Ein dunkles Jalq'a-Geisterbild und ein helles Tarabuco-Bild mit Alltagsobjekten

Die faszinierenden Textilien von Tarabuco und Jalq'a

Liste von traditionellen Symbolen und figürlichen Darstellungen auf Textilien

Ein besonderes Erlebnis waren für mich nicht nur sie vielen unterschiedlichen Kopfbedeckungen der Indios, sondern vor allem die ganz ungewöhnlichen "Schürzen" der Indiofrauen. Dabei überraschen die großen Unterschiede der Kleidungsstücke zwischen den nicht sehr weit auseinander wohnenden Indios der nordwestlich von Sucre gelegenen Jalq'a-Region und der südöstlich von Sucre gelegenen Tarabuco-Region.

Ich will hier nicht die unterschiedliche Kleidung in den Regionen insgesamt beschreiben, sondern mich auf die interessanten "Bilderschürzen", die aqsus, beschränken (urku in Aymara).

Ein beliebtes Motiv ist der Gott der einsamen Orte und der Tiefe mit Flügeln und haarigen Armen und Beinen, zwei Hörnern und einem Wanderstab, umgeben von verschiedenen Vogelarten.. Die Tiere befinden sich außer jeder Schwerkraft und Ordnung auf dem immer dunklen Hintergrund. Sie sind immer in Bewegung, sie kennen kein Unten und kein Oben, sie befinden sich in einem chaotischen Raum. Selbst in den Körpern der größeren Figuren befinden sich andere Wesen. Die märchenhaften Wesen scheinen sich in einem dauernden Vervielfälfigungs- und Veränderungsprozess zu befinden. Ein Ausdruck unkontrollierter Fruchtbarbeit? Ein Ausdruck einer bedrohlichen, bizarren Geisterwelt?

Dagegen stellen die Bilder von Tarabuco eine symmetrisch geordnete, menschliche Bauern-Welt auf hellem Untergrund dar. Sollen durch diese Bilddarstellungen in einer ungeordneten Welt eine geornete positive Welt beschworen werden? Sind in der Jalq`a-Region die Menschen noch in einer Angst vor unkontrollierbaren Geistern oder vor einer unbeherrschbaren Natur befangen? Die letztere Annahme wird bestärkt durch den Hinweis, dass diese Menschen zu den ärmsten Bauern Boliviens gehören, deren Überleben ganz besonders von der richtigen Folge von Regenzeit und Trockenzeit abhängt.

Woher stammt diese Figurenwelt? Man kann auch annehmen, dass diese Figuren und ihre Darstellung aus uraltem Kulturgut früherer Kulturen stammt. Z.B. finden sich auf den Riesensäulen und auf dem Sonnentor von Tiwanaku Ritzzeichnungen, die phantastische, geflügelte Gottheiten mit einem Stab darstellen. Ebenfalls findet man auf Begräbnistüchern der Wari-Tiwanaku-Kultur solche Wesen. Es also durchaus denkbar, dass die Jalq`in dieser Tradition stehen.


Ein alter Poncho aus der Region Ica (5.Jh.), Küste bei Paracas


Eine Jalq`a- Darstellung

Wie konnten Darstellungen von so gegensätzlichen Weltsichten zu Traditionen von Menschen werden, die so nahe beinander leben und seit Jahrhunderten den christlichen Glauben praktizieren?

Besuch im Dorf Potolo, wo die Jalq'a-Textilien hergestellt werden.
(Bericht aus der TAZ vom 14.4.2001)
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In dem einzigen Zimmer wohnt und schläft die ganze Familie. Auf dem Boden picken die Hühner. Einen Schrank gibt es nicht. Die Kleider werden über zwei Schnüre gelegt, die von Wand zu Wand gespannt sind. Hier wird auch der Axsu aufbewahrt. Dieses handtuchgroße Webstück ist das Schmuckstück der Jalq'a-Tracht. Es ist eine Schürze, die nicht vor dem Bauch, sondern über dem Gesäß getragen wird.

Der Axsu hat keinen erkennbaren praktischen Nutzen, außer dem einen: Er gehört dazu, und wer ihn trägt, gehört auch dazu - zum Dorf, zum Tal, zu den Jalq'a. Mit dem Axsu zeigt die Weberin ihr Können und präsentiert ihr bestes Stück: Schwarz und Rot sind die Farben, mit denen die verschlungenen Ornamente gewebt werden. Hauptmotiv sind Tiere: Schlange, Schaf, Vogel und vor allem fantastische, monsterartige Lebewesen aus einer anderen Welt. Die Ornamentik ist scheinbar regellos: Große und klitzekleine Darstellungen stehen nebeneinander und gehen ineinander über.

Seit je versucht die Wissenschaft, die Axsu-Motive zu deuten. Sie schließt von den Darstellungen auf mythische Überlieferungen der Jalq'a-Kultur. Wenn man die Weberin fragt, die gerade am Webstuhl hockt und den Kettfaden mit dem Stock durch die Schussfäden zieht, warum sie den Kondor neben der Schlange darstellt, sagt sie: "Der Kondor war immer im Muster, und das Muster habe ich von meiner Mutter gelernt."

Unsere europäischen Vorstellungen lassen wenig Raum für das allgegenwärtige Zauberreich der Geister und Dämonen. Ein Beispiel: In der Dämmerung kommen die duintis. Das sind Wesen, die in ganz verschiedenen Erscheinungen auftreten: Es sind weiße Kobolde, oder es sind Trolle, die dich verschleppen, wenn sie sich nicht in einen kalten Lufthauch verwandeln, oder es sind kleine Babys, die vor dir auf der Straße liegen, und beim Näherkommen siehst du, dass sie das Gesicht eines alten Mannes haben. Die duintis werden überall und jederzeit geachtet und gefürchtet. Weil sie immer anwesend sind, darf man nur im Flüsterton von ihnen sprechen. Sie beherrschen die Dunkelheit, und niemand in Potolo und Umgebung wagt sich bei Nacht allein vor das Haus.

Die älteren Frauen sieht man grundsätzlich in der typischen dunklen Jalq'a-Tracht mit dem schwarzroten Axsu. Dagegen haben die jungen Frauen meistens nur ein einziges Exemplar, das sie in einer Plastiktüte an der Zimmerwand aufbewahren. Nur bei Hochzeiten und zu anderen hohen Anlässen schmücken sie sich in der herkömmlichen Weise. "Ich möchte nicht von gestern sein", sagen sie oder, noch häufiger: "Die Kleider aus der Stadt sind einfach praktischer und viel bequemer!" Auch bei den Männern ist die seltsame weiße Tracht selten geworden. Die jungen Jal'qa-Männer gehen in die Stadt zum Arbeiten und wollen dort nicht auffallen. Das ist auch Selbstschutz: "Wenn du eine Tracht trägst, versuchen sie, dich übers Ohr zu hauen."

Trotzdem steht der zweibeinige Webstuhl noch in jedem Hof. Die jungen Mädchen erlernen die Technik, sobald sie den Webstock halten und die verschiedenfarbigen, straff gespannten Wollfäden an sich ziehen können. Die rätselhaften Muster bleiben unverändert oder genauer: fast unverändert. Denn seit sich die Fremden und Städter für die Jalq'a-Gewebe interessieren, verändern sie auch die Muster: "Ich webe den Kondor, weil er den Touristen gefällt und weil sie kaufen", sagte eine der Frauen. Und die Reiseführer verstärken diesen Trend: Etwa alle zwei Wochen kommt ein Reisender mit dem camión nach Potolo herauf, um Axsus zu besichtigen und vielleicht auch einen als Andenken mitzunehmen. Die Weberinnen verteidigen die verlangten Preise: "Für diesen habe ich ein halbes Jahr gebraucht", erklärt Saturnina, und zeigt vielsagend auf ihre sechs Kinder. "Sehen Sie dieses Muster, es ist von meiner Mutter!" Nach einigem Hin und Her steht der Preis fest: hundert Dollar. LUCYA JAY

Sehr ausführlich werden die Kleidungsstücke in dem Heft "The Textile Design of Tarabuco and Jalq'a" von V.Cereceda, Sucre 1993, beschrieben.

asur@mara.scr.entelnet.bo (ethnologisches Museum in Sucre)


Tarabuco-Familie in traditioneller Tracht und Jalq`a-Frau

1904-07-30 verbietet der Concejo Municipal von La Paz den Indígena das Tragen der traditionellen Kleidung: