Reise zu den Gläubigen und ihren Göttern im Himalaya

1. Das heilige Wasser des Ganges bei Hardwar und Rishikesh


Ganga, hl. Flussgöttin des Ganges

Ich trete in Delhi aus dem Flughafengebäude und sehe nur mehr durch Nebel die Menschen und das schäbige, betonierte Umfeld des Ausgangs. Der Monsun steht über dem Kontinent. Ein neuer Blick auf Indien.

Hardwar, eine der vier heiligen Städte am Ganges

    Auf der Fahrt nach Hardwar begegnen wir Tausenden von Pilgern, meist im Gänsemarsch hintereinander. Einer ruft "Shiva", "Bomm, bomm, bomm" antwortet die Gruppe. Während die Autos laut hupend und stinkend die Fahrbahn füllen, bewegen sich die orange-farbig gekleideten Pilger, die an einer Stange Gefäße mit heiligem Gangeswasser wie in einer bunt geschmückten Sänfte tragen, am Rande der Straße. Die Kleidung besteht meist aus einem T-Shirt mit einem Bild von Shiva und einer kurzen Hose. Alle Kleidungsstücke in orange wie bei einem Fußballspiel der Holländer. Am Straßenrand Gestelle für das heilige Wasser, denn es darf den Boden nicht berühren. Inzwischen regnet es, gießt, hört auf, der Strom der Pilger reißt nicht ab. Sie fahren oder gehen hin zur heiligen Stadt Hardwar. Zurück pilgern sie zu Fuß und tragen das Wasser in ihre Heimatdörfer. Es ist das Fest Shavans, eine Shivageschichte...

    In der Stadt gehen sie zum Ghat, den Badetreppen, und reinigen sich mit dem von Shiva geschickten Wasser, das die Asche der 60000 getöteten Söhne des Königs von Ayodhya reinigen sollte. Immer wieder tauchen sie unter. Manche machen es zu zweit. Sie verwandeln sich und werden rein. Vielleicht sollte auch ich mich so reinigen, damit der vernebelte Blick auf die Welt sich klärt. Aber noch stehen wir am Anfang unserer Fahrt durch die religiösen Dimensionen indischen Lebens und indischer Sinnsuche.

    Als es dunkel wird, werden viele aus Blättern gefaltete Blumenschiffchen mit brennendem Kampfer den Ganges hinunter geschickt. Das Wasser reißt sie mit und verschluckt ihre Opfergaben und Gebete. Körbeweise werden Obst oder kostbare Stoffe in die Fluten geworfen. Die Priester schlagen dazu auf große Metallplatten, schwenken meterhohe Flammen hinab zur Ganga und hinauf in die Luft und singen zur Erinnerung an Shiva, der seinen Samen dem Wasser übergab, um nur geistgeborene Söhne zu zeugen und zur Erinnerung daran, dass das Feuer aus dem Wasser geboren wurde wie der Blitz aus der Regenwolke. Sie feiern Feuer und Wasser als die Urkräfte der Schöpfung. Immer wieder schütten sie Wasser in die auflodernden Flammen.

    Am nächsten Morgen nähern wir uns erneut Hardwar. Der Basar quillt über von Devotionalien, mehr als ich jemals gesehen habe. Aber ähnlich wird es in Lourdes aussehen. Ganeshas und Nandis in allen Materialien. In Karnataka musste ich noch suchen, um 20 Stück für meine Schüler zusammenzubekommen. Religiöse Motive werden mit Siebdruck am Straßenrand direkt aufs Unterhemd aufgebracht. Die Künstler sitzen auf dem Boden am Wegrand. Am Flussufer Zeltstädte, Schlamm und Abfall. Erinnerung an Kathmandu in Nepal. Nirgendwo sahen wir so viele Bettler wie in Hardwar. In einer langen Reihe sitzen sie am Straßenrand. Vor sich die glänzenden Metallschalen und –töpfe. Immer wieder, die Hände verstümmelt, die Leprastummel vor dem Gesicht, durch den weißen Verband dringt Blut. Dann die Mütter mit den kleinen Kindern auf dem Arm, schlafend am Fußweg zum Laxmitempel. Geöffnete Hände von Kindern. Einmal singt ein verkrüppeltes Kind, das sich langsam über die Straße schiebt, von Shiva und Laxmi. Manchmal die geöffnete Hand eines Saddhu. Sie ermöglichen gute Taten, machen uns aber nur ein schlechtes Gewissen - zu viele, denen wir nicht helfen.

    Auf der schmalen Brücke nähert sich uns ein Moped. Der Fahrer, weiß gepudert mit Asche, weiß gekleidet, auf der Stirn das Zeichen der Shivaanhänger: die drei waagerechten Striche auf der roten Stirn, die auf die Dreiäugigkeit Shivas hinweisen, auf die Polaritätenvereinigung und den zerstörerischen Feueraspekt. Ein Saddhu fährt mit einem Moped zu seinem Arbeits- bzw. Betplatz unter dem heiligen Baum am Wasser.

    Rishikesh, die Stadt der heiligen Männer, der "Rishis", auch die Beatles suchten hier die spirituelle Erfahrung des Göttlichen.

      Als ich erwache und auf den Ganges und die Berge blicken will, liegt eine Nebelwand vor mir, schwebt auf dem Fluss, teilt die Berge, verdeckt die Spitzen. Der Blick ist verstellt.
      Rishikesh, die Stadt der Saddhus. Mehr heilige Männer als heilige Kühe. Rishikesh, die farbenfrohe Stadt. Orange boven. Auch der Dung der Kühe leuchtet in allen Farben und pflastert in gefährlicher Weise die Wege. Auf dem Weg zu einem Ashram weiße Teenies mit strahlenden Augen, die Gesichter glänzen zart und rein, vielfach gewaschen im Wasser des Ganges. Ganga, die Mutter, wäscht alle Sünden hinweg, macht rein und sauber, vernebelt den Blick, der Schmutz auf den Wegen wird bedeutungslos, der Kot und die Plastikabfälle und die Abflussrinnen in den Straßen. Augenblicke aus dem religiösen Kosmos Rishikeshs
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      Im Hotel eine prächtige, gestreifte Kakerlake, aber keine Ratte wie in Bijapur. Nur im Traum in der Nacht tauchen viele kleine Ratten auf, die den Aufenthalt im Ashram unmöglich machen. Andere Gäste sind schon geflohen.
      Die Luft hat fast 100% Luftfeuchtigkeit, nichts trocknet, die Schwitzstellen bleiben. Der Ventilator dreht sich die ganze Nacht. Die Klimaanlage brummt und brummt, ohne Nutzen. Eine Schabe springt auf mein Bein. Christa. Ein Gecko hängt an der Scheibe, springt hinüber zur Wand.
      Der Schweiß steht mir auf der Stirn. Es ist 5.30 Uhr.
      Draußen auf dem Wasser und vor den Bergen liegen die Nebelbänke. Noch ist es dunkel. Das Tor im Garten, das zum Ganges hinab führt ist noch geschlossen. Sind die Dämonen, die nachts aus den Bergen hinab treiben, noch unterwegs?