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VHS-Schreibwerkstatt 2003-2012
Literaturwerkstatt 2013
Literaturwerkstatt 2015
I.
Alkaios:
So gerne möcht’ ich reden, allein mich hindert die Scham
Sappho:
Verlangte dich nach Edlem und Schönem nur
und flockte deine Zunge beim bösen Wort,
so senkte nicht die Scham dein Auge,
sondern du redetest frei, wie’s recht ist.
(Übers. Hans Rupé)
II.
[Alkaios]
Ich möchte dir etwas sagen doch
[Sappho]
Alles was gut und recht ist mein lieber
wenn du was andres als bumsen
im kopf hättest dann wäre es dir längst
schon über die lippen gekommen
(Übers. Raoul Schrott)
Die Sapphische Strophe ist vierzeilig und besteht aus drei gleichgebauten Elfsilblern und als Abschlussvers einem Fünfsilbler, der sogenannte adonische Vers oder Adoneus. Im Deutschen werden die langen und kurzen Silben des griechischen Textes durch betonte und unbetonte Silben wiedergegeben. s. Beispieltext Literaturwerkstatt 2013
2. Ezra Pound wurde durch Sapphofragmente, die auf antiken Pergamenten oder Papyri überliefert sind, zu einer Nachbildung eines Fragmentes inspiriert.
(Seit 1905 waren Papyrusfragmente aus den Resten der Stadt Oxyrhynchus aus dem ägyptischen Wüstensand und aus dem Mund mumifizierter Krokodile geborgen und nach England gebracht worden; bis 1915 wurden 56 Fragmente von Sapphotexten entdeckt.)
Papyrus
Spring ……
Too long ……
Gongula ……
Ann Cotten erhält den mit 15.000 Euro dotierten Adelbert-von-Chamisso-Preis 2014. Sie wird ausgezeichnet für ihr bisheriges Gesamtwerk, insbesondere für ihren jüngsten Erzählungsband „Der schaudernde Fächer“ (Suhrkamp 2013). Darin habe sie, so die Jury, „der deutschen Gegenwartssprache auf hochpoetische Weise neue Impulse gegeben.“
Cotton: …wenn es etwas zu erzählen gibt, sagen wir eine interessante Biographie oder die Geschichte eines Begriffs, dann kann das von mir aus auch schlecht geschrieben sein, es ist akzeptabel als Gebrauchsgegenstand. Ein mieses Gedicht hingegen – nichts als reiner Brechreiz.
…es geschieht allzu oft, dass man, um Lyrik herzustellen, bloß die aufgeladenen Requisiten bereitstellt, in möglichst anregenden, geschmackvollen Arrangements, und erwartet, dass sich dieselbe Rührung wie bei einem selber auch bei der Leserin einstellt.
Anregungen für ihr Schreiben hole sie sich auch aus der Porno- und Trash-Literatur, so Cotten.
- Weg vom Klischee. - Ständig auf der Flucht vor allgemeingültigen Sinnzusammenhängen, dem Common Sense.
- Flucht-Poetik nennt Cotten es selbst.
I.
Rosa Meinung
In des Landgerichtes Fotze
geh ich als ein blasser Traum,
Frau ist alles, was ich kotze,
lauter Wahrheit dieser Raum.
Dass man mir mein Schwärmen nähme
denk ich, aber glaub es kaum:
Dieser Prunk im schmalen Schoße
ist der Trödelväter Schaum.
Wenn ich nur die Arme breite,
ächzt er wie ein Eichenbaum,
kracht in brüchig tausend Scheite,
schäumt, dass ich, Blitz, ihn ableite.
Brenn zu Asche, mich zu wärmen!
(Denn ich will von Deutschland lernen.)
Michael Braun, Poetenladen, über das Gedicht “Rosa Meinung” und eine Entgegnung von Ann Cotten
Ann Cotten | Lyrikzeitung & Poetry News
II.
"Der schaudernde Fächer" - Mutprobe und Gedankenporno
Fear nothing, fear my love, fear nothing, fear the air,
with the souls of your feet feel it feel the jolly air
we are too high to be sad now, too high to be sad,
let me go on. I’m going
on in the jolly air with a wound that will open in the afternoon,
I’m going
on, on, on in the jolly air, maybe see you soon
but I’m going
on , on, on like there`s no tomorrow
don’t feel the pain, don’t feel the sorrow
...
... – he blends right in to the song to the wrong to the
market loop and he’s takin it makin it shakin it to the
taw-haw-haw-hawp, honey"
III.
"Aporetisch wie nix" - Text unter http://faustkultur.de/files/cottengedicht
„Die dichte Verknüpfung intertextueller Bezüge ist bei Ann Cotten Programm. Wer diese Sonette liest, der sollte etwas von Shakespeare wissen oder von Ovid, aber auch von Björk oder David Johnston“.
IV.
Fremdwörterbuchsonette (2007)
O Fahrtwind, fahre fort, mich zum Verschwinden
zu bringen, meine Autorschaft zu reduzieren.
Ich lieb`s, wenn deine Finger sich in meinem Haar befinden,
ich lieb`s, wenn deine Zunge pfeift mir um die Nieren.
Könnt auf dem Fahrrad rückwärts räsonnieren,
mein Denken käme zweifellos in Fahrt.
Nicht auszuschließen ist, es könnte was passieren,
doch nichts Bestimmtes, dazu denke ich zu hart.
...ich frage mich, ob es das Interesse und die Aufgabe der Poesie sein kann … sein sollte, den heruntergekommenen Status der Alltagssprache zu übernehmen, ihn künstlerisch zu kultivieren und eben dadurch zu rechtfertigen. Gelegenheitslyrik, Plauderlyrik, Gebrauchslyrik, Verbrauchslyrik, Unterhaltungslyrik, Roadlyrik, Pornolyrik, Institutslyrik, Wettbewerbslyrik scheinen die Lyrikproduktion und den Lyrikbetrieb zu dominieren.
Bettina Hartz, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 28.4
...lyrischen Räume geschaffen. Der von Cotten ist wild, anarchisch, überschießend, verspielt. Einer frühromantischen Ästhetik folgend, die immer das Unfertige dem Fertigen, das Fragment dem Werk, die Heterogenität der Homogenität vorgezogen hat, sind ihre Gedichte nicht Resultate, sondern Versuche....Erst wenn man wiederholt liest, bilden sich allmählich die Wahrnehmungsstrukturen heraus...
Interview mit Lyrikerin Ann Cotton: MP3
Waka/Tanka ist ein Sammelbegriff für mehrere japanische Stilrichtungen. Tanka (Kurzgedicht, 5-7-5, 7-7) , Buddha-Fußabdruck-Gedicht, 5-7, 5-7, 7-7), Gedicht mit wiederholtem Kopf, 5-7-7, 5-7-7)
Jedes Waka/Tanka zählt 31 Silben und hat fünf Zeilen. der erste Teil, der Oberstollen, kann wie bei einem Haiku ein Bild oder eine Idee zeichnen. Dieses Bild wird im zweiten Teil, dem Anschlussstollen, vollendet und eröffnet dem Leser neue Gedankenrichtungen.
Ein Fest für andre.
Ich liege kränkelnd im Bett.
Kränkelnd lüge ich.
Liegend lüge ich wirklich,
so laut Krankheit lügen kann.
- Elfriede Czurda
Is there no moon?
And is this springtime not the spring
Of times gone by?
Myself alone remaining
Still the self it was before? (Ariwara no Narihira,Tanka-Englische Übertragungen)
Gibt es keinen Mond?
Ist die Zeit nicht der Frühling
wie noch vor Zeiten?
allein ich selbst nur bleibe
so wie ich schon früher war?
- (Übersetzung)
beim verlassen
des junggesellenabschieds
rauchen bardamen
meine träume
schrumpeln
– Ralf Bröke
-Einunddreißig - Das Tanka-Magazin ist ein online-Magazin, das die Entwicklung des deutschsprachigen Tanka und verwandter Formen (Tanka-Prosa, Tanka-Sequenzen, Foto-Tanka ) fördern soll. Dazu erscheint vierteljährlich (Februar, Mai, August, November) eine Auswahl von Texten. - Einsendeschluss für Mai ist der 15.4.
II. Elfriede Czurda 1946 Berlin und Wien
23. november
fenster auf und fenster zu
jetzt ist ruh
fenster hier und fenster da
trallalla
fenster immer fenster nie
hollarehhidihhh
fenster oben unten tür
kann sie nix dafür
fenster glas und fenster holz
unser ganzer stolz
fenster guck und fenster blind
draußen peift der wind
4. januar 2004; tisch
was auf den tisch kommt
wird auf keinen fall
gegessen es wird sortiert
gestapelt gelocht zusammen
geheftet mit heftiger hand
überkritzelt zerknüllt
in den papier korb versenkt
heraus gefischt glatt
gestrichen mit tee voll
gekleckert weg damit
was auf den tisch kommt
wird verdaut wird verdaut
18.juni; krähenflugangst
auf dem kamin blech
hockt die krähe jetzt im
sommer bin nicht ich
schreit krah und schwingt
sich auf die krallen spitzen
zum zweck des abhubs
krah und ist in wirklichkeit
nicht ich krallt krah sich
fest am eisen kranz krah
krah und keine rettung
löst sie aus ihrer flug
angst die im kopf sitzt
Leseprobe Untrüglicher Ortssinn (Kurzprosa ) http://www.lyrikwelt.de/gedichte/czurdag2.htm Leseprobe
Krankhafte Lichtung Drei wahnhafte Lieben. Erzählungen. (Besprechung)
Verlorener Handschuh ( aus „Ein Buch von Göttern und Teufeln“)
Da liegt er, ein schwarzer Damenhandschuh.
Irgendetwas hat er zu bedeuten.
Ein umsichtiger Fremder ließ ihn liegen
auf dem roten Briefkasten an der Ecke.
Drei Tage lang war der Himmel unruhig,
bis heute ein paar Schneeflocken
auf den Handschuh fielen, den unterdessen
jemand umgedreht hatte,
so dass seine Finger sich ein klein wenig
schlossen...Zur Faust hat es nicht gereicht.
Also wartete ich, und die Nacht kam näher.
Es war mir nicht erlaubt, mich zu rühren.
Hier, wo die Flammen aus den Mülleimern steigen
und wo die Obdachlosen im Stehen schlafen.
Beschreibung eines verlorenen Dings (aus Charles Simic "Mein lautloses Gefolge")
Es hatte nie einen Namen,
Auch weiß ich nicht mehr, wie ich es fand.
Ich trug es in meiner Tasche
Wie einen verlorenen Knopf,
Nur dass es kein Knopf war.
Gruselfilme,
Nacht-Cafeterias,
Dunkle Bars
Und Spielhallen
An regenglatten Straßen.
Es führte ein stilles, unbeachtetes Dasein
Wie ein Schatten in einem Traum,
Ein Engel auf einer Nadelspitze,
Und dann verschwand es.
Die Jahre gingen vorbei mit ihrer Reihe
der vielen namenlosen Stopps
Bis jemand mir sagte: Das ist es!
Und Narr, der ich war,
Stieg ich an einem leeren Bahnsteig aus,
Ohne Stadt in Sicht.
Auch Pomologie ist für Simic zugleich Poetologie. Die "Romanze in Wurst" lockt mit essbarer Poesie. "Zerquetsch nicht die Tomaten!" ist eine Hymne über eine Frucht, deren aztekische Wurzel "toma-tl", das pralle Ding, auf den Liebesapfel führt.Tristesse und Glorie der Straße - FAZ
- Fenster, bespritzt von Regentropfen,
Die einander abwechselnd dabei zuhören
Wie sie in regelmäßigen Abständen fallen
Und dabei Erinnerungen auflesen
Die nicht ihnen gehören
- Dass der Schnee weißer wird,
nachdem eine Krähe darüber geflogen ist.
- Und die Flasche auf dem Tisch, in Gedanken versunken.
- Glück, hellrotes Futter,
des dunklen Wintermantels,
der den Kummer verkehrt herumträgt.
- Soviel zu mir, wenn ich mich erinnre,
wenn ich, o Zeit, kaue und kaue
an deinen langen schlaflosen Nägeln.
- Dunkle Wolken
und Schnee, der durch den weiten, leeren Raum tanzt,
durch den wir einander anreden, durch den wir
unsere Unschuld beteuern, immer dieselbe,
die stummen Flocken sind unsere Zeugen
und die alten Putzfrauen, die sie aufwischen
und die von jeder Flocke wissen was sie leidet und wie sie heißt.
Description of a Lost Thing (aus Charles Simic "Mein lautloses Gefolge")
It never had a name,
Nor do I remember how I found it.
I carried it in my pocket
Like a lost button
Except it wasn't a button.
Horror movies,
All-night cafeterias,
Dark barrooms
And poolhalls,
On rain-slicked streets.
It led a quiet, unremarkable existence
Like a shadow in a dream,
An angel on a pin,
And then it vanished.
The years passed with their row
Of nameless stations,
Till somebody told me this is it!
And fool that I was,
I got off on an empty platform
With no town in sight.
Zweifel als poetisches Prinzip - Deutschlandfunk
Miron Białoszewski (1922-1983)
STUDIUM DES SCHLÜSSELS
Der Schlüssel
riecht wie Nagelwasser
schmeckt nach Elektrizität
und als Frucht
ist er herb
unreif
an sich ganz und gar
Kern.
„Anders“ schreiben!
Eliterarische Sehtexte und Textbilder
Fertige Collagen an!
1. Schneide Worte aus Zeitungen aus und bilde aus ihnen Haiku- oder Waka-Texten!
2. Klebe die Texte in Bildseiten
3. Schreibe Waka-Texte handschriftlich in Bilder und Fotographien oder auf ungewöhnliche Materialien!
Herta Müller
günter neuenhofer: waka-Spiele
Weggeworfenes
weggestellt am Feldwegrand
nicht zu gebrauchen,
darauf einst jemand ruhte,
den ich nicht kenne
der im Lavendel lebte
im Steinhaus oben
im Paradies im Süden.
5-7-5-7-7; 5-7-5-6-4-3;
7-7-7-7-5; 5-5-5-5-7; 5-5-5-7-7-3
Thema „Menschwerdung“
„Damit ein Anfang sei, wurde der Mensch erschaffen." (Augustinus)
Textauszüge von Samuel Beckett zur Anregung ("Die allerletzte Person. Ich. Schnell weg!" - Deutschlandfunk)
Aufgabe: Wähle Texte aus, und schreibe mehrere Textentwürfe im Stile Becketts.
a) Schreibe in der unsicheren widersprüchlichen Sicht Becketts.
b) Schreibe in einer gegenteiligen, anderswertigen Sichtweise.
Du kannst die Situation eines neu geborenen Kindes wählen oder einen Neuanfang im Leben eines Erwachsenen. Dabei kannst du die Formulierungen Becketts benutzen, indem du sie austauschst und veränderst.
1. „Suchen“
Menschwerdung als Entwurf von Wirklichkeit und als Suche nach Worten, die das Wirkliche suchen.
Wohin ginge ich, wenn ich gehen könnte, was wäre ich, wenn ich sein könnte, was sagte ich, wenn ich eine Stimme hätte, wer spricht so und nennt sich ich? Antwortet einfach, jemand möge einfach antworten…. (IV)
Ich führe das Protokoll, ich führe die Feder, bei den Verhandlungen ich weiß nicht welcher Sache, warum wollen, dass es meine sei, mir liegt nichts daran. Da geht`s schon wieder los, das ist die erste Frage heute Abend. Richter und Partei sein, Zeuge und Anwalt, und der Aufmerksame, der Gleichgültige, der Protokoll führt. Es ist ein Bild in meinem kraftlosen Kopf, wo alles schläft, alles tot ist, noch ungeboren, ich weiß nicht… (V)
Was ist das, dieses unnennbare Etwas, das ich nenne, nenne, nenne, ohne es zu verschleißen, und so was heiße ich Worte. Ich bin eben nicht auf die rechten gestoßen, die, welche töten, aus der Säure dieses ekelhaften Breis sind sie mir noch nicht aufgestoßen, aus diesem Wortbrei, mit welchen Worten soll man sie nennen, meine unnennbaren Worte…. („Texte um Nichts“, I-XIII, S. Beckett)
2. Erträumte Beschreibungen bzw. Wahrnehmungen des Menschen an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit ("Company Gesellschaft Compagnie - Eine Fabel", S. Beckett)
Eine Stimme kommt zu einem im Dunkeln. Erträumen. ("A voice comes to one in the dark. Imagine." 1. Satz, S.7.)
Du liegst im Dunkeln mit geschlossenen Augen und siehst die Szene. Wie du es damals nicht konntest. Die dunkle Himmelskuppel. Die blendende Erde. Du in der Mitte stillstehend. Die Schnürstiefel bis zu den Rändern eingesunken. Die Mantelschöße, ruhend auf dem Schnee. In der alten Melone, der gesenkte alte Kopf, sprachlos vor Angst. Inmitten der Weiden. Inmitten der Weiden auf der Hälfte deiner Strecke zur Heckenlücke. Regungslos die unbeirrten Füße. Du blickst zurück, wie du es einst nicht konntest, und du siehst deine Spuren. (S.63)
Als Greis stapfst du mit kurzen, schwerfälligen Schritten einen schmalen Landweg entlang. Seit dem Morgengrauen bist du draußen, und nun ist es Abend. Einziges Geräusch in der Stille, deine Schritte. Vielmehr einzige Geräusche, denn sie variieren von einem zum andern. Du vernimmst einen jeden und fügst ihn in deinem Kopf zu der immer größer werdenden Summe der vorhergehenden. Du bleibst mit gesenktem Kopf am Rande des Grabens stehen und rechnest alles um in Meter. Nun auf der Basis von zwei Schritten pro Meter Soundso viel sind seit Tagesanbruch denjenigen des Vortages hinzuzufügen. Des Vorjahres. Der Vorjahre. Zeiten, die ganz anders waren als jetzt und doch so ähnlich. (S.21)
I. Tagesschreibsätze
- Denktagebücher 1950 - 1973 von Hannah Arendt. Das "Denktagebuch" enthält wenig Privates. Neben theoretischen Fragestellungen, philologischen Analysen finden sich Gedichte und Eintragungen, die Todesfälle von Freunden betreffen. ...Denken als reine Tätigkeit, und das heißt weder vom Wissensdurst noch vom Erkenntnisdrang getrieben, zu einer Leidenschaft werden kann, die alle anderen Fähigkeiten und Gaben nicht so sehr beherrscht als ordnet und durchherrscht.
- Roman „Jahrestage“ von Uwe Johnson. In 366 Tageseinträgen vom 21. August 1967 bis zum 20. August 1968 wird das Leben der Gesine Cresspahl erzählt. Das Werk enthält Eigenwilligkeiten in Sprache und Grammatik, die weder der alten noch der neuen deutschen Rechtschreibung entsprechen, sondern zu den „Markenzeichen“ des Autors gehören. Gerade weil er sich über den offiziellen Regeln stehend wähnte, wirkte er „sprachprägend“. Ein typisches Beispiel für Johnsons Satzbau ist das Schreiben in Parataxen (Aneinanderreihung von Hauptsätzen oder Wortgruppen oder Wörtern).
Der Roman hat mindestens vier Erzählebenen: Jetztzeit 1967-1968, die Erzählung Gesines von der Geschichte ihrer Eltern, die sie ihrer Tochter Marie erzählt, die tägliche Zeitungslektüre Gesines und kurze Gedankendialoge Gesines mit Lebenden und Toten.
Lange Wellen treiben schräg gegen den Strand, wölben Buckel mit Muskelsträngen, heben zitternde Kämme, die im grünsten Stand kippen. ( erster Satz aus Band 1)
Als Gesine Cresspahl im Frühjahr 1961 in die Stadt kam, sollte es für zwei Jahre sein [...] Marie war erst vier Jahre alt [...] Gesine war erleichtert, wenn das Kind nach vieltägigem Betrachten fragte, warum manche Leute hier eine dunkle Hautfarbe haben, oder warum alte Frauen aus dem Schwarzwald Juden sind; das meiste Gespräch war stumm, blickweise, in Gedanken.
Aufgaben:
1. Schreibe einen Monat lang jeden Tag ein Haiku, ein Waka oder ein Zwölfzeilengedicht!
2. Schreibe jeden Tag einen Vers, der die Anzahl von Wörtern enthält, die der Datumszahl des Tages entsprechen!
II. Eliterarisch schreiben
Beispiel: „Losigkeit“ (Lessness, A Story by Samuel Beckett, 1970) 24 Textgruppen von insges. 120 Sätzen
Trümmer wahre Zuflucht endlich zu der seit jeher durch soviel falsche. Weiten endlos Erde Himmel ineinander alles lautlos regungslos. Graues Gesicht zwei blaßblau kleiner Körper Herz schlägt einsam aufrecht. Erloschen aufgesprungen vier Wände auseinander wahre Zuflucht ausweglos.
Ruins true refuge long last towards which so many false time out of mind. All sides endlessness earth sky as one no sound no stir. Grey face two pale blue little body heart beating only up right. Blacked out fallen open four walls over backwards true refuge issueless. (1)
Verstreute Trümmer und Sand durcheinander aschgrau wahre Zuflucht hohler Kubus lauter Licht schiere Weiße Flächen spurlos alles entfallen. Seit jeher nur graue Luft zeitlos Schimäre das schwindende Licht. Aschgrauer Himmel Abglanz der Erde Abglanz des Himmels. Seit jeher nur dies Beständige Traum die schwindende Stunde.
Scattered ruins same grey as the sand ash grey true refuge. Four square all light sheer white blank planes all gone from mind. Never was but grey air timeless no sound figment the passing light. No sound no stir ash grey sky mirrored earth mirrored sky. Never but this changelessness dream the passing hour. (2)
………………………………….
Trümmer wahre Zuflucht endlich zu der seit jeher durch soviel falsche. Seit jeher nur erträumt das Blau in ungestümen Träumen das himmlische Blau der Poesie. Licht Weiße greifnah Kopf durch ruhiges Auge ganz bei Sinnen alles entfallen.
Ruins true refuge long last towards which so many false time out of mind. Never but imagined the blue in a wild imagining the blue celeste of poesy. Light white touch close head through calm eye light of reason all gone from mind. (21)
Wörter werden wie abstrakte Farbtupfer und musikalische Elemente verwendet, die sich als Motive wiederholen und neu gemischt werden, und so entsteht ein ästhetisch wahrnehmbares „Wortkunstwerk“, dessen inhaltliche Seite nur assoziativ erfasst werden kann. (s. Possible Lessnesses.)
Tages- und Haikuschreibsätze der Maitage 2014 (Auszüge) von G Neuenhofer
1. "Endlich"
Jetzt Sonnenwinde
Pinien brennen auch dir
Tatoos in die Haut
5. "Vielleicht schon oder doch anders"
Gelb ginstert ein Duft
verdrängt von Weißdornblüten
unter Globusblau
8. "Schon morgens Tanz mit den Bienen beim Baguette"
Tanz mit den Bienen
auf den Blüten des Weißdorns
so hornt der Esel
15. "Nach dem Absturz findest du im fremden Duftbad des süßen Honigs einen Geschmack von Jenseits."
Nach einem Absturz
Geschmack des Jenseitigen
im Tanz der Bienen
23. "Wir gehen Gänge irr beim Schreiben, wirren denkend Gedachtes wirr, bringen Wirres in irre Worte, irren irreparabel - dass es so ist, ist irre."
Schreibgänge sirren
bringen wirr wirre Wörter
irren dass es ist
24. "Es drückt sich aus, ist schon da, wird gewortet, geworfelt, gesprochen, drückt sich in Worten aus, wird gefunden, geschrieben, liegt schon als Urdruck vor."
Geworfelte Worte
liegen in Urschriften vor
schreibend gefunden
25. "Am Ende einer Pilgerfahrt zu einer grünen Landzunge, gepudert mit Kunstobjekten, verzwitscherte uns eine Sternenstimme sambamäßig unseren guten Geschmack und kolorierte lautstark unser Gehör."
Landzungenpuder
dunkles Sternengezwitscher
kolorierte uns
Beschreibungen alltäglicher Beobachtungen in strukturierter Prosa und in Versform
1. Prosa-Text
In ihrer Vorlesung, die sie im Rahmen der Tübinger Poetik-Dozentur 2006 hielt, reflektierte Terézia Mora über den Beginn ihrer schriftstellerischen Existenz. Ihr erster literarischer Text, die 1997 entstandene Erzählung „Durst“, habe sich „quasi aus dem Nichts heraus“ entwickelt. Ausgehend von einem ersten lapidaren Satz, „Großvater trinkt“, habe eine komplexe Idee zur Sprache gefunden und geradezu zwanghaft einen Schreibprozess ausgelöst.
„Der Satz, den ich dachte, war dieser: Großvater hat so lange getrunken, bis er vergessen hat, dass wir uns geliebt haben. Der Satz, den ich schreiben würde, war: Großvater trinkt.“ (Stil: Wiederholungen, kurze Sätze, Reihungen)
Großvater ist tot.
Großvater trinkt. Er sitzt allein in der Küche. Matt glänzen die gelbweißen Fliesen mit den aufgeklebten Kirschen. Stille. Eine Stille, als wäre die Welt ausgeschaltet. Die Flasche ist grün und birgt rote Flüssigkeit. Großvaters Bewegungen, wie er das Glas auf das Wachsleinen stellt, vorsichtig, bedächtig, schwer, damit es ja nicht runterfällt. Wie er zur Weinflasche greift, den Korken mit der Hand abzieht, wie er eingießt. Der Wein läuft fast über: Er wölbt sich leicht aus dem Glas. Großvaters zitternde Rechte. Sie führt das Glas zum Mund. Die linke Hand führt die rechte. Etwas Wein schwappt über den Rand, über die Hände, färbt die Manschetten des Hemds. Mit vorgeschobener Oberlippe, vorsichtig, als könnte er heiß sein, schlürft er den Wein vom Glasrand. Und trinkt ihn hinunter. Hinunter in eine Tiefe, die außerhalb seines Körpers liegen muss. Er trinkt ihn irgendwohin, in einen endlosen, dunklen, salzigen Schacht. Er senkt das Glas. Sein Adamsapfel fährt ein letztes Mal hoch und wieder runter, seine zitternden Augenlider beruhigen sich. Er setzt das Glas ab. Neben die grüne Flasche. Sie ist leer.
Großvater trinkt.
„Die Länge schätzte ich auf 15 Seiten. Schließlich wurden es 18, und ich brauchte noch fast einen Monat dafür. Juni 1997…
Wenn ich heute einen Text schreibe, habe ich vor seiner Entstehung quasi eine Luftaufnahme von ihm. Ich weiß (meistens), ob er 4, 35 oder 400 Seiten lang sein wird. Die Idee, die ich habe, ist komplex: Sie enthält sowohl die groben Linien wie auch einzelne kleine Details der Handlung, sogenannte Motive, eventuell schon die eine oder andere Wendung, Wörter, die wichtig sein würden, ebenso eine wenn auch nicht vollständige Topographie.“
(http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/articleEWAEG-1.125460)
Mögliche Schreibansätze: Er tut etwas … Ich sehe … Ich höre …
2. Klassische Versformen:
Volksliedstrophe: 4 Zeilen, vierhebig, Kreuzreim abab
Beispiel: Peter Gan „Damals“ (Anfangsstrophe)
Lass mir den Geschmack am Damals
vor der Zukunft ist mir bang,
weil es immer anders kam als
ich es hoffte, lebenslang.
Doppelvers: 2 Zeilen, fünfhebig, Paarreim
Beispiel: Theodor Kramer „Das Blechdach“
Mein Zimmer ist das höchste hier im Haus;
es streckt vorm Fenster sich ein Blechdach aus.
Die Jahre lasten auf mir altem Mann;
Es sammelt sich auf ihm viel Unrat an.
Verputz und Staub, der Rost, der es zerfrisst,
Der grün verdorrte, scharfe Taubenmist.
Papier, zerknüllt, von meinem Tisch und Fach.
Der Regen schlägt wie Erbsen hart aufs Dach,
Der Nebel wird zum Reif, die Glut zum Stich;
So leben wir dahin, das Dach und ich.
Aufgabe: Schreibe jede Woche einen Text, zunächst eine Beobachtung in Prosa, und setze danach den Text um in eine klassische Versform!
Es geht.
Er lebt
Er bewegt sich. Er läuft von hier nach dort und zurück. Dort sitzen fünf Eingeladene an einem Tisch. Die weißen Teller vor ihnen stehen auf einer roten Stoffdecke neben drei unterschiedlichen Gläsern. B lacht die Gäste an. Ha, hahaha. Wie schön es ist mit euch. Ein Gläschen Alkohol, komm, ich auch, ein Gläschen Kräuterschnaps. Die Kochwärme dünstet aus seinem Hemd, steht in seinem Gesicht. Er kann nicht ruhig sitzen. Etwas Wein, den weißen du, aber auch den roten, du etwas Wasser. Etwas roter Wein schwappt über auf die rote Decke. Ach, schnell weggeputzt mit einer Serviette. Gebückt zur Küchenseite hin reicht er eine runde Kristallschüssel rüber. Grüne Salatblätter liegen zwischen roten Tomatenstücken und schmalen Zwiebelscheiben. Seine langen Arme greifen nach einer weißen Porzellanschüssel mit kleinen geschmorten Kartoffelstücken. Eifrig, schnell schaufelt er mit einem metallenen Löffel die Kartoffeln auf die Teller der Gäste. Noch etwas, ja etwas noch, hier, ja das ist richtig. Aus dem Ofen holt er einen Glasteller mit hellen Fleischstücken. Putenteile, ja Putenfleisch. Über den Glasteller gebeugt zu den Gästen hin, geneigt über ihre Schultern, stellt er den Teller auf den Tisch, dreht seinen Kopf seitwärts, haha, nehmt, jaja, nimmt seinen Holzstuhl mit beiden Händen, schiebt ihn nahe heran, setzt sich, steht auf, stößt an, läuft, holt ein neues Glas für Wasser. Hier, oder, genug, da nimm. Wie geht es M. - dann kannst du - nein - vielleicht - so - war das schön - wir leben - sagt man.
Er steht auf. Er bewegt sich.
Er lebt.
Meine Gäste hier am Tisch
sind mir das Liebste, was ich hab.
Wenn ich Bier mit ihnen zisch
hab ich alles, was ich mag.
g.n.
Es schreibt
Sie ist da.
Sie schreibt. Sie sitzt allein in ihrem Zimmerchen. Verstaubt vergilbt schauen die Gesichter aus früheren Sommertagen. Ruhig glücklich. Die geschlossenen Augen nach Innen. Das kalte Nordlicht zeigt viele bunte Dinge. Erinnerungen. Sie sticht die Buchstaben in die Tastatur, schnell, ohne Pause, damit der Faden nicht reißt. Wie sie zur Wasserflasche greift, den Hals der Flasche fasst, einen großen Schluck in den Mund gießt. Einige Tropfen glänzen auf ihren Lippen. Sie wölben sich leicht vor. Die linke Hand am Mund, mit dem Handrücken drückt sie die Tropfen nach oben über ihre linke Wange und den Backenknochen zum Augenwinkel und zur Schläfe, kühlt ihre weiße Haut, als ob sie brenne vom inneren Feuer beim Schreiben. Die Wörter fließen, zeigen ihr „Das bin ich“, hier werde ich unsterblich für euch. Liebe euch. Sie senkt ihre linke Hand auf die Tastatur des Laptops. Die Buchstaben klappern hinaus auf den Bildschirm, in die Welt, werden zu Papier. Hier meine neue Erzählung für euch. Sie sitzt allein in ihrem Zimmerchen vor den vergilbten Gesichtern.
Sie ist
wieder da.
Mein Zimmer ist das kleinste hier im Haus.
Ich steche hinterm Fenster meine Buchstaben aus,
denn nur als Buch bin ich glücklich, das glaubet mir,
als Autorin geprintet gesehen nicht so wie hier.
Literarische Stilmittel, Strukturen und Themen in Beispielen von Ernst Jandl, Kiwus und Krechel
1. Konjunktiv I (Präsens) als literarisches Stilmittel
s.a. VHS-Bocholt, 30.3.2011
Beispiel:
Ernst Jandl, Hörstück „Aus der Fremde“
ob er
noch was
essen wolle
ob sie
auch
tatsächlich satt sei
das verderbliche
werde er hinaus
in kühlschrank tun(I,1-3)
dass er die augen öffne
dass er das bettlicht lösche
dass er die augen schließe (7,29)
2. Litanei (Wechsel zwischen Präteritum und Präsens)
Jandl, „Das Röcheln der Mona Lisa“, 1970, Sieben Hörstücke,
Liebe Liebe Liebe
Liebe Liebe Liebe Liebe
ich war eingehüllt
ich werfe es ab
ich war Fleisch
ich werfe es ab
ich war Seele
ich werfe es ab
ich war Mensch
ich werfe es ab
…..
3. Parodistische Gegenstücke zu Rilke von Jandl
rilkes glas
rilke nahm ein glas
füllte es mit wasser
hob es zum mund
trank
rilkes name
rilke
sagte er
nach seinem namen gefragt
rilke
sagte man
nach seinem namen gefragt
oder
kenn ich nicht
rilkes atmen
1
rilke
atmete
die luft
die gute luft
2
rilke
atmete
pausenlos
Weitere Themen im Rilke-Zykls von Jandl: rilkes hand, - schuh, - augen, - boot, - nase („Die Bearbeitung der Mütze“, 1981)
Karin Kiwus (* 9. Nov. 1942 in Berlin)
Karin Kiwus erhält Wiesbadener Lyrikpreis „Orphil“. Die 71-jährige Berlinerin wurde am Freitag 6.6. für ihren Band "Das Gesicht der Welt" geehrt, der ihre Gedichte von 1976 bis 2006 bündelt.
Im ersten Licht
Wenn wir uns gedankenlos getrunken haben
aus einem langen Sommerabend
in eine kurze heiße Nacht
wenn die Vögel dann früh
davonjagen aus gedämpften Färbungen
in den hellen tönenden frischgespannten Himmel
wenn ich dann über mir in den Lüften
weit und feierlich mich dehne
in den mächtigen Armen meiner Toccata
wenn du dann neben mir im Bett
deinen ausladenden Klangkörper bewegst
dich dumpf aufrichtest und zur Tür gehst
und wenn ich dann im ersten Licht
deinen fetten Arsch sehe
deinen Arsch
verstehst du
deinen trüben verstimmten ausgeleierten Arsch
dann weiß ich wieder
daß ich dich nicht liebe
wirklich
daß ich dich einfach nicht liebe
(Karin Kiwus, 1976)
Lösung
Im Traum
nicht einmal mehr
suche ich
mein verlorenes Paradies
bei dir
ich erfinde es
besser allein
für mich
In Wirklichkeit
will ich
einfach nur leben
mit dir so gut
es geht
Ursula Krechel (*4.Dez.1947, Trier) erhielt den Lyrikpreis "Orphil" 2012 insbesondere für ihre beiden Bände "Stimmen aus dem harten Kern" sowie "Jäh erhellte Dunkelheit".
Litanei
Wer wollte denn, schrie ich noch einmal
wer wollte dem wiederholten Schrei
schrie ich wieder als sei`s
doch übermütig der Kuckuck gewesen
wer wollte ihm Glauben schenken verzerrt in den stereophonen Ohren
schrie ich noch einmal
…..
man kann`s nicht sprechen ein Schrei
wer wollte ihn hören, wenn ich noch einmal
schrie als sei`s der Kuckuck wieder
schrie ich noch einmal
(Aus Ursula Krechel „Ungezürnt“, 1997)
Literaturwerkstatt 9
(25.6.2014)
Aufgabe: Tagebuch-Zyklen schreiben.
An möglichst vielen Tagen im Juli ein tagebezogenes Stichwort oder einen Satz aufschreiben und diese anschließend in eine literarische Form (z.B. Haiku, Elfchen, Litanei, Reime u.a.) setzen. Nutze inhaltliche Bezüge von Tagesereignissen (Formulierungen aus Zeitungen in Bezug auf Sport, Politik u.ä.) und auch formale Bezüge zu den Tagen, z.B. die Daten, die Anfangsbuchstaben der Wochentage.
Es sollten inhaltliche und formale Einheiten entstehen. Der rote Kettfaden bildet eine sich wiederholende Form oder ein inhaltliches Motiv.
Literaturwerkstatt 10
(30.7.2014)
Reduktion auf Farbwörter – „Minimal Art“ – Vergleich Malen und Schreiben
Fixierung auf ein Wort oder wenige Wörter, z.B. auf ein Farbwort, vgl. das gemalte Blau bei Yves Klein, das Gold bei Byars, das Schwarz bei Malewitsch u. a.
Farbe war für den französischen Künstler Yves Klein materialisierte Sensibilität. In der Monochromie sah er die Möglichkeit, expressionistische und kompositionelle Elemente in der bildenden Kunst zurückzudrängen und die Empfänglichkeit des Betrachters für die Erfahrung des Sehens, Denkens und Fühlens zu wecken. „Es wird keine Zeichnung, keine Linie, keine Form mehr geben, nur mehr Einfarbigkeit, die schön gleichmäßig auf der Leinwand verteilt ist..." Ein Leben in Blau: Farbimpulse
Farbfeldmalerei (Color Field Painting oder Post-painterly-abstraction - Nachmalerische Abstraktion). Was einst Rodtschenko mit seiner Bilderserie Rot, Gelb, Blau 1921 als Ende der Staffelei-Kunst deklarierte, war knapp fünfzig Jahre später mit Barnett Newmans Bilderfolge Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue? der Anfang einer neuen Malerei, die allein durch Farbe brillierte.
Frühe rundet regen Blau (Kurt Schwitters)
Runde das Grün
Schlafe maies Land
Grüne Tropfen tropfenweise
Leise Tropfen tropfen leise
Runde schlaf Land
Schlafe grüne Tropfenwiese
Grüne Tropfen sanften Lied
Grünen Grüne grün.
Ernst Jandl 1957
schwarnze fahne
schwarnze fahne
drünes dach
drünes dach
schwarnze fahne
schwarnze fahne
drünes dach
ein drünes dach
schwarze dinge (E.Jandl)
die nacht ist schwarz
ihre laden enthalten
schwarze dinge
das verlangen ist groß
einmal herauszuziehen
diese schwarzen laden
und ihren schwarzen
inhalt befühlen.
um berauschendes/zu befühlen.
um sich an befühltem
zu berauschen.
Blaues Pferd (Sylvia Geist)
Ich fand die Farbe deines Hemdes
gestern in einem geliehenen Buch,
also soll es dieser Stoff sein,
der den Abend schultert, mimetischer
Flachs, das Watt der Fältelung
über der Armbeuge, die Variation
von Bewegungsfreiheit, Regungsfreiheit,
bloß sämtlicher reglos, so wie ich auch
das blaue Pferd oben am Haus
besteigen,….
Elias Canetti: Die gerettete Zunge, Geschichte einer Jugend, Teil 1
Meine früheste Erinnerung ist in Rot getaucht. Auf dem Arm eines Mädchens komme ich zu einer Tür heraus, der Boden vor mir ist rot, und zur Linken geht eine Treppe hinunter, die ebenso rot ist. Gegenüber von uns, in selber Höhe, öffnet sich eine Tür und ein lächelnder Mann tritt heraus, der freundlich auf mich zugeht. Er tritt ganz nah an mich heran, bleibt stehen und sagt zu mir:“ Zeig deine Zunge!“ Ich strecke die Zunge heraus, er greift in seine Tasche, zieht ein Taschenmesser hervor, öffnet es und führt die Klinge ganz nahe an meine Zunge heran. Er sagt: „Jetzt schneiden wir ihm die Zunge ab.“ Ich wage es nicht, die Zunge zurückzuziehen, er kommt immer näher, gleich wird er sie mit der Klinge berühren. Im letzten Augenblick zieht er das Messer zurück, sagt: „Heute noch nicht, morgen.“ Er klappt das Messer wieder zu und steckt es in seine Tasche.
Jeden Morgen treten wir aus der Tür auf den roten Flur…… Ich weiß, dass er sie mir abschneiden wird und fürchte mich jedes Mal mehr. Der Tag beginnt damit, und es geschieht viele Male.
Ich behalte es für mich und frage erst sehr viel später die Mutter danach. Am Rot überall erkennt sie die Pension in Karlsbad…
s. Romantitel: „Meine nachtblaue Hose“ von David Wagner
Aufgabe: Schreibe einen Text, in dem eine Farbe eine wichtige Rolle spielt!
Rosa rubicundior,
lilio candidior,
omnibus formosior,…
Röter als die Rose,
weißer als die Lilie,
schöner als alle,
stets erwerbe ich Ruhm durch dich.
Carmina Burana (20. Veni, veni, venias)
Die Anfangssätze der ersten Abschnitte in "Die Bienenväter" von Lars Norén.
Ein Roman in 71 Stationen. Notizen aus einer gottlosen Welt. – „Meine Erzählung ist lakonisch, sie verrät keine Gefühle." Vor diesen ist Simon auf der Flucht, vor sich und vor der Polizei, vor seiner Vergangenheit, dem Vater, dem er entfremdet ist, der gestorben ist und für dessen Begräbnis Simon nun Geld braucht
1
Es fing wie ein ganz normaler Freitag an, mit einer Tasse Kaffee…(5 Zeilen)
2
Dann, ja, dann…(12 Zeilen)
3
Als ich zurückkam, war bereits…(19 Zeilen)
4
Hinter der Tür saß ein Polizist…(148 Zeilen)
5
Das Mädchen, das…(8 Zeilen)
6
Der Tag verging langsam…(278 Zeilen)
7
Es hatte seit Juli nicht mehr ordentlich geregnet, und…(22 Zeilen)
Aufgabe: Schreibe einen ähnliche Satzfolge zum Thema „Erinnerungen“ !
Vgl. Der Butt (Günter Grass): neun Kapitel. Auf der zweiten Erzählebene gleichen die neun Kapitel den neun Monaten der Schwangerschaft von Ilsebill, der Frau des Ich-Erzählers der Gegenwart und personifiziertes Sinnbild der Frau an sich. Um auch der dritten, küchengeschichtlichen Ebene Tribut zu zollen, lässt Grass über die Kapitel hinweg neun bzw. elf Köchinnen erscheinen.
Mögl. Romananfänge nach Lodge, David: [1993] Die Kunst des Erzählens
„Sicher beginnt die Schöpfung eines Romans höchst selten mit der Niederschrift seiner ersten Worte. Fast alle Schriftsteller leisten Vorarbeit, indem sie den Handlungsverlauf skizzieren, Lebensläufe für ihre Figuren zusammenstellen, eine Fülle von Ideen zu Schauplätzen, Szenen und Situationen, Sentenzen sammeln, um daraus im Schreibprozess zu schöpfen.“
• Standardbeschreibung einer Landschaft oder Stadtkulisse
• mitten im Gespräch einsetzen (vgl. szenische Eröffnung)
• Selbstvorstellung durch den Erzählers
• eine schroffe Geste gegen die literarische Tradition (z.B. gegen die Autobiographie
• eine philosophische Überlegung
• eine gefährliche Situation für eine der Figuren
• eine Rahmenerzählung, die erklärt, wie es zur Entdeckung der Haupterzählung kam, oder die zeigt, wie sie einem fiktionalen Publikum erzählt wird.“ (z.B. Conrads „Herz der Finsternis“)
Anfangssätze
1. Vor einem Jahr kam mein Vater auf die denkbar schwerste Weise zu schaden, er starb.
Jurek Becker, Bronsteins Kinder
2. Falls Sie wirklich meine Geschichte hören wollen, so möchten Sie wahrscheinlich zuerst mal wissen, wo ich geboren wurde und was ich für eine beschissene Kindheit hatte und womit meine Eltern beschäftigt waren und so, bevor sie mich hatten, und diesen ganzen David-Copperfield-mäßigen Scheißkram, aber ich habe keine Lust darauf.“ (J.D: Salinger, Der Fänger im Roggen)
3. Es wäre vielleicht dramatisch überaus wirkungsvoll, wenn ich meine Geschichte in dem Moment anfangen ließe, als mich Arnold Buffin anrief und sagte: "Bradley, kannst du bitte mal herüberkommen, ich glaube, ich habe eben meine Frau umgebracht. (Der schwarze Prinz - von Iris Murdoch)
4. Der lange, lange Pfad über das Moor in den Wald hinein - wer hat ihn ausgetreten? (Segen der Erde - Knut Hamsun)
5. Obwohl die Sonne strahlend schien, war am Samstag wieder Mantelwetter, nicht Jackenwetter, wie es die ganze Woche über gewesen war und alle es sich für dieses wichtige Wochenende erhofft hatten... („Franny und Zooey“, Salinger)
6. Ilsebill salzte nach. (G. Grass, Der Butt)
7. Ein Orkan, das war ein Vogelschwarm hoch oben in der Luft; ein weißer Schwarm der rauschend näher kam und plötzlich nur noch die Krone einer ungeheuren Welle war, die auf das Schiff zusprang. (Die letzte Welt - Christoph Ransmayr)
s. Lit.kurs „Literarische Kunststile“ von 11.9.2013
8. Wenn wir uns, wie zwei Versteinte, zum Essen setzen oder abends an der Wohnungstür zusammentreffen, weil wir beide gleichzeitig daran denken, sie abzusperren, fühle ich unsere Trauer wie einen Bogen, der von einem Ende der Welt zum anderen reicht - also von Hanna zu mir -, und an dem gespannten Bogen einen Pfeil bereitet, der den unbewegten Himmel ins Herz treffen müsste. (Ingeborg Bachmann, Erzählung "Alles")
9. Es war ein verrückter, schwüler Sommer, der Sommer, als die Rosenbergs auf den elektrischen Stuhl kamen, und ich wusste nicht, was ich in New York sollte. (Sylvia Plath, Die Glasglocke )
Mögliches Ende einer Geschichte
(nach Gesing, Fritz: Kreativ Schreiben. Handwerk und Techniken des Erzählens, 1994 )
• die Geschichte endet linear: als Happy End, als Katastrophe, als Ende mit dem Erreichen eines Ziels (Pfeilstruktur)
• die Geschichte endet nach einer Kreisbewegung mit Rückkehr und Heimkehr.
• die geschilderten Modelle symbolisieren eine sich rundende oder ans Ziel kommende Ordnung. Um einer falschen Versöhnung und einem verlogenen kitschigen Schluss zu entgehen, gibt es die Möglichkeiten eines offenen Schlusses – der Leser muss selbst die Lösung finden -, eines ambivalenten Schlusses und eines überraschenden Schlusses durch eine verblüffende Pointe. (Wie interpretiert man einen Roman? )
Aufgabe: Suche erste und letzte Sätze einer Geschichte, die Dir gefallen.
Prosa in Verse umsetzen und Variationen zu Gedichten schreiben
Schreibimpulse
1. Prosa in Verse umsetzen
Ausgangstext für ein vierzeiliges Gedicht
»Den 20. Jänner ging Lenz durchs Gebirg. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Täler hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen. Es war nasskalt; das Wasser rieselte die Felsen hinunter und sprang über den Weg. Die Äste der Tannen hingen schwer herab in die feuchte Luft. Am Himmel zogen graue Wolken, aber alles so dicht – und dann dampfte der Nebel herauf und strich schwer und feucht durch das Gesträuch, so träg, so plump. Er ging gleichgültig weiter, es lag ihm nichts am Weg, bald auf-, bald abwärts. Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, dass er nicht auf dem Kopf gehn konnte.« (Georg Büchner, »Lenz«)
„…ging Lenz durchs Gebirg“
Könnte er anders als auf den Füßen
übers graue Gestein hinauf
durch den Nebel in den Himmel.
Sein Leben wäre so wunderbar froh. (g.n.)
Von Jandl weg auf Jandl zu - Reinhard Urbach (Hrsg.)
47 Begegnungen und Überlegungen. Wien, 2009. 108 S. Literaturhaus Wien: Urbach_Jandl
Beispiel:
Ernst Jandl
das leben
wird länger
und länger
nämlich kürzer
und kürzer;
es zieht sich nicht
lebenslängen (Elfriede Gerstl)
lang
lang
lang
kränkung
krankheit
kummer
kurzes glück
es gibt keinen plan
man kann auch keinen machen
zufällig zerstört der zufall
dies und das
warts ab
II.
tek, tek, tek
legt lange zu
ein sinniges fenster
ein sonniges glück
du denkst
du kannst
du greifst
es ist unfassbar (g.n.)
3. Schreibe eine Variation zu Jandl („schweres wort“)
schweres wort (Ernst Jandl,11.11.78, der gelbe hund. S.71)
leben tu ich ununterbrochen; was dann kommt
ist vielleicht ein schweres wort, hase vielleicht.
auch in einem fort ist leben möglich:
leben tu ich in einem fort; was dann kommt
ist vielleicht ein schwerer hase. ja, jedes wort
kann ich dafür verwenden, ohne dass es verschwindet
wörterschwall
aufs neue schreib ich immer wieder wort für wort
ein lahmes wort, vielleicht ein igel, nein kein hase
mag sein nur fort und fort so geht es
lesen nicht so sehr will ich schreiben wort nach wort
kommt dann vielleicht ein wortschwall ohne punkt
ein ausgerollter igel, den niemand fassen kann (g.n.)
Beispiel: Dialekttexte
apocalypse soon (Ernst Jandl)
maunchmoe howe des gfüü
de wööd schded fuan untagaung
daun dafaunge me und sog ma
des gütt nua fia mii
d' abbokalibbse, jo hau (Friedrich Achleitner)
dö weijd di ged undda
ob im schlof oda mundda
und i – mit valaub
moch mi zeaschd ausn schdaub
Hypnosetexte: „Das Atmen fließt ganz von selbst. Von deinem Kopf an beginnt die Entspannung nun durch den ganzen Körper zu fließen...“
Farben fließen lassen1. Installation im Zürcher Helmhaus 2003. Damals war das gesamte Museum geleert worden, sogar die Cafeteria und die Garderoben. Alle Öffnungen wurden geschlossen. Im ganzen Haus flossen von den Oberkanten der Wände Farbe und Wasser. Die Farben waren eine Realität im Raum.
2. Soundinstallation des Schweizer Konzeptkünstlers Daniele Buetti, eine 25-minütigen Audioerfahrung in der Schirnhalle Frankfurt, die das Publikum mit Hypnosetechniken unmittelbar einbindet. Die sprachliche Vergegenwärtigung unterschiedlicher Farben – Orange, Gelb, Grün, Blau usw. – wird in Buettis Hypnose genauso suggeriert wie deren psychischer Effekt. DANIELE BUETTI - IT'S ALL IN THE MIND - (HÖRPROBE) aus
Aktionen des Schweizers Buetti
1. Installation im Zürcher Helmhaus 2003. Damals war das gesamte Museum geleert worden, sogar die Cafeteria und die Garderoben. Alle Öffnungen wurden geschlossen. Im ganzen Haus flossen von den Oberkanten der Wände Farbe und Wasser. Die Farben waren eine Realität im Raum.
2. In einer Frankfurter Installation sind die Farben eine Realität in der Vorstellung. Farben werden im Kopf erzeugt, um sodann durch den Körper zu fluten: Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau und Violett.
„Du merkst, wie diese Energie auf allen Ebenen deines Seins eine positive Wirkung entfaltet. Wenn du nun ausatmest, verlässt der Strom der gelben Energie deinen Organismus und nimmt alles mit, was er mitnehmen kann an Spannungen, an Blockaden. Deutlich kannst du wahrnehmen, wie sich deine Entspannung immer mehr vertieft.“
Sprache fließen lassen
„Ich schreibe ja keine Sentenzen oder Aphorismen, sondern da spielen Reime, Halbreime und Assonanzen hinein.. . „Der Grundimpuls war, der Bewegung einer Hand auf dem Papier zu folgen… Bevor ich eine klare Wahrnehmung hatte, spürte ich die Bewegung. Und überließ mich ihr. In diese Bewegung dann mischte sich Farbe, Anschauung, Reflexion, bis jene Komplexität entstand, ohne die ich mich nicht zufrieden geben kann… Ich kenne meinen Text selber nicht zur Genüge." (Zur Entstehung des Textes „Liniatur“in "Steppe")
Spiel mit Referenzen: Referenzen intertextueller Art (Zitate, Motti) und gattungsmäßiger Art (Lamento, Litanei, Lied, Rap, Minidrama). Ferner ein Dialog mit dem Englischen, das einen wesentlichen Teil der von mir angestrebten Polyphonie ausmacht. Welthaltigkeit definiert sich nicht in erster Linie über das Sujet, sondern über dessen künstlerische Verarbeitung. Love after love ist ein manisch-monologisches Zwiegespräch in acht Varianten.
Ilma Rakusa: Love after love
Limbo (III)
zerredet
zerfleddert
zerstückelt
zerschlagen
zerrissen
…zerkaut
…zerliebt
(insges. 23 Partizipien)
That`s it, I say.
My sky fell on the street.
Und Schweigen
(3 Seiten weiter, folg. Schlussverse)
wie weiter
bed
breath
death
nein
(„to be in limbo“: in der Luft hängen.Tanz nach einem Begräbnis, "Vorhölle")
Lament
Am Faden deiner Orte entroll ich dich
entlass ich dich
den Ungehabten
hinein ins Hügelland
an den Kieselstrand
von Chesil Beach…
(63 Ortsnamen werden aufgelistet)
......
Es war einmal ein Mund, der sagte : du
es war einmal eine Hand, die brachte Ruh...
(11 mal "es war einmal,..")
...
Himmel
wo bleibst
du
(„lament“: Klage als Ausdruck der Trauer über einen Verlust.)
NEVERMORE
Jetzt ist die Angst der Hase und trägt mich fort…(10 Seiten folgen. Schlussverse:)
Wow.
Der Traum ist aus.
Die Tage Schatten. Jeder so grau wie der andre.
Nevermore.
You realize?
verschenkte Zeit, der Herbst fällt in die Beete. Blätter fallen wie von weit.
Wir sind entzweit.
Und was ist nun.
Und was ist.
Und was.
Und.
(Zitate aus “Raven” von E.A.Poe: “Quoth the raven: Nevermore.”und aus “Herbst” von R.M.Rilke: „Die Blätter fallen, fallen wie von weit…“)
In den Pausen zwischen den Bäumen: Schnee
in den Räumen zwischen den Worten: Schnee
in den Mulden zwischen den Häusern: Schnee
in den Gärten zwischen den Zäunen: Schnee
In den Teichen zwischen den Kneipen: Schnee
in den Löchern zwischen den Eichen: Schnee
in den Träumen zwischen den Feldern: Schnee
in den Tellern und Falten: Schnee.
Hypnoseverse (g.neuenhofer, nov.2014)
Every Time
we touch a new world
atme ein – atme aus
atme deine Bilder
atme Worte
In deine Lungen atme Welt hinein
in deine Brust - in deinen Körper - atme tief
- eine Welt - lass sie fließen
und wieder hinein - in deine Brust - Welt
und heraus
und hinein
strömen Bilder - Worte - tiefer
hinein und heraus
Dein Atem streichelt
über deine Haare deine Stirn
über deine Schläfen streichelt dein Atem
über deine Wangen fließen Worte
übers Gesicht streicheln Worte
Worte rinnen - Worte perlen
Dein Atem fließt
in eine bessere Welt
I get this feeling
every time.
Bildschläge (g.neuenhofer, nov.2014)
Can't you hear my heart beat?
meine Worte in deiner Brust: Bilder
in meinem Kopf deine Worte: Bilder
vor unseren Augen: Bilder
Listen to your heart
when I`m calling for you
in deinen Bildern
in deinen Worten
in deinem Herzschlag
ich in meinen Bildern du
ich in meinen Worten du
ich in meinem Herzen du
Oh deine Wortwelt:
meine Bilder schlagen zu.
Can't you hear my heart beat
before?
inger christensen (Dän., 1935-2009) „…Wenn ich nur ganz still beginnen, mich in die ersten Sätze einschleichen könnte, mich dort wie in Wasser verstecken, fließend davontreiben könnte, bis die ersten kleinen Kräuselungen sich zeigten, fast Wörter, fast Sätze, immer mehr...“''Ein chemisches Gedicht zu Ehren der Erde'' (Archiv)
PROLOGOS
Das. Das war es. Jetzt hat es begonnen. Es ist. Es währt fort. Bewegt sich. Weiter. Wird. Wird zu dem und dem und dem. Geht weiter als das. Wird anderes. Wird mehr. Kombiniert anderes mit mehr und wird fortwährend anderes und mehr.
LOGOS (S.45, DIE BÜHNE/Szenen; S.180, DIE HANDLUNG/Handlingen;S.308, DER TEXT/Teksten; jeweils mit 8 Kapiteln mit jeweils 8 Texten)
EPILOGOS (S.438)
Das (Det)
Das ist es (Det er det)
Es ist das ganze (Det er det hele)
Es ist das ganze in einer menge
Es ist das ganze in einer menge verschiedenes
Es ist das ganze in einer menge verschiedener menschen
(Det er det hele i en masse forskellige mennesker)
In der angst (I angsten)
……
In der angst
In der angst wie ein ausruhn
Angst davor allein zu sein
Angst davor zusammen zu sein
Angst vor dem abgeschlossen
Angst vor dem unabgeschlossenen
Angst vor dem geschlecht
Angst vor dem tode
beginnt überall
überall in einem menschen
……
Es ist zuviel
Es ist unmöglich
Es ist das ganze
Das ist es
Das
Das einzige was wir haben
Das einzige was wir zu tun haben
Das einzige was wir für einander zu tun haben
ist zu sagen wie es ist
ich habe angst (jeg er bange)
zu sein
wie es ist
angst haben (vaere bange)…
„Wenn ich Gedichte schreibe, dann kann es mir einfallen, so zu tun, als schriebe nicht ich, sondern die Sprache selber….Bei Gedichten führt man ein Gespräch mit sich selbst."
Inger Christensen hat in ihrer Lyrik immer wieder gezeigt, wie sehr der Gebrauch verschiedener Ordnungssysteme die poetische Sprache zu bereichern vermag. So bedient sie sich einerseits traditioneller Formen wie der des Sonetts, andererseits entstehen Gedichte unter Verwendung experimenteller, zum Teil mathematischer Verfahren. Die Poesie ist für sie ein Weg der Welterfahrung, „eine Erkenntnisform, wie die Mathematik“. Dabei geht es ihr nicht nur darum, die vermeintliche Dichotomie von Kunst und (Natur-)Wissenschaft aufzulösen, vielmehr bemüht sie sich – in Anlehnung an Novalis –, in ihren Gedichten den „Geheimniszustand“, das „Mysterium“ der Verbundenheit von Natur, Mensch und Wort sichtbar zu machen. Literaturwerkstatt.org :: 2008 (Interview mit Inger Christensen)
Neuenhofer, 2013: Literarischer Gesprächs- und Arbeitskreis, Die Lesbarkeit der Welt durch Sprache und die Erschaffung der Welt durch Sprache, "Alphabet" von inger christensen
Innerhalb des dänischen Modernismus wird christensen der strukturalistischen Systemdichtung bzw. dem sogenannten neurealistischen oder dokumentarischen Postmodernismus zugerechnet.
Cut-up („Schnitt-Schreibweise“ oder: Schnitttechnik) nennt man eine Methode, den Zufall und die moderne Montage in die Literatur einzubeziehen. („cut-up“, amerikan. Engl. für „Schnipsel“, „Notizzettel“).
„Die simpelste Form ist, 2 beliebige Seiten eigenen oder fremden Textes senkrecht zu zerschneiden & die 4 Hälften in vertauschter Reihenfolge wieder zusammenzusetzen. Man beginnt nun über die semantischen Bruchstellen hinwegzulesen.“ (J. Ploog)
Der Zufall als kompositorisches Mittel in Komposition und Interpretation. Bereits im Mittelalter warfen christliche Mönche vier unterschiedlich gebogene Eisenstäbe nach dem Zufallsprinzip, um eine schöne Melodie zu erhalten.
Der Remix nennt man eine Neuabmischung in der modernen Musik und in der Literatur für eine Umarbeitung (Adaption) in eine andere Gattung (z.B. ein Drama zu einem Film).
Permutation (Vertauschung) ist das Durchspielen verschiedener Kombinationen der Elemente eines Wortes, Satzes, Verses oder Textes. " man muß was tun muß man was tun was muß man tun tun muß man was"
Vertreter der englischsprachigen Pop-Lyrik
- Brion Gysin (1916 – 1986. Gysins Gedichte gehorchen dem Permutationsprinzip, I Am That I Am (1960), No Poets Dont Own Words, I Don't Work You Dig, Junk Is No Good Baby (1962) werden Zeile für Zeile durch den Austausch der Worte in Gedichte verwandelt.- The Brion Gysin Reader
"IN THE BEGINNING WAS THE WORD
THE BEGINNING WAS IN THE WORD
THE WAS IN THE BEGINNING WORD
THE WORD WAS IN THE BEGINNING
BEGINNING THE WAS THE IN WORD
WORD WAS IN THE BEGINNING.”
- William Burroughs. "Ich fing also an zu experimentieren", erinnerte sich Burroughs. "Jede erzählende Passage oder jede Passage poetischer Bilder kann beliebig oft variiert werden, und alle Variationen können in sich interessant und gültig sein.
I am right. you are wrong. . " * : + @
you are wrong. I am right. : + @ . " *
I am right? you are wrong. . " * : + @
you are wrong? I am right. : + @ . " *
- Peter Didsbury, (The Butchers of Hull, 1982) Ein Rätsel
Dem Tod nahe, der Staat ist ihm gleichgültig geworden, sitzt Kaiser Justinian
bis spät in der Nacht wach. In Gesellschaft einiger alter Priester sucht er die
makabren Rätsel des göttlichen Willens zu ergründen. An einem anderen Ort
verblutet langsam ein Navigator im Heck eines getroffenen Bombers.
Justinian. Achtzig und ein paar Jahre alt. Ich bringe alles durcheinander.
Navigation ist das, glaube ich. Dunkelheit erschüttert in Aufständen
oder Flak. Gerade so viel Licht, dass es den Tisch beleuchtet.
Licht bleibt ein Problem. Wenn der Mond
durch die Palastfenster scheint, bricht er sich am Boden.
Sie fangen den Mond in Metallschüsseln und machen uns so aus.
Was habe ich hier verloren, vierzig Jahre danach? Oder sind es noch mehr?
Das Rot und Weiß der Karten erinnert mich an die Geschenke,
die meine gebeugten Priester dem Volk überreichen.
Die Hände vorgestreckt, sitzen sie wie erfroren in ihrer Montur.
Die Welt liegt in farbigen Würfeln auf dem Palastboden.
Eine flackernde Kerze. Über Aachen aus den Wolken hinabgetaucht,
das war Anastasis, hell wie der Tag. Und ich war Christus
und streckte die Hand nach Adam aus. Bekam ihn nie zu fassen.
Wie kann dieser unbarmherzige Vogel nur so hoch oben fliegen?
Welches Leben herrscht in der Taube? Wo ist die Dämmerung?
Entweder muss diese Nacht jetzt enden, oder sie wird ewig dauern. Ein Rätsel mehr.
Wieder und wieder stecke ich den Kurs ab, kann uns aber nicht heimbringen.
Anmerkung des Autors: Anastasis bezeichnet den Abstieg des Christus zur Hölle. Ich stellte mir einen Moment der Zeitlosigkeit im Augenblick des Todes vor, in dem diese Seelen aufeinander treffen und sich vermischen.
Albert Ostermaier
lass mich deine jukebox
sein an einer bar in der
hintersten ecke stehen &
warten bis der groschen
fällt & du mich drückst
deinen schoss an mich
lehnst & zusiehst wie ich zu rotieren beginne [ …]“
….du fährst aus deiner haut in
meine und ziehst mir übern
kopf die deine so stellen wir
unsre liebe auf die beine…..
verstrickt
wenn du mit mir fertig bist und
mich aus deinem leben trittst dich
längst mit einem andern triffst
dir die lippen nachziehst und ihn
bitter küsst wenn der wirbel
da in deinem haar das rätsel ….
….und so
träumen wir uns auf deinen lippen
bis die wunde schliesst fort und fort
kälteschutz
du bist gift für mich ich
übergiess deine blonde
cashmerejacke mit benzin
knüll deinen brief als einsteck
tuch in meine brusttasche
und lass mich anstecken
von deinen feuerzungen
und flammenden reden….
Stan Lafleur
„Bei Murat“
ich erinnere mich an dich
du warst sexy hinterm glas
unbaendig & devot als ich
bei murat doener kebap asz
„Punks“
gleitfilm in der birne
schweiszfilm in den schuhn
piercings an der stirne
uebern schlaefen ruhn
buntgefaerbte haare
dosenbiernes glueck
mit dreiszig auffe bahre
zu nem exploited-stueck
meinungsspiele (g.n.)
was soll ich gesagt haben
soll ich das gesagt haben
ich soll das gesagt haben
habe ich das denn gesagt
das habe ich nicht gesagt
ich habe das nicht gesagt
gesagt habe ich das nicht
nicht ich habe das gesagt
ich würde das niemals sagen
niemals würde ich das sagen
das würde ich niemals sagen
noch würde ich das jemals tun
das habe ich nicht getan
ich habe das nicht getan
getan habe ich das nicht
nicht ich habe das getan
wie auch wieso weshalb
täte ich dies oder das
was ich nicht gesagt
niemals denken würde
ich nicht
Weihnacht lässt die Sterne funkeln
dieser Tag dieser heiter geheiligte Abend wie sie uns zwangen zu kriechen wie Hunde auf Händen und Knien die fröhliche Geschäftigkeit die gemeinschaftliche Erwartung wie ein Hund bellen der Abend der aus Kinderaugen blickt der die Kruste des Alltags von unseren Herzen löst wenn wir das nicht taten fingen sie an auf uns einzuschlagen ein Lächeln menschlicher Rührung und Freude auf allen Gesichtern Weihnachts-hüttenflairder süße Klang der alten Lieder verhöre voll harter Arbeit wundervolle Minuten im dunklen Zimmer 20 Stunden in Isolationshaft in Nachtseinsamkeit sie drehten das Wasser in unseren Zellen an dann mussten wir uns da mit dem Gesicht nach unten reinlegen und leise und lind legten sich die Schatten der stillen, geweihten Nacht über die Schlummernden, Braunlockigen nackt bis zum nächsten Morgen in heavenly peace Schlafentzug im Stehen oder in Stress-Positionen bis zu 180 Stunden und der Engel sprach zu ihnen in einen Sarg gezwungen mehrere Tage fürchtet euch nicht
wir taten das was notwendig war ich kann an all das nicht denken ohne dass das Herz mir höher schlägt wir können uns glücklich schätzen Männer und Frauen zu haben die bei der CIA hart arbeiten man träumt vom Schicksal und Rätsel des Menschen die waren einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort stimmet alle ein in den Jubelton
von der Höhe funkeln die Heere der Sterne hernieder klarer glänzender denn je rektale Einläufe Eisbäder Drohungen begreifen was Gnade was Liebe was Hoffnung verdammt richtig jede Weihnacht wieder wird das welterrettende Wiegenkind zur Erde geboren absolut total gerechtfertigt ein Bericht voller Scheiße
und die Hirten kehrten wieder um alle Bush Cheney Ashcroft Rumsfeld Wolfowitz priesen und lobten Gott um alles was sie gehört und gesehen sie sind gute Leute wirklich gute Leute wie denn zu ihnen gesagt war wir haben als Nation Glück dass wir sie haben und alle wunderten sich der Rede die ihnen die Hirten gesagt hatten Ho Ho Ho und froher Schall tönet durch die Lüfte
g.n.
fließend (g.n.)
sachmal
es regnet und regnet
alles wird nass
isch schwör voll krass
dann wächst auch wieder „Gras“
ich sach einfach mal
all is in flow
ich denke
wen kümmert`s
wir sitzen hier inner Höhle
und werden drum nicht nass
es regnet oder so
und wenn's genug geregnet hat
dann hört's auch wieder auf
was schadet das
alles fließt nun mal so
nach uns die Sintflut oder was
denk an die Dings dabei
was hinterher kommt ist egal
wir sitzen im Trocknen und werden nicht nass
und wenn`s brauset und zischt
werden nur die anderen nass
voll korrekt oder so
wir strömen doch alle wieder ins Meer
ich sachmal so
das Wasser gibt es das Wasser nimmt es
(Água dá, água leva)
in Lebensfluten im Tatensturm
Geburt und Grab,
so fließt dat halt
Literaturwerkstatt 2015