Aus dem Tagebuch einer Reise in die großartige, aber schauerliche Vergangenheit Mexikos und Guatemalas und zu den religiösen Nothelfern der Indios in der Gegenwart 1. Vorgeschichte: Erwartungen. Die Reisegruppe Zum ersten Mal in unserem Leben setzen wir uns nicht in ein Flugzeug nach arabischen oder asiatischen Ländern, sondern wenden uns nach Westen, überqueren den atlantischen Ozean, fliegen über Dallas nach Mexico-City. Was erwartet uns? Die Tempelruinen der Mayas und Azteken, die kleinen, pastellfarbenen Häuser in den spanischen Kolonialstädten, die Indios auf den Märkten und in den Dörfern, die Kakteenberge Südmexikos, die grünen Berge Guatemalas, der Urwald des Peten, die Touristenversammlungsorte, die Heiligen in den Kathedralen, in den Hütten, im Wald und uns selbst, die wir als deutsche Touristengruppe vier Wochen lang viele, viele Stunden nebeneinander im Bus oder am Frühstückstisch hocken dürfen oder müssen. So lernen wir auch den HW kennen, der immer schon überall war, der vor 20 Jahren schon mit dem Zöllner an der guatemaltekischen Grenze war und mit den Fischern der Isla Mujeres Tequila getrunken hat. "Dat is nicht mehr schön, dat war fröher allet janz anders, wirklich, hier, nä?" Mit seiner vierten Kamera rennt er durch die Ruinen, diesmal in digital und bei Morjen- und Tageslicht. "Abends sieht allet janz anders aus, da jeh ich nochmal hin." Und den Subcomandante Marcos, die mexikanisch-kölnische Wiedergeburt von Che Guevara, der sowohl von den politischen Rechten der Indios träumt als auch vom Regengott Chak, dessen Masken mit ihren großen nach oben und nach unten züngelnden Nasen die Ruinen schmücken. Vor unserem letzten Tempel in Chichen Itza, dem Haus der Nonnen, schwärmt er: "Ist das nicht schön, ganz wunderbar ? Ich bin begeistert. So ein fantastischer Abschluss der Reise. Alles war schön, aber das hier ist der Höhepunkt, dieses Ganze, die Atmosphäre, einmalig." Die Sonne strahlt, die Augen strahlen. S. sieht dich: "O, du Oberschwärmer." Und S., hüpfend, sich in den Hüften wiegend, noch nicht wissend von den tektonischen Verschiebungen, denen sie ausgesetzt sein wird, zeigt immer häufiger diesen verräterischen Schritt. Später weiß sie: "Mehr als einmal kommt es ja vor, dass eine Schichtfolge durch tektonische Verschiebungen buchstäblich auf den Kopf gestellt ist; dann liegt das Jüngste zuunterst und das Älteste oben drauf oder umgekehrt." "O.k., o.k.", meint Erden, verschweigend, was sie denkt. O Erden, wer hat hier Probleme, du? So viele? O.k., Erden, o.k., lass mal! Wir können ja das beim Tempel X unterbrochene Gespräch über die Grundlagen und Möglichkeiten einer vegetarischen Ernährung weiterführen. In dem Augenblick dreht sich der Subcomandante um, sieht mich und schon stößt er seinen rechten Zeigefinger gegen seine vordere Hutkrempe und bläst mit funkelnden Augen und starrem Gesichtsausdruck Luft gegen seine Fingerkuppe. Wieder hat er blitzschnell zugeschlagen, da tröstet auch sein Versöhnungsritual herzlich wenig. Er legt seinen Daumen auf den kleinen Finger und streckt die Dreieinigkeit seiner übrigen Finger mir entgegen. O.k., denke ich, er wird mich nicht opfern, aber er sollte doch mal mit Sandra darüber sprechen, schließlich hat er sich vorhin auch den Jaguar herunter geholt. O, heiliger Maximon und hl. Pascual Abaj, ihr Nachfahren von Huitzilopochtli und Quetzalcoatl, beschützt mich auch weiterhin vor der dunklen Seite des Subcomandante. All das haben Horst und Udo nicht mitbekommen. Sicherlich versucht Udo noch seine Aussage, das sei doch, ja sicherlich, ein Falter und kein Schmetterling, zu verifizieren, oder er sammelt seine noch fehlenden Argumente gegen eine vegetarische Ernährung, während er ihm sei gedankt im Museum einige Seiten des Dresdener Codex entdeckt. Horst mag währenddessen von einer uneinsichtigen Ecke des archäologischen Parkes aus die große Pyramide des Kukulkan in sich aufnehmen und überlegen, wie er sie in seinen PC hinein bekommt und wieder e-mail-gerecht hinaus. Die anderen Gruppenteilnehmer aber ausgestattet mit den Lageplänen der so überaus bemühten Karin - stoßen von Zeit zu Zeit auf ihre anderen Gruppenteile und sind deshalb durchaus in der Lage meine Beschreibungen zu bestätigen. Es existieren sogar Fotos und Videoaufnahmen, die diese Beobachtungen belegen. Sie zeigen auch, wie leichtfüßig Claudia, Beate, Frank und Jeanette die Stufen der großen Pyramiden nehmen, während andere Touristen sich am Leitseil festklammern oder mit zitternden Knien auf den Stufen sitzen. Ja, S. scheint sogar flügelschlagend die Stufen hinabzufliegen. Was sagst du dazu, Claudia? Ich verstehe sie nicht. Sie lächelt, klimpert mit den Augenbrauen. "Ja, Schwäbisch müsst ma könne", sagt sie in ihrem besten Hochdeutsch. Wir alle eilen, wir wollen der wartenden Karin keinen Verdruss bereiten und schließlich freuen wir uns immer wieder, zusammen im Bus zu sitzen und gemeinsam unsere Milpa-Mais-Chips zu knabbern. Da ist auch Jürgen in seinem Element und leistet seine besten Beiträge. Zusammen mit den Milpa-Chips gelingt ihm sogar eine Strophe des Abschiedsliedes für Karin. Erinnerungen. Schließe ich die Augen, dann tauchen sie auf, die netten Mitmenschen und Gefährten, bis, ja bis sie sich in die Gestalten einer kleinen Geschichte verwandeln. Kulissen dazu. Ein Hotelgarten mit Swimmingpool. Dahinter eine Miniaturausgabe eines Mayatempels, auf dessen oberer Plattform ein Haus steht, aus dem heraus eine rote Lampe leuchtet, erinnernd an Blut, Friedhof und Verkehrsampel. Links und rechts daneben kniet ein Indio, darunter liegt eine Wassergrotte, ein Cenote, wie er im wasserarmen Yucatan häufig zu finden ist. Seitwärts von diesem Tempel, hinter der Sommerbar, leuchtet eine Weihnachtsgrotte mit der heiligen Familie und die Engel verkünden die "frohe Botschaft", aber niemand ist da, das Hotel ist fast leer. Einige Meter weiter leuchtet eine dritte Grotte in die dunkle Welt hinein, eine weiß-blau gekleidete Madonna zeigt allen das Jesuskind. Wieviel Jesuskinder haben wir nicht gesehen. Dabei steht Weihnachten noch vor der Tür. Alles Betrug, würde HW sagen, ein abgekartetes Spiel der jüdischen Weltmafia. Der Subcomandante würde bestätigen: " Ich habe auch meine Probleme damit". Wie aber soll ich armer Ungläubiger damit fertig werden? Euch fehlt eine Rauch- und Feuerreinigung durch einen fachkundigen Schamanen oder ein Indio-Ritual mit Posch und Coca-Cola. Einmal rülpsen und der Dreck eures Zweifels ist weg. Auch braucht der Mensch viel Licht in der Dunkelheit, leuchtende, möglichst bunte Sterne. Er soll hinausblicken in die Natur und überall soll es leuchten und blinken. So sehe ich Mexiko rückblickend. Aber noch stehen wir am Anfang unserer Reise. Wir sind in der Nacht gegen 3 Uhr aufgestanden und nach 23 Stunden sehen wir endlich die nicht enden wollenden Lichtermeere von Mexiko-City unter uns, ein riesiger Blumenteppich mit wunderbaren Mustern, die voller Leben sind. Wie hatte ich noch im Flugzeug ins Tagebuch geschrieben ? Wir fahren in eine tote Welt, wir werden Ruinen und Kunstwerke sehen, die vor vielen hundert Jahren geschaffen wurden. Die Kultur der Mayas und Azteken ist tot. Es wird nicht sein wie in Indien, wo der Hinduismus und Buddhismus und andere alte Kulte das alltägliche Leben begleiten. Hier werden wir es mit spanisch katholischen Riten und Kirchen aus dem europäischen Barock zu tun haben Vielleicht werden wir etwas von den schwierigen Lebensbedingungen der Indios, von der ungerechten Verteilung des Reichtums, von Land und Geld, von der Unterdrückung der Indios durch das Militär mitbekommen. Auf jeden Fall wird der Vergleich der Kulturen eine Rolle spielen. Welche Themen, welche Akzente, die uns fremd sind, oder die wir schon in anderen Kulturen kennengelernt haben, werden wir hier kennenlernen? Werden wir den Menschen näherkommen, wie werden sie sich uns gegenüber verhalten? Werden wir hier die Freundlichkeit und Fröhlichkeit indischer oder anderer asiatischer Menschen wiederfinden? Wie werden Natur und Klima auf uns wirken? Was wird uns während der Reise am stärksten beschäftigen? |