Besucherin aus den Bergen und Göttersänfte mit Priester

3. Teil: Das Fest der Dorfgötter

zu dem sich jetzt 130 Götter treffen, während es in alten Zeiten noch 330 waren.

Ein Klangbeispiel zu den Tänzen während dieser Festtage.
In dieser archaischen Musik werden die tanzenden Sänger von Trommeln, einer Oboe und zwei Arten langer Hörner begleitet, eines ist S-förmig gebogen und eines ist trichterähnlich. Der Klang entspricht dem der 3 m langen, buddhistischen Klosterposaunen. Die vielen Göttersänften werden auch jeweils von einer solchen "Musik"formation begleitet.

12. 10. MI   Manali – Kullu – Manali

Etwa 90% der Bevölkerung vom Kullu-Tal lebt in Dörfern. 60% der Bauern gehören zur Kaste der Rajputen, 25% zu den Volksstämmen, 10% zu den Brahmanen. Als Umgangssprache werden Kulluvi und Hindi gesprochen.

Da bereits heute das Dussehra-Fest beginnt (12. – 18.10.), das seit 1972 zu einem international wichtigen Fest erklärt worden ist, fahren wir die 40 km nach Kullu. Trotz relativ guter Straße benötigen wir 1 ½ Stunden.

In Kullu überrascht uns der riesige Markt mit Händlern, Kirmes und Zelten für die Götter. Allmählich formiert sich eine Prozession der Göttersänften mit den Begleitmannschaften. Durch die schmalen Gassen der Altstadt schieben sich Menschenmassen und dazwischen hört man die röhrenden Laute der langen Posaunen und die Schläge der Trommeln, die das Kommen eines Dorfgottes mit vielen Gesichtern ankündigen. Plötzlich kommen auch Gruppen aus der entgegengesetzten Richtung mit ihren Göttern. Da tut sich etwas Interessantes: die Sänften halten an und die Gesichter neigen sich mehrmals zueinander, und zwar sowohl die vorderen als auch die hinteren Gesichter, dann geraten die Götter in Erregung, hüpfen und wiegen sich vor Freude. Fast bei jeder Begegnung werden die Götter lebendig. Verehrer berühren die Sänften mit den Händen und mit der Stirn, manche hängen Blumengirlanden über das Tragegestell. Begleiter wedeln mit Yakschwänzen und Pfauenfedern Staub und Fliegen von den Masken der Götter. Aber nicht alle Götter scheinen sich zu kennen und sich über eine Begegnung zu freuen. Einige Götter gehen aneinander vorbei, ohne eine Reaktion zu zeigen. Seltsam!

Der Weg der Götter führt z.T. über Treppen hinauf in die obere Altstadt zum Tempel des Hauptgottes Raghunathjee von Sultanpur. Die Rangordnungen und Abhängigkeiten dieser 330 Götter spiegeln die sozialen und politischen Strukturen der Dörfer wieder. Die meisten Götter lassen sich auf alte vorhinduistische Naturgötter zurückführen.

Das Gottesbild von Raghunathjee wurde 1651 als ein Abbild Vishnus von einem Brahmanen von Ayodhya, dem Geburtsort von Krischna, einer Wiedergeburt Vishnus, hierhin gebracht und vom Raja Jagat Singh als oberster Gott und Regent auf den Thron gesetzt, dem sich alle anderen Dorfgötter und alle Menschen zu unterwerfen hatten. Der Raja regierte als sein Stellvertreter. Von den Volksstämmen werden neben den Hindugöttern Vishnu, Shiva, Laxmi, Durga unter vielen Gestalten und Namen, auch viele Schlangengottheiten, auch Halbgötter aus dem Ramayana und Mahabharata und Berg-, Wald-, See- und Wassergeister verehrt, die wiederum von den höheren Göttern besucht werden. Diese unterschiedlichen Dorfgötter bestimmen das Geschehen in den Dörfern während des ganzen Jahres. Ihnen gehört traditionell das ganze Ackerland, und ihnen geben die Pächter auch heute noch einen Teil ihrer Ernte.

Ausführlich berichtet M.R.Thakur über die Götterwelten in „Some Cultural Legends and Traditions of the Kulu Valley“ in „Where Mortals and Mountain Gods Meet“, 2002

Nachdem die Götter im Tempel des Hauptgottes waren, besuchen viele den Raja und seine Familie in dem nahe gelegenen Palast. Hier werden sie im Innenhof wieder lebendig und hüpfen und wackeln vor Begeisterung, worauf der Raja ihnen Geld- und Stoffgeschenke gibt. Das alles geschieht in prächtigen mittelalterlichen Kostümen im Beisein von Dienern und dem geschmückten Pferd des Raja. Sein Schwert wird später in einer Sänfte in der Prozession des Hauptgottes zum Treffpunkt der Götter getragen. Dort hat sich inzwischen eine riesige Menschenmenge versammelt, so dass es fast unmöglich ist, zu beobachten, wie der Raja und der Gott auf einem urtümlichen Wagen (Ratha) von den Menschen mit Seilen unter dem ohrenbetäubenden Klang der Posaunen über den Platz gezogen wird. Uns gelingt es, auf der schwer bewachten Tribüne für hohe Politiker einen Platz zu finden, so dass wir einige Szenen filmen können.


Götter auf ihren Spaziergängen, begleitet von Posaunenspielern

Danach werden die Götter wieder zu der Zeltstadt gebracht, wo sie sich auch in den folgenden Tagen immer wieder besuchen werden und teilnehmen an den Freuden, die ein Jahrmarkt dem Volk bereitet: Dressierte Affen, tanzende Schlangen, Zauberer, heilige Männer, tibetische Frauen in langen, roten Gewändern, Tanzgruppen aus den Bergen, ein Elefant u.v.m. Sogar eine Gruppe von Ohrenreinigern bietet ihre Dienste an. Befremdlich wirkt auf uns der Aufmarsch von mehreren Kompanien im englischen Kolonialoutfit, junge und alte Marschierer, die mit patriotischen Liedern und militärischen Trommeln und Trompeten auf sich aufmerksam machen.

Anschließend fahren wir zurück nach Manali und übernachten im Banon Resort


13. 10.  DO  Manali  -  Naggar - Kullu


Der Hadimbatempel im Wald der riesigen Deodars

Bevor wir unsere neue Unterkunft in Kullu aufsuchen, besuchen wir noch den Hadimbatempel im Hochwald oberhalb von Manali, den wir schon von unserer ersten Reise nach Ladakh kennen. Von der Göttin Hadimba von Dhungri wird berichtet, dass sie früher als Dämonin von Menschenfleisch lebte, bis sie von dem Sagenheld Bhima geheiratet wurde und dann zur geachteten Großmutter aller Gottheiten des Kullu-Tales wurde. Eine Kopie des Bildes sei nach Kullu gewandert, berichtet uns der Priester.

Unterwegs Besuch des 500 Jahre alten Palastes (Museum) und der Tempel von Naggar, die wir ebenfalls von unserer ersten Reise her kennen. Inzwischen sind überall an der Fahrstraße moderne Häuser errichtet worden, überall wird noch weiter gebaut. Die idyllischen alten Dörfer sind auf den ersten Blick nicht mehr zu sehen.  

Selbst der alte Schlangen/Shiva-Tempel von Naggar hat ein betoniertes Umfeld bekommen.

In Kullu bummeln wir erneut über den riesigen Markt des Dussehra Festes. Neben den Kauf- und Imbissbuden stehen dort auch Informationszelte zu allen möglichen landwirtschaftlichen Projekten, zur Förderung der Anbaumethoden und zu neuen Produkten. Als Imker hat mich besonders die Bienenzucht und die Vermarktung des Honigs interessiert. Überrascht stelle ich fest, dass der Honig hier (wie auch in arabischen Ländern) als Medizin angesehen wird und das Pfund für 10 € verkauft wird, mehr als doppelt so teuer wie in Deutschland.

In der Freiluftarena werden auf der Bühne traditionelle Nati-Tänze der Bergbevölkerung aufgeführt. Alle Tänze werden von großen Trommeln, einer Shenai (Oboen-Flöte), Cymbeln (Becken) und vor allem von den eindrucksvollen Urtönen der gebogenen Nirshingas und Ranasingas, lange Trichterposaunen, begleitet. Meist singen die gemischten Tänzergruppen selbst, nur einmal hatten sie einen Vorsänger. Die Tänze beginnen alle mit einem sehr langsamen Teil, wie wir es auch in Ladakh bei dörflichen Festen erlebt haben.

Die Männer haben weiße Hosen und Gewänder mit breiten Rändern und Kopfbedeckungen mit blauem und gelbem Blumenschmuck. Die Frauen tragen selbst gewebte Wollumhänge mit unterschiedlichen farbigen geometrischen Mustern und schwerem Silberschmuck.


Tanzgruppe aus den Bergen

Die Tänzer halten in der rechten Hand ein farbiges Tuch, das sie hin und her schwenken, während sie sich zunächst sehr langsam in einem Kreis bewegen, vier Schritte flach über den Boden vorwärts, eine Pause und dann drei Schritte weiter. Dann springen plötzlich zwei Tänzer mit erhobenen Schwertern in die Mitte und tanzen, indem sie die Schwerter hin und her schwingen. Nach kurzer Zeit legen sie die Schwerter nieder und der Kreistanz der Gruppe geht weiter, wechselt zum Reihen- und Paartanz und wieder zum Kreistanz. Bei anderen Tänzen halten die Tänzer zusätzlich zum Taschentuch in der anderen Hand einen Fächer.

In der traditionellen Form tanzen Frauen und Männer getrennt über viele Stunden.

Das Ende der Festwoche können wir leider nicht mehr erleben, obwohl es sicherlich auch sehr interessant sein wird. Dann wird ein Feuer aus Holz und Gras entzündet, was die Verbrennung des Dämons Lanka aus dem Ramayana symbolisiert. In anderen Teilen Indiens werden große Figuren verbrannt, mit denen vorher Teile des Epos nachgespielt wurden (s. Ram-Lila bei Varanasi). Nach der Verbrennung wird ein Tier geopfert.

Wir übernachten im Apple Valley Resort am Beas Fluss, 8 km südlich von Kullu. Vor dem Haus und im Haus befinden sich mehrere schwer bewaffnete Soldaten, die einen wichtigen Politiker rund um die Uhr bewachen.

14. 10.  FR  Kullu – Parvati-Tal - Manikaran - Kullu

Ausflug in das idyllische, fruchtbare Tal des Parvati Flusses. Unterwegs treffen wir ein französisches Wohnmobil, das sich vergeblich durch die tiefen Schlaglöcher abmüht. Da schüttelt selbst unser Fahrer seinen Kopf.

In Kasol endet der Stollen zur Gewinnung der Elektrizität. In Jari wimmelt es von Aussteigern. Eine German Bakery, Schnitzel- und Pizza-Lokale. Überraschend viele Hinweise in hebräischer Schrift zeigen, dass der Ort ein Zufluchtsort israelischer Jugendlicher ist. Schon in Shoja hatte uns ein Inder erzählt, dass man die großen Gruppen Israelis, die versuchten hier ganz billig zu wohnen, abweisen würde.


Saddhu bei den heißen Quellen von Manikaran

Auch in Manikaran, besonders dem Hindu- und Sikh-Heiligtum, wo man kostenlos essen kann, treffen wir viele Aussteiger. In dem kleinen Ort, dem Endpunkt der im Bau befindlichen Straße, gibt es viele heiße Quellen, in die Besucher Beutel mit Eiern und Reis hineinhängen, um sie bei 93° zu garen. Der Ort wird dominiert von einem großen, dreistöckigen Gebäude, dem Gurudwara des Guru Nanak Dev und von einem Shiva-Tempel. Die Steine über den Quellen sind heiß und Höhlen ermöglichen eine Natursauna, also ein Paradies für Naturfreunde. Zumal man vom Ort aus durch das wilde Tal 80 km höher steigen kann zum Man Talai See (4200m) und von dort in 15 km zum Pin-Parvati-Pass (5250m). Von dort kann man nach Spiti kommen. Nur 4 km von Manikaran befanden sich früher in Uchich die Silberminen des Raja von Kullu.           

Die Händler der beiden Basarstraßen sind alle turbangekrönte Sikhs, die eine Mischreligion mit den Hindus bilden. Erst im uralten Teil des Ortes am Berghang finden wir die typische Bergbevölkerung.

Übernachtung im Apple Valley Resort.

15. 10.  SA  Kullu - Mandi 59 km 

Das Tal des Beas-Flusses entlang gelangen wir in 1½ Stunden nach Mandi. Das geht nur deshalb so schnell, weil ein längerer Straßentunnel und eine breite Straße es unserem Fahrer ermöglichen, seine Fahrkünste voll zu zeigen. An einer Stelle des sehr engen Tales hält unser Fahrer, um auf einen LKW zu sehen, der gerade in die reißenden Fluten hinab gestürzt ist. Wir wundern uns über die Dynamik, die Inder als Autofahrer entwickeln, während das Arbeitstempo beim Straßenbau, bei Feldarbeiten und vor allem bei Büroarbeiten sehr langsam ist.

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Mandi: Der alte Shivatempel im Flusstal und der neu angemalte Durgatempel auf dem Berg

Mandi haben wir schon einmal in der Regenzeit besichtigt. Damals regnete es so viel, dass wir uns einen Regenschirm kauften. Diesmal scheint die Sonne, so dass wir die vielen mittelalterlichen Hindu-Tempel, für die dieser Ort berühmt ist, ganz anders erleben. Viele Tempelgemäuer sind mit knalligen Lackfarben neu angemalt worden. Im Innern dagegen werden archaische, schwarze Kalifiguren verehrt, deren Gesichter einem Gruselkabinett oder einem Science-Fiction-Film zu entstammen scheinen. Formlose, verquollene Steine, denen man zwei silberne Bleche als Augen eingesetzt hat und einen breiten, roten Mund aufgemalt hat.

Die ältesten Tempel liegen im Bereich der Vereinigung des Beas mit einem Nebenfluss, dort, wo das Wasser immer wieder die Ansiedlungen der Menschen am Ufer bedroht und sogar die Tempel überflutet, die doch durch ihre göttlichen Bewohner die Menschen schützen sollen. Unser Führer weist auf die überschwemmten Brücken während des letzten Monsuns hin und erzählt, wie ein Priester sich nur retten konnte, indem er sich im Tempel auf den Rücken des göttlichen Shivabullen rettete.

In der Nähe dieses Tempels haben wir bei unserem ersten Besuch einen Saddhu mit langen Fingernägeln in einem Haufen Lumpen angetroffen, der seit 20 Jahren nicht mehr sprach und die Arme zum ununterbrochenen Gebet hoch hielt. Dieser Saddhu lebte tatsächlich noch in der Hundehütte vor dem Tempel des dreigesichtigen Shiva, aber nicht mehr so verwildert wie vor fünf Jahren. Als wir ihm ein Almosen geben und ich seinen Handgruß erwidere, leuchtet in seinen Augen wieder das unvergessene Strahlen auf, das ich von meiner ersten Begegnung vor fünf Jahren noch in Erinnerung hatte.


Der Shiva-Saddhu im Oktober 2005 (Foto von 2000)

Zu diesem Erlebnis gibt es eine schöne Geschichte, ein Beispiel indischen Humors:

Ein berühmter Guru hatte Hunderte von Schülern in der gesamten Region. Regelmäßig durchreiste er die Provinz per Sänfte, besuchte eine Stadt nach der anderen, nahm Tribute entgegen und segnete alle. Zwölf Jahre brauchte er für eine solche Runde. Als er sich einmal den Toren einer Stadt näherte, hielt ihn ein Mann auf, der wie ein Idiot aussah und darauf bestand, der Guru möchte ihm sagen, wie er in den Himmel kommen könne. Lachend erwiderte der Guru, ohne auch nur die Sänfte anzuhalten: "Bleib nur hier stehen, die Arme zum Himmel gestreckt, und du wirst auffahren." Der Guru zog weiter. Zwölf Jahre später, nach einer weiteren Besuchs- und Tributrunde, gelangte er wieder an dieselbe Stelle. Der Anblick war verblüffend: Er sah einen Mann in Lumpen, die Haare und Nägel lang gewachsen, die Arme gläubig gen Himmel gereckt. Als er noch näher kam, konnte er sehen, dass der Idiot langsam zum Himmel aufstieg. Der Guru begriff sofort, was geschah, verließ seine Sänfte, packte die Füße des Idioten und schwebte mit ihm himmelwärts.

Damit enden die besonderen Erlebnisse dieser Reise, die uns in die Bergwüste Buddhas und in die grünen Täler der Hindugötter führte.

Übernachtung im rein vegetarischen Visco Resort.

16. 10. SO  Mandi  –  Chandigarh  -  Delhi 
Fahrt von Mandi nach Chandigarh. Einstündiger Flug von Chandigarh nach Delhi
Übernachtung im Ashok Country Resort in Flughafen-Nähe.

17. 10. MO Rückflug

Nachts um 02:25 Uhr Rückflug ab Delhi nach Frankfurt. Morgens Ankunft in Frankfurt (06:55 Uhr).



Die heilige Shiva-Familie in einem Hindutempel zu Mandi: Aus Shivas Haar entspringt der Ganges. Seine Gefährtin Parvati und sein elefantenköpfiger Sohn Ganesha knien vor den männlichen und weiblichen Fruchtbarkeitssymbolen Lingam und Yoni.

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