Das Bilderbuch-China im Südens Die nächsten Stationen unserer Reise im gebirgigen Südwesten in der Nähe der Grenze zu Myanmar sind die schönsten. Nach einer langen Nachtfahrt im Schlafabteil eines Zuges kommen wir nach 12 Stunden zur Endstation, um von dort in 10stündiger Busfahrt durch wunderschöne Landschaften mit Reisterrassen und Felsformationen ans Ziel zu kommen. Da der Zug schon aus Beijing kommt, sind einige Abteile erheblich verschmutzt. Die Schlafabteile, je drei Betten übereinander, sind zum Gang hin offen. Unsere Gruppe ist über viele Abteile verteilt, die wir mit Chinesen teilen. Immer wieder fahren wir durch Tunnel. Die spätere Busfahrt über 2700 m hohe Pässe zeigt uns neben den Schönheiten der Landschaft auch viele Kohlenbunker, Eisen- und Zementfabriken, die viel Dreck in die Luft schleudern. Dazu gesellen sich später viele Kalkbrennöfen. Als wir in Lijiang ankommen, ist es dunkel, aber die Stadt ist voller Menschen. Ganz China macht Ferien. Wir haben den 1. Mai, an dem die fünftägigen Arbeitsferien beginnen. Nach einer Meldung der Zeitung China Daily wird in diesen Tagen ein Umsatz von 2,4 Billion US$ erwartet. 4. Lijiang
Mittelpunkt der Naxi-Minderheit und ihrer Dongba-Kultur
Am nächsten Tag entdecken wir ein Bilderbuch-China. Die Altstadt besteht aus hunderten von alten Häusern, die mehr als 200 Jahre alt sind. Durch die Stadt fließen mehrere schmale Flüsse mit kleinen Brücken zu den anliegenden Häusern. Die schmalen Straßen haben meist Kopfsteinpflaster. Die einheimischen Frauen tragen häufig noch ihre traditionelle Tracht. Blumen und Kunstobjekte der Dongba-Kultur sorgen für eine besondere Atmosphäre. Die Dongba-Kultur der Naxi Bei unseren ersten Gängen durch Lijiang stoßen wir auf seltsame Objekte und Schriftzeichen, die an Figuren der Hopi-Indianer in Mittelamerika und an Kinderzeichnungen erinnern. Wir sind auf eine uralte schamanistische Kultur aus vorbuddhistischer Zeit gestoßen. Die Hüte der Dongba-Priester und die Rollbilder kennen wir von den lamaistischen Maskentänzen in den Klöstern Ladakhs. Das ganz Besondere liegt aber in der einzigartigen Schrift, die über 1000 Jahre alt ist und aus rund 1400 Bildern besteht. Sie ist die einzige Bilderschrift, die ohne große Abstrahierung in ihrer Urform noch erhalten ist und gelesen und geschrieben wird. Vorwiegend sind in der Dongba-Schrift religiöse und historische Geschichten festgehalten. In verschiedenen Museen in asiatischen und westlichen Ländern existieren noch 20 000 Bücher in Dongbaschrift. Einen weiteren Bezug zu den lamaistischen Ritualen auf der anderen Seite des Himalaya bilden die Ziegenopfer, die hier allerdings nicht symbolisch mit ausgestopften Tieren, sondern mit lebendigen Tieren vollzogen werden. Ein wichtiges Opferritual von insgesamt 30 überlieferten Ritualen dient der Besänftigung der Dämonen des Selbstmords. Das erinnert uns an den Geisterglauben in Myanmar. Hier wie dort müssen Zeremonien für die Seelen der Selbstmörder oder auf andere unnatürliche Weise Umgekommener durchgeführt werden, weil sie umherirren und Unheil anrichten. Sie werden von den Dongba-Schamanen in das Paradies des 3. Jade-Drachen Königreichs geführt. Interessant ist auch die Bedeutung der himmlischen Dreiheit des Himmelsvaters, der Himmelsmutter und des Himmelsonkels, die durch die Aufrichtung von 2 gelben Eichen und eines Wacholderbaumes geehrt werden. Die Aufrichtung von Bäumen, auch in der Form von Kreuzen, ist uns schon in einigen Kulturen begegnet. Es verwundert uns, dass sich eine solch primitive Form einer Naturreligion trotz des kommunistisch-atheistischen Weltbildes und trotz der Kulturrevolution erhalten hat bzw. wiederbelebt wird. Ähnlich wundern wir uns immer wieder über die praktizierte Verehrung von Generälen und absonderlichen taoistischen Heiligen aus dem Mittelalter. Bei den meisten Ritualen werden Schweine geopfert, auch bei dem Ritual für ein langes Leben und günstiges Wetter. Recht absonderlich ist auch ein kreisförmiges Schaubild für eine Weissagung, in deren Mitte das Bild eines Frosches steht, dessen Körperteile den fünf Richtungen Ost, Süd, West, Nord und Zentrum zugeordnet sind, während ringsum Holz, Feuer, Metall, Wasser und Erde und zwölf Tierkreiszeichen angeordnet sind. In dem Orchester sitzen viele Musiker, die bereits über 80 Jahre sind und nur mit Mühe eine Aufführung überstehen. Während der Mao-Zeit durfte das Orchester nicht spielen. Die gesamte Naxi-Kultur wurde unterdrückt wie alle anderen Traditionen in China. Auf der tabula rasa sollte vom neuen Menschen eine neue kommunistische Kultur geschaffen werden. Nichts ist geblieben von diesem Versuch. Überall in China sehen wir die Rückkehr zu den Traditionen. Die überlebenden Musiker der Naxi holten erst 1981 ihre alten Instrumente wieder hervor und begannen zu musizieren. Wir hatten das Glück sie live zu erleben und waren beeindruckt. Am nächsten Tag fahren wir mit Fahrrädern zu dem Dorf Baisha, in dem sich früher die Residenz der Naxi-Könige befunden hat. Tanzgruppen, Musikgruppen und Verkaufsstände säumen den Weg. Wir drängen uns durch die vielen chinesischen Besucher, um einen Blick auf die großen buddhistischen Fresken im Dabaoji-Tempel aus der Ming-Zeit (14.Jh.) zu werfen. Die Malereien und die Ausgestaltung des Daches zeigen die drei buddhistischen Hauptreligionen, den Han-Buddhismus, den tibetischen Tantrismus und den Taoismus, vereint. An der Decke des Daches befinden sich die acht Trigramme des Taoismus, im Zentrum der Trigramme das Mantra des tibetischen Buddhismus und ringsum die Lotosblüte als Symbol des Han-Buddhismus. Hinter dem Tempel verkauft Dr. Ho, der durch Bruce Chatwin weltweit bekannt wurde, seine Kräuter und vor allem sich selbst und seine Berühmtheit. Vom Dorf aus radeln wir in nördlicher Richtung weiter. Da die Räder so schwergängig sind, steigen wir um auf Pferde und reiten die Berge hoch zum Jadegipfel-Tempel, wo es von Besuchern wimmelt. Sie zünden büschelweise ihre Räucherstäbchen an und fotografieren sich vor dem 800jährigen Kamelienbaum. Auf dem Weg zurück kommen wir an einem Ritualplatz der Dongba. vorbei, der mit seinen aufgestellten Totempfählen an ein Reservat der nordamerikanischen Indianer erinnert. Ein Höhepunkt unseres Ausflugs wird die Begegnung mit einem chinesischen Wanderimker, der am Straßenrand Honig abfüllt und als Medizin für ein langes Leben Bienenköniginnengelee verkauft. Wir verständigen uns mit Händen und Füßen, während er uns stolz seine Bienenvölker zeigt und die Anzucht von Königinnen. Wir sehen, er züchtet in Stapelbeuten mit modernen Methoden, verkauft aber nur in großen Plastikeimern. Für uns füllt er Blütenhonig in unsere kleine Wasserflasche. |