten bringen auf Grund ihrer Feldforschungen in Äthiopien dazu ein schönes Beispiel.

"Zu Hause mit seinen Eltern und Geschwistern spricht Eshetu Oromo, mit den Freunden aus der Nachbarschaft meist Amharisch. Wenn seine Großmutter aus Hosaina zu Besuch kommt, dann unterhält sie sich mit Eshetus Mutter in der Hadiya-Sprache, von der der Junge allerdings nicht viel versteht. Die Mutter übersetzt dann, wenn Großmutter und Enkel allein nicht weiterkommen. In der Schule in Addis Abeba sprechen die meisten Kinder Amharisch, und bis zur 8. Klasse war das für Eshetu auch die Unterrichtssprache. Jetzt, in der 9. Klasse im Gymnasium, werden alle Fächer in Englisch unterrichtet, außer Landeskunde und Sport, die in Amharisch weitergehen. So wie Eshetu sprechen in Äthiopien viele Leute neben ihrer Muttersprache häufig noch ein oder zwei weitere Landessprachen und manchmal etwas Englisch."

Mehrsprachigkeit ist also ganz normal in einem afrikanischen Land wie Äthiopien mit seinen mehr als 70 verschiedenen Ethnien und Sprachen. Der 15jährige Eshetu ist einer von über tausend Schülern in Äthiopien, die die Mainzer während ihrer Feldforschungen im September und Oktober 1997 kennen gelernt haben.

Das Problem der kleineren Minderheiten in Äthiopien wird sehr verständlich und detailliert in einer Veröffentlichung der Uni Bielefeld im Internet dargestellt, in der Seminararbeit „Yem, Janjero, Oromo? Die Konstruktion ethnischer Identität im sozialen Wandel“ von Wossen Marion Popp.

Zur Geschichte der Oromo

Die Oromo haben ihre heutigen Wohngebiete, aus dem Südosten kommend, seit dem 16. Jh. allmählich erobert und sich in fünf Monarchien, den Gibe-Staaten, gegliedert. Das ist deshalb interessant, weil die Sozialordnung der Oromo eigentlich egalitär ist und auf einem Altersklassensystem beruht und nicht hierarchisch war. Zunächst waren sie auch Hirten und nicht Bauern. Die Oromo betrachteten sich in früheren Zeiten nicht als eine politische Einheit, auch religiös gehören sie verschiedenen Gruppen an. Sunnitische Muslime 55-60%, äthiopisch-orthodoxe Christen 30-35%, 500 000 protestantische Christen (Mekane-Yesus-Kirche), 124 000 Katholiken.

Eine gemeinschaftliche Identität wird durch eine gemeinsame Sprache und möglichst durch die gemeinsame Religion des Islam hergestellt. In einigen Zeitschriften wird eine so genannte aadaa oromoo, eine Oromo-Kultur verherrlicht. Die Titel dieser Zeitschriften zeigen dies offensichtlich: Qabee (traditionelles Milchgefäß aus Kalebasse und Gras), gada (Alters- und Generationensystem), Biftu (lebensspendende Sonne) (nach Zitelmann, Der Oromo – Kollektive Identitäten, nationale Konflikte, Berlin, Das arabische Buch, 1994)

Die Janjero (Yamma oder Yem)

Die Janjero/Yem kannten Menschenopfer, eine spezielle sprachliche Gliederung entsprechend dem sozialen Stand und eine Clan- und Klassenzugehörigkeit entsprechend dem ausgeübten Beruf. Der falsche Gebrauch der Königssprache wurde mit dem Tode bestraft. Die verachteten Klassen waren Schmiede, Gerber und Töpfer.

Zwischen den Yem und den Oromo besteht seit alters her eine Feindschaft, weil die einwandernden Oromo seit dem 12., besonders seit dem 16. Jh., die bäuerliche Bevölkerung der Yem vertrieben haben. Das Königreich Janjero bestand bis 1894, als es dem König der Gibe-Staaten, Jimma Aba Jifar, mit Hilfe des äthiopischen Kaisers Menelik gelang, die Janjero zu besiegen und viele Menschen als Sklaven in die fruchtbaren Gebiete um Jimma zu bringen.

Wenn die Janjero zum Islam konvertierten und sich in die Oromo-Gesellschaft eingliederten, wurden sie freigelassen oder durften aus den unfruchtbaren Wohngebieten in das Kaffeeanbaugebiet um Jimma ziehen. Eine Folge dieses sozialen Wandels ist ein Identitätsverlust, der auf Grund von Orientierungslosigkeit zu politischen Problemen geführt hat.

2. Politische Situationen

Die Umsiedlungsprogramme unter der Militärregierung

Viele neue Dörfer sahen wir an der neuen Straße von Jimma nach Sodo. Sie sind an den vielen Häusern mit Wellblechdächern zu erkennen. Diese Umsiedlungen aus den Dürre- und Hungerlandschaften im Norden sind oft schlecht vorbereitet worden und wurden manchmal gewaltsam in abgelegene unwirtliche Gebiete durchgeführt. Deshalb verließ die Bevölkerung wiederum die Dörfer bereits nach kurzer Zeit. Manche tiefer gelegene Gebiete waren auch stark von Malaria betroffen, so dass viele Kinder starben. Oft werden die Neusiedler auch von der alten eingesessenen Bevölkerung abgelehnt. Neben völkischen Unterschieden gibt es die religiöse Unterscheidung zwischen Muslimen und Christen. An einigen Stellen kam es zu Übergriffen.

Verfolgungen von Oppositionellen

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) veröffentlichte am 16. Januar 2004 einen Aufruf an Bundeskanzler Gerhard Schröder, sich im Rahmen seiner Afrika-Reise für Menschenrechte in Äthiopien einzusetzen. „Willkürliche Verhaftungen, Folter, Verschwinden lassen und Erschießungen sind auch dreizehn Jahre nach dem Sturz des Diktators Mengistu Haile Mariam noch immer alltäglich in Äthiopien“. Vor allem Oromo seien allein aufgrund ihrer ethnischen Abstammung immer wieder Opfer staatlicher übergriffe. Die Menschenrechtsorganisation bat den Bundeskanzler, das Schicksal von sieben aus politischen Gründen verhafteten Oromo zu klären und sich für mehr Pressefreiheit einzusetzen. Gegen mehr als 80 Journalisten ermittelten derzeit die Behörden in Äthiopien, weil sie angeblich die Meinungsäußerungsfreiheit verletzten.

Allein in den Jahren zwischen 1974 und 1978 sollen im Namen der Militärregierung 30000 politische Morde begangen worden sein (taz 28.9.94)

Im Herbst 1995 veröffentlichte amnesty international, Referat für politische Flüchtlinge, Bonn, einen Bericht zur Verfolgung von Angehörigen der Oromo-Ethnie im Zusammenhang mit den Wahlen im Frühjahr 1995.

Die sehr engagierten, aber einseitigen Bücher "Schreie im Oromoland", Gespräch mit Gudina (verschleppter Generalsekretär der evangelischen Mekane-Yesus-Kirche), und "Nächstes Jahr im Oromoland" von Pastor G. Hasselblatt beschreiben die Benachteiligungen und Verfolgungen der Oromo durch die herrschende Partei. Durch die Veröffentlichung von Interviews und Berichten über Todeslager, Enteignungen, Zwangsarbeit und Zwangsumsiedlungen klagt er immer wieder die „eklatante Verletzung der Menschenrechte durch den abessinisch-amharischen Rassismus in Äthiopien“ an. Bekannt wurde G.H. im März 1982, als zwei Äthiopier bei der Herstellung einer Briefbombe verunglückten, die für ihn und das Berliner Missionswerk bestimmt war.

3. Das Aids-Problem


Ein von Kindern gemaltes Aufklärungsplakat zur Aidsproblematik

Im Jahr 2000 wurden in Äthiopien 3 Mill. Menschen mit HIV/Aids gemeldet. Inzwischen laufen viele Aktionen dagegen. Angestoßen von der deutschen Gesellschaft für Zusammenarbeit, laufen Aufklärungsaktionen zur medizinischen Versorgung, zur Familienplanung und zu Aids. Wir konnten auf Marktplätzen große Schilder sehen, die als „Walls of Hopes“ Botschaften für die Landbevölkerung darstellen.

Die Informationsblätter des Deutsch-äthiopischen Vereins (www.deutsch-äthiopischer-verein.de) bringen Artikel zur politischen Lage, zur Literatur, zu Neuerscheinungen und zu Veranstaltungen.

4. Archaische Muster in den alten traditionellen Kulturen einiger Völker Südäthiopiens

Sowohl im Süden wie im Norden wird der furchtlose Mann als Held und als Idealbild gesehen. Gelingt es ihm Feinde zu töten, erwarten ihn besondere Ehren.

Kriegsgründe für die Hirtenvölker sind im Süden meist der Kampf um Weidegründe, Wasserstellen und die Erbeutung von Vieh. Während es im Norden meist um die Sicherung von Machtpositionen ging und geht. Es geht aber nicht um Auslöschung von Gegnern, sondern um den Beweis von Mut durch Tötung eines Mannes und die Herstellung von Frieden für die eigene Gemeinschaft. („Töterkult“) Die Tötung von Leben anderer Menschen zeigt, wer der Stärkere ist und wer im Überlebenskampf größere Chancen hat. Das Töten eines Menschen ist also nicht auf den Selbstverteidigungsgrund reduziert. ( Europäische Aufklärung )

Bei Friedensschlüssen werden Tiere geopfert, wobei Vertreter der Konfliktparteien durch die geteilten Hälften eines Tieres hindurch gehen und sich im geöffneten Magen die Hände reichen. Durch das Berühren der getrennten Teile wird die Einheit symbolisch wiederhergestellt. (s.o. Die Kriegsführung bei dem Volk der Dorze)

Von großer Wichtigkeit ist in archaischen Kulturen der Glaube an die magische Kraft von Blut und von Geschlechtsorganen, die gute Fruchtbarkeit, gutes Überleben und glückliches Leben ermöglichen.

Leiden können, das Ertragen und Zufügen von Schmerzen zeigen wiederum die Größe und Stärke und den höheren Wert einer Person. Das Auspeitschen von Frauen bei den Hamer (s.o.) gilt als Trauer um den Verlust eines männlichen Familienmitglieds und als Geschenk und Zeichen der Liebe.

Schmucknarben bei Dunkelhäutigen und schmückende Tätowierungen bei Hellhäutigen und der Stolz darauf und die Anerkennung durch die Gemeinschaft finden sich bei vielen äthiopischen Völkern.


Schmucknarben bei den Hamer und den Mursi

5. Fragen und Meinungen

Ich staune über archaische Lebensweisen, über Verhaltens- und Denkmuster, die es in Europa nicht gibt und die nicht den Wertvorstellungen einer rationalen, aufgeklärten Welt entsprechen.

Ich staune, dass viele gleichartige archaische Formen in verschiedenen Teilen der Welt zu finden sind.

Inwieweit ist das „Archaische“ gegenwärtig?

Hat der Mensch sich durch religiöse Projektionen, durch ethische Forderungen, durch Gesetze, durch Strafandrohungen im Laufe der Jahrhunderte verändert?

Sind die Absonderlichkeiten wirklich so sehr außerhalb der menschlichen Normen und der Normalität der Gegenwart?

Die FAZ berichtet über ein Buch von Stephen Smith, Necrologie. Pourquoi l`Afrique meurt (Paris 2004). .

Keine andere Region der Welt sei so von einem Nebeneinander unterschiedlicher Epochen gekennzeichnet, meint der Journalist, wie Afrika. Afrika, das sei „zugleich das Tamtam und das Satellitentelefon, die Strohhütte und der Wolkenkratzer, der authentische „schwarze König“ und der wahrhaft demokratische Staatschef. Die Afrikaner seien zugleich unsere Vorfahren und unsere Zeitgenossen.

„Die eine Hälfte des Kontinents ist durch Kriege und Gewalt verwüstet, die andere vegetiert zwischen Krise und Korruption, Tribalismus und Anarchie…Die besten Köpfe emigrieren nach Europa und in die USA. In vielen Ländern warten die Staatsbediensteten seit Monaten, nicht selten seit Jahren auf ihre Gehälter. Die Krankenhäuser verfallen, Schulen bleiben geschlossen. Der Staat verflüchtigt sich. Lediglich kleine Inseln behaupten sich in dem Meer von Unglück. Überall schlägt Aids zu.“

Smith erinnert an den Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea 1998-2000 um ein paar Morgen Ödland. Er erinnert an die Zwangsdeportationen der Bevölkerung durch die damaligen Machthaber, gegen die allein „Ärzte ohne Grenzen“ protestierte, deren Organisation deshalb ausgewiesen wurde. Währendessen ließen sich Rockstars dort in Wohltätigkeitskonzerten weltweit feiern. Er erinnert an die wohlwollende Einschätzung des eritreischen Präsidenten, der als Träger der afrikanischen Renaissance galt, der sogar von Hillary Clinton besucht wurde. Er galt als Vertreter eines Afrikas, das bereit ist, sein Schicksal in eigene Hände zu nehmen. Dieser Mann wurde aber nur sieben Jahre später von der New York Times als erbärmlicher krimineller Militärdiktator bezeichnet wird, der ein Volk aushungere.

Smith berichtet von der Todesbilanz in den Nachbarstaaten, von dem Völkermord an den Hutus und listet die Millionen und Hunderttausenden von Toten in den verschiedenen Ländern auf.

Er ist ein „Afropessimist“, der meint, dass Afrika zur Zeit keine Zukunft habe, weil es sich selbst töte und die „afrikanische Renaissance“ nur eine Schönfärberei sei, womit der Westen mit seiner Parole „Weder Einmischung noch Gleichgültigkeit!“ sich selbst belüge.

Weitere Literatur zur traditionellen Kultur der südäthiopischen Völker

- Zeitschrift “Der Überblick”, Afrika stirbt, Ein unterstützter Suizid (Hbg 2004)

- Völker Süd-Äthiopiens (Ergebnisse der Frobenius-Expeditionen 1950-52 und 1954-56), Bd. 3, Westkuschitische Völker von H Straube, 1963

- Im südlichen Abessinien von Hellmut Wohlenberg. 1936/1988


Geht Äthiopien einer Zukunft voller Frieden, Gesundheit und Wohlstand entgegen?