Am nächsten Morgen fahren wir früher ab, weil der Busfahrer Straßensperrungen wegen eines Streiks befürchtet. Schade, solche Ereignisse sind mir eigentlich wichtiger als Ruinen. Durch ehemaligen Urwald führt eine neue Straße zum Grenzfluss Usumacinta. Schwarze Baumstümpfe seitwärts zeigen an, dass hier Brandrodung betrieben wurde. Umzäuntes Land . Gestrüpp. Sumpf. Kühe. Pferde. Kleine Hütten aus Brettern und Bambusstangen. Betonsockel im roten Sand. Viele Tümpel. Der Urwald wurde zur Besiedlung freigegeben. Die schnurgerade Straße endet am Steilufer des Flusses bei Bethel Cooperative. Hier gibt es keine Brücke nach Mexiko. Deshalb steigen wir in ein Boot und fahren 30 Minuten flussabwärts zum mexikanischen Dorf Corozal auf der anderen Flussseite. Zu unserer großen Überraschung ist das "Camp" sehr luxuriös, große, strohgedeckte Bungalows mit Dusche, Fan, Hängematte und Terrasse in einem grünen Garten. Im offenen Esssaal steht ein Fernseher, wodurch hier im Urwald die Menschen verdorben werden, sagt HW, wodurch sie gebildet werden, sage ich. "Bildung," entgegnet HW, "gibt es gar nicht mehr. Die, die das bestimmen, sind doch die Freimaurer und die Juden. Guck doch die Lehrer, die können ja auch nicht machen, was sie wollen, sondern die müssen das machen, was die Freimaurer ausgedacht haben." "Nein," sage ich," das stimmt nicht, es gibt zwar Richtlinien, aber die sind mit den Lehrern diskutiert und erprobt worden." "Nein, ich habe eine Bekannte, die Lehrerin war...Früher war das alles doch ganz anders. Jetzt sitzen die Freimaurer doch überall dahinter. Ich weiß das. Ich habe mit Südamerikanern gesprochen. Auch die Präsidenten gehören dazu. Nach Außen sind sie Anhänger von ´ner Marienkongregation, aber das ist alles Lüge. Das sind auch alles Juden. Synthetische Juden, Richtige gibt es ja nicht mehr, höchstens 0,2%. Das ist schlimm. Die ganze Bildung ist bloß Betrug. Das haben sich die Juden und Freimaurer ausgedacht, um die Welt zu zerstören. Der letzte richtige Papst war Pius X., der ist dann vergiftet worden, weil er gegen die Oktoberrevolution war. Der Schlimmste ist Wojtyla der Pole, das ist ein reiner Jude, und der Ratzinger, dessen Mutter war auch Jüdin. Ich weiß das alles ganz genau." "Sind alle einflussreichen Leute Juden und Freimaurer? Auch der Dalai Lama?" "Der ist einer der schlimmsten Freimaurer, der betrügt die ganze Welt. Sein Volk hat er ja verlassen und jetzt reist er herum und betrügt die Leute." "Woher weißt du das? Die Altkatholiken, zu denen du dich zählst,
sagen doch so etwas nicht." "Ja. Ich weiß das. Die meisten wissen
das gar nicht. Zu Hause hab ich auch richtige Bücher, da stehen
Anmerkungen drunter. Der Wiesenthal hat ja alle betrogen. Die
Toten von Dresden hat der ja mitgezählt. Das is es. Ich hab mich
damit beschäftigt. Ich weiß dat." Frontera Corozal
Die Unentwegten, Volker, Jürgen und ich, stehen bereits vor 5 Uhr auf, um den Beginn der Feierlichkeiten zu Ehren der Jungfrau von Guadelupe im Urwalddorf zu erleben. Mit Taschenlampen und Mondbeleuchtung tasten wir uns über den Dorfweg in Richtung Kirche. Aus vielen Hütten fällt schon Licht durch die Ritzen der Bretter und tönt Musik. Vor der Kirchentür singt schon der Chor des Ortes Marienlieder in der Begleitung von Akkordeon, Gitarren und Zupfcello. In der Kirche steht die Madonna, in ein Tragegestell eingebunden. Oberhalb des Altars hängt ein gedrungener Christus mit einem langen Hüfttuch am Kreuz. Die Kirche füllt sich. Gebete. Ansprachen. Eine Gruppe Jugendlicher mit Marien-T-Shirts und einer großen Fackel tritt ein. Von einem Kassettenrekorder wird die Nationalhymne abgespielt. Gebete. Ansprachen. Dann verlassen fast alle die Kirche. Danach betritt eine langhaarige Schamanin das Haus und trägt ein Räuchergefäß in alle Ecken des Altarraums und zu jeder Heiligenfigur. Dazu spielt eine Indiogruppe mit Flöte und Trommeln schrille, monotone Weisen . Vor einer Esshütte auf dem Vorplatz spielt eine andere Gruppe mit Violine und Gitarren immer wieder die gleiche Tonfolge. Auf dem Rückweg, nach zwei Stunden, wird es im Dorf lebendig. Viele Puter blasen sich auf und balzen mit blauem Kopf sich gegenseitig an. Hähne krähen. Enten watscheln über den Weg. Schweine sind mit einer Schnur um den Bauch angebunden. Hunde schnüffeln an unseren Hosen. Kinder starren uns an. Hier sind wir die Exoten.
Nach dem Frühstück starten wir zu einer 40 minütigen Bootsfahrt in den Urwald nach Yaxchilan. Hier haben sich die Herrscher besonders in den Skulpturen der 60 Türstürze verewigt. Die Motive sind meist Szenen von Machtübergaben, Blutopfern und Gefangennahme von Feinden. Beeindruckend ist in dieser Anlage die Einheit von Ruinen und intaktem Regenwald. Und in der Ferne röhren die Götter der Unterwelt, die Brüllaffen. Herrscher aus Yaxchilan ("Ort der grünen Steine") 320-808 n.Chr. Yat Balam "Jaguar-Penis",
In der Nähe liegt Bonampak, das erst 1946 entdeckt wurde. Mit einem neuen Bus fahren wir bis an den Rand des Lacandonischen Urwaldes. Die letzten 12 km über eine neue Dammstraße durch Sumpf und Wald übernehmen die Lacandonen mit offenen Besichtigungswagen selbst. Leider nimmt unsere Gruppe nicht die bereitstehenden Mountainbikes. Das wäre noch ein lohnenswertes Erlebnis geworden! Die Lacandonen, die sich selbst Hach Winik ("Wahre Menschen") nennen, tragen eine weiße Tunika mit kurzen Ärmeln und roten Flecken und lange, offene Haare. Räuchergefäße mit einem Götterbild gelten als Boten der Götter. Beim Balche-Ritual trinken sie ein vergorenes Getränk und gelten nach dem Erbrechen als innerlich gereinigt. Wir erinnern uns an das Coca-Cola-Ritual der Indios von Chamula. Mal sehen, wann die Getränkeindustrie auch hier einen Ersatz durchgesetzt hat.
Bonampak ist bemerkenswert wegen der originalen Malereien in drei Räumen. Hier werden die Ereignisse vor, während und nach einer Schlacht dargestellt. Die Gewölbe der drei Räume zeigen auf einem hellblauen Untergrund das kosmische Ungeheuer. Im ersten Raum bereiten sich sechs als Wasser- und Vegetationsgeister maskierte Personen auf einen Fruchtbarkeitstanz vor. Z.B. als Krabbe mit großen Zangen und als Krokodil. Im zweiten Raum sehen wir die Schlacht und die Verurteilung der Gefangenen. Die Gefangenen tragen nur noch einen Lederschurz. Gefolterte strecken ihre Hände hoch, warten auf die Hinrichtung, ein Leichnam und ein Kopf liegen zu Füßen des Königs. Im dritten Raum wird gezeigt, wie der König und andere Adelige ihr eigenes Blut und ihre Schmerzen opfern und wie ein weiterer Mensch von zwei Priestern gehalten wird, damit der Opferpriester ihm die Brust öffnen und das herausgerissene Herz den Göttern darbringen kann. Dabei wird ein großer Tanz aufgeführt. Auf dem zentralen Hügel stehen sechs Steinhäuser mit jeweils einem phallischen Opferaltar.
Opfer für die Götter: Das Blut wurde auf Papier verspritzt, zum Einreiben der Götterbilder verwendet oder zusammen mit kautschukgetränkter Rinde und Copal-Weihrauch verbrannt. Der Sonne und der Erde musste immer wieder Energie in Form von Blut zugeführt werden. Die Sonne musste ihren Kreislauf fortsetzen und am Morgen wieder erscheinen können nach dem Durchlaufen der Unterwelt und die Erde brauchte im Frühjahr Kraft, um wieder fruchtbar werden zu können.
Über viele Topes und Vibratoren, Straßenschwellen, die notwendig sind wegen der vielen frei laufenden Pferde und Hühner, fahren wir in Richtung Palenque. Palenque ist die am besten erhaltene Tempelstadt der Mayas (16 km2) . Seit der Entdeckung des Grabes von König Pacal weiß man, dass die Pyramiden nicht nur Unterbauten für die himmelsnahen Tempel auf der Plattform sind. Die hohen Dachkämme auf den Tempeln zeigen eine ausgesprochene Herrschaftsarchitektur mit vielen Figuren der Herrscherfamilie. Der König als Gott. König Pacal ließ sich einen großen Sarkophag bauen und wurde mit einer Jademaske auf dem Gesicht und vielen kostbaren Beigaben bestattet. Zu Lebzeiten trat er aus dem steinernen Maul des Erdungeheuers heraus, wenn er dem Volk mit dem riesigen Kopfputz, weitausladenden Federn und Brustgehänge als Vermittler zu den kosmischen Mächten Sonne und Erde erschien. Als Mittelpunkt des menschlichen Kosmos, der Gemeinschaft der Menschen, war er gottähnlich. Seine Geburt, seine Siege, seine Heirat waren Wegzeichen eines Gottes und wurden deshalb in Stein eingemeißelt und in Malereien festgehalten. Auch heute noch pilgern die Menschen zu seinem Grab, zu seinen Denkmälern. Die Spuren, die er hinterlassen hat, sind zu Reliquien geworden. Jedes Krümelchen wird aus dem Schutt herausgepinselt, herausgesiebt, fotografiert und konserviert. Wie hat er das nur verdient? Heiliger Pacal, bitte für uns, der du schon vor den Spaniern die Kreuzform entdecktest und den Menschen zeigtest. Der im Tempel des Kreuzes den Ursprung des Übernatürlichen sah und der die Menschen entsprechend dem nächtlichen Sonnengang durch die Nachtwelt des Jaguars hinaufführte in den Tempel des Blattkreuzes und so die innere Wiedergeburt ermöglichte. Dir opfern wir alles, unser Blut und unser Leben. Auf der Suche nach dem Tempel des Jaguars dringen wir immer tiefer in den Urwald ein. Wir folgen einem Pfad, auf dem wir viele Fußspuren finden, der über Wurzeln, Sumpf und Steine immer weiter bergauf führt. Wir kommen in die Regionen der blauen Schmetterlinge, sehen im Halbdunkel des Unterwaldes gelbe und rote Blumen, die roten Papageienrispen, winzige rote Beeren, halten Ausschau nach Schlangen, lauschen den Vogelrufen, vermuten in der Ferne die Affen und steigen immer weiter hoch, hoffen auf Ruinen aus der Mayazeit, sehen dicke Lianen, riesige Ceibas mit hohen Bretterwurzeln, kommen in die Regionen der Ameisen. Große gelbe Sandröhren ragen aus dem modrigen Boden. Sandhaufen mit großen Öffnungen, aus denen die Ameisen Sandklümpchen heraustragen und nach 50 cm ablagern. Der Schweiß tropft von der Stirn. Ich ziehe mein Hemd aus. Nur manchmal sehen wir ein Stückchen Himmel. Wolken sind aufgezogen. Vor uns umgestürzte Bäume, verrottete. Kleine, rote Becherpilze, meist weiße Moderpilze, an den Bäumen braune. Inzwischen zeigt mein Höhenmesser an, dass wir schon über 300 m gestiegen sind. Welches Ziel wollen wir erreichen? Christa meint, hier wäre der Weg das Ziel. 445 m hoch. Der Schweiß tropft. Wir haben kein Wasser mehr, nur noch eine Tüte mit Kartoffelchips. Als wir sie in uns hineinstopfen, erscheint ein Indio und wir erfahren, dass wir nach 2 Stunden ein einsames, aber wunderschönes Dorf im Urwald erreichen werden. Wir kehren um. |