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VHS-Schreibwerkstatt
2003-2012
Literaturwerkstatt
2013
Literaturwerkstatt 2014
Literaturwerkstatt
2015, I, 1–8 (ab 28.1.) s.u.
Literaturkreis „Eliteraten“
2015, II, 9-15 (ab 6.5.)
Literaturwerkstatt 2016
Literaturkreis
2015, II
9 – 17
Literaturkreis 9, Eliteraten in Bocholt (6.5.15)
Dialoge schreiben
Halt! Bleiben Sie stehen und hören Sie, was für eine erstaunliche Geschichte. Ich weiß nicht mal, mit welchem Ende ich anfangen soll. Es ist einfach unwahrscheinlich.
(DANIIL CHARMS)
Fische
(Chr.Reinig)
Ein
Fisch biss in einen Angelhaken. Was flatterst du so hektisch herum?
fragten ihn die anderen Fische. Ich flattere nicht hektisch herum,
sagte der Fisch an der Angel, ich bin Kosmonaut und trainiere in der
Schleuderkammer. – Wer´s glaubt, sagten die anderen Fische, und
sahen zu, wie es weitergehen sollte. Der Fisch der Angel erhob sich
und flog in hohem Bogen aus dem Wasser. Die Fische sagten: er hat
unsere Sphäre verlassen und ist in den Raum hinaus gestoßen. Mal
hören, was er erzählt, wenn er zurückkommt.
Der Fisch kam
nicht wieder. Die Fische sagten: Stimmt also, was die Ahnen uns
überliefert haben, dass es da oben schöner ist als hier unten. Ein
Kosmonaut nach dem anderen begab sich zum Training in die
Schleuderkammer und flog in den Raum hinaus. Die Kosmonauten standen
in Reih und Glied und warteten, bis sie drankamen.
Am Ufer saß
ein einsamer Angler und weinte. Einer der Kosmonauten sprach ihn an
und fragte: O großer Fisch, was weinst du, hast du auch gedacht,
dass es hier oben schöner ist?
- Darum weine ich nicht, sagte
der Angler, ich weine, weil ich niemanden erzählen kann, was hier
und heute geschieht. Achtundfünfzig in einer Stunde und kein Zeuge
weit und breit.
Absage (Reinhard Lettau)
Ein Herr tritt auf Manig zu. „Gefällt ihnen dieser Löffel?“ fragt er. Er hält den Löffel hoch.
Manig schüttelt den Kopf. „Wirklich nicht?“ fragt der Herr. Dann nimmt er Manig bei der Hand. Sie kommen zu einem Tunnel. Hier im Dunkeln, bleibt der Herr stehen, zieht Manig zu sich, zeigt ihm den Löffel und fragt: „Auch nicht im Tunnel?“ – „Der Löffel gefällt mir auch im Tunnel nicht“, sagt Manig, nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben.
Beide stehen jetzt auf einer Hochebene. Um sie der Wind. Sie stehen nebeneinander, die vier Füße in einer Reihe. Zwischen ihnen erhebt sich der Löffel.
Der Herr wendet seinen Kopf mit einem Ruck nach rechts, so daß dieser genau über seiner Schulter steht. Die Augen wandern zum Löffel, dann zu Manig zurück.
„Wie wär´s?“ fragt der Herr. „Auch hier nicht“, antwortet Manig.
„Und mit einem Ball dazu?“ fragt der Herr. Er zeigt den Ball.
Sie sitzen auf einem Baum. Unter ihnen wogende Wipfel niedriger Bäume, entfernt die See.
„Auch dann nicht“, sagt Manig. „ Überhaupt niemals.“
Einzig der Baumbestand ändert (GERHARD MEIER)
Vor den Häusern die Vormittage
und hinter den Häusern die Nachmittage
und hinter den Häusern die Kieswege
und vor den Häusern die andern Wege und in den Häusern die Blattpflanzen
und vor den Fenstern die Blütenpflanzen, an den Wänden Porträts.
Pflaumenbäume gabs,
es gibt sie noch heute.
Vor den Bauernhäusern die Brunnen gabs
vereinzelt noch heute.
Unter den Pflaumenbäumen die Schatten gabs
so gestern so heute.
Der Dinge zu harren gabs,
wir kennen sie heute.
Und Dinge gabs
und gibt sie noch heute,
einzig der Baumbestand ändert.
Vor den Häusern die Vormittage
und hinter den Häusern die Nachmittage
und in den
Häusern Porträts.
Abriss, ein Hauswechsel (g.n.)
Ein Planer tritt auf uns zu. „Gefallen Ihnen die alten Fabrikruinen", fragt er. Wir schütteln den Kopf. „Wirklich nicht?“ fragt der Planer. Dann nimmt er uns bei der Hand und zeigt auf ein hohes Gebäude. Wir betreten einen großen Saal. Hier im Angesicht der kahlen Wände bleibt er stehen, schaut uns in die Augen und fragt: „Auch hier im Innern nicht?“ „Die Fabrikräume gefallen uns auch im Innern nicht“, sagen wir, nachdem die niedrige Decke und die vielen Stützsäulen uns die Sicht nehmen. Dann stehen wir auf dem Dach im Wind. Der Planer hebt ruckartig seinen Kopf, seine Augen leuchten uns an. „Wie ist es?“ fragt der Planer. „Auch jetzt nicht“, sagen wir. „Und mit einem Glaspavillon zum Feiern?“ Er hebt die Arme, hebt an zum Tanz über die Häuser von Bocholt. „Nein, nein, auch dann nicht. Niemals geht das“, rufen wir und steigen in einer langen Reihe die Stiegen hinab, ohne uns umzusehen.
Bocholt ändert (g.n.)
Vor den Bäumen die Straßen,
hinter den Bäumen die Radwege,
hinter den Radwegen die Hauseingänge,
vor den Hauseingängen die Blumentöpfe,
vor den Fenstern die Gardinen,
hinter den Zimmerwänden Planer.
Pläne zu erwarten gab`s,
wir kennen sie heute.
Bäume gab`s, ein paar gibt`s noch.
Bäche gab`s, es gibt sie noch immer.
Gestern ist nicht heute,
sagen die Planer.
Neben den Straßen die Häuser,
hinter den Häusern Ruinen.
Neben Ruinen Pläne und Skizzen.
Versprochen, sagen die Planer,
Bocholt ändert
dies und das
Vielleicht kommst auch du,
denn hier wird aufgetischt.
Ein Tischwortwechsel (g.n.)
Ein Mensch sitzt planend an einem Tisch. „Gefällt Ihnen die Sitzmöglichkeit?“ frage ich. Er schüttelt den Kopf. „Mögen Sie hier denn nicht sitzen?“ „Ich plane zu Tisch“, ruft der Mensch. Ich trete näher heran, da schreit der Mensch: „Hier wird nicht aufgetischt“. Ich öffne ein Fenster neben dem Tisch. „Dies ist kein Tisch zum Sitzen, nein, zum Planen sitze ich hier.“ Ich gehe ganz nahe an den Sitzenden heran und flüstere in sein Ohr: „Du brauchst eine Tischordnung für deine Skizzen“ „Gehörst du etwa zu meiner Tischgesellschaft?“ brüllt der Mensch mich an. Ich versuche es mit einem stillen Tischgebet: „Oh Mensch, gib mir einen Platz an deinem Tisch, dass ich mündlich und schriftlich zeugen kann von der Pein des Miteinander-Planens an einem gemeinsamen Tisch.
Da steht er auf, der planende Mensch, von seinem Tisch und spricht mit einer endgültig abweisenden Stimme: „Du bist nicht mein Tischgenosse. Noch niemals wurde jemand satt von Worten, die in den Wind gesprochen oder auf Papier geschrieben wurden .“
Die Kahle Sängerin (1950, Eugène Ionesco, 1912 – 1994)
Ein absurdes Stück. Es spiegelt die Unfähigkeit der Menschen zu kommunizieren, ihre Erstarrung in konventionellen Floskeln und sinnlosem Tun. Die Absurdität findet sich sowohl in der Form des Stückes als auch im Inhalt. Es ist ein „Antistück“, das nicht nur den Umgang der Menschen miteinander und ihre Sprache, sondern auch das Theater in seiner klassischen Form parodiert.
(Das Ehepaar
Martin sitzt sich gegenüber.)
Er: Verzeihen Sie, Madame, doch es
scheint mir, wenn ich mich nicht irre, als wären wir uns schon
einmal irgendwo begegnet.
Sie: Mir auch, Monsieur, mir scheint,
als wäre ich Ihnen schon einmal irgendwo begegnet.
Er: Habe ich
Sie nicht zufällig in Manchester gesehen, Madame?
Sie: Das wäre
sehr gut möglich. Ich bin aus Manchester gebürtig Aber ich erinnere
mich nicht sehr gut, Monsieur. Ich wäre außerstande zu sagen, ob
ich Sie dort gesehen habe oder nicht!
Er: Mein Gott, wie seltsam!
Ich bin auch aus Manchester gebürtig, Madame!
Sie:Wie
seltsam!
Er: Wie sonderbar[...]Er: Seit ich in London eintraf,
chère Madame, wohne ich in der Bromfieldstreet 19, in der 5. Etage,
in der Wohnung Nr. 8.
Sie: Wie sonderbar! Und welch ein
Zusammenspiel! Ich wohne ebenfalls im fünften Stock in der Wohnung
Nr 8, cher Monsieur!
Er: Vielleicht haben wir uns dort
gesehen?
Sie: Das ist gut möglich, doch ich entsinne mich
keineswegs, Monsieur.... Ich habe eine Tochter, sie ist zwei Jahre
alt, blond; sie hat ein weißes und ein rotes Auge, und sie heißt
Alice ...
Er: Wie seltsam! Und welch ein Zusammenspiel! Wie
sonderbar! Meine Tochter auch ...
Sie: Dann ist es ja vielleicht
die gleiche?
Er: In diesem Fall chère madame, steht es außer
Zweifel: Wir haben uns bereits einmal gesehen, und Sie sind meine
eigene Gattin ... Elisabeth, ich habe dich wieder!
Sie: Donald,
mein Liebling!
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Ein gerahmtes Kippfenster - Kipplige Erinnerungen (g.n.)
(Die
Eliteraterischen starren auf ein Handy, ein ipad oder einen PC.)
a:
Verzeihen sie, meine Lieben, doch es scheint mir, wenn ich mich nicht
irre, als hätten wir uns schon einmal irgendwie verabredet.
b:
Mir auch, mir scheint, als hätte ich mich mit iIhnen schon einmal
irgendwie verabredet.
c: Gehe ich recht in der Annahme, dass wir
uns schon einmal irgendwie festgelegt haben?
d: Das wäre sehr
gut möglich. Aber ich erinnere mich nicht sehr gut. Ich wäre
außerstande zu sagen, ob wir uns am 8.7. treffen oder nicht!
e:
Mein Gott, wie seltsam! Ich bin ganz konfus!
a: Wie seltsam!
b:
Wie sonderbar!
c: Mein Nachwuchs ist bei Anne immer herzlich
willkommen.
d: Wie sonderbar! Und welch ein Zusammenspiel! Mein
Anhang darf na klar gerne mitkommen zur Katja.
e: Vielleicht haben
wir uns gar nicht verabredet?
a: Das ist gut möglich, doch ich
entsinne mich keineswegs. Ich habe ein Kindkind und muss vielleicht
nicht dabei sein.
b: Wie seltsam! Und welch ein Zusammenspiel! Wie
sonderbar! Mein vierbeiniger Zuwachs...
c: Dann ist es ja
vielleicht der gleiche?
d: In diesem Fall steht es außer Zweifel:
Wir haben uns bereits einmal verabredet, wir sind die
eliteraterischen Konfusionisten. Wir werden uns am 8.Juli bei Katja
wiedersehen!
A-b-c-d: Wie wunderbar! Wie wir uns freuen!
Geschlossenes Kippfenster, notierter Termin im Sonnenrahmen bei 34°,
„Amazing grace“!
Satire von Jonathan Swift (1667–1745
A
Modest Proposal, eine Satire
von
von 1729
Ein
bescheidener Vorschlag,
wie
Kinder armer Leute zum Wohle des Staates am Besten benutzt werden
können.
"Spaziergänger in unserer großen Stadt Dublin oder Reisende auf dem Lande müssen leider oft den traurigen Anblick genießen, daß sie die Straßen, Häfen u. s. w. von Bettlerinnen gefüllt sehen, denen drei, vier oder sechs zerlumpte Kinder folgen, um jeden Reisenden mit Almosenbitten zu belästigen. Diese Mütter werden, anstatt daß sie für ihren Lebensunterhalt arbeiten können, gewissermaßen zur Herumstreiferei gezwungen, damit sie Nahrung für ihre hülflosen Kinder erlangen. Letztere aber werden Diebe, sobald sie größer sind, weil ihnen Arbeit fehlt, oder sie nehmen fremde Kriegsdienste, vielleicht zum Schaden Englands, oder verkaufen sich als Taglöhner nach den Kolonien.
Wie ich glaube, sind alle Parteien darüber einstimmig, daß diese ungeheure Zahl von Kindern auf den Armen, auf dem Rücken oder hinter den Fersen ihrer Mütter und oft ihrer Väter, bei den jetzigen beklagenswerthen Zeiten und bei dem Zustande des Königreichs eine Hauptbeschwerde neben vielen andern bildet. Wer also eine zweckmäßige, wohlfeile und leichte Methode ausfindig machen kann, diese Kinder zu gesunden und nützlichen Gliedern des Staates umzubilden, wird sich ein so hohes Verdienst um das Publikum erwerben, daß [30] man ihm mit Recht eine Statue als Retter der Nation aufstellen könnte.
Mein Plan ist weit davon entfernt, sich allein auf die Kinder der Bettler von Profession anwenden zu lassen; er ist von weit größerer Ausdehnung, und wird alle Kinder von gewissem Alter umfassen, deren Eltern zur Ernährung derselben eben so wenig befähigt sind, wie die Bettler in den Straßen.
…......
Ich gestehe in
der Aufrichtigkeit meines Herzens, daß kein persönliches Interesse
mich bewogen hat, jene nothwendige Maßregel zu befördern. Mein
einziger Beweggrund ist das Wohl meines Vaterlandes, die Vermehrung
des Verkehrs, die Versorgung der Kinder, die Erleichterung der Armen
und die Erhöhung des Vergnügens für die Reichen. Ich selbst habe
keine Kinder, durch die ich einen einzigen Heller mir zu erwerben
hoffen könnte, mein jüngstes ist nämlich 9 Jahr alt und meine Frau
über die Jahre der Fruchtbarkeit hinaus."
Zunächst schildert Swift die Lage aus der Sicht der Reisenden in Dublin, die sich von den Bettlerinnen belästigt fühlen könnten: „Es ist ein melancholischer Anblick für alle, die in dieser großen Stadt umhergehn oder im Lande reisen, wenn sie die Gassen, Straßen und Türen der Hütten voller Bettlerinnen sehn, hinter denen sich drei, vier oder sechs Kinder drängen, alle in Lumpen, die jeden Vorübergehenden um ein Almosen belästigen.“ Diese Gedanken führte er mit weiteren Worten fort: „Einige Leute von verzagter Natur sind in großer Sorge um jene ungeheure Anzahl Armer, die bejahrt, krank oder verkrüppelt sind; und man hat mir gegenüber oft den Wunsch ausgesprochen, ich möge meine Gedanken darauf richten, welchen Weg man einschlagen müsse, um das Land von einer so schweren Last zu befreien; ...“
Zur Lösung von Überbevölkerung, Armut und Kriminalität in Irland schlägt er darin vor, irische Babys als Nahrungsmittel zu nutzen und durch Export nach London Profit daraus zu schlagen: „Denn diese Ware eignet sich nicht für den Export, da das Fleisch zu zart ist, um sich selbst in Salz lange zu halten, obschon ich vielleicht ein Land nennen könnte, das mit Freude unsre ganze Nation auch ohne Salz aufessen würde.“ Vollständiger Text der Satire: Ein bescheidener Vorschlag – Wikisource
1. „Sprachskulpturen“
Sprachskulpturen entstehen in einem vielschichtigen Prozess: Worte und Phrasen werden z.B. aus Zeitungen herausgetrennt, neu zusammengefügt und zunächst auf zuvor unterschiedlich bearbeitetes Papier geklebt. Die so entstandenen Texte durchlaufen daraufhin einen hörbar gemachten Interpretationsvorgang, der scheinbare Lücken mit erweiternder Assoziation füllt und anschließend (mithilfe von Stereoeffekten und Verzerrung) in Raumklang überführt wird. Der Hörer soll auf diese Weise in den Text hineingezogen werden, so dass auf Grund des „Textraumes“ in seinem Kopf eine Sprachskulptur entstehen kann.
Für Georges Perec ist der erste Raum, ja vielleicht der „Grundraum“ ein ganz besonderer, nämlich das unbeschriebene Blatt bzw. eine Seite. Es hat eine bestimmte Grösse, man könnte auch ausrechnen wie viel Holz für dieses Blatt benötigt wurde etc. Auch wenn das Blatt erst mal nur weiss und leer ist, beginnt es zu leben, sobald es mit Wörtern gefüllt wird:
« Ich schreibe : ich bewohne mein Blatt Papier, ich statte es aus, ich durchlaufe es. »
Georges Perec: „Träume von Räumen" („E
Der mexikanische Künstler und Schriftsteller Ulises Carrión hat 1975 erstmals in einem Essay „die neue kunst des büchermachens“ definiert. In mehreren Kapiteln legt er dar, „was ein buch ist“, wobei er näher auf die Rolle von „prosa und dichtung“, „raum“, „sprache“, „strukturen“ und „das lesen“ eingeht. Englische Version
Anregungen zur eigenen Gestaltung:
Schreibe eigene Texte oder Zitate auf vorher bearbeitetes Papier (Beispiele: Menü – Textskulpturen, Collagen von Herta Müller: Herta Müller – Wikipedia, herta müller vater telefoniert mit den fliegen
Papierkunst (Bücher als künstlerisches Material in Bredevoort „Papieren boekfestival“ und als Künstlerbuch, Grass „Zunge zeigen“)
Schrift als Bild (China8), Visuelle und konkrete Poesie
2. Beispiel Michael Fehr
„Kurz vor der Erlösung“ (Literaturpreise des Kantons Bern, Nomination für den Franz-Tumler-Literaturpreis 2013) besteht aus ganzen 17 Sätzen, die jeweils Geschichten von Menschen zur Weihnachtszeit erzählen: Geschichten, in denen die Figuren, jede auf ihre eigene Art und Weise, zur Erlösung finden; Geschichten, in denen kuriose Ereignisse stattfinden. Während in der Hauptstadt die Glocken der Kathedrale schlagen, entdeckt ein Bauer im Stall ein „lustiges Zigeunerpaar“. Zur gleichen Zeit stimmt ein Männerchor in der Gaststube ein Lied an. An einem anderen Schauplatz folgt ein König einem Sternenschweif, ein mutmaßlicher Fischer trinkt einen über den Durst und städtische Musiker heitern das Volk vor der Kathedrale inmitten eines Schneesturms auf – so blickt Fehr in narrativen Momentaufnahmen von Ort zu Ort. Am Ende jeder Geschichte besinnen sich seine 17 Protagonisten jedoch allesamt auf Harmonie und stimmen ein Halleluja an.
In «Kurz vor der Erlösung» kann der Leser mitverfolgen, wie Fehr seine pulsierenden «Sprachskulpturen» auftürmt, raffiniert mit den Stilmitteln der Repetition und Variation arbeitet, mit Vorliebe Phrasen, Floskeln und Helvetismen auf ihren semantischen Kern abklopft und so an Sprachschrauben dreht, die Wortmasse knetet und modelliert.
Erster Satz
Der Bauer
…..
mit einem Ruck hatte er sofort die lützele
also lottrige
lodelige
also lose
sperzige
also widerspenstige
also schwergängige
gierige
also quietschende Stalltüre aufgeschlagen
also den separaten oberen und den separaten unteren Teil der Türe auf einen Schlag
der gedrungene
also kompakte
also kleine und zähkräftige
schlaue
sogar gewitzte
misstrauische
argwöhnende
von Natur aus grantige
also säuerliche
stobere
also missmutige Bauer
in militärgrünen Gummistiefeln
in marineblauer Überhose
in anthrazitgrauem Wollpullover und unter kardinalsroter Kappe
in der einen Hand eine Laterne
historische Pfunzel mit dumpfem Schein
in der anderen Hand eine Taschenlampe
moderne Pfunzel mit grellem Strahl
wozu hatte der Liebgott dem Bauer zwei feste Hände gemacht
wenn nicht zum Anpacken und Handhaben von zweierlei Geräten
…........
|
Buta no Shogayaki (Michael Fehr)
Brutalo Schwinsfleisch mit Ingwer
der Wind
isst er
Buta no Shogayaki
«mhm»
meint er
«mh»
meint er
«han i gärn»
seit er
«han i gärn
Schwinsfleisch mit Ingwer»
seit er lüter
«han i gärn»
schreit er
«söttigs wott i
bis i tot bi»
chunt si Hund
seit er
«Meischter
Meischter
i ha ghört»
«was»
«i ha verno»
«was»
«mir isch z Ohre cho»
«was»
«in ere entlägene Provinz
uf ere entlägene Insle
am ene entlägene Egge
het s no drü Ferkle
…....
Die gesprochene Sprache steht für Fehr im Vordergrund; Artikulation ist für ihn die Suche nach Bedeutung, Akzent, Rhythmus und Melodik jeden einzelnen Wortes. Michael Fehr inszeniert die Literatur als Partitur im Klang der Sprache – er befreit also das Wort von der Konserve der Schrift. So entstehen stark rhythmisierte, repetitive Wortkaskaden, die an kein zwingendes Ende kommen.Michael Fehr zielt mit seinen «Wortwaschungen» vor allem darauf: die sprachlichen Elementarteilchen zu einem klingenden Werk zusammenfügen, abgenutzte Wörter so zu «reinigen», dass sie in urtümlichster Form erstrahlen und die «Schönheit von gelungenen Sprachpatterns retten».
Stilübungen:
Schreibe ähnliche Texte der „sprachlichen Einkreisung“ mit den Stilmitteln der Repetition und Variation mit Phrasen, Floskeln und „fremdsprachigen“ Zitaten.
Jubilate - om mani padme hum
I.
Schaut er hinaus
die Welt
sieht er
Tag und Nacht
„hum“
brummt er
„Omm“
summt er
„das“
sagt er
„das mani padme“
meint er
„mit mantra-keim om
bin ich unsterblich
im om mani padme
knotenfrei“
singt er
„ommmm“
II.
Jubilate Exultate
om mani padme
wort aller worte
süßes wort
nie befleckt
nie berühret
nie verführet
als himmelstau in mein gemüt
gegen gift
gegen schlangenbiss
hum
das süße wort
stark und mild
mit zung und mund
zu aller stund
ganz wundersam
admirabel
0m mani padme
hum
III.
Schaut er hinaus
schaut die leidige
also leidende
die knöttrige
missmutige
also missstimmige
die miese Welt
im Blick drin
also mittendrin
im Herzen
also ganz darin
nicht mehr erträglich
also tödlich
abscheulich
also schließt er die Augen
nicht mehr sehen,
nicht mehr fühlen
das lichte Leidige
im Herzen
verknotet hart
also tödlich verkrebst
also sterblich
ein wortloses Ende
günter neuenhofer
Literaturkreis 12, Eliteraten in Bocholt (15.7.15)
Räume – literarisch beschrieben
Beispiele:
Träume von Räumen (Georges Perec, 1936- 1982)
1967 trat Georges Perec der Gruppe l’Oulipo (Ouvroir de littérature potentielle) bei. Diese internationale Literaturgruppe bestand aus Literaten und Mathematikern. Sie wurde durch den Mathematiker François le Lionnais und von dem Schriftsteller und Dichter Raymond Queneau 1960 gegründet. « La Disparition » war Georges Perecs erster « oulipischer » Roman, der sich durch das Fehlen des Vokals « e » innerhalb des gesamten Textes auszeichnet. Es folgten weitere kleine Werke und unter anderem « Espèces d’espaces » 1974, übersetzt « Träume von Räumen ».
Es ist kein klassischer Roman, es ist eine raffinierte und äusserst spannende Ansammlung und Aneinanderreihung von Aufzählungen, Texten, Papierschnipseln, Kurzessays und Sprachexperimenten. Man spürt den « oulipischen » Einfluss und lässt sich mitreissen in eine Welt voller Räume, die Georges Perec für sich ganz persönlich entdeckt hat.
Für Georges Perec ist der erste Raum, der „Grundraum“, ein ganz besonderer, nämlich das unbeschriebene Blatt bzw. eine Seite. « Ich schreibe : ich bewohne mein Blatt Papier, ich statte es aus, ich durchlaufe es. » Aber auch ein Bett ist nach Georges Perec ein Raum, egal in welcher Form und auf welcher Seite man es auch benutzt,
Es gibt viele weitere Überlegungen von Georges Perec, die Zimmer einer Wohnung nicht nur zu analysieren, sondern sie regelrecht zu sezieren. Wir kommen vom «überflüssigen Raum » zu den Themen « Einziehen » und « Ausziehen », aber nicht nur « Türen » und « Treppen », auch « Wände» haben hier ihre elementare Bedeutung. Auch die Straße, das Wohnviertel, das Land sind Räume.
« Der Raum ist ein Zweifel : ich muss ihn unaufhörlich abstecken, ihn bezeichnen ; er gehört niemals mir, er wird mir nie gegeben, ich muss ihn erobern. »
Das papierene Zeitalter (Gerhart Hauptmann)
Ich bin Papier, du bist Papier.
Papier ist zwischen dir und mir,
Papier der Himmel über dir,
die Erde unter dir Papier.
Willst Du zu mir und ich zu dir:
hoch ist die Mauer von Papier!
Doch endlich bist du dann bei mir,
drückst dein Papier an mein Papier:
So ruhen Herz an Herz wir!
Denn auch die Liebe ist Papier –
und unser Hass ist auch Papier.
Und zweimal zwei ist nicht mehr vier:
Ich schwöre dir, es ist Papier.
Beton
(R.D.Brinkmann,1962-70)
Sonntags
Beton die Herzkammern
davon angefüllt der
Schlaf in lichtlosen
Räumen woher
kein Kindsschrei.
kommt für immer
eingemauert Gebete
sprengen nicht
die Kapseln geborgen
ruhn sie hier sonntags
Beton die hohen
Räume Dome
hochhinauf im Innern
schalldicht ruhn
die Embryos
der Haufen
grau die Nachgeburt
ruhn im Beton
ruhn im Gedicht
hier still
sonntags
Beton
Blaues Zimmer
(Hans Georg Bulla, 1981)
Gleichmäßig das
Muster der
Tapete. Zehn
Finger reichen
für den
Abzählvers, dann
beginnt die
Wiederholung.
Ich bleibe stehen
in der
Tür, den Rahmen
hart im
Rücken. Als
könnte ich zu
atmen vergessen
für ein paar
Augenblicke.
Nichts verzerrt
der Spiegel
in der Ecke,
einfach kommt
zurück die
Antwort. Er lässt
mich nicht allein
in dieser
kleinen Lähmung.
Literaturwerkstatt 13 (12.8.15)
ORTSBESCHREIBUNGEN IN PROSATEXTEN
Volkslieder zeichnen sich durch formale Schlichtheit aus. Ihr Versmaß ist nicht auf ein bestimmtes Schema festgelegt. Im Deutschen besteht die typische Volkslied-Strophe aber meist aus vier, manchmal auch aus sechs Zeilen, die immer gereimt sind und mit drei oder vier Hebungen recht kurz sind.
Franz Kafka
1.
(Franz Kafka, Der Kübelreiter, 1917)
Verbraucht
alle Kohle; leer der Kübel; sinnlos die Schaufel; Kälte atmend der
Ofen; das Zimmer vollgeblasen von Frost; vor dem Fenster Bäume starr
im Reif; der Himmel, ein silberner Schild gegen den, der von ihm
Hilfe will. Ich muß Kohle haben; ich darf doch nicht erfrieren;
hinter mir der erbarmungslose Ofen, vor mir der Himmel ebenso,
infolgedessen muß ich scharf zwischendurch reiten und in der Mitte
beim Kohlenhändler Hilfe suchen.
2.
(Franz Kafka, Großer Lärm, 1912)
Ich
sitze in meinem Zimmer im Hauptquartier des Lärms der ganzen
Wohnung. Alle Türen höre ich schlagen, durch ihren Lärm bleiben
mir nur die Schritte der zwischen ihnen Laufenden erspart, noch das
Zuklappen der Herdtüre in der Küche höre ich. Der Vater
durchbricht die Türen meines Zimmers und zieht im nachschleppenden
Schlafrock durch, aus dem Ofen im Nebenzimmer wird die Asche
gekratzt, Valli fragt, durch das Vorzimmer Wort für Wort
rufend, ob des Vaters Hut schon geputzt sei, ein Zischen, das mir
befreundet sein will, erhebt noch das Geschrei einer antwortenden
Stimme. Die Wohnungstür wird aufgeklinkt und lärmt, wie aus
katarrhalischem Hals, öffnet sich dann weiterhin mit dem Singen
einer Frauenstimme und schließt sich endlich mit einem dumpfen,
männlichen Ruck, der sich am rücksichtslosesten anhört. Der Vater
ist weg, jetzt beginnt der zartere, zerstreutere, hoffnungslosere
Lärm, von den Stimmen der zwei Kanarienvögel angeführt. Schon
früher dachte ich daran, bei den Kanarienvögeln fällt es mir von
neuem ein, ob ich nicht die Tür bis zu einer kleinen Spalte öffnen,
schlangengleich ins Nebenzimmer kriechen und so auf dem Boden meine
Schwestern und ihr Fräulein um Ruhe bitten sollte.
3.
(Franz Kafka, Die Verwandlung, 1912) ….
„Was
ist mit mir geschehen?“, dachte er. Es war kein Traum. Sein Zimmer,
ein richtiges, nur etwas zu kleines Menschenzimmer, lag ruhig
zwischen den vier wohlbekannten Wänden. Über dem Tisch, auf dem
eine auseinander gepackte Musterkollektion von Tuchwaren ausgebreitet
war – Samsa war Reisender -, hing das Bild, das er vor kurzem aus
seiner illustrierten Zeitschrift ausgeschnitten und in einem
hübschen, vergoldeten Rahmen untergebracht hatte. Es stellte eine
Dame dar…..
Gregors Blick richtete sich dann zum Fenster, und
das trübe Wetter – man hörte Regentropfen auf das Fensterblech
aufschlagen – machte ihn ganz melancholisch. „Wie wäre es, wenn
ich…“
Und er sah zur Weckuhr hinüber, die auf dem Kasten
tickte. „Himmlischer Vater!“, dachte er. Es war halb sieben Uhr,
und die Zeiger gingen ruhig vorwärts, es war sogar halb vorüber…
I.
Schon an der Tür hatte er den Geruch
bemerkt. An den Wänden, an der Decke und auf dem Boden kroch er
fast sichtbar auf ihn zu, griff nach ihm, hüllte ihn ein. L. lief,
ja sprang die Treppe hoch, atemlos, weil er nicht wagte zu atmen,
schloss die Zimmertür hinter sich, riss den Fensterflügel auf und
gierte nach Atemluft. Dann ließ er sich aufs Bett fallen, nahm
seine Kopfhörer und schloss die Augen. Er wollte sich ablenken,
bewegte seinen Kopf im Rhythmus der Bassgitarre und setzte die Worte
mit geschlossenen Lippen gegen sein schwindendes
Bewusstsein.
II.
Verbraucht alle Sonne; leer der Kopf;
sinnlos das Leben; Kälte atmend die Fenster; das Zimmer gefüllt
mit Phrasen. Ich muss gehen, wohin ich will; weg von den Litaneien
der Prediger; weg von den Angeboten; vor mir leer der Himmel,
hinter mir schreiend mein Leben; ich muss weg; ich muss atmen; der
Dunst der Nebelwelten würgt in meiner Brust.
III.
L.
sitzt in seinem Zimmer im Haus seiner Tante. Durch Spalten an der
Tür ziehen Schlieren, dringen in seine Haare, in seinen Pullover,
in seine Haut, unter die Fingernägel, in sein Blut, seinen Kopf. Er
kann nicht mehr atmen, nicht mehr denken.
IV.
Was ist
mit mir? Da ist ein Zimmer. Vor mir ein geöffnetes Fenster. Ich
liege auf einem Bett, höre Worte, geschrieen, höre Musik. Auf dem
grauen Teppichboden liegt mein Anorak. Ein Stuhl. Auf dem Tisch
steht eine Dose Coke. L. öffnet und schließt die Augen. Ein Auto
fährt vorbei. Wie wäre es, wenn er durchs Fenster stiege, um die
Tür zu umgehen? Warum kann er die Tür nicht einfach öffnen? Ein
Spinnennetz über ihm, von einer Wand zur anderen. O Gott, denkt er,
ich kann mich nicht bewegen. Schnell schließt er die Augen. Das
Blut pocht in seinem Kopf, in seinen Ohren die Bassgitarre. Könnte
er, dürfte er durch die Tür, über die Treppe nach unten,
hinaus…. Bei diesen Gedanken fällt er in einen tiefen Schlaf.
(g.n.)
4. Theodor Fontane
Effi Briest ( 1895), Erstes Kapitel
In Front des schon seit Kurfürst Georg
Wilhelm von der Familie von Briest bewohnten Herrenhauses zu
Hohen-Cremmen fiel heller Sonnenschein auf die mittagsstille
Dorfstraße, während nach der Park- und Gartenseite hin ein
rechtwinklig angebauter Seitenflügel einen breiten Schatten erst auf
einen weiß und grün quadrierten Fliesengang und dann über diesen
hinaus auf ein großes, in seiner Mitte mit einer Sonnenuhr und an
seinem Rande mit Canna indica und Rhabarberstauden besetzten Rondell
warf. Einige zwanzig Schritte weiter, in Richtung und Lage genau dem
Seitenflügel entsprechend, lief eine ganz in kleinblättrigem Efeu
stehende, nur an einer Stelle von einer kleinen, weiß gestrichenen
Eisentür unterbrochene Kirchhofsmauer, hinter der der
Hohen-Cremmener Schindelturm mit seinem blitzenden, weil neuerdings
erst wieder vergoldeten Wetterhahn aufragte. Fronthaus, Seitenflügel
und Kirchhofsmauer bildeten ein einen kleinen Ziergarten
umschließendes Hufeisen, an dessen offener Seite man eines Teiches
mit Wassersteg und angekettetem Boot und dicht daneben einer Schaukel
gewahr wurde, deren horizontal gelegtes Brett zu Häupten und Füßen
an je zwei Stricken hing - die Pfosten der Balkenlage schon etwas
schief stehend. Zwischen Teich und Rondell aber und die Schaukel halb
versteckend standen ein paar mächtige alte Platanen.
Auch die
Front des Herrenhauses - eine mit Aloekübeln und ein paar
Gartenstühlen besetzte Rampe - gewährte bei bewölktem Himmel einen
angenehmen und zugleich allerlei Zerstreuung bietenden Aufenthalt; an
Tagen aber, wo die Sonne niederbrannte, wurde die Gartenseite ganz
entschieden bevorzugt, besonders von Frau und Tochter des Hauses, die
denn auch heute wieder auf dem im vollen Schatten liegenden
Fliesengange saßen, in ihrem Rücken ein paar offene, von wildem
Wein umrankte Fenster, neben sich eine vorspringende kleine Treppe,
deren vier Steinstufen vom Garten aus in das Hochparterre des
Seitenflügels hinaufführten…..
Irrungen, Wirrungen
(1888)
…..
Frau Nimptsch selbst aber saß wie
gewöhnlich an dem großen, kaum fußhohen Herd ihres die ganze
Hausfront einnehmenden Vorderzimmers und sah, hockend und vorgebeugt,
auf einen rußigen alten Teekessel, dessen Deckel, trotzdem der
Wrasen auch vorn aus der Tülle quoll, beständig hin und her
klapperte. Dabei hielt die Alte beide Hände gegen die Glut und war
so versunken in ihre Betrachtungen und Träumereien, daß sie nicht
hörte, wie die nach dem Flur hinausführende Tür aufging und eine
robuste Frauensperson ziemlich geräuschvoll eintrat. Erst als diese
letztre sich geräuspert und ihre Freundin und Nachbarin, eben unsre
Frau Nimptsch, mit einer gewissen Herzlichkeit bei Namen genannt
hatte, wandte sich diese nach rückwärts und sagte nun auch
ihrerseits freundlich und mit einem Anfluge von Schelmerei: "Na,
das is recht, liebe Frau Dörr, daß Sie mal wieder rüberkommen. Und
noch dazu von's 'Schloß'. Denn ein Schloß is es und bleibt es. Hat
ja 'nen Turm. Un nu setzen Sie sich ... Ihren lieben Mann hab ich
eben weggehen sehen. Und muß auch. Is ja heute sein Kegelabend."
Haus 1
(Beschreibungen im Stil Fontanes)
Dort,
wo die Hindenburgstraße auf die Steinstraße trifft, von der Post
her kommend, nur 20 m seitwärts der Pfarrkirche, schaut man auf den
runden Balkon und das helle Eckhaus, das in den 30er Jahren des 20
Jh`s vor ein älteres Wohnhaus in dunklem, rheinischem Klinker gebaut
worden ist, und in früherer Zeit sozusagen den modernen Mittelpunkt
des Dorfes bildete neben dem älteren Mittelpunkt auf der anderen
Seite, wo die Kirche, die Brauerei Hannen-Alt und einige Kneipen, in
denen sich die Schützenvereine St. Hubertus und St Andreas und der
Männergesangverein trafen, sich um einen Marktplatz gruppierten.
Seitwärts zur Kirche hin fällt der Blick auf eine dunkle Mauer, die
den Einblick in einen Innenhof verbirgt, aber nicht die grellen Töne
einer sich überschlagenden, hellen Stimme und die manchmal heraus
gebellten Worte einer Mannes. Vielleicht war die Mauer, die eher auf
einen Gefängnishof hinzuweisen schien als auf einen erholsamen
Garten oder einen Kinderspielplatz, wie ein gnädiger Vorhang, der
die intime Seite des Familienlebens den Blicken der Vorübergehenden
entzog.
Haus 2 (günter
neuenhofer, Februar 2008)
Zur Rückseite des seit einem
Jahr bewohnten Hauses fiel greller Sonnenschein auf die Terrasse und
den Wiesenhügel, auf dem sich das Haus erhob, während nach der
vorderen Eingangsseite hin die Höhe des breiten Daches einen
Schatten auf den gepflasterten Zugangsweg und über die Sträucher
und Hecken der schmalen Grünanlage und auch über den breiten
Eingang, an dessen Seite eine Theatermaske aus Kreta hing, warf. Etwa
sieben Schritte seitwärts, der Richtung der östlichen Seitenwand
entsprechend, standen mächtige Rhododendronsträucher vor einem
hohen Maschendrahtzaun, hinter dem zwischen einigen uralten
Kopfweiden am Uferrand des Sandbaches der Blick auf einen rötlichen
Spazierweg fiel, auf dem jeden Morgen die Frauen und Herren
Hundebesitzer ihre Lieblinge ausführten. Von der entgegengesetzten
Seite des Hauses tönten von Zeit zu Zeit die Bässe eines Autoradios
herüber, nicht gedämpft von der hohen Tanne und den hohen
Lebensbäumen, die das Haus gegen Blicke von der Straße abschirmten.
Die Südseite des Hauses – eine mit einer riesigen Agave, einigen
Blumenkübeln und Gartenstühlen besetzten Terrasse – gewährte bei
Sonnenschein einen vorzüglichen Sommerurlaub, zumal man, wenn die
Sonne allzu heiß nieder brannte, sich unter eine ausfahrbare Markise
zurückziehen konnte, so dass dieser Platz ganz besonders von der
Hausfrau bevorzugt wurde, was sie auch heute wieder genoss, obwohl
sie hier manchmal den Blicken der Nachbarn preisgegeben war, was ihr
aber nichts auszumachen schien, da sie freundlich mit einem „Hallo,
Hallo“ hinüber grüßte, als sich das obere Fenster des
gegenüberliegenden Hause öffnete und ein Mann mittleren Alters mit
einer Zahnbürste in der Hand erschien und sich kräftig die Zähne
bearbeitend gegen die Morgensonne hin stellte, während er sich recht
wohl zu fühlen schien.
s. Internet: Erzähltes Wohnen: Literarische Fortschreibungen eines …
Literarische Neuwortbildungen (Neologismen)
„Losigkeit“
1.) Blankenburg, Zustandsbericht eines Leselosen (Herman Burger, 1986)
Liebe Herrin von und zu Blankenburg,
Freundin des Herzens,höchste Legistin, Dank zunächst für das
fortwährende Lesen, gerade ich, der Leselose, und hiermit ziehe ich
einen blutigen Dolch aus tiefem Papier, kann ermessen, was es heißt,
im Schlossgut des Simmentals, in der Parkumfriedung, unter Ulmen und
Kirbeln, also noch diesseits der Baumgrenze, geschützt vom
Wildstrubel und den Spillgerten, kurz in den Büchern zu leben, umso
mehr als der Unterfertigte selber einmal Buchstabe war, und die
Einladung, in Ihrer Bibliothek zu nächtigen, in Ihrem Innersten, ja
dort, dem Blumenparterre gegenüber, die Wasserkunst in den Ohren,
mein Krankenlager, mein Siechengeliger
aufzuschlagen im Duft des
Saffian- und Oasenziegenleders Ihrer Gesamtausgaben, sozusagen
angefächelt vom Rockblitzen der Weltliteratur, diese Offerte
baronesslicher Großzügigkeit –
einschließlich eines als
Ambulanz getarnten Büchercamions zur Überführung meiner
Pillenleiche nach Blankenburg, o wie klar der Name vor stahlblauem
Himmel – hat mich Ihrer Hochwarmherzigkeit entgegengepflügt, dann
aber auch nach unten gespatet in den Kerker meiner Leselosigkeit.
Der "Leselose" muss sich ganze Bibliotheken imaginieren, um seinen "Morbus lexis" zu überwinden. Der niederschmetternde Befund der Depression hindert ihn daran, Texte, die einer adeligen Dame und Schlossbesitzerin als kostbar gebundene Bände rund um die Uhr zu Gebote stehen, als belebende Elixiere in sich einzuschlürfen.
2.) „Losigkeit“ (Lessness, Samuel Beckett, 1970) 24
Textgruppen von insges. 120 Sätzen
Trümmer
wahre Zuflucht endlich zu der seit jeher durch soviel falsche. Weiten
endlos Erde Himmel ineinander alles lautlos regungslos. Graues
Gesicht zwei blaßblau kleiner Körper Herz schlägt einsam aufrecht.
Erloschen aufgesprungen vier Wände auseinander wahre Zuflucht
ausweglos.
Ruins true refuge long last towards which so many false
time out of mind. All sides endlessness earth sky as one no sound no
stir. Grey face two pale blue little body heart beating only up
right. Blacked out fallen open four walls over backwards true refuge
issueless. (1)
Verstreute Trümmer und Sand durcheinander aschgrau
wahre Zuflucht hohler Kubus lauter Licht schiere Weiße Flächen
spurlos alles entfallen. Seit jeher nur graue Luft zeitlos Schimäre
das schwindende Licht. Aschgrauer Himmel Abglanz der Erde Abglanz des
Himmels. Seit jeher nur dies Beständige Traum die schwindende
Stunde.
Scattered ruins same grey as the sand ash grey true
refuge. Four square all light sheer white blank planes all gone from
mind. Never was but grey air timeless no sound figment the passing
light. No sound no stir ash grey sky mirrored earth mirrored sky.
Never but this changelessness dream the passing hour.
(2)
………………………………….
Wörter
werden wie abstrakte Farbtupfer und musikalische Elemente verwendet,
die sich als Motive wiederholen und neu gemischt werden, und so
entsteht ein ästhetisch wahrnehmbares „Wortkunstwerk“, dessen
inhaltliche Seite nur assoziativ erfasst werden kann. s.
Literaturwerkstatt 2014, 6
Literaturkreis 14 (19.8.15)
Metaphern, Neologismen und Chiffren
Die Metapher wird traditionell als
wichtigste der rhetorischen Figuren betrachtet. Nach älterer
Auffassung handelt es sich um einen abgekürzten Vergleich bzw. eine
Ersetzung des 'eigentlichen' durch einen 'uneigentlichen' Ausdruck
nach dem Kriterium der Entsprechung bzw. der Ähnlichkeit. So ist
seit Homer die Metapher vom Löwen für einen kämpfenden Helden
üblich.
s. schreibwerkstatt/litkreis13.html
Neologismen bei August Stramm (Expressionist,
1874-1915)
Bekannte Stammwörter werden in neue Wortformen
überführt. Typisch sind auch ungewohnte Pluralformen, Änderungen
des Genus und der Rektion
"Absolut" heißen Metaphern,
die uns keine über-individuellen Verstehensansätze mehr bieten, sie
sind CHIFFREN, Bilder ohne Eigentlichkeitsgrund (im Sinne von
"eigentlich meint das Bild dies oder das ..."). Sie
erwecken vielfältige Assoziationen, eine bestimmte Aussage kann
nicht festgehalten werden. Chiffren sind Verschlüsselungen von Sinn,
die einen Gegen-Sinn oder Eigen-Sinn vermuten lassen. Der
„Hermetismus“ (<ital. Ermetismo= dunkler Stil) knüpft an den
französischen Symbolismus des 19. Jahrhunderts an und stellt
Klangeffekte sowie die dunkle Gefühlssymbolik der Texte über die
Sinngebung.
Untreu (August Stramm, 1915)
Dein Lächeln weint in meiner Brust
Die
glutverbissnen Lippen eisen
Im Atem wittert Laubgewelk!
Dein
Blick versargt
Und
Hastet polternd Worte
drauf.
Vergessen
Bröckeln nach die Hände!
Frei
Buhlt
dein Kleidsaum
Schlenkrig
Drüber rüber!
Neologismen und Chiffren bei Paul Celan (1920-1970)
SCHWARZ,
wie die Erinnerungswunde,
wühlen die
Augen nach dir
in dem von Herzzähnen hell-
gebissenen
Kronland,
das unser Bett bleibt:
durch diesen Schacht mußt du kommen –
du
kommst.
Im Samen-
sinn
sternt dich das Meer
aus, zuinnerst, für immer.
Das Namengeben hat ein Ende,
über dich
werf ich mein Schicksal.
Paul Celan: Schwarz. In: Atemwende. Previous post - walter-benjamin-bluemchen - Tumblr
FADENSONNEN (Paul Celan)
Fadensonnen
über der grauschwarzen
Ödnis.
Ein baum-
hoher Gedanke
greift sich den Lichtton: es
sind
noch Lieder zu singen jenseits
der Menschen.
Psalm (Paul Celan, aus: Die Niemandsrose, Gedichte, 1963,
1998)
…..
Ein Nichts
waren wir, sind wir, werden
wir bleiben,
blühend:
die Nichts-, die
Niemandsrose.
Mit
dem Griffel seelenhell,
dem
Staubfaden himmelswüst,
der Krone rot
vom Purpurwort, das wir
sangen
über, o über
dem Dorn
Neologismen in Übersetzungen
Stefano D’Arrigo / Moshe Kahn (übers.): Horcynus Orca
Mit dem ersten Satz sind Ort und Zeit der folgenden rund 1450
Seiten des Romans angelegt: „Die Sonne ging auf seiner Reise
viermal unter, und am Ende des vierten Tags, welcher der vierte
Oktober 1943 war, erreichte der Matrose ’Ndrja Cambrìa, einfacher
Oberbootsmann der ehemaligen Königlichen Marine, den Landstrich der
Feminoten an den Meeren zwischen Skylla und Charybdis.“
Etwa
2000 Neologismen enthält die Übersetzung. Ein Neologismus, sagt der
Übersetzer, müsse als neue Wortschöpfung erkennbar und unmittelbar
verständlich sein - wie schlapphäbig zum Beispiel.
Finnegans Wake,
das letzte Werk des irischen Autors James Joyce. Der Roman
entstand in den Jahren 1923 bis 1939
Joyce prägt eine eigene
Sprache, indem er englische Wörter neu zusammenfügt, umbaut,
trennt, oder auch mit Wörtern aus dutzenden anderen Sprachen mischt,
z.B. in
überlangen Kofferwörtern „Ten Thunders“
(„Zehndonner“, nach dem in Finnegans Wake vorkommenden Wort
„bababadalgharaghtakamminarronnkonnbronntonnerronntuonnthuuntrovarrhounawnskawntoohoohoordenenthurnuk“,
das aus den Wörtern für Donner in zehn verschiedenen Sprachen
zusammengesetzt ist, von Madagassisch bis Gotisch.
s.a. Schreibwerkstatt 2013
Literaturkreis 15 „Eliteraten“ (26.8.15)
Minimalistische Kunst bzw. arte povera
1.
Morgen / Mattina
(G.Ungaretti 1888-1970, Übersetzung: Ingeborg Bachmann)
Ich
erleuchte mich / M`illumino
durch Unermessliches / D`immenso
2. Elfchen (11 Wörter in 5 Zeilen), 2. Japanisches
Haiku (5-7-5 Silben in 3 Zeilen)
3. Wortspiel, eine rhetorische
Figur, die hauptsächlich auf der Mehrdeutigkeit, Verdrehung,
Umdrehung (dem Sinne nach) oder sonstigen Wortveränderungen beruht.
4. Die Verse der Volksliedstrophe sind meist alternierend, es besteht aber Füllungsfreiheit, d. h. einer Hebung können auch zwei Senkungen folgen. Der Zeilenanfang kann sowohl auftaktig (jambisch) als auch auftaktlos (trochäisch), das Ende betont (männlich) oder unbetont (weiblich) sein. Mit drei oder vier Hebungen ist der Volksliedvers relativ kurz. Eine Volksliedstrophe besteht meist aus vier, manchmal auch aus sechs Versen, die immer gereimt sind (Kreuz- oder Paarreim).
Frank Wedekind: Altes Lied
Es war einmal ein Bäcker,
Der prunkte
mit einem Wanst,
Wie du ihn kühner und kecker
Dir schwerlich
träumen kannst.
Er hatte zum Weibe genommen
Ein würdiges
Gegenstück;
Sie konnten zusammen nicht kommen,
Sie waren
viel zu dick.
Ingeborg Bachmann: „Früher
Mittag"
…......
Sieben Jahre später
fällt es dir
wieder ein,
am Brunnen vor dem Tore,
blick nicht zu
tief hinein, die Augen gehen dir über.
Sieben Jahre später,
in einem
Totenhaus,
trinken die Henker von gestern
die goldenen Becher
aus.
Die Augen täten dir sinken.
5. TÜRKISCHE POESIE
Das Gedicht ist auf der Straße / Lyrik-Festival "Soundout" in Berlin - Kultur - Süddeutsc
"La poésie est dans la rue!" ("Die Poesie ist auf der Straße") - ins Türkische übertragen ("şiir sokaktadır", "şiir sokaklardadır", "şiir sokakta!").
Arslans Slogan "Defteri kapat, şiir
sokakta!" "Schließ das Heft, das Gedicht ist auf der
Straße!"
s. ein anonym geleiteter Twitteraccount
"şiir sokakta!" und den Hashtag #şiirsokakta
Lyrik als akustische Kunst: Versmaß, Rhythmus, Klangfiguren, Wiederholung, Variation
1. Gottfried von Straßburg, Prolog (244 Verse) zum Versroman „Tristan“ mit 20 000 Versen (1210)
Gedaehte mans ze guote niht,
von dem der
werlde guot geschiht,
sô waere ez allez alse niht,
swaz guotes
in der werlde geschiht.(V. 1-4)
Gedächte man nicht derer im Guten,
von denen der Welt Gutes
geschieht,
dann wäre es alles wie nichts,
was Gutes in der
Welt geschieht.
Der Prolog des `Tristan` von Gottfried von Straßburg
2. Wallace Stevens (1879 – 1955, USA) gilt als einer der großen Dichter der Vereinigten Staaten und hat viele spätere Dichter beeinflusst.
Stevens’ eindrückliche, oft an die Grenzen der Verständlichkeit rührende Bildlichkeit und seine hochartifizielle Sprache gestatten ihm, zeitgenössische philosophische Probleme in prägnante Metaphern zu verwandeln und sie, immer auf der Ebene des Bildes, experimentellen Lösungen zuzuführen. Ein Großteil seiner Gedichte lebt von der Gegenüberstellung der Entfremdung, Einsamkeit des modernen Menschen und der unmittelbaren ästhetischen Erfahrung, aus denen Kunst und Naturbetrachtung hervorgehen können.
Ein weiteres wichtiges Thema ist die Kollision von
Imagination
und Realität,
des Bewusstseins und der wirklichen Welt.
Wallace
Stevens: Der Mann mit der blauen Gitarre
http://www.planetlyrik.de/wallace-stevens-der-mann-mit-der-blauen-gitarre/2013/01/
WALLACE
STEVENS - Original and translation
WALLACE STEVENS The
Man with the Blue Guitar, 33 Teile mit je 3-8 Doppelversen
(On
Pablo Picasso, The Old Guitarist, 1903)
I
The man bent over his guitar,
A
shearsman of sorts. The day was green
They said, "You
have a blue guitar,
You do not play things as they are."
The
man replied, "Things as they are
Are changed upon the blue
guitar."
And they said then, "But play you must,
A
tune beyond us, yet ourselves,
A tune upon the blue guitar
Of
things exactly as they are."
II
I cannot bring a world quite round,
Although I patch it as I can.
I sing a hero’s head,
large eye
And bearded bronze, but not a man,
Although I
patch him as I can
And reach through him almost to man.
If
to serenade almost to man
Is to miss, by that, things as they
are,
Say that it is the serenade< br>
Of a man that
plays a blue guitar.
IV
So that's life, then: things as they
are?
It picks its way on the blue guitar.
A million people on one string?
And
all their manner in the thing,
And all their manner, right and
wrong,
And all their manner, weak and strong?
The feelings crazily, craftily call,
Like
a buzzing of flies in autumn air,
And that's life, then: things as they
are,
This buzzing of the blue guitar.
I
Der Mann über seine Gitarre
gebeugt
So etwa wie ein Schneider. Der Tag war grün.
Sie sagten: „Du hast eine blaue
Gitarre,
Du spielst die Dinge nicht, wie sie sind.“
Der Mann erwiderte: Die Dinge, wie sie
sind,
Werden auf der blauen Gitarre verwandelt.“
Da sagten sie: „Aber spiele - du mußt
-
Eine Weise, die uns übertrifft und uns doch entspricht,
Eine Weise auf der blauen Gitarre
Von
Dingen, genau wie sie sind.“
II
Ich kann keine ganz runde Welt
zustande bringen,
Auch wenn ich sie zusammenstopple so gut ich
kann.
Ich besinge eines Helden Kopf, großes
Auge
Und bärtige Bronze, aber keinen Menschen,
Auch wenn ich ihn zusammenstopple, so gut
ich kann
Und dadurch fast einen Menschen schaffe.
Wenn spielen - fast zum Menschen hin
-
bedeutet, die Dinge, wie sie sind, zu verfehlen,
Dann sagt, es ist die Serenade
eines
Menschen, der eine blaue Gitarre spielt.
IV
Das ist das Leben also: Dinge, wie sie
sind?
Es sucht sich seinen Weg auf der blauen Gitarre.
Eine Million Menschen auf einer
Saite?
Und ihre ganze Art und Weise in dem Ding.
Und ihrer ganze Art und Weise, richtig
und falsch,
Und ihrer ganze Art und Weise, schwach und stark?
Die Gefühle rufen verrückt,
verschlagen,
Wie ein Summen von Fliegen in herbstlicher Luft,
Und das ist das Leben also: Dinge, wie
sie sind,
Dieses Summen der blauen Gitarre.
Interlinearübersetzung von Karin Graf
Beachte die klanglichen Elemente, den Rhythmus, die Wiederholung eines Wortes innerhalb einer Strophe oder eines ganzen Gedichts, wobei der jeweils andere Kontext dieses Wort ‚umfärbt’.
s. schreibwerkstatt/2012-I: Text „Der Leser“ ( Wallace Stevens, 1879-1955)
Lyrik als akustische Kunst: Versmaß, Rhythmus, Klangfiguren, Wiederholung, Variation
3. Paul Celan (929-1070, (aus: Mohn und
Gedächtnis, 1952) (Internet: Sind die Gedichte Paul Celans
entschlüsselbar? | Yah)
Corona
Aus
der Hand frißt der Herbst mir sein Blatt: wir sind Freunde.
Wir
schälen die Zeit aus den Nüssen und lehren sie gehn:
die Zeit
kehrt zurück in die Schale.
Im Spiegel ist Sonntag,
im Traum
wird geschlafen,
der Mund redet wahr.
Mein Aug steigt hinab zum
Geschlecht der Geliebten:
wir sehen uns an,
wir sagen uns
Dunkles,
wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis,
wir
schlafen wie Wein in den Muscheln,
wie das Meer im Blutstrahl des
Mondes.
Wir stehen umschlungen im Fenster, sie sehen uns zu von
der Straße:
es ist Zeit, daß man weiß!
Es ist Zeit, daß
der Stein sich zu blühen bequemt,
daß der Unrast ein Herz
schlägt.
Es ist Zeit, daß es Zeit wird.
Es ist Zeit.
4. Jan Wagner (1971-) · Lyrikline.org
herbstvillanelle
den
tagen geht das licht aus
und eine stunde dauert zehn minuten.
die
bäume spielten ihre letzten farben.
am himmel wechselt man die
bühnenbilder
zu rasch für das kleine drama in jedem von uns:
den
tagen geht das licht aus.
dein grauer mantel trennt dich von der
luft,
ein passepartout für einen satz wie diesen:
die bäume
spielten ihre letzten farben.
eisblaue fenster - auf den
wetterkarten
der fernsehgeräte die daumenabdrücke der tiefs.
den
tagen geht das licht aus,
dem leeren park, dem teich: die enten
werden
an unsichtbaren fäden aufgerollt.
die bäume spielten
ihre letzten farben.
und einer, der sich mit drei sonnenblumen
ins
dunkel tastet, drei schwarzen punkten auf gelb:
den tagen geht das
licht aus.
die bäume spielten ihre letzten farben.
Eigentlich eine Terzanelle (Villanelle +Terzine): 5 Terzette + 1 Quartett, fünfhebige Jamben, Wiederholung des 1.u.3. Verses, urspr. nur 2 Reime.
Literaturwerkstatt 1 (28.1.2015)
Einen Essay schreiben zum Thema „fließen“
Der (oder das) Essay (literarischer Versuch) unterscheidet sich von andren literarishen Zweckformen wie Bericht und Traktat durch die betonte Subjektivität der Auffassung und v. a. durch die lockere Art der Behandlung des Themas.
Die essayistische Methode ist eine experimentelle Art, sich dem Gegenstand der Überlegungen zu nähern und ihn aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Das Wichtigste ist jedoch nicht der Gegenstand der Überlegungen, sondern das Entwickeln der Gedanken vor den Augen des Lesers. Zuweilen ist es auch schlicht eine stilisierte, ästhetisierte Plauderei.
Beispiel: Michel de Montaigne, Essais, 1580, „Wie mein Geist mäandert, so auch mein Stil“
„Wie verschiedenartig bewerten wir doch die Dinge! Wie oft ändern wir unsere Vorstellun-gen! Was ich heute meine und glaube, meine und glaube ich aus innerster Überzeugung: All meine Kräfte stehn mir mit allem, was sie vermögen, dafür ein. Keine Wahrheit könnte ich mit größerer Inbrunst mir zu eigen machen und bewahren als diese. Ich bin ganz von ihr eingenommen, ich bin es wirklich. Und dennoch: Ist es mir nicht widerfahren – und das keineswegs nur einmal, sondern hundertmal, tausendmal und alle Tage -, dass ich mir hernach mit denselben Kräften und derselben Inbrunst irgendeine andere Wahrheit zu eigen machte, die ich inzwischen auch wieder als falsch verworfen habe?“
„Es gibt überhaupt kein Dasein, das beständig wäre –weder das unsre ist es, noch das der Dinge. Samt Verstand rollen und fließen wir wie alle sterblichen Wesen ohne Unterlass dahin. So lässt sich nichts Sicheres von einem aufs andere schließen, befinden sich Urteilende wie Beurteiltes doch in fortwährendem Wechsel und Wandel."
DADA – Wortkunst - Klangtexte -
Aufgabe: Wörter und Buchstaben aus dem Wortfeld „fließen“ musikalisch umarbeiten zu einem Klangtext, der Fließvorgänge darstellt oder imitiert.
|
|
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1 |
Oooooooooooooooooooooooo, |
6 |
dll rrrrr beeeee bö Beispiele im Internet: |
5 |
- Ursonate im Video: tonal und visuell, Primiti
Too Taa - YouTube (Ed Ackermann/Colin Morton)
- sound poetry
(http://epc.buffalo.edu/sound/soundpoetry.html) Hugo
Ball u.a.
- Martina Pfeiler Poetry
goes Intermedia: US -Lyriks.
- s.a. Lautgedichte von Hugo Ball
VHS-Bocholt
März 2012
Im Fluss der Gedanken (g.n.)
Wie überraschend, ja unverständlich ist doch das Handeln der Menschen! Da sagt jemand, er mache es so und nicht anders, weil er es für richtig hält. Er hat es vor Zeugen beteuert, so soll es sein, so soll es werden. Wir alle erwarten, er oder sie werden entsprechend den Worten handeln. Schön wäre es, aber es läuft anders. Glaubte der Mensch tatsächlich, er würde wie gesagt handeln? Was er heute sagt, würde auch morgen gelten? Nein, er hat nicht bedacht, dass er die Dinge aus einem anderen Blickwinkel betrachten kann, ja, dass sich die Situation ändern kann. Das Gesagte hat plötzlich dann keine Geltung mehr. Wie überraschend! Diese Wandlung können wir nicht verstehen - meinen wir. Da stehen die gesagten Worte gegen das, was wir tun. Ein Widerspruch? Ein Vertrauensbruch?
Ich kann mit Menschen, die mal das sagen und
dann mal das sagen, die etwas sagen und etwas anderes tun, nicht
umgehen, weil ich sie nicht einschätzen kann. Meinen sie wirklich,
was sie sagen? Werden sie ihre Meinung ändern? Wann werden sie ihre
Meinung ändern? Ich weiß es nicht.
Kann es auch sein, dass
ich meine Meinung ändere? Das kommt vor. Aber wie können wir dann
miteinander auskommen, wenn wir unseren Worten und unseren Handlungen
nicht vertrauen können? Wir schauen uns an, wir hören uns zu und
wissen nicht, wie es gemeint ist. So oder etwa so?
Die
Welt versinkt in Chaos. Wir stehen erschüttert in einem Strudel und
sind ratlos. Worauf kann ich mich sicher verlassen?
Da bin ich
mit meinen Gedanken in eine Sackgasse geraten. Ich fließe dahin, du
fließest dahin, unsere Welt fließt dahin.Nur eins ist sicher, ich
weiß nicht sicher, was ist und was kommt. Aber ich weiß, dass ich
lebe mit den Dingen im Fluss der Dinge und dass ich das als meine
Gedanken in Worte gefasst und hier niedergeschrieben habe.
Meine
Worte, das sind meine Inseln im Fluss des Lebens.
Essayistisch (K.P.)
Es fließt mir nicht gerade aus der Feder bei diesem Essay zum Thema „Fließen“! Genau genommen stelle ich augenblicklich bei mir fest,
dass es in meinem Kopf hakt, so als wären meine Gedanken nicht gerade mitgerissen. - Ich stelle fest - Aha! Da haben wir es!
Wie bitte schön soll denn etwas in Gang kommen, wenn ich fest stelle? So kommen wir der Sache auf jeden Fall schon näher,
denn Fließen hat zu tun mit Bewegung, mit Veränderung. Und da mich das Schreiben hier nicht sehr bewegt, endet der Text.
Klang-Assoziationen zum Thema "fließen"
(K.P.)
N,
N.
N,
N!
N,
N,
N,
Ne.
N,
N,
N,
Ne!
N,
N,
N,
Ne,
Neß!
Neße,
Neße,
Neße,
Neße!
Neßei,
Neßeil,
Neßeilf...
…ffffffffffffffffff
f
l
o
w o l f
Literaturwerkstatt 2 (4.2.2015)
Beispiele:
Ernst Jandl
(kleine
jandl-ei.htm) - Koeppel: „Starckdeutsch“
Texte in einer Kunstsprache - Dieter Schnebel: Laut-Gesten-Laute,
Körper-Klänge
M.Kloeppel, Starckdeutsch
Der Berliner Maler Matthias Koeppel (*1937) persifliert politische und gesellschaftliche Be -und Gegebenheiten mit deutlich kritisch-ironischem Unterton. Er ist Mitbegründer der Künstlergruppe »Schule der Neuen Prächtigkeit«.
Zum Verstehen musst Du die Texte laut lesen.
Arr, di Arr; di Arrckitucktn -
jarr, di
sünd tautul pfarrucktn.
Pauhn onz euburoll Quaduren,
vo se
gurrnücht henngehuren.
Vn demm Hurz büsz ze denn Ullpn
snd di
Häusur steitz di sullpn.
Duch di Arrckitucktn tschumpfn:
Onzre
Pauhörrn snd di Tumpfn!
Olle zullte mon kastruren,
düßße
auff ze pauhin huren;
odur stott ünn rachtn Winkuln
se dönn
pauhin, wi se pinkuln.
Hullondüsche Tumautn
Harrlüch! –
dönckst tu, gauffßt die rauten
Glantzind pfröschn
Totumauten.
Duch peim Ößßn marckstde dunn,
dißß monn
gurnüxx tschmarckn kunn;
Sünd’z nonn Gorcken, sünd'z Tumautn,
–
Üst öss garr oin Heunarbrautn,
pfrösch oss Hullondt
ümmporturt?
Hart monn düch woll arnngeschmuurt?
Ormer Manne
Wann däm Woibe gäht ez schlächt,
Iss
zem Monn se ungerächt:
Sull är staupesauken, Buzzen,
Tarf
koin Birre mär varbuzzen.
Unt zu alläm Üpervluzs
Stroicht se
im dän Wohlkenuzs -
Büld däs Jammärs is ze sähen:
Muzs är
binkeln gor im Stähen!
Ernst Jandl – schtzngrmm ( ernst jandl schtzngrmm.mpg - YouTube)
schtzngrmm
schtzngrmm
t-t-t-t
t-t-t-t
grrrmmmmm
t-t-t-t
s——c——h
tzngrmm
tzngrmm
tzngrmm
grrrmmmmm
schtzn
schtzn
t-t-t-t
t-t-t-t
schtzngrmm
schtzngrmm
tssssssssssssssssssss
grrt
grrrrrt
grrrrrrrrrt
scht
scht
t-t-t-t-t-t-t-t-t-t
scht
tzngrmm
tzngrmm
t-t-t-t-t-t-t-t-t-t
scht
scht
scht
scht
scht
grrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr
t-tt
leise unruhe
an ruhigen
tagen
sitzen und fragen:
geht es immer so weiter?
geht es
immer so weiter?
geht es immer so weiter?
geht es immer so
weiter?
geht es immer so weiter?
geht es immer so weiter?
geht
es immer so weiter?
ach ginge es doch immer so weiter
wanderung
vom vom zum
zum
vom zum zum vom
von vom zu vom
vom vom zum
zum
von zum zu zum
von zum zu zum
vom zum zum
vom
vom vom zum zum
und zurück
Spruchtexte („Dummheit siegt – gegen die
Dummheit kein Kraut gewachsen ist“ und „Arbeit macht das Leben
süß/Arbeit macht Arbeit/Macht macht das Leben süß…süß leben
macht das Leben süß – süß leben, macht das Arbeit.“)
Dieter Schnebel (* 14. März 1930 in Lahr/Schwarzwald) ist ein deutscher Komponist und Musikwissenschaftler.
Werke: Laut-Gesten-Laute, Körper-Klänge
und Die Maulwerker, im Jahr 1985
uraufgeführt.
Maulwerke (1968-74) – der Mund
arbeitet, wird tätig nicht nur in der Nahrungsaufnahme (und
Liebesgabe und –nahme), sondern auch im Lautieren, wo Klänge
geäußert werden, welche von einfachem Ausdruck bis zu Sprache und
Musik reichen.
Dieter Schnebels Musik-Sprach-Konzept ("Zungenreden", 1956-60, Glossolalie 61, 1960-65) zählt zu den Klassikern der Sprachkomposition (erste Studioaufnahme durch Mauricio Kagel: WDR Köln 1962. Durch die Montage erforscht Dieter Schnebel hier die musikalischen Potentiale von Sprachverwirrung und -überlagerung mit dezidierten (selbst-) ironischen Untertönen. Experimentelle Musik in der Hauptschule.s. „Gesums“
Literaturwerkstatt 3 (18.2.2015)
Journalistische bzw. literarische Kleinformen und Stilmittel
Glosse, Essay, Kolumne, Feuilleton (franz. „Blättchen“, Kulturteil einer Zeitung) sind kurze journalistische Kleinformen, die sich von Kommentar und Leitartikel durch den polemischen, satirischen oder feuilletonistischen Charakter unterscheiden.
Die Causerie (lat. causa „(Ur)Sache“; frz. causer „plaudern“) ist eine unterhaltsame, gebildete Plauderei in literarischer oder geselliger Gestalt, zwanglos einer Sache auf den Grund gehend.
Stilmittel:
Ironie: Behauptung, die nicht der wahren
Einstellung oder Überzeugung des Sprechers oder Schreibers
entspricht. - A hat einen Stapel Geschirr fallen lassen. Daraufhin
sagt B: „Prima machst du das!“ übliche Warnung für Publizisten:
Ironie versteht der Leser nie. Deshalb Ironie-Reservate in
Zeitungen (Glosse).
Ironiezeichen z.B. im Internet
-
Emoticons als
Ersatz für begleitende Mimik (z. B. ;-)
- Inflektive
(unflektierter Infinitiv ohne Endung, auch Comic/Erikativ
genannt - seufz, gähn, quiiietsch, bremssss!)
als Gestik-Ersatz (z. B. *grins*, *zwinker*) -
*sichwegduck*, *lieb-anlächel* - InDenSeeSpring -
in_den_See_spring
- Pseudo-HTML-
oder BB-Codes:
<ironie>Ja, natürlich!</ironie>
- Versalschrift:
zur Hervorhebung als Alternative zur Satzbetonung (z. B. NEIN,
wie kommst du denn DARAUF?)
- doppelter Zirkumflex
^^ (der das japanische horizontale Emoticon für lächeln/grinsen
ist)
s. Liste
von Abkürzungen (Netzjargon)
Hyperbel:
Übertreibung, über das Glaubwürdige hinaus
- Warum schaust
du also auf den Splitter im Auge deines Bruders, beachtest aber nicht
den Balken in deinem eigenen Auge? - todmüde, - ein Meer von Tränen
Klimax („Treppe“ oder „Leiter“):
stufenartige, meist dreigliedrige Steigerung von Ausdrücken
-
Das war so, das ist so und das wird immer so sein. (Aus dem
Refrains der russischen
Nationalhymne),
- Ich kam, sah und siegte. (Cäsar: Veni,
vidi, vici)
Antithese („Gegenbehauptung“) -
Heute sind wir noch am Leben. Morgen werden wir sterben. - Das
Haus ist nicht rot, denn es ist blau.
Metapher: bildliches
Sprechen, ein Vergleich ohne „wie“
- Kamel -
Wüstenschiff
- Das Feuer der Liebe – klischeehafte M.
-
Die Kuh vom Eis kriegen – Sprichwort
Parallelismus („Nebeneinanderstellung“):
aufeinander folgende gleiche Satzarten haben dieselbe Abfolge ihrer
Satzglieder (Subjekt, Prädikat, Objekt, Adverbial etc.)
-Sie
hören weit, sie sehen fern. E.Kästner
Epiphora: Wiederholung eines Wortes oder einer
Wortgruppe am Ende aufeinander folgender Verse oder Sätze.
-Mir
geht es gut. Meinem Vater geht es gut.
Dem Rest meiner Familie geht es gut. Allen geht
es gut.
Anapher: Wiederholung am Anfang von Versen und
Sätzen
- Wie ermüdend, geliebt zu werden,
wahrhaft geliebt zu werden! Wie ermüdend, das
Objekt emotionaler Belastungen eines anderen zu sein! F. Pessoa.
Literaturwerkstatt 4 (25.2.2015)
Präsentionsformen für die Lesung am 24.4.2015
Porno und Kunst
(Materialien:
Reliefs des Bildhauers Lenk, Fifty Shades of Grey, Der
Gemüsehändler..., „Lust“ von Elfriede Jelinek, Vulgärerotik
bei Günter Grass)
I. Gibt es Grenzen zwischen Kunst und Porno?
- Das Relief des Bildhauers Lenk mit dem Titel «Ludwigs Erben» bildet unter anderem deutsche Spitzenpolitiker und Top-Manager zum Teil unbekleidet und in anzüglichen Posen ab….Lenk betonte, er wolle mit seinem Werk die seiner Ansicht nach ans Obszöne grenzenden Verstrickungen zwischen Macht und Geld widerspiegeln. Es gehe ihm «um den alten und den neuen Feudalismus. Und es geht darum, dass die Demokratie schwächelt», sagte der Künstler. Daher habe er diese Zustände bildlich als «Politiker-Gruppensex» dargestellt. "Wenn es um ihre Privilegien geht und darum, dem Bürger das Geld aus der Tasche zu ziehen, dann halten sie sich alle die 'Stange'. Politik ist viel pornografischer als jede Kunst." Er brauche sich für sein Werk «nicht zu rechtfertigen». Schließlich sehe man die Politiker in der Wirklichkeit «selten so glücklich» zusammen, "ganz nach dem Motto 'Koalieren und Kopulieren'.
Der Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann (alles Peanuts) sitzt nackt, die Finger zum legendären Piece-Zeichen erhoben mit dem schwörenden Dieter Zetsche von Daimler sowie Volks- wagen-Tycoon Ferdinand Piech und Medienmogul Leo Kirch und EX- Vorstandschef von EnBW Utz Claasen gleich Dagobert Duck (Micky Maus) im Geldbad, während es über ihnen die Freudenmädchen mit Schild „Hartz VI” treiben.
Die nackten Politiker (EX- Finanzminister Hans Eichel, Ex-Bundeskanzler Gerd Schröder, Bundeskanzlerin Angela Merkel, der bayerische EX- Ministerpräsident Edmund Stoiber und FDP-Chef Guido Westerwelle sind Teil des Lenk-Triptychons mit Thema „Ludwigs-Erben”, das seit September 2008 in Größe 11 mal 3,50 Meter am örtlichen Rathaus von Ludwigshafen/Bodensee hängt.
s. Was ist schön? Philosophie IV: Ästhetik und Auszüge aus meinen Berichten über Indien Die erotischen Tempel von Khajuraho und Tantrische Rituale
- Gogbot - Festival #EROTEC, Enschede 2013 GOGBOT 2013 - #EROTEC - YouTube
II. Gibt es literarische Qualitätskriterien bei Pornotexten?
Seit siebzehn Jahren vergibt die angesehene Zeitschrift «Literary Review» den Bad Sex Award an Autoren «achtbarer zeitgenössischer Romane»,. Die ungeliebte Auszeichnung für die schlechteste literarische Sexszene ging dieses Jahr an Jonathan Littell. Der Träger des Prix Goncourt stach dabei andere nominierte Grössen wie Philip Roth, John Banville, Paul Theroux und den schreibenden Rockstar Nick Cave aus.
Litell, ein französisch-amerikanischer Doppelbürger, sorgte mit seinem Roman «Die Wohlgesinnten» im Jahr 2006 für eine literarische Sensation. Der Roman beschreibt den Holocaust aus der Sicht eines Täters und wurde über 1 Millionen Mal verkauft. Dies anerkannte auch die Bad Sex-Jury, welche den Roman teilweise als «Werk eines Genies» bezeichnete.
Doch eine mythologisch inspirierte Szene erregte das besondere Missfallen der Jury. Darin wird die weibliche Vulva mit dem Haupt der Gorgonen gleichgesetzt, «ein unbeweglicher Zyklop, dessen einziges Auge niemals blinzelt». Litell fährt fort: «Wenn ich nur hart werden könnte, dachte ich, dann könnte ich meinen Schwengel wie einen im Feuer gehärteten Stock dazu benutzen, diesen Polyphem zu blenden, der mich zum Niemand gemacht hat. Mein Schwanz blieb jedoch unbeweglich, als wäre er zu Stein erstarrt.»
Materialien: ein schlichter Softtext, ein metaphorisch aufgeladener Text, ein parodierender Text und vulgärerotische Texte
1. Aus "Fifty Shades of Grey" Geheimes Verlangen (E. L. James). Die junge Studentin Anastasia Steele lässt sich auf eine Sadomaso-Affäre mit einem Milliardär ein. In Teil 2, Shades of Grey, Gefährliche Liebe verlobt sich das ungleiche Paar. Teil 3 startet mit der Hochzeit.
Fifty Shades of Grey: Die besten Passagen • WOMAN.AT
Er bläst sanft auf mein
Geschlecht. O Gott ... Wie schön.
Er zieht zärtlich an
meinem Schamhaar.
Vielleicht sollte das doch bleiben. Bitte,
flehe ich.
Es gefällt mir, wenn du mich anbettelst, Anastasia.
Ich stöhne auf.
Wie du mir, so ich dir, ist normalerweise nicht
mein Stil, Miss Steele, flüstert er, während er weiter auf meine
Scham bläst. Aber Sie haben mir gerade großes Vergnügen
bereitet, und dafür sollen Sie belohnt werden. Ich höre sein
anzügliches Grinsen in seiner Stimme, und während ich bei seinen
Worten erschaudere, umkreist seine Zunge langsam meine Klitoris.
Meine Oberschenkel hält er mit den Händen fest.
Ah!, seufze
ich, als mein Körper sich unter seiner Zunge aufbäumt.
2. Aus "Der Gemüsehändler und das Mädchen im roten Mantel", Kap.24 (B.Oehmen)
...Seine Hände fühlten sich verwaist an ohne den Kontakt zu ihrem Fleisch, doch ein Aufflammen zwischen seinen Beinen ließ ihn alles vergessen, was sich nicht zwischen seinen Beinen befand. In einem Rausch aus blattgoldenen Wipfeln und verwischtem Stöhnen sah er auf Emmas Kopf herab, sah, wie sich sein aufgerichtetes Schwert in ihrem Mund bewegte, sah ihre rosafarbene Zunge, ein wildes, unerschrockenes Tierchen, das die hochempfindliche Spitze erklomm und umspielte, einsog und wieder herausfließen ließ, sah ihre gesenkten Lider, das Spiel der Schatten auf Haaren und Schultern, Reflexe gesprungenen Glases voller Wein aus Trauben der Sphären weit jenseits dessen, was ermessen werden kann.
...Und kein furchterregender Engel stellte sich ihm entgegen, im Gegenteil, die Welle trug ihn, er stieß, von seinem übermenschlichen Drang getrieben, in sie hinein, die vor Lust wimmerte und trug sie mitsamt ihrer Scherbenflut durch das Dröhnen hindurch in die Sicherheit einer Explosion.
3. Aus "Lust" (Elfriede
Jelinek)
Pornographie als Gefängnis Elfriede Jelineks Lust im ...
...Er spaltet ihren Schädel über seinem Schwanz, verschwindet in ihr und zwickt sie als Hilfslieferung noch fest in den Hintern. Er drückt ihre Stirn nach hinten, dass ihr Genick ungeschickt knackt, und schlürft an ihren Schamlippen, alles zusammengenommen und gebündelt, damit still aus seinen Augen das Leben auf sie schauen kann. (L17) Parodierung der männlichen Gewalt
...Er beißt die Frau in die Brust, und dadurch schießen ihre Hände nach vorn. Das weckt ihn nur noch mehr auf, er schlägt sie auf den Hinterkopf und hält ihre Hände, seine alten Feindinnen, fester. Auch seine Knechte liebt er nicht. Er stopft sein Geschlecht in die Frau. Die Musik schreit, die Körper schreiten voran. Die Frau Direktor gerät etwas aus ihrer Fassung, deswegen hat die Birne ja auch solche Schwierigkeiten beim Glühen. (L21)
...Der Mann erschafft, vom Winde emporgeweht, die Frau, er zieht ihr den Scheitel und wirft ihr die Beine auseinander wie welke Knochen. Er sieht Gottes tektonische Verwerfungen an ihren Oberschenkeln, sie machen ihm nichts aus....Der Mann führt sie ins Bad....Er greift in ihrem Gebüsch herum, damit er endlich einsteigen kann und nicht auf die Nacht verwiesen werden muss. Ihr Laub, ihre Zweige biegt er auseinander. (L24)
Weitere Texte: Kostenlos Probelesen - Bücher Leseprobe www.buecher-leseprobe.de/romane.html
4. Vulgärerotik bei Günter Grass, "Blechtrommel" bis "Ein weites Feld" - FreiDok - Albert ... S. 207.
Das Register der Vulgärerotik zählt laut Th.
Angenendt zu den besonders auffälligen Merkmalen des Prosastils von
G. Grass. Es findet sich sogar in Kapitelüberschriften
(beispielsweise „Der Arsch der dicken Gret“) wieder. In der
Danziger Trilogie macht Grass vom Register der Vulgärerotik regen
Gebrauch.
In der Blechtrommel werden die
regelmäßigen sexuellen Zusammenkünfte von Jan Bronski und Oskars
Mutter vom Erzähler äußerst direkt und ohne Filter im
Sprachregister dargestellt: Mama und Onkel Jan
trafen sich fast jeden Donnerstag in einem auf Jans Kosten gemieteten
Zimmer der Pension in der Tischlergasse, um es eine Dreiviertelstunde
lang miteinander zu treiben.
Der Butt, 6: Also legten wir uns, wie wir uns jederzeit umarmt umbeint haben. Mal ich, mal sie oben. Gleichberechtigt, auch wenn Ilsebill meint, das Vorrecht der Männer, einzudringen, werde kaum ausgeglichen durch das weibliche Kümmerrecht, Einlass zu verweigern.
Katz und Maus, 40: Kinder staunten im Kasperletheater: [...] sein Schwanz stand so sperrig, dass die Eichel aus dem Schatten des Kompaßhäuschens herauswuchs und Sonne bekam.
1. Rap kommt aus der afroamerikanischen Kultur: rap, „Plauderei, Unterhaltung“, ist ein schneller, rhythmischer und markanter Sprechgesang in der populären Musik.
Ein Rapbeat ist meistens so strukturiert, das sich folgendes Textschema ergibt:
1. Part - 16 Zeilen - Hook (Refrain) -
8 Zeilen,
2. Part - 16 Zeilen
- Hook - 8 Zeilen,
3. Part - 8 oder 16 Zeilen
Zeile (auch "Line" oder "Bar“): Satz, welcher zwischen 2 Taktschläge steht.
Reime: Doppelreim (Feuermelder – Steuergelder), Dreifachreim, Vierfachreim etc.
Tag: Das letzte Wort einer Zeile wird 4-8mal wiederholt und ist dabei an das eigentliche Reimwort angehängt.
Vortrag: Doubletime: Der Rapper rappt mit doppelter Geschwindigkeit, auch Tripletime.
Die täglich gebildete Menge an Tränenflüssigkeit ist schwer abzuschätzen, da ein Teil der Tränen verdunstet und ein anderer Teil durch die Tränenwege abfließt. Die Angaben schwanken zwischen einem Gramm[1] und einem halben Liter[2] Tränenflüssigkeit täglich; Einigkeit besteht aber darin, dass die Produktion durch Reize wie Fremdkörper im Auge, Kälte sowie beim Weinen und beim herzhaften Lachen um ein Vielfaches ansteigt. Auch der reflexartige Vorgang des Gähnens ist häufig mit vermehrter Produktion von Tränenflüssigkeit verbunden.
Darwin: „Es möchte scheinen, als ob die Tränendrüsen in den Individuen etwas Übung erfordern, ehe sie leicht zur Tätigkeit erregt werden können“, so dass also Säuglinge erst ab etwa drei Wochen zum Weinen imstande sind.
Heinrich Heine: „Aus meinen Tränen sprießen viel blühende Blumen hervor, und meine Seufzer werden ein Nachtigallenchor.“
Wenn zwei voneinander scheiden
So geben sie sich die Händ
Und fangen an zu weinen
Und
seufzen ohne End.
Wir seufzten nicht Weh und Ach!
Die Tränen und die Seufzer
Die kamen hintennach.
(„Lyrisches Intermezzo“)
Im „Othello“ heißt es „Oh Teufel! Könnte die Erde sich von Weibertränen schwängern, aus jedem Tropfen wüchs’ ein Krokodil.“
Rainer Maria Rilke („Tränenkrüglein“, 1923):
Was mit den Tränen geschieht?
Sie machten mich schwer,
machten mich blinder und machten mich
schillern am Buge,
machten mich brüchig zuletzt
und machten
mich leer.
J. W. v. Goethe: "Trost in Tränen"
Wie kommts, daß du so traurig
bist,
Da alles froh erscheint?
Man sieht dirs an den Augen
an,
Gewiß, du hast geweint?“
Und hab ich einsam auch geweint,
So ists mein eigen Schmerz,
Und Tränen fließen gar so
süß,
Erleichtern mir das Herz…..
….Und mit Entzücken blick ich
auf,
So manchen lieben Tag;
Verweinen laßt die Nächte
mich,
Solang ich weinen mag.
„Tränen“ in der Musik in der
Matthäus-Passion
Johann
Sebastian Bachs im Schlusschor „Wir setzen uns mit Tränen
nieder“, in der Alt-Arie
„Erbarme dich mein Gott, um meiner Zähren willen“, in
Wolfgang
Amadeus Mozarts „Wenn der Freude Tränen fliessen“ aus
„Die
Entführung aus dem Serail“ oder auch in Georg
Schumanns sechsstimmigem Chor „Tränenküglein“.
Schlager: „Tränen lügen nicht“ von Michael Holm und „Es geht eine Träne auf Reisen“ von Salvatore Adamo.
Sprichwort: „Ungeweinte Tränen lassen die Seele rosten.“ ... „Wer sich gegen fließendes Wasser stemmt, weil er Standpunkte hat, verursacht Wirbel.“ (J.Meisner)
Literaturwerkstatt 6
Übungen zur Präsentation der selbst geschriebenen Texte
Zusammenstellung und Layout eines Textheftes
Materialien
Beispiel "Satirische Kolumne": Wie Wasser wirklich wirkt, MARCUS ROHWETTERS (Die Zeit, 5.3.15) wöchentliche Einkaufshilfe
....Wenn Lebensmittel einen Beipackzettel tragen müssten (so wie Medikamente), könnte man viel mehr über ihre Wirkungen und Nebenwirkungenerfahren. Etwa bei Mineralwasser: Mineralwasser ist eine farb-, geruch- und oft geschmacklose Flüssigkeit. Sie wird zum Stillen von Durst eingesetzt, seltener zur Haarwäsche. Typische Darreichungsformen sind Glas- oder Plastikflaschen mit einem Inhalt von 0,25 bis 1,5 Litern. Mineralwasser wirkt
harntreibend und aufstoßend, sofern es mit Kohlensäure versetzt wurde. Sinnvoll ist der Konsum, sofern Ihr Leitungswasser Spuren von Blei enthält. Fragen Sie Ihren Vermieter.
Zu Risiken und Nebenwirkungen: Häufig (in mehr als 10 von 100 Fällen) enthalten die Flaschen ein echtes Vintageprodukt, das bis zu 120 Millionen Jahre alt sein kann, so wie Perrier, aber erst kurz vor dem Ablauf des aufgedruckten Mindesthaltbarkeitsdatums verkauft wird. Gelegentlich (in 1 von 100 Fällen) führt Mineralwasserkonsum zum schleichenden Verlust des gesunden Menschenverstandes. Anfangs überschätzt man seine Sinne und
glaubt, Mineralisierungen herausschmecken zu können. Später meint man, ohne Vulkansteinfilterung aus den französischen Alpen nicht überleben zu können. Im Endstadium kauft man bei Vollmond abgefülltes und über Edelsteinen verwirbeltes Mineralwasser, um sich einer schleichenden Vergiftung durch fremde Geheimdienste zu entziehen.
Immer (in 100 von 100 Fällen) belastet Mineralwasser das Haushaltsbudget stärker als Leitungswasser, wobei die Spanne vom 67-Fachen (Aldi-Hausmarke) bis zum 2833-Fachen (Fiji-Quelle) reicht. Mineralwasser ist keine Kassenleistung. Allerdings können leere Flaschen immer noch als Blumenvasen dienen.
Lyriknachrichten
Jan Wagner: Regentonnenvariationen
giersch
nicht zu unterschätzen: der
giersch
mit dem begehren schon im namen – darum
die blüten,
die so schwebend weiß sind, keusch
wie ein tyrannentraum.
kehrt stets zurück wie eine alte
schuld,
schickt seine kassiber
durchs dunkel unterm
rasen, unterm feld,
bis irgendwo erneut ein weißes wider-
standsnest emporschießt. hinter
der garage,
beim knirschenden kies, der kirsche: giersch
als
schäumen, als gischt, der ohne ein geräusch
geschieht, bis hoch zum giebel
kriecht, bis giersch
schier überall sprießt, im ganzen garten
giersch
sich über giersch schiebt, ihn verschlingt mit nichts als
giersch.
Der Giersch ist ein krautiges Gewächs, von Gärtnern gefürchtet, weil in seinen unterirdischen Ausläufern kaum zu vernichten. Wagner bereitet der unerschöpflichen Lebenskraft dieser Pflanze einen lyrischen Triumph. Die Pointe: Es geschieht in einem Sonett, einer strikten Gedichtform. Doch deren Disziplin wird überspült durch das klangliche Schäumen: "als gischt, der ohne ein geräusch / geschieht, bis hoch zum giebel riecht, bis giersch / schier überall sprießt, im ganzen garten giersch". Der Reim, der zum Sonett gehört, ist hier durch lautliche Anähnelung ersetzt, für die die Bezeichnung Assonanz noch zu streng wäre: "giersch" auf "keusch", "schuld" auf feld", bis es in den identischen Reim, ein dreifaches Versende mit "giersch" ausläuft. Man kann nicht anders, als die Meisterschaft des 1971 geborenen Dichters zu bewundern.
Diskussionsthema "Kitsch"
DIE ZEIT Nº 43/2012:
Achtung,
sehr süß! Lange war Kitsch ein Schmähwort. Heute erobert
kitschige Kunst von Hundertwasser, Jeff Koons oder Gerhard Richter
die Museen.
s. Diskussionsseite
Literarische Beispiele (s. Deutscher Kitsch, Walter Killy)
„Fernher rauscht das Meer in die holde Stille, der Wind regt sanft das starre Laub. Ein mattseidenes Gewand, elfenbeinweiß und golden bestickt, umfließt ihre Glieder und lässt einen zartgeschwungenen Nacken frei, auf dem die feuerfarbenen Flechten lasten…
Noch brannte kein Licht in Brunhilds einsamem Gemach, - die schlanken Palmen ragten wie dunkle phantastische Schatten aus ihren kostbaren chinesischen Kübeln empor, die weißen Marmorleiber der Antiken glänzten gespenstisch dazwischen und an den Wänden verschwanden die Bilder in ihren breiten mattschimmernden Goldrahmen.“
„An
meim Hauserl steht a Bankerl da sitz i gern und trink mein Wein
/
und mein Blick geht oft hinüber in den Nachbargarten nei,
/ denn die Aussicht ist so schön wenn sie auf der Leiter steht / und
beim Kirschen pflücken mir den Kopf verdreht.“
(Wildecker
Herzbuben)
Kitsch steht (nach Wiki)
zumeist abwertend gemeinsprachlich für einen aus Sicht des
Betrachters minderwertigen, sehnsuchtartigen Gefühlsausdruck.
Kitsch
wird als etwas Gefährliches eingestuft, weil die damit verbundenen
Euphemismen, Verharmlosungen, Vorurteile, Klischees und Illusionen
genau jene Doppelbödigkeit fördern, die für den Einzelnen wie für
das Kollektiv letztlich zum unausweichlichen Dilemma führen und
Konflikte jeder Art den Boden bereiten. „Kitsch hat immer etwas mit
Verlogenheit zu tun.“
Die als kitschig bezeichneten
Empfindungen nennt die Kritik: Konfliktlosigkeit,
Kleinbürgerlichkeit, Massenkultur, Verlogenheit, Stereotypisierung,
Zurückgebliebenheit, Wirklichkeitsflucht, falsche Geborgenheit oder
etwa dümmlich Tröstende(s)
kitschen
(Straßenschmutz oder Schlamm zusammenkehren, klatschen und
klitschen) im Sinne von „zusammengeschmiertem Dreck“.
Eine Sonderform bildet der sogenannte Nippes (franz. für „weiblicher Putz“), auch Nippsachen genannt; darunter werden kleine dekorative Kunstgegenstände von oft minderer Qualität subsumiert, die beispielsweise „als Zimmerschmuck zum Aufstellen auf sogenannten Nipptischchen“ dienen. Beispiele für Nippes sind Putten- bzw. Engelsfigürchen aus Porzellan oder kleine Vasen ohne praktische Funktion
Am 10. und 17.3.2010 haben wir uns im VHS-Kurs Bocholt schon einmal mit dem Thema beschäftigt (Formale Kriterien zum Kitsch und Kriterien zur literarischen Wertung von Texten).
Literaturwerkstatt 7 (18.3.15)
kitschig oder/und künstlerisch
Porno, Kitsch oder Kunst???
Text-Beispiele: "Rap" und Beckett
Wollen wir engelmanisch rappen? https://www.youtube.com/watch?v=RmGHW4b2OVY Vorsicht, seid kritisch. Die Rapperin Julia Engelmann spielt gekonnt ein sentimentales Klischee vor. Da ist Bettina doch viel besser und echter.
Julia Engelmann in ganz naiver Weise klagend und ratend über Liebe, Lebensmut und verpasste Gelegenheiten:
Eines Tages, Baby, werden wir alt sein, oh Baby, werden wir alt sein und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können….Ich denke zu viel nach, ich warte zu viel ab, ich nehme mir zu viel vor und ich mache davon zu wenig. Unser Leben ist ein Wartezimmer, niemand ruft uns auf. Ich halte mich zu oft zurück, ich zweifele alles an, ich wäre gerne klug, allein das ist ziemlich dämlich… Mein Leben ist ein Wartezimmer, niemand ruft mich auf. Ich würd gern so vieles sagen, aber bleibe meistens still, weil, wenn ich das alles sagen würde, wär das viel zu viel. Ich würd gern so vieles sagen, aber bleibe meistens still, weil, wenn ich das alles sagen würde, wär das viel zu viel.
Samuel Beckett's "Not I"
Können wir in fast unfassbarer Beckett-Manier und in einer Fetzen-Sprache über menschliche Grundsituationen schreiben? Beckett hat in seinem Text „Nicht Ich“, den unsere liebe, wagemutige Eliteratin Marie Luise mit ihrer Theatergruppe zur Aufführung bringen will, die Präsentation seines Textes auf eine Frauenstimme und einen großen sichtbaren Mund reduziert. Ein Maulwerkstück! Die Zunge, die Zähne und die Lippen bringen Worte hervor. Der menschliche Körper bleibt unsichtbar. Das ist eine exklusive, eliterarische Form des Theaters.
Video zu „Not I“
mit Lisa Dwan Samuel
Beckett's Not I: Lisa Dwan mouths off – video - The ...
oder besser mit Becketts Lieblingsschauspielerin Billie Whitelaw [1973] "Not I" (Samuel Beckett) – YouTube
Becketts “Fließtext”:
MOUTH: . . . . out . . . into this world . . . this world . . . tiny little thing . . . before its time . . . in a godfor– . . . what? . . girl? . . yes . . . tiny little girl . . . into this . . . out into this . . . before her time . . . godforsaken hole called . . . called . . . no matter . . . parents unknown . . . unheard of . . . he having vanished . . . thin air . . . no sooner buttoned up his breeches . . . she similarly . . . eight months later . . . almost to the tick . . . so no love . . . spared that . . . no love such as normally vented on the . . . speechless infant . . . in the home . . . no . . . nor indeed for that matter any of any kind . . . no love of any kind . . . at any subsequent stage . . . so typical affair . . . nothing of any note till coming up to sixty when– . . . what? . . seventy?. . good God! . . coming up to seventy . . . wandering in a field . . . looking aimlessly for cowslips . . . to make a ball . . . a few steps then stop . . . stare into space . . . then on . . . a few more . . . stop and stare again . . . so on . . . drifting around . . . when suddenly . . . gradually . . . all went out . . . all that early April morning light . . . and she found herself in the--– . . . what? . . who? . . no! . . she! . . [Pause and movement 1.] . . . found herself in the dark . . . and if not exactly . . . insentient . . . insentient . . . for she could still hear the buzzing . . . so-called . . . in the ears . . . and a ray of light came and went . . . came and went . . . such as the moon might cast . . . drifting . . . in and out of cloud . . . but so dulled . . . feeling . . . feeling so dulled . . . she did not know . . . what position she was in . . . imagine! . . what position she was in! . . whether standing . . . or sitting . . . but the brain– . . . what?. . kneeling? . . yes . . . whether standing . . . or sitting . . . or kneeling . . . but the brain– . . . what? . . lying? . . yes . . whether standing . . . or sitting . . . or kneeling . . . or lying . . . but the brain still . . . still . . . in a way . . . for her first thought was . . . oh long after . . . sudden flash . . . brought up as she had been to believe . . . with the other waifs . . . in a merciful . . . [Brief laugh.] . . . God . . . [Good laugh.] . . .
(1972 geschrieben. Dauer etwa 15 Min.)
Literaturwerkstatt 8 (8.4.15)
Übungen zur Präsentation der selbst geschriebenen Texte
Zusammenstellung und Layout eines Textheftes
.
Flusslandschaft
Die Wahrheit der Worte, die Wahrheit der Bilder sind im Fluss. Nur fließend gibt es die Wahrheit, fließend in Bildern und Worten.
Das Eindeutige ist vieldeutig in Worten und Wortbildern.
Bilder fließen aus vielen Quellen.
Klarheit braucht viele Worte.
Buchstaben schwimmen auf. Worte spülen zu Sätzen.
Sätze fließen zu Inseln, bilden Strudel.
Bedeutungen fließen.
Das Leben fließt.
Winterfluss
Worte gefrieren zu Farben, siehst du rot, siehst du grün, blau, gelb,
alles fließt, zerfließt,
fließt zusammen, auseinander,
Wortwelten, wir mittendrin,
meine Bilder, deine Bilder,
Wortbilder zwischen uns.
Wortunwetter reißen mit,
Du wirst geflossen, wir werden geflossen, wir sind geflossen,
stürzen den Wasserfall hinab,
kann sein, könnte sein, ist gewesen.
In einem Krieg, in den Tod.
Beobachte den Fluss, registriere den Wasserstand,
Finde dich im Fluss.
Du fließest flüchtig.
Fließend geflossen.
Zerfließend verflossen.
Hier eine Pfütze,
dort das Meer.
Wo ist einWeg?
Wortfluss
wie ich glaubte aber erst nachher erkannte mir sagte es ist nicht wie gestern da ist etwas das stimmt nicht das Gesagte das ich glaubte im Wortlaut den ich gehört einige Wörter laut gesagt wie gehört wie ich es fühle besser wie ich es spüre mich erhebe in der Luft mich sehe schlecht gesagt fließt es wenn ich spüre plötzlich in der Nähe das Rauschen aufleuchtende Träume andere Gewissheiten da ist etwas das anders ist erstarrt ich habe nichts dergleichen ich sage es wie es kommt ohne zu glauben