4. In den Wüstengebieten von Rajasthan

-Jaipur,
-
Krischna erscheint,
-Fahrt durch die Wüste,
-Heilige Tiere:
-Die wundertätigen Ratten von Deshnoke,
-Die Kuh auf der Straße,
-Der Elefant über den Haustüren,
-Der Affengeneral,
-Die Wüstenstadt Bikaner,
-Die bemalten Häuser in der Wüste

Vorbei an still gelegten Fabriken, an verunglückten LKWs, an Fahrzeugen ohne Lizenz, den selbst gebauten Dars, und an vielen Steinmetzwerkstätten, die den roten Sandstein von Fatehpur verarbeiten, nähern wir uns allmählich der Wüste. Das Land wird immer trockener. Immer mehr Kamele als Zug- und Lasttiere begegnen uns.

Jaipur

Nach Agra die von Touristen am häufigsten besuchte Stadt. 3,5 Mill. Einwohner. Historisches Stadtbild aus dem 18. Jahrhundert als geometrische Anlage mit neun rechteckigen Stadtvierteln, die die Trennung der Kasten und das Universum spiegeln sollen. Hier locken besonders die berühmte Schaufront der Haremsdamen, der Palast der Winde, der Sultanspalast, die roten Häuser ("pink city") und der Elefantenritt zur Festung Amber.

In Jaipur, der Hauptstadt von Rajasthan, erklären wir unserem Deutsch radebrechenden Guide, der die Geschichte des Landes als eine Zahlenfolge vermittelt, wir möchten nicht sofort wieder Paläste sehen, sondern zunächst einem lebendigen Indien begegnen. Wir wollen auch nicht durch ein Touristenmuseum geführt werden, in dem sich die schwitzenden Touristen drängen und fotografieren, und nicht durch Straßen, wo die Händler uns auflauern und verfolgen, und nicht in ein Emporium, einen Verkaufsmarkt für Touristen. Er bemüht sich auf unsere Wünsche einzugehen. Also führt er uns zu einer religiösen Zeremonie in einen Krischna-Tempel, in dem wir wirklich keinen Touristen und keinen Händler sehen.

Krischna erscheint

Gesang tönt uns entgegen. In einer nach drei Seiten offenen Halle sitzen Frauen und Männer auf dem Boden und hören einem jüngeren Guru zu, der auf einem hohen Thron sitzt, antworten ihm, singen mit ihm gemeinsam, werden immer lauter , immer schneller. Einige Trommeln geben den Rhythmus an.

O Madhupati,
so wie der Ganges immer unaufhaltsam ins Meer strömt,
so lass meine Zuneigung unablässig Dir entgegenströmen,
ohne irgendwelche Ablenkung.

Bhagavata purana 1.8.42

Die Gläubigen beginnen zu klatschen, einige werfen den Kopf hin und her, reißen die Arme hoch und steigern sich in höchste Erregung. Danach kommt eine Beruhigungsphase. Der Priester spricht eindringlich, aber ruhig. Alle hören zu. Einige haben die Augen geschlossen. Hereinkommende verneigen sich oder werfen sich der Länge nach auf den Boden, berühren die Stufen, die hinauf auf eine Bühne führen, auf der zwei große, silberne Elefanten neben einem Vorhang stehen. Danach berühren sie mit den Fingerspitzen die Stirne und die Schläfen. Als der Priester nicht mehr redet, wenden sich die Gläubigen der Bühne zu. Neue Gesänge werden angestimmt, während zwei Helfer langsam einen schweren, weißen Vorhang zur Seite ziehen. Ein weiterer Priester schlägt dazu gleichmäßig auf eine Messingplatte. Dabei steigern sich die Gläubigen wieder in einen ekstatischen Gesang.

hare krshna hare krshna
krshna krshna hare hare
hare rama hare rama
rama rama hare hare

Maha-mantra (formelhaftes Gebet an einen Gott, ähnlich der unpersönlichen Klangrepräsentation OM, die auf eine absolute Wahrheit hinweist und durch Aussprechen von alltäglichen, materiellen Belastungen befreien soll. Mana = Geist, tra = befreien. "Rama" weist auf bestimmte Bedeutungen Krishnas hin als "Quelle aller Freude", auf seinen Bruder Balarama und auf seine Inkarnation als Ramacandra, vollkommener König.

Als das Bild Krischnas und seiner Gefährtin Radha, die Verkörperung seiner inneren Kraft und Freude sichtbar wird, springen sie auf, rufen durcheinander, reißen die Arme hoch, drängen nach vorne an die Rampe und werfen Münzen, Bananen und andere Dinge auf die Bühne zum Götterbild. Ein weiterer Priester mit einem nackten Oberkörper und den Zeichen des Gottes auf der Stirn tritt auf, in den Händen eine Schale mit fünf Flammen, die er gegen das Götterbild hält, indem er immer wieder mit den Öllichtern einen Kreis beschreibt. Der Gott ist erschienen und lebt. Die Gläubigen übertragen in ekstatischen Gesängen ihre Energien auf das Bild, das wie in einer wunderbaren Herabkunft des Gottes mehr und mehr zu leben scheint. Als die Flammen verlöschen, nimmt der Priester eine Kanne mit Wasser, bespritzt das Bild und geht dann zu den Gläubigen an die Rampe und spritzt das heilige Wasser über ihre Köpfe.

O Arjuna, ich bin der Geschmack des Wassers,
das Licht der Sonne und des Mondes
und die Silbe OM in den vedischen mantras.
I
ch bin der Klang im Äther und die Fähigkeit im Menschen.

Bg. 7.8

Bei diesem letzten Akt der religiösen Kommunikation zwischen Gott und Mensch treten weitere Helfer auf, die kleine weiße Zuckerkugeln, Abbilder himmlischer Nahrung, verteilen. Allen wird die verlebendigte Kraft der Götter zuteil. Wir Ungläubigen stehen betroffen dabei und spüren das intensive Energiefeld, das hier entstanden ist. Wir sehen, wie die Energie sich im Götterbild materialisiert hat und gebündelt wieder zurückstrahlt auf die Gläubigen und sie mit Kraft erfüllt, so dass viele mit ihren begeisterten Jubelrufen und mit ihren ekstatischen Körperbewegungen nicht aufhören können. Wir sehen die Kräfte, die hier freigesetzt werden und hoffen, dass solche Kräfte sich nicht gegen Andersgläubige richten, sondern eher der Bewältigung des privaten Alltags dienen.

Nach diesem Erlebnis gehen wir durch die Gassen der Altstadt und sehen immer wieder verwundert die vielen amorphen, roten oder silbernen Göttergesichter, die so ganz anders aussehen als die prächtige Figur Krischnas, die alle Schönheit der Welt symbolisieren soll.

Fahrt durch die Wüste

Ein langer Fahrtag von 12 Stunden steht uns bevor, da wir auf dem Weg nach Bikaner einen großen Umweg über Nagaur und Deshnoke machen. Die Nähe zur pakistanischen Grenze zeigt sich in den vielen Militärlagern entlang der Straße. Aber es seien schon viele Truppen abgezogen worden, meint unser Fahrer. Es stehen sich nicht mehr 1 Million Soldaten gegenüber, wie noch vor einem halben Jahr.

Die Landschaft wird immer wüstenähnlicher. Seit 4 Jahren hat es nicht mehr richtig geregnet. Eigentlich hatten wir im Oktober, nach dem Monsun grüne Felder erwartet. Die Felder sind gepflügt und warten auf Regen. Überall stehen kahle Bäume. Unser Fahrer schüttelt den Kopf, bald gibt es keine grünen Bäume mehr, wo doch die Trockenzeit erst beginnt. Erst im Juni des nächsten Jahres bringt vielleicht der nächste Monsun Regen. Üblicherweise werden die dornigen Bäume mit den kleinen Blätter einmal im Jahr beschnitten, um Tierfutter zu gewinnen. Das Grün wird von den Kamelen und Ziegen gern gefressen, da die Blätter Mineralien enthalten. Diese Bäume haben bis zu 20 Meter tiefe Wurzel, so dass sie oft auch in der Wüste mit den Wurzeln bis zum Grundwasser vordringen können. Geier und Hunde zeigen die Stellen am Straßenrand an, wo große Knochenberge von verendeten Tieren liegen.

Die Hausformen verändern sich. Lehmmauern, Rundhütten mit Strohdächern und kleinen Vorratshäuschen für getrocknete Kuhfladen zeigen, dass die Menschen hier anders leben als in den Dörfern des Grünlandes. Nur wenige Städte durchfahren wir, aber die sind touristenfrei. Als wir mit unserem Auto in die engen Gassen des mittelalterlichen Städtchens Kuchamen eindringen, geraten wir in Panik, weil wir mehrmals von Eselskarren und Händlerkarren eingekeilt werden. An beiden Straßenseiten sitzen die Händler in winzigen schmalen Verkaufszimmern, wie wir sie aus arabischen Basaren kennen. Wir haben den Eindruck, der Weg zur Festung auf einem Felsplateau oberhalb des Ortes wird immer enger. Ein Wenden des Autos ist fast nicht möglich. Schade, sicherlich gab es gerade hier viel zu entdecken.

Auf unserem Weg durch die Wüstenlandschaft wartet noch eine Überraschung auf uns. Menschen strömen in Lastwagen oder zu Fuß zu einer großen staubigen Zeltstadt neben der Straße. Kamelreiten, Überschlagschaukeln verschiedenster Bauart, Riesenräder und vor allem Esszelte sind aufgebaut. Die Leute drängen sich in Staub und Hitze zwischen den Buden durch. In den Schaukeln sitzen auch größere Kinder und freuen sich über die Abwechslung in ihrem Alltag. Wir erfahren, dass hier die Moslembevölkerung den Beginn eines dreitägigen Festes feiert. Familien, Frauengruppen, viele Jugendliche in ihren besten Kleidern. Überraschenderweise stellen sich die Männer mit ihren Frauen und erwachsenen Töchtern hin und wollen von uns fotografiert werden. Kein islamisches Fotografierverbot für Menschen und besonders für die unverschleierten Frauen.

Die nächste Stadt heißt Nagaur, die als typische Rajputenstadt ein Fort, Stadtmauer, Stadttor und einen hinduistischen Spiegeltempel aufweisen kann. In der Stadt halten sich so viele Kamele auf, dass wir meinen, zur Zeit des Kamelmarktes im Februar können es nicht mehr sein.

Heilige Tiere

Die Verehrung der Tiere reicht in Indien bis in die vorarische Induskultur zurück. Tiere stehen oft für die Verbindung zwischen Gott und Mensch, zwischen Himmel und Erde. Einerseits wurden von den Ariern Tiere (Pferde, Ziegen, Widder) für die Götter geopfert und in den Stammes- und Kali-Kulten noch heute, andererseits sind die Tieropfer im orthodoxen Hinduismus verboten. Im Hinduismus werden die Tiere zu Begleit- und Symboltieren der Götter und oft selbst wie Götter verehrt. Vishnu z.B., dem als Begleittiere der Sonnenadler Garuda und die Schlange Ananta zugeordnet sind, nimmt bei seinen ersten Herabkünften Tiergestalt an. Er ist als Fisch, Schildkröte, Eber und Mann mit einem Löwenkopf erschienen, um die Menschen und Götter zu beschützen.

Die wundertätigen Ratten im Tempel von Deshnoke

Sie sehen aus wie Ratten, aber es sind keine Ratten.

An der nächsten Sehenswürdigkeit wären wir fast vorbeigefahren, weil unser Fahrer hier noch nie gewesen ist. Dabei handelt es sich um den einzigen Tempel seiner Art, der wegen seiner Absonderlichkeit schon mehrfach im deutschen Fernsehen gezeigt wurde. Als wir den Tempel betreten, spüre ich alsbald die erregende Energie dieses Tempels. Es sind die 20 000 Ratten, die überall im Tempel herumlaufen. Vor Betreten des von Ratten wimmelnden Innenhofes müssen wir unsere Schuhe ausziehen. Vorsichtig, dass wir auf keine Ratte treten, bewegen wir uns auf das Götterbild zu. Wie sehr mich dieser Gang erregt, verrät die hektische Szenenfolge meines Videofilmes. Ist es die göttliche Energie der Karni Mata, die ich fühle, hat sie mein inneres Wesen und meine Seele erfasst, wie der Priester meint? Jedenfalls werde ich hier nicht durch die ekstatischen Gesänge und Rituale in eine andere Welt versetzt, sondern durch die Gegenwart der überall anwesenden Ratten. Durch die Ratten ist auch die Shakti, die weibliche Energie, anwesend in der Gestalt der Karni Mata, die wiederum eine Inkarnation der Durga ist. Die Ratten haben eine mehrfache symbolische Bedeutung. Einerseits sind sie das Begleittier vom elefantenköpfigen Glücksgott Ganesha, dem Sohn der Durga, der durch ihre Anwesenheit auch gegenwärtig ist, und andererseits sind sie nach einer Legende vorübergehender Aufenthaltskörper der Seelen desVolksstamms der Karni Mata, bis sie wiedergeboren werden. Als wir vor der Höhle der Göttin stehen, hält gerade eine Mutter ihr Baby den Ratten zu Füßen der Göttin entgegen. Die Gläubigen vertrauen der göttlichen Macht und nehmen die Nüsse, Süßigkeiten, Getreidekörner und vor allem die Milch und das Wasser der Ratten als wundertätige Heilmittel zu sich. Als in den 90er Jahren in Surat (Gujarat) die Pest ausbrach, die besonders von Ratten übertragen wird, kamen die Leute und tranken Wasser und Milch der Ratten als Medizin, erzählt uns der Priester. Besonders das Wasser sei heilig und verheißungsvoll. Wir denken an das mit Kolibakterien verseuchte heilige Gangeswasser. Die Glaubenskraft verdunkelt den Verstand oder sie verwandelt das gefährliche Getränk in einen göttlichen Nektar für die Seele. Bei der Göttin Karni Mata handelt es sich nicht um eine mythische Gestalt, sondern um eine historische Persönlichkeit, die am 3.10.1387 in einem Dorf bei Jodhpur geboren wurde und während ihrer 151 Lebensjahre unzählige Wunder bewirkte. Legenden bildeten sich aber nicht nur um das menschliche Wesen, sondern auch um die Ratten (Kaba) im Tempel. So meint der Priester, man habe noch keine Hinweise gefunden, wie sich die Ratten vermehren, und es gäbe keine Babyratten, alle Ratten hätten dasselbe Gewicht und dieselbe Größe ohne Veränderung während ihres Lebens. Vor allem hätten die Ratten ihren Scheu abgelegt und verhielten sich im Tempel wie Könige und brüllten wie Löwen. Wenn die Wirkung der Göttin so stark sei und die Ratten so mutig mache, wie wirke sich dann der Tempelbesuch auf Menschen aus? Wir haben nicht das Gebrüll der Ratten wahrgenommen oder waren wir als zweifelnde Ungläubige nur nicht in der Lage sie zu hören?

Der Tempel ist nicht nur wegen der dort gehaltenen Ratten und der wundertätigen Göttin sehenswert, sondern auch wegen der Marmorarbeiten und der mit silbernen Bildern verzierten Tore, die ein Geschenk des Maharaja von Bikaner an seinen Familientempel sind. Das "achte Weltwunder" ist auch mit einer Adresse im Internet vertreten: www.karnimata.com.

Die Kuh auf der Straße

Die Kuh ist ein Liebesgedicht, denn sie ist die Mutter von Millionen indischer Menschen. (Gandhi)

Auf den Straßen der Städte, in den Tempeln und Häusern, überall sehen wir das Nebeneinander und Miteinander von Tieren und Menschen. Die Kühe, Stiere und manchmal auch Wasserbüffel zwängen sich durch den dichtesten Verkehr, steigen die Treppen von Varanasi hinab, um aus dem Fluss zu trinken oder sich zu baden, sie liegen zwischen den fahrenden Autos und keiner fährt sie an, alle fahren um sie herum. Unglaublich und unmöglich für Europäer. Sind die herumlaufenden Kühe und Stiere, die sich von den Papier- und Gemüseabfällen ernähren, herrenlos? Unser Guide sagt, nein, jede Kuh ist Eigentum eines Menschen oder eines Tempels. Die Kuh wird als Symbol der Mütterlichkeit und Fürsorglichkeit begriffen. Sehr viele LKWs haben aufgemalte Bilder einer Kuh mit Kalb an ihrem Chassis.

Wer eine Kuh getötet hat, wird in der Unterwelt so viele Jahre lang leiden müssen, als Haare auf dem Leib des getöteten Tieres sind.

Wenn ihre Tötung als Mord betrachtet wird, so ist der Genuss von Kuhfleisch eine Form des Kannibalismus. Wer so etwas tut, wird aus der Kaste ausgestoßen. Die Kuh gibt Segen. So wird sie im Verkehr immer wieder von Hindus wie eine Götterstatue mit der Hand berührt. Nicht nur ihre Milch ist ein Geschenk der Natur, sondern auch ihr Urin. Der wird oft durch Verfütterung von Mangoblättern gefärbt und auf dem Markt teuer verkauft. Die Milch wird kaum weiter verarbeitet zu Käse wie in Europa, sondern möglichst unverfälscht getrunken. Die Verehrung der Kuh geht soweit, dass man in einigen Tempeln vor dem Betreten nicht nur die Schuhe ablegen muss, sondern auch den Ledergürtel oder die Ledertasche. Die Menschen, die das Fell der Kuh zu Leder verarbeiten, gehören zur verachtetsten Schicht der Bevölkerung. Selbst der Kuhmist ist ein kostbares Geschenk der Mutter Kuh, da er das am meisten verwendete Heizmaterial zum Kochen ist. Da Kühe nicht getötet werden dürfen, laufen sie auch in den Wüstengebieten herum, bis sie verdurstet oder verhungert sind und ein Opfer der Geier werden.

Der Stier wird als Reittier dem Hochgott Shiva zugeordnet und wie der Lingam als Symbol des Gottes durch Rituale verehrt.

Der Elefant über den Haustüren

Der Elefant als Arbeits- und Kampftier wurde zum Symbol Indiens. Er steht als großes Steinbild neben den Eingängen der Forts und Paläste, Kopf und Rüssel werden zum schmückenden Teil hinduistischer Architektur neben islamischen Ornamenten. Der geschmückte Tempelelefant berührt die Gläubigen mit seinem Rüssel und segnet sie. In einer sehr ungewöhnlichen Mischform aus Mensch und Tier wird er sogar als Gott Ganesha, der Elefantenköpfige und Einzahnige verehrt.

Om gam Ganapatayae namaha

Anrufung Ganeshas

Es sind wohl nicht nur die Anhänger des Ganapatya-Kults, die auf die Stärke und Klugheit des elefantenköpfigen Gottes Ganesha vertrauen. Überall sehen wir über den Eingangstüren ein Bild Ganeshas. Ganesha mit dem dicken Bauch, mit seinem abgebrochenen Stoßzahn und seiner Sucht nach süßen Reiskugeln zeigt seine Weisheit und Stärke durch seinen Elefantenkopf. Verstärkt werden diese Eigenschaften noch durch sein Reittier, die Ratte, die Intelligenz, Zielstrebigkeit und das Vermögen, alle Widrigkeiten zu überwinden, besitzt. Seine Geburt ist von vielen Legenden umgeben. Jedenfalls ist er der Sohn des mächtigen Shiva und seiner weiblichen Ergänzung Parvati, die ihn Ganesha nannten, was Anführer der himmlischen Heerscharen, der Ganas, heißt. Seinen Kopf verlor bzw. bekam er durch seinen Vater und den Stoßzahn verlor er im Kampf mit Vishnu. Beide Male beschützte und versperrte er den Zugang vor Eindringlingen. Warum also sollte er nicht auch die Türen der Menschen bewachen? Seinen abgebrochenen Stoßzahn benutzte er später als Schreibwerkzeug, um das Epos Mahabharata nach einem Diktat niederzuschreiben. Seinen dicken Bauch muss er mit einer Schlange zusammenhalten, seitdem der einmal beim Sturz mit seinem Reittier geplatzt war. Dabei geriet er in Streit mit dem Mond, der ihn ausgelacht hatte, und verurteilte ihn, unentwegt zu- und abzunehmen. Deshalb strafen die Anhänger Ganeshas den Mond, indem sie ihm an Ganeshas Geburtstag und am 4. Tag des zunehmenden Monds keinen Blick gönnen.

Ganesha wird auf vielfältige Weise dargestellt, so dass wir ihn von unseren Indienreisen immer wieder in neuen Gestalten mitbringen. Ganesha sitzt auf einem Lotosthron, auf einem Königsthron, reitet auf einer Ratte, tanzt, steht auf einem Bein, liegt als Baby in den Armen seiner Mutter, hat eine große oder eine winzige Gestalt, besteht aus Stein, Metall, Gips, Pappmache´, Elfenbein, Silber oder Gold, klebt auf den Autoscheiben, hängt als Anhänger am Hals und sitzt vor allem über den Eingängen zu den Wohnungen.

Der Affengeneral Hanuman

Auch Affen werden als Helfer der Götter in eigenen Tempeln verehrt, wie z.B. in Varanasi. Aber vor allem wird Hanuman, der Affenkönig, verehrt. Er kam nach der Legende mit einem Affenheer, um zur Rettung der entführten Sita in 5 Tagen eine Brücke nach Sri Lanka zu bauen.

Die Wüstenstadt Bikaner

Ganz anders als in Jaipur sehen wir in Bikaner keine Touristen, keine Händler, keine Shops. Ist das eine Folge des Truppenaufmarsches an der indisch-pakistanischen Grenze? In dieser relativ kleinen, ländlichen Stadt finden wir wieder das Indien, das wir lieben. Für die Besichtigung der Altstadt besteigen wir ein Tuktuk und fahren durch die engen Gassen zu den prächtigen Häusern, den Rampuria-Havelis der Kaufleute, die sich gegenseitig ihren Reichtum durch ihre mit Sandsteinskulpturen überladenen Häuserfronten zeigten. Inzwischen stehen viele Häuser leer, die Familien sind in die Wirtschaftsmetropolen Bombay und Kalkutta umgezogen.

Ein weiterer Höhepunkt ist der Jaintempel, dessen Wände, Decken und Skulpturen im traditionellen Stil farbig restauriert wurden. Die Jainpriester erweisen sich als sehr freundlich und halten für uns einen Gottesdienst. Nachdem der Hindupriester mit dem röhrenden Ton einer Muscheltrompete das Ritual eröffnet hat, nimmt ein Jainpriester einen Feuerkreis mit fünf Ölflammen und erweckt die weiße Marmorstatue des 5. Furtbereiters mit den starren Augen durch Feuer und Gesang in seinem religiösen Bewusstsein zum Leben. Ein zweiter Priester übernimmt den Ritus. Währenddessen intensiviert der Hindu die mögliche Erfahrung der göttlichen Energie, indem er auf zwei Trommeln schlägt. Danach wechseln beide zu einer Nebenfigur und dann noch zu einem Hindugott. Auf einem Podest vor der Hauptfigur haben Gläubige Zeichen ihrer Verehrung hinterlassen. Eine Swastika aus Reiskörnern und andere Symbole. Zum Abschluss bläst der Hindupriester wieder sein Muschelhorn und lädt uns zu einem Tee ein. Als wir ihnen dann ein kleines Trinkgeld geben, erklärt unser Guide, einem Priester dürfe man kein Geld fürs Gebet geben, wohl aber für den Unterhalt des Tempels.

Anschließend besuchen wir den Künstler, der den Tempel renoviert hat und der mit feinstem Pinselstrich so viele Blätter eines Baumes auf einem Quadratzentimeter gemalt hat, dass er im Guinnessbuch der Rekorde steht. Ebenfalls ist er mit einem erotischen Bild im Museum für erotische Kunst in Berlin vertreten. Bei dem Besuch kaufen wir zwei Bilder: eine Frau verehrt einen Shiva-Lingam und eine barbusige Frau sieht sich im Spiegel, eine Variante eines Motivs von Khajuraho in modernem Stil. Der Künstler Raju Swami hat sogar eine Internetadresse: www.rajuswami.com.

Nachmittags reiten wir auf Kamelen durch ein Dorf hinaus in die Wüste in eine Sanddünenlandschaft und erleben den Sonnenuntergang. Auf dem Weg hinaus begegnen wir Arbeitsgruppen von Frauen und Männern, die in langen Reihen mit Schaufeln aus der Wüste heim gehen. Unser Guide erklärt uns, dass die Familien hier vom Staat Lebensmittel erhalten, damit sie hier wohnen bleiben können, aber dafür müsste jeweils ein Vertreter der Familie bei der Grabung für ein Wasserloch helfen.

Havelis, die bemalten Häuser in der Wüste
Spuren ehemaligen Reichtums

Auf unserer letzten Etappe fahren wir durch ein wüstenähnliches Gebiet mit kleinen Städten, in denen viele Häuser farbig mit naiven Bildern bemalt sind. In diesem Gebiet zwischen Delhi und dem Indus liegen an ehemaligen Handelsstraßen, über die aus Indien und China Seide und andere kostbare Waren transportiert wurden, etwa 20 kleine Städte, in denen reiche Kaufleute 3-5stöckige Häuser um mehrere Innenhöfe errichteten, deren Wände innen und außen mit Fresken bedeckt waren. Diese Mode verbreitete sich ab 1800 in dem Gebiet von Shekhavati, wo sich die Marwaris, die Kaufleute niedergelassen hatten.

Die Malereien zeigen sowohl die alten Hindugötter - oft in skurrilen Darstellungen - als auch Bilder der neuen industriellen Welt. Szenen aus dem Leben Krishnas, des Lieblingsgottes Rajasthans, und seiner Hirtenmädchen werden gezeigt, Jagdszenen, Akrobaten, Festgelage, Schlachten, Kutschenrennen, Dampfer, Autos, Eisenbahnen, Luftschiffe, Fahrräder, Nähmaschinen, Grammophone, Portäts der britischen Kolonialherren. Vieles wird fantastisch-witzig dargestellt. Elefanten mit drei bis sieben Rüsseln... Die meisten Häuser sind unbewohnt und verfallen. Seit der Eroberung Indiens durch die Briten verlagerten sich die Handelswege auf das Meer. Krieg in China und der Ersatz von Indigo durch chemische Farben veränderten die Handelswege.

Mit dem Besuch der romantischen Haveli-Siedlung Mandawa endet unsere neunte Indienrundreise in einer Hütte aus Kuhdung mit magischen Zeichnungen an den Wänden, die uns träumen lassen von unserer nächsten Reise zu den mongolisch-tibetischen Bergstämmen der Nagas, die im letzen Jahrhundert noch als Kopfjäger durch die Berge des Osthimalaya zogen.