6. Auf dem Weg in eine Traumlandschaft

Kunming und die Westberge, Der Steinwald, Guilin und Yangshuo, Fernsehen, Hochzeit, Mit den Fahrrädern übers Land

 

 

1. Kunming und die Westberge

1890 m hoch, Hauptstadt der Provinz Yunnan (über 35 Mill. Einwohner), neben den Han-Chinesen, die die Mehrheit stellen, , gehören 6% der Bevölkerung den Minderheiten an,
1,5 Mill. Einw.

Heute dringen wir noch weiter hinein in die landschaftlich schönste Provinz Chinas, die im Süden an Myanmar, Laos und Vietnam grenzt. Unser Ziel ist Kunming, die Hauptstadt Yunnans. Vor 13 Jahren brauchte man für die Strecke Dali – Kunming noch 13 Tage, erklärt unser Führer, vor 3 Jahren noch 13 Stunden, jetzt nur noch 5 Stunden, weil eine Autobahn mit vielen Tunnel gebaut wurde. Immer wieder Reisfelder mit vielen, vielen Menschen, später Wasserbüffel, Stauseen. Die Straße, die Bahnlinie und die Autobahn haben die landschaftliche Idylle zerstört. 20 km vor der Stadt, am Westufer des Dian-Sees, durchqueren wir die Westberge, in denen einige sehenswerte Tempel liegen.

Wir fahren hoch zum Tempel des Blumen-Pavillons, Huating Si. Da die chinesische Urlaubszeit zu Ende gegangen ist, sind nur wenige Leute in der Anlage, so dass der Aufenthalt sich zum ersten Mal recht beschaulich gestaltet. In der Vorhalle begrüßen uns die grimmigen Gesichter der Wächterfiguren, He und Hang, und die vier Himmelswächter. In der Haupthalle stehen die drei vergoldeten Buddhas der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft, umgeben von 500 Verehrungswürdigen, die in einer nachgebildeten Gebirgslandschaft in Felshöhlen kauern und auf Felsvorsprüngen sitzen. An der Rückseite der Halle steht der weibliche Buddha Guanyin auf künstlichen Wellen, umgeben von vielen Fischen. In der 3. Halle wird das Leben des historischen Buddha dargestellt. Die Nähe zum Süden zeigt sich in den Elefantenfiguren und -köpfen. Während in Beijing die Löwen dominierten, steht hier der Elefant neben dem Löwen. Die taoistischen Gottheiten stehen in einem kleinen Nebentempel.

Unser Busfahrer liest während unserer Besichtigungen in einem Buch über Buddhas Leben. Der christliche Glaube behage ihm nicht. Er habe einmal einen Weihnachtsgottesdienst besucht. Das Schenken und Beschenkt-werden, das er anschließend erlebt hätte, wäre wohl nicht das Richtige. Er sei noch auf der Suche nach einer neuen Lebensanschauuung.
Von der Stadt Kunming sehen wir nur wenig, weil wir spät ankommen und am folgenden Tag bereits am Spätnachmittag weiterfliegen. Am Abend essen wir Maultaschen, die Spezialität Kunmings. In einem Teeshop kaufen wir nach vielen Trinkproben Oolong, den besten grünen Tee, kleinblättrig und zweifach gerollt. 100 Gramm für 20 DM. Aus unserem Hotelfenster im 13. Stock schauen wir auf die vergitterten Fenster der chinesischen Wohnungen. Die kleinen Balkone sind gefüllt mit Kartons, Blumen, Müll, Steinen. Bereits in den nördlichen Städten haben wir uns gefragt, warum alle Wohnungen in den Hochhäusern vergittert sind. Ist die Kriminalität so hoch, fühlen sich die Menschen im Schutz eines Käfigs geborgen? Wir denken an die Käfige mit den Singdrosseln, die abends in einen Park zu anderen Drosseln gebracht werden.

2. Der Steinwald

Am nächsten Morgen checken wir schon früh aus und fahren 126 km zu einem Märchenwald mit bizarren, bis 30 m hohen Steinfiguren. "Pilz des ewigen Lebens", "Elefantenkind", "das den Mond betrachtende Nashorn", "Lotosblumengipfel", "Mutter und Sohn wandern zusammen" sind Namen der seltsamen Steingebilde. Basaltkerne, die aus den Kalkablagerungen eines Meeres in Millionen Jahren heraus gewaschen wurden. Im "Wald" stehen sie eng und bilden tiefe Schluchten, Höhlen und kleine Stauseen. Durch ein Labyrinth von Treppen sind sie für Touristen erschlossen worden. Wir sind früh angekommen, später ist der Felsenpark wegen der vielen Touristengruppen kaum noch begehbar. Alle drängen sich im Zentrum, obwohl die Gesteinsformen sich über 27 000 ha erstrecken.

3. Guilin/Yangshuo

In 1 1/2 Std fliegen wir nach Guilin in die Nachbarprovinz Guangxi ( über 40 Mill. Einwohner) und von dort mit dem Bus nach Yangshuo. Die phantastische Karstlandschaft können wir bei unserer nächtlichen Busfahrt nur erahnen, auch riechen wir nichts von den betörenden Blüten des Zimtbaumwaldes, wie der Name Guilin sagt. Hier sind wir in einem tropischen Gebiet, 225 m hoch, mit einem Niederschlag von 1900 mm/Jahr. Im Hotel tauchen zum ersten Mal Mücken auf (Wir haben den 8.Mai.), obwohl die Tagestemperaturen mit 25° den bisherigen entsprechen. Bis Juni sollen die "Regenzeit" anhalten.

Yangshuo, inmitten der grünen Bergkegel am Fluss Li gelegen, hat sich noch mehr als Dali zu einem Touristenort entwickelt, kleine Straßencafes, eine Fußgängerzone, Boutiquen, Hunderte von Souvernirshops. Wo sind wir? Irgendwo am Mittelmeer? Die Atmosphäre des Ortes erscheint uns manchmal ganz unchinesisch. Typisch chinesisch sind die Angebote in den Markthallen. Neben den üblichen vielseitigen Angeboten an Gemüse und Fisch werden viele Schlangen angeboten, lebendig oder in Töpfen eingelegt. Hühner, Enten und Gänse werden an Ort und Stelle geschlachtet. In einer Ecke des Marktes stehen Käfige mit großen Hunden, vor denen einige getötet und wie Schweine abgeflämmt werden. Wir sind so schockiert, dass wir nicht in der Lage sind, ein Foto zu machen.

Am Straßenrand sehen wir mehrfach Kräuterverkäufer, die wohl als Medizinmänner gelten, weil sie auch Holzschröpfköpfe setzen, um Blut abzuzapfen. Ein Zahntechniker sitzt an der Straße hinter einem Tisch nimmt Abdrücke von einem Gebiss und verkauft neue Zähne. Auch unsere Zähne schaut er sich an, findet sie aber in Ordnung. Auf dem Fluss staken Fischer in flachen Bambusbooten mit dressierten Kormoranen, die in der Dunkelheit zum Fischfang eingesetzt werden. Damit sie die gefangenen Fische nicht herunter schlucken, sind ihre Hälse mit einem Strick zugebunden.

Wir wandern den Lotus-Peak hoch und blicken auf die Inseln und die regenverhangene andere Seite. Dutzende von Schiffen liegen nebeneinander am Flussufer. Man sagt uns, dass die Bootsführer morgen streiken wollen. Die Provinzregierung habe eine Gebührenerhöhung verfügt, um die kleineren Touristenboote vom Fluss zu drängen. Wir sind überrascht: ein Streik im kommunistischen China. Das hätten wir nicht für möglich gehalten. Leider fällt damit auch unsere geplante Bootsfahrt ins Wasser.

 

4. Fernsehen

Abends sehen wir uns das Fernsehprogramm an. Der Sprecher steht hinter einem Pult vor einer Kartenwand. Nach den offiziellen Regierungsverlautbarungen werden sieben verurteilte Frauenhändler, die ein Schild um den Hals tragen gezeigt. Die Bande soll in neun Jahren insgesamt 112 Frauen in der Region Chengdu entführt und für 3000 bis 8000 Yuan (220 bis 800 DM) in die innere Mongolei verkauft haben. Aus der englisch sprachigen Zeitung unseres Hotels, der China Daily erfahren wir am nächsten Morgen, dass jedes Jahr Tausende Frauen entführt und an heiratswillige Bauern oder in die Prostitution verkauft werden. Weitere Themen sind die Vernichtung von Ackerland durch neue Industrieanlagen, die Probleme der Wiedereingliederung ins Arbeitsleben, der Kauf einer neuen Wohnung, Sex bei unverheirateten Frauen, uneheliche Kinder und die obdachlosen Straßenkinder. Nach statistischen Untersuchungen werden nur 10 Minuten pro Abend ausländischen Ereignissen gewidmet. Informationen sind nur möglich über internationale Satellitenprogramme. Obwohl eine private Satellitenantenne in vielen Regionen verboten ist, soll es etwa 20 Mill. geben. Bei der Wettervorhersage wird Reklame eingeblendet. Die Wetterangaben für die einzelnen Gebiete erscheinen in einer schmalen rechten Spalte wesentlich kleiner als die Reklame. Der Reklameblock entspricht im Aufbau und im Inhalt einem westlichen, nur die Personen sind ausgetauscht. Wir sehen nur chinesische Gesichter. Auffallend häufig erscheint Werbung für die Firma Henkel und für VW. Im Unterhaltungsprogramm werden sowohl historische Stoffe gezeigt als auch Filme mit Gegenwartsproblemen. Westliche Programme, die aufregend und schmackhaft sind, werden als "Coca Cola" bezeichnet, langweilige dagegen als "Mineralwasser". Etwa 30% der Sendungen sind ausländischer Herkunft. 1996 gab es in China 980 Satellitensender, 1200 Kabelsender und 1000 Bildungssender mit 60 000 Sendungen wöchentlich. Die Werbezeiten werden Jahr für Jahr versteigert. Die einträglichsten 5 Sek. werden vor 19 Uhr wurden 1997 von einer Schnapsfirma für 39 Mill. US Dollar ersteigert. Wir erleben wieder einmal, wie stark sich westlich kapitalistische Formen durchgesetzt haben.

5. Hochzeit

Hua hao yue yuan
Gute Blumen und einen runden Mond (Eheglück) für das Brautpaa
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Als wir am nächsten Morgen aufwachen, stehen vor unserem Hotel mehrere Autos, die als Hochzeitsautos hergerichtet werden. Die Nummernschilder werden mit neuen goldenen Glückszeichen auf rotem Grund überklebt. Rot gilt als Hochzeitsfarbe. Allerdings hat das weiße, westliche Hochzeitskleid das enganliegende, rote, chinesische Kleid verdrängt wie auch das Auto die Sänfte. Rote Blumen, Rosen und Nelken, werden mit Tesa aufgeklebt, die Blumen mit Wasser besprengt. Auf dem Kühler wird ein Hochzeitspüppchen befestigt, an der Windschutzscheibe ein großes Schriftzeichen für Doppelglück, zwei miteinander verwobene Zeichen für Glück, und an der Rückscheibe zwei Herzen. So fährt das Brautpaar, er in Schwarz, sie in Weiß, zur Trauung.
Auf dem Land werden Ehen noch häufig vermittelt und der Bräutigam muss einen hohen Brautpreis zahlen, bis zu 5000 DM, obwohl es offiziell verboten ist.

6. Mit Fahrrädern übers Land

Da die Bootsfahrt wegen Streiks ausfällt, schließen wir uns einer holländischen Gruppe an, die eine Tagestour mit Fahrrädern durch die Reisfelder plant. Unterwegs steigen wir auf 800 Stufen zum "Mondberg" hinauf, der im oberen Fels ein riesiges Loch zeigt und einen weiten Blick über die phantastische Landschaft ermöglicht, wir fahren durch Dörfer und dringen in einen Schulraum ein. Es zeigt sich, dass unsere Meinung, Holländer seien manchmal etwas verrückt, durchaus zutreffend ist. Bereits in Ladakh waren wir auf eine ausgeflippte, laute Gruppe von Holländern getroffen, die zwar freundlich, aber lautstark sich auslebte. Diesmal sehen sie durch die geöffneten Fenster, dass der Lehrer nicht anwesend ist und die Schüler brav ihre Texte lesen, sie öffnen die Tür zum Klassenraum, stellen sich vor die Klasse und beginnen zu singen, indem sie die Kinder auffordern mitzusingen. "Bruder Jakob, Bruder Jakob" scheint nicht unbekannt zu sein. Einige der verblüfften Kinder singen mit. Ein älterer Holländer quetscht sich zu einem Kleinen in die Schulbank, der vor lauter Entsetzen die Augen verdreht und versucht ihn mit Händen und Füßen auf Distanz zu halten. Dann stellen sich eine Holländerin und ein Holländer vor die Klasse hin und singen "Oh,when the saints..." und dabei rocken sie mit den Armen und in den Hüften, verdrehen den Körper und springen hin und her. Der Erfolg ist überwältigend. Einige Schüler verschwinden unter den Tischen, sei es aus Scham oder aus Übermut. Die meisten beginnen rhythmisch auf ihre Schulbänke zu schlagen und schreien hysterisch, schauen sich an und steigern ihren Einsatz. Ein Höllenkonzert! Ältere Leute halten an, schauen verwundert durchs Fenster, wissen nicht, ob sie lächeln sollen. Diese verrückten Ausländer! Unsere ganze Gruppe steht inzwischen lachend und mitsingend im Klassenraum. Die Schüler toben, einige springen auf ihre Bänke. Die Holländer klatschen vor Freude und setzen zum Rückzug an. Kaum haben wir uns einige Schritte von der Schule entfernt, taucht ein Lehrer mit einem Stapel Bücher auf. Wir aber sind bereits um die nächste Ecke. Was mag der Lehrer sagen, was mögen die Schüler zu Hause erzählen?

Das Dorf hat schöne, alte Häuser mit aufgeschwungenen Giebeln, sogar Treppengiebel. Die Innenhöfe sind durch hohe Hausmauern zur Gasse hin abgeschirmt. Die torartigen Durchgänge sind manchmal als kreisförmige Bögen angelegt, weil dann nur das Glück bzw. das Gute eintreten können. An den Haustoren stehen Schriftzeichen, die das Glück beschwören. Hier im Süden Chinas scheint Mao noch verehrt zu werden. Jedenfalls steht an einem Tor "Lest die Schriften Maos".

An einem anderen Tor sind hängen zwei Mao-Porträts. An manchen Toren steht "Hier wohnt ein guter Bürger." Über einer Tür hängt ein runder Spiegel mit einem spitzen eisernen Dreizack zur Abwehr des Bösen. Neben einer Tür sehen wir einen Stein mit einer Teufelsfratze. An den Gassenwänden hängen Texte zur Kinderplanung. In den Innenhöfen zeigt sich ein Chaos von alten, unbrauchbaren Geräten und Erntemaschinen. Wir gehen in ein Bauernhaus, sehen die rauchgeschwärzten Balken. Hier zieht der Rauch noch vom offenen Herdfeuer durch die Küche und den Wohnraum zum Dach hinaus, um alle Räume zu trocknen und zu wärmen. Die Wohnung besteht aus einem großen Raum mit abgeteilter Küche und einem kleinen Bettraum. Die Wände der Schlafkammer sind zur Isolation mit Zeitungen abgeklebt. An der Wand des Wohnraumes hängen große bunte Zeitungsbilder von Mao und anderen Politikern.

Um uns ihre Gastfreundschaft zu zeigen holen sie alte, fast ungenießbare Pomelos aus ihren Vorräten. Die neuen seien erst in einem halben Jahr wieder reif. So fahren wir durch die Felder zwischen grünen Reisfeldern, zwischen den grünen Turmbergen, schieben die Räder ab und an, wenn es nicht anders geht wegen der tiefen Fahrspuren und der tiefen Pfützen, lassen uns in einem Kahn über den Fluß setzen und genießen den herrlichen, sonnigen Tag.

Am nächsten Tag nehmen wir uns ganz allein wieder einen Führer und radeln auf unwegsamen Wegen am Fluss entlang. Am Fluss stehen Säulen mit Inschriften, die besagen, dass der Weg in der Mingzeit aus dem Fels herausgeschlagen wurde und wer die Kosten für den Weg übernommen hat. Weitere Steininschriften weisen in sechs Punkten darauf hin, worauf der Fährmann zu achten hat. Er solle nicht zu viele Leute mitnehmen, vor allem solle er keine Betrunkenen befördern. Wir nehmen aber nicht das Boot an dieser Stelle, weil die Frau einen zu hohen Preis verlangt und der Fluss hier zu reißend ist. Oft haben die Boote keinen Rumpf, sondern bestehen nur aus dicken Bambusstämmen, auf denen eine Hütte steht. Erst in Fuli setzen wir mit einer "richtigen" Personenfähre über den Fluss. Der Ort hat einige Werkstätten für Malerei, Schrift, Schirme und Holzsandalen. Aus gekochtem und geschliffenem Bambusholz werden Liegematten hergestellt. Interessant ist ein altes Gästehaus mit kleinen gemauerten Hütten im Innenhof, Abflussrinnen, Koch- und Waschstellen. In diesen Dörfern ist noch wenig zu sehen von dem architektonischen Boom der Städte, der alles Alte hinweg spült

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