Heute werden wir wieder von einer unendlich weiten Busfahrt von 10 Stunden in das gebirgige Guatemala überrascht. Der Grenzübergang ist ganz unspektakulär: einige Gebäude, zwei Pfosten und ein Seil, das nach Bedarf hoch gezogen wird. Personen tragen Lasten hin und her. Geldwechsler zählen ihre dicken Geldscheinpacken. Nach der Ausweiskontrolle tragen wir unsere Koffer hinüber zu unserem nächsten Bus, der neuer ist und besser gefedert als unser uralter mexikanischer. Er schleudert uns nicht mehr hoch und hin und her und verhindert nicht das Lesen während der Fahrt. Sogar das Mikro funktioniert, so dass Karin uns von den korrupten Präsidenten und Diktatoren Guatemalas, von der militärischen Einmischung der USA zugunsten der United Fruit Company erzählen kann. Die Soldaten sind hier ähnlich präsent wie in Mexiko. Zweimal begleitet uns ein Polizeifahrzeug. Da die Kriminalität hier fast so hoch sein soll wie in Kolumbien, vermuten wir, es war zu unserem Schutz. Die Gebirgslandschaft ist faszinierend. Volker ist begeistert von dem hellen Loch zwischen schwarzen Wolkenbänken. Seine Augen zeigen wieder die sympathische Teilnahme an seiner Umwelt. Dazu ein Wetterleuchten, das die Berge im Hintergrund aufleuchten lässt, wodurch Udo sich zu der Aussage hinreißen lässt "Das sind doch elektrostatische Entladungen wie beim Blitzen." Was soll man dazu sagen? Manche Menschen reizen zum Widerspruch. Manchen Menschen kann man nur schwer in die Augen sehen. Manchmal muss ich sogar wegsehen. Z.B. wenn HW seine jüdischen Weltverschwörungstheorien verkündet und über den Verfall der Werte in der katholischen Kirche und von der Überfremdung der mexikanischen Volksmusik durch die Rockmusik spricht. Wie anders ist der Blick von Volker, er sucht das Gute in der Welt, schaut auf zum Himmel, wo sich noch immer das blaue Auge in der schwarzen Wolkenmasse zeigt, ein Auge ist, was alles... Volker sieht sein eigenes Auge: "Scheiße seh ich aus, wie ich sehe." Nein, nein, Volker. Dein Blick ist WOW, sagt S. Das tut gut, nicht wahr? Sie sagt es und ich sehe, sie ist die Powerfrau in orange und mit einem zartfarbenen Powerarmband. Ihr tut es keinen Abbruch, dass sie bekennt, früher trug ich immer schwarz. Im Gegenteil. Sie darf beim Karneval in Köln sogar in Leder gehen mit Peitsche und Fahrradketten um den Hals. Horst möchte sein Auge wiederbekommen, möglichst per e-mail. Dabei lacht er sich kaputt. Warte, du wirst es bekommen. HW will seine abgelegten Klamotten nicht dem Roten Kreuz überlassen. Er schleppt sie mit für die Indios. Leider hat seine Mutter die Elvis-Presley-Jacke weggeworfen. Was hat es geschimpft! Aber was soll es, die Jacke war doch sicher ein Ausrutscher, eine abartige amerikanisch-jüdische Überfremdung. Du hättest in ihr ausgesehen wie einer der Sektenangehörigen, die in San Christobal auf dem Zocalo ihre Teufelsmesse zelebrierten mit amerikanischer Musik und amerikanischen Fahnenschwenkern. Aber du sagst mir, auch Elvis gehörte einer Sekte an. Merkst du den Widerspruch, wo du doch nur im Schoß der altkatholischen Kirche glücklich bist, wo man noch das echte alte Latein spricht und frei ist von den Repressionen des Weltjudentums und nicht dem gefährlichsten aller Juden ausgeliefert ist, dem polnischen Juden Wojtyla? Ach, HWchen, vielleicht wirst du ja von allen bösen Gedanken und Verdächtigungen erlöst werden, wenn du deine Michaeliskapelle gebaut hast. Bedenke, schon immer litten die Menschen unter Verfolgungswahn. Mal war es das Erdungeheuer, mal der christliche Teufel, mal bestimmte Menschen. In Guatemala versprechen 90 Sekten die Wahrheit zu kennen. Wer lügt hier? Du? Die? Sie? Morgen fahren wir nach Santiago Atitlan, dem Dorf mit den 30 Sekten, wo auch MaXimon wohnt, der Beschützer aller Hexer und Zauberer. Panajachel, unser Übernachtungsort, ist ein abstoßender Touristenort wie in Holland oder an der türkischen Riviera mit Verkaufsbuden, Geschäften, Hotels und Touristenvolk, aber der Blick hinaus auf den Atitlansee ist fast unwirklich, so perfekt ist die Kulisse. Auf der anderen Seite des Sees steigen drei Vulkankegel wie Pyramiden in den Himmel. Alle sind begeistert. Als am Abend die Wolken phantastische Form- und Farbbilder an den Himmel zaubern, bleiben wir alle am Seeufer bis die Sonne nach vielfältigen Farbspielen untergegangen ist. Den Morgen jedoch beginnen wir mit einer kurzen Bootsfahrt nach Santa Cruz la Laguna, dem Ausgangsort für eine 3 1/2 stündige Wanderung am Seeufer. Der Pfad wird zu einem manchmal steilen Bergpfad durch Wald und kleine steile Maisfelder, die wie Weinfelder am Berg kleben. Links von uns immer den Blick über die blaue, gekräuselte Wasserfläche mit winzigen Holzbooten in die Berge, neben uns rote und gelbe Maiskolben, grüne Avocados, riesige Papayas, braun-grüne Früchte, rote Kaffeebeeren. Unser Führer lässt uns verschiedene Früchte kosten. Erschöpft und ausgetrocknet erreichen wir unser Ziel Tzununa, wo unser Boot auf uns wartet. Als wir mittags weiterfahren nach Santiago Atitlan rächt sich der böse Riese, dessen Kopf die Bewohner eines Dorfes in den See geworfen haben, indem er aus der Tiefe bläst und unsere Schnellbootüberfahrt zu einer schmerzvollen Tortur werden lässt. In Santiago Atitlan überfallen uns mit Geschrei ganze Gruppen aggressiver Mädchen, die uns weit bis ins Dorf verfolgen, um etwas zu verkaufen. Bedrängt und gejagt flüchten wir in ein Touristen-Restaurant. Santiago ist der Hauptort der Tzutuhil-Indios und Mittelpunkt des MaXimon-Kultes. Während die Figur des MaXimon früher nur während der Karwoche gezeigt wurde, kann sie jetzt in einer Hütte der sie betreuenden Bruderschaft des Heiligen Kreuzes jederzeit gegen Geld besichtigt werden. Die Figur ist ein echtes Kuriosum. Die etwa 1m hohe Holzfigur zeigt ein unbemaltes, ausdrucksloses Gesicht mit einem roten Tuch umwickelt, einem schwarzen Hut und einer Zigarre im Mund, die auch geraucht wird, wie die beiden Aschenbecher zeigen. Der Körper ist mit vielen Seidenschals behängt, wie man es auch bei den Heiligen in den Kirchen findet. Unter den Stoffen der sitzenden Figur schauen zwei schwarze Lederschuhe hervor. Vor ihr stehen Schalen mit Esssachen und Geld, Schnapsflaschen, brennenden Kerzen und Blumenvasen. Das nackte Holzgesicht zeigt seine Herkunft von dem heiligen sprechenden Baum der Mayas, dem Palo de Pito. Die Cofradia, die Bruderschaft vom heiligen Kreuz, ist wiederum durch ihren Namen mit dem alten heiligen Baum verbunden. Hilfe-Suchende kommen, ein Mann und eine Frau, sie knien nieder, beten mit Hilfe des Vorstehers und zünden Kerzen an, während im Hintergrund ein mechanischer Vogel zwitschert. Sollte das der heilige Quetzal sein, den die Mayas schon verehrten, nach dem die Landeswährung benannt ist und der im Staatswappen Guatemalas sitzt? Auch in der Indio-Kirche von Zinacantan hatte ich schon das Zwitschern eines Vogels gehört. Dazu spielt noch eine Spieluhr die Melodie "Stille Nacht, heilige Nacht". An der linken Seite von MaXimon liegt in einem Glaskasten der Vater bzw. der fremdartige, langhaarige Zwillingsbruder Jesus als der "gerechte Richter in der heiligen Welt". Beide werden in der Karwoche geopfert, um wieder aufzuerstehen und als Mais- und Regengötter die trockene Erde des Landes zu befruchten. Auf dem Glaskasten steht eine kleine Figur, die im Mund eine große Zigarette trägt. An der Wand hängen verschiedenfarbige Kerzen, wobei die Farbe angibt, ob man eine Frau gewinnen oder sie loswerden will, ob man selbst Geld verdienen oder jemanden ruinieren will, ob man selbst genesen oder einem anderen eine Krankheit wünschen will. Von der Decke herab hängen viele dicke Würste, Luftballons, ein aufgeblasener Teddy, bunte Papiergirlanden und grüne Pflanzen. Wir sehen das materielle, das menschliche Paradies der Indios. Im Bild des MaXimon vereinigen sich viele Züge der alten Mayagötter. Er ist der Rilaj Acha, der alte Mann als der reiche Kaufmann mit der besonderen Kopfbedeckung. Er ist der rauchende Gott, der Zigarre rauchend durch die Nacht wandert. Er ist der Regengott Chac, der für die Fruchtbarkeit der trockenen Erde sorgt. Er ist auch Ximon Pedro , der den Schlüssel zur Heiligen Welt und zur Unterwelt, zum himmlischen Reichtum und zum höllischen Chaos, besitzt. Vor allem aber ist er der Zwillingsbruder von Jesus, mit dem er für das Gleichgewicht in der Welt der Krankheit, der Lüge, der Hexerei und des Todes sorgt.Vor dem Schlafort und Thronsaal des MaXimon erleben wir noch deutlicher die Mayaseite der religiösen Rituale. Auf dem Hof brennt ein großes Feuer. Am Feuer steht eine Schamanin mit zwei "Patientinnen". Gebete sprechend gießt sie Schnaps ins Feuer oder wirft immer wieder Kerzen hinein oder gibt den beiden Frauen die Kerzen zum Hineinwerfen. Die Flammen sollen reinigen. Die Frauen müssen sich drehen, damit die Flammen überall wirksam werden können. Die Rückfahrt zum Hotel wird zu einer schmerzvollen Höllenfahrt. Es weht der Xocomil, der Wind, der die Sünde ausbrennt. Danach aber erwartet uns das schon oben erwähnte himmlische Schauspiel beim Untergang der Sonne.
Chichicastenango ("Mauer der violetten Nesselpflanze"), 2100m hoch Heute erfüllen sich wieder unsere Vorstellungen von einer Begegnung mit einer fremden Kultur. In Chichi erleben wir den größten Markt Guatemalas. Die Atmosphäre ist so lebendig und dicht, wie wir es von Indien gewohnt sind. Das Labyrinth von Verkaufsständen erinnert an die Souks von Marrakesch und Tunis. Schweine, Puten, Hühner und alles, was ein Indio fürs irdische und himmlische Leben braucht, ist hier zu haben. Vor der Kathedrale werden viele Copal-Weihrauchtöpfe geschwungen, um den Eingang vom Bösen, von den Ausdünstungen der Touristen und den sie begleitenden Dämonen zu reinigen oder um die alten Götter anzurufen schließlich war an dieser Stelle ein Zeremonialplatz der Mayas. Die Touristen laufen trotzdem über die ausgestreuten Kiefernnadeln, über die brennenden Kerzen und zwängen sich durch die Holztür. Auch in der Kirche brennen unter einem weißen Dach aus Stoffbahnen auf niedrigen Opferpodesten viele Kerzen. Auf den ersten beiden Bodenplatten zündet man 4 kleine Kerzen an und bittet für die Gesundheit eines Kindes. Die längeren weißen Kerzen sind für eine glückliche Hochzeit. Grüne Kerzen und Blätter heilen von allen möglichen Krankheiten. Sechs weiße Kerzen und rote Blütenblätter sorgen für eine sichere Heimkehr. Auf die nächsten Opferplatten legt man weiße, gelbe und schwarze Maiskörner für eine gute Ernte. Die orangefarbenen Ringelblumen sind Fürbitten für die Seelen Verstorbener. Auf der nächsten Opferplatte sollen Schnaps und Kerzen die Heilung von der Alkoholsucht bringen. Rosa Blütenblätter sind gegen schwere Krankheiten, weiße für eine gute Heirat, rote für beruflichen Erfolg. Schnaps (chicha) wird auf die Opfersteine gespritzt, Gebete werden aufgesagt. Ein massives Kreuz, das während der Osterprozession von 50 Männern durch die Straßen getragen wird, hängt an der Wand. An der linken Seite ist ein Schrein mit den Heiligen Anna, Johannes und Lazarus angebracht, den Beschützern der schwangeren Frauen, flankiert jeweils von einem halbnackten Indio, zu den Füßen zwei Engel, die einen abgeschlagenen Armstumpf zeigen. Auch hier finden verschiedene Rituale statt. In einer vorderen, linken Ecke neben dem Eingang drängen sich Mütter mit ihren Kindern, die ein katholischer Geistlicher begrüßt, vielleicht um sie zu taufen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes liegt, ebenfalls etwas erhöht, der Calvario. Auch auf dessen Vorplatz und Stufen finden pom-Rituale statt. In der Kapelle steht ein gläserner Schrein mit einem großen, langhaarigen Christus, der in der Semana Santa durch die Straßen getragen wird. Sehenswert ist ebenfalls der Friedhof mit seinen meist zartgrün oder blau, aber auch weißen und rosafarbenen Gräbern. Die Trauerfarben der Maya sind Grün und Blau. Auch hier finden rituelle Handlungen statt. In der Mitte des Friedhofes befinden drei kleine Steinkreuze, vor denen steinerne Feuerkästen zum Vebrennen von Harz und Kerzen stehen. Zwei Männer beten dort. Am Ende des Friedhofes kniet eine Frau auf einem Teppich aus Kiefernnadeln und Ringelblumen und schwenkt das Weihrauchfass. Auch weitere Indios kommen mit durchlöcherten Räucherdosen, um der Verstorbenen zu gedenken. Die Zeit ist viel zu schnell um, so dass wir einen besonderen Ritualplatz nicht mehr besuchen können. Außerhalb von Chichi befindet sich auf einem Hügel ein schwarzer, phallischer Stein mit einem groben menschlichen Gesicht, Pascual Abaj "Opferstein". Er soll eine Manifestation des Erdgottes sein, in Quiche "Huyup Tak`ah"(Berg-Ebene). Gegen dieses "Götzenbild" haben die fundamentalistischen Katholiken bisher vergebens gekämpft. Nach einem nächtlichen Sturz in eine Schlucht wurde es wieder aufgestellt. Dieser Mayagottheit werden immer noch Hühner, pom und Kiefernnadeln geopfert.
Chichi wurde auch berühmt durch den Fund des Popol Vuh (Buch des Rates), in dem die Schöpfungsmythen der Mayas erzählt werden. "Das ist die Kunde: Da war das ruhende All. Kein Hauch. Kein Laut. Reglos und schweigend die Welt. Und des Himmels Raum war leer. Dies ist die erste Kunde, das erste Wort. Noch war kein Mensch da, kein Tier..... Als der Schöpfer und die Former sahen, dass jene (die Vierfüßler und Vögel) nicht sprechen konnten, sagten sie zueinander: "Sie können uns nicht bei unserem Namen nennen, uns ihre Former und Bildner...Das ist nicht gut....Darum wurde ihr Fleisch geopfert, und die Tiere auf dem Antlitz der Erde waren fortan verdammt, getötet und gefressen zu werden.... So galt es denn einen neuen Versuch, den Menschen zu schaffen... Aus Erde und Lehm machten sie des Menschen Fleisch. Aber sie sahen, dass es nicht gut war. Denn es schwand dahin, es war zu weich, es war ohne Bewegung und ohne Kraft...Wohl sprach es, aber es hatte keine Vernunft. Bald weichten es die Wasser auf, und es sank dahin....Dann zerstörten und zerschlugen sie das Werk..... In Nacht und Dunkelheit kamen sie zusammen und erwogen alles in ihrer Weisheit. Sie überlegten, suchten, bedachten und besprachen es. Und dann gelangten sie zur Einsicht. Sie fanden den Lebensstoff. Die Erleuchtung kam ihnen, woraus des Menschen Fleisch zu schaffen. Indem sie die gelben und weißen Maiskolben zerrieb, machte Ixmucane neun Getränke. Und dieser Stoff verlieh Kraft und Fülle, und aus ihm schufen sie Kraft und Stärke des Menschen... Aus Maisbrei machten sie die Arme und Beine des Menschen. Einzig Maismasse trat in das Fleisch unserer Ahnen, der vier Menschen, die geschaffen wurden.... Himmelswasser nannte sich die Frau des Waldjaguars. Brunnenwasser nannte sich die Frau des Nachtjaguars. Kolobriwasser war die Frau des Nachtherrn. Und Papageienwasser war der Name von Mondjaguars Frau..." |