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Literarischer Arbeitskreis 2014
VHS-Schreibwerkstatt 2003-2012

Literaturwerkstatt 2013

Materialien (18.12.13)

Dialogisieren durch „Überschreiben“ (Palimpsestieren)                 

Überlagerung eines bereits vorhandenen Textes mit einem neuen, aktuellen Text

„Wir möchten gern wissen, welche Sappho unsere Sappho ist. Deswegen planen wir eine Anthologie mit Gedichten, die ihren Ausgang von Sapphos Poesie nehmen; um sie zu vervollständigen, ihr ein Eigenes entgegenzusetzen, sie zu verstehen, mißzuverstehen, umzudeuten, weiterzugeben, was auch immer Ihr wollt.
Das Buch soll im Herbst 2014 im greifswalder freiraum-Verlag erscheinen. Und dafür bitten wir Sie / Euch um Einsendungen an
info@freiraum-verlag.de Einsendeschluss ist Ende März 2014“.

Sappho (antike griechische Dichterin * zwischen 630 und 612 v. Chr.; † um 570 v. Chr.)

Der Mond ist hinabgesunken,
Das Siebengestirn, und Mitter-
Nacht ist's, es vergeht die Stunde,
Ich aber, ich schlaf' alleine.

Übersetzt von Georg Thudichum (1794-1873)


Göttern gleich scheint jener beglückte Mann mir,
Welcher dir entgegen vor Augen dasitzt
Und in deiner Nähe der Lippe süsses
Tönen dir ablauscht,

Und das Lächeln schauet der Liebesanmuth.
Mir bewegt dies wogend das Herz im Busen;
Denn erscheinst vor Augen mir du, so stockt gleich
Jeglicher Laut mir.

Ja gelähmt erstarret die Zung', und leises
Feuer rinnt dann über die Haut mir plötzlich;
Nacht umhüllt fortan das Gesicht, und gellend
Klingen die Ohren;

Kalter Schweiss entträufelt der Stirn, und Zittern
Fasst mich ganz, und falber, denn Gras, erblass' ich,
Und der Nacht des Todes nur wenig fern noch
Schein' ich [o Atthis.]

Übersetzt von Franz Wilhelm Richter, Aus: Sappho und Erinna von Frz. W. Richter, 1833

Schreibaufgaben:

1. Schreibe ein Elfchen und ein Haiku zu den Sappho-Texten!
2. Wähle ein Bild/Foto und schreibe dazu ein Elfchen!
3. Verändere die Sappho-Gedichte in freier Weise!



Friederike Mayröcker: „Études"

Mitte August die Erde kühlt schon ab schon kühlt die Erde ab weisze Wolken Perücke oh Liebling wie mich dauert dein Verschwinden, Glut deines Herzens nur noch glimmend dein Herz schon fröstelt der Morgen schon dies Frösteln am Morgen Windstille, Keusche am Waldrand träumte es mir die Georginen verblüht...

"alles nur Bricolage"

Bricolage geht auf den Ethnologen Claude Lévi-Strauss zurück, auf  sein Konzept des „Wilden Denkens“ 1962 („nehmen und verknüpfen, was da ist“). Für ihn ist Bricolage die nicht vordefinierte Reorganisation von unmittelbar zur Verfügung stehenden Zeichen bzw. Ereignissen zu neuen Strukturen. Kennzeichen vor allem der Jugendsprachen: „Die spielerische Bastelei mit verschiedenen Sprechstilen.“

Mayröckers Stil: Prosa ohne narrative Zusammenhänge, jeder Einzeltext ist ein assoziatives Geflecht: gewagte Wendungen, abgebrochene Sätze, Zitate, Andeutungen, Überblendungen, Einfälle und Ideen.

Proeme schreiben. Der französische Schriftsteller Francis Ponge hat das gemacht. Es ist ein Mittelding zwischen Gedicht und Prosa. Francis Ponge ist der Poet der Dinge. An der Form müsse der Dichter wie ein Handwerker arbeiten, außerdem gelte es, auf jeden Schein zu verzichten. Bei Ponge ist das Schreiben über die stummen Dinge auch ein Schreiben darüber, wie man das Stumme zu Wort kommen lassen kann.


Michael Hamburger, Baumgedichte (urspr. engl.)

Ulme

Entblößt, wohl langsam,
Baumriese um Baumriese
Weißes Gestänge, löst sich
Die geknopft-gefurchte Rinde,
Bis der letzte Zweig stirbt.
Leichnam um Leichnam
Wird, gefällt und verbrannt
Von uns, ihren Bestattern.

Weide

Lasse den Stamm,

den gefallenen
Oder gefällten, liegen
Über den Bach hin,
Und er wird leben,
Sprießen aus hohlem
Verfaulendem Stumpf oder
Verwurzeln den verlorenen Arm.

Man hacke das trockene Kleinholz,
Zünde es an: es spuckt.

www.folioverlag.com/docs/Leseprobe

Envoi (1968)

Lebt wohl, Wörter.
Ich mochte euch nie,
der ich Dinge und Orte mag und
Leute am liebsten mit geschlossenem Mund.

Das mag ich an euch, Wörter.
Selbstzerstört, selbstaufgelöst
werdet ihr getreu.

Lauft, dann folge ich euch,
um euch nie einzuholen.
Kehrt um, dann laufe ich.

Also lebt wohl.

Envoi (frz. "die (Ab)Sendung"), auf Deutsch auch "Geleit" oder "Sendung", ist die kurze Schluss- und Widmungsstrophe eines mittelalterlichen provenzalischen oder altfranzösischen Liedes.

 

Ungewöhnliche Horizonte der Sprachkunst         

Sinn als Sinnwolke – Schriftsprache wird zur Tonsprache 23.10.13     

Was wird ein Wort sein, wenn ich aufhörte, es zu verschwenden an die Verständigung.
(Oswald Egger)

Das "Verschleifen und Verformen" von Sprache

durch Operationen des Umschreibens, Verbiegens, Umfärbens und Entwurzelns,
durch Neubildung von Wörtern, Dadaismen, historische Sprache, Dialekte, Fremdsprache, Wissenschaftssprache,
durch Vorrang der Klangelemente von Sprache

"timberpoetologie"

…daß Sprechen nicht stets bedeutet, immerhin Figuren ins Spiel zu setzen (non multa sed multum), daß die Sprache »sich nur um sich selbst bekümmert« und daß sie sich bloß nicht verschwenden wird an die Verständigung, die sie verübt: Sanglos ist die Axt, nicht klanglos; die Axt schallt durch den Wald als Selbstflexion der bleiern verbeilten Sprache, welche selbst die partisane Verwüstung und Desertion, die Partition der Partition des Partikulären, ununterdessen deren Winke und Fitzchen aufhob, um schön dem Sinn mit Hieben zur Bedeutung zu verhelfen, dem Durchbrechen der Seele (nur zu ihrem Bräutigam?) selbst die Bresche zu schlagen. D.h., ich haue lediglich getretene Wege, die oft etwas verwachsen tun: daß das Unantastbarste und Zurückgezogenste, vielleicht sogar Politischere – die Amenz der Sprache überhaupt und die der Sprache des Menschen – diese-die durchscheinende Privation plus deren auslichtender Beweggrund sein kann sein. Beitrag 12: Oswald Egger Wie heiße ich noch einmal?
»Timber!«

non multa sed multum:Nicht vielerlei, sondern viel!: Nicht vielerlei treiben, sondern eine Sache intensiv und genau.
Nach Aiunt multum legendum esse, non multa (»Man sagt, es müsse viel, aber nicht vielerlei gelesen werden«; Plinius, Epistolae VII, 9, 15)

Die Lesbarkeit der Welt durch Sprache und die Erschaffung der Welt durch Sprache

Inger Christensen:
„Wiedererkennen, was man nie zuvor gesehen hat.“
"- in der Schwindligkeit Wohnung zu nehmen"

"Es könnte Wörter geben / die aus sich heraustreten / als Realitäten"
(Inger Christensen in "det" (es), 1969)

Inger Christensens "Alphabet" ist aus vierzehn Buchstaben komponiert; eine Benennung der Welt, eine Inventarisierung des Vorhandenen. Sie spricht,… damit nicht Fortschritt komme, sondern Vereinigungen; die Wörter berühren einander, die Dinge berühren einander… (Peter Waterhouse). Bilder und Worte werden wie zufällig aneinander gereiht und eröffnen so ganz neue Sinnstrukturen, Blickweisen, Einsichten.

Die vierzehn Abschnitte von "Alphabet" fangen jeweils mit einem der ersten vierzehn Buchstaben des Alphabets an.

Die Aprikosenbäume gibt es, die Aprikosenbäume gibt es

aprikostraeerne findes, abrikostraeerne findes (dänisches Original)

Die Farne gibt es; und Brombeeren, Brombeeren
und Brom gibt es; und den Wasserstoff, den Wasserstoff

bregerne findes; og brombaer, brombaer
og brom findes; og brinten, brinten

Die Zikaden gibt es; Wegwarte, Chrom
und Zitronenbäume gibt es; die Zikaden gibt es;
die Zikaden, Zeder, Zypresse, Cerebellum

cikaderne findes; cikorie, chrom
og citrontraeer findes; cikaderne findes;
cikaderne, ceder, cypres, cerebellum

Die Tauben gibt es; die Träumer, die Puppen
die Töter gibt es; die Tauben, die Tauben;
Dunst, Dioxin und die Tage;
die Tage gibt es; die Tage den Tod; und die Gedichte
gibt es; die Gedichte, die Tage, den Tod

duerne findes; drommerne, dukkerne
draeberne findes; duerne, duerne;
dis, dioxin og dagene; dagene
findes; dagene doden; og digtene
findes; digtene, da gene, doden

(Die von Hanns Grössel übersetzten Wörter haben im Deutschen manchmal einen anderen Anfangsbuchstaben. )

http://www.planetlyrik.de/inger-christensen-ein-chemisches-gedicht-zu-ehren-der-erde/2010/10/

Inger Christensen: Wenn ich Gedichte schreibe, dann kann es mir einfallen, so zu tun, als schriebe nicht ich, sondern die Sprache selber...

Ich muß in der Welt Sinn finden, nicht, weil ich das beschließe, vielleicht nicht einmal, weil ich das wünsche, sondern weil ich naiv bin, ich bin eine Eingeborene, ein Eingeborener – auf dieselbe Weise, wie ein Baum eingeboren ist −, ja, ich bin wirklich ein eingewachsener Teil der Welt, der nicht umhin kann, Sinn zu schaffen, den Sinn, der vorher schon da ist und der unaufhaltsam seine eigene Verwandlung verwaltet, als das, was wir unter Überleben verstehen.

Ich kann es auch anders sagen. Was ich hier erzähle, unterscheidet sich im Prinzip nicht von der Art der Bäume, Blätter zu treiben. Die sich selbst produzierenden, sich selbst regulierenden Systeme der Biologie sind im Grunde von derselben Art, ob sie nun Bäume genannt werden oder Menschen.

...daß die Sprache eine direkte Verlängerung der Natur ist. Daß ich dasselbe ,Recht‘ hatte, zu sprechen, wie der Baum, Blätter zu treiben. Wenn ich nur ganz still beginnen, mich in die ersten Sätze einschleichen könnte, mich dort wie in Wasser verstecken, fließend, davontreiben, bis die ersten kleinen Kräuselungen sich zeigten, fast Wörter, fast Sätze, immer mehr...

...Mir ist es ja auch so irgendwie wie ein Wunder, dieser erste Satz. Und damals, als ich angefangen habe, das Gedicht zu schreiben, damals habe ich ja sehr viele Wörter mit A, mit B, mit C usw das ganze Alphabet hindurch gesammelt, und dann aus dieser ganzen Seite mit Wörtern mit A habe ich dann ein einziges Wort WÄHLEN können. Und warum das dann die Aprikosenbäume waren, weiß ich nicht.

... konkrete Phänomene, alles mögliche Eßbare, Sichtbare und sinnlich Wahrnehmbare wie Aprikosen, Tauben, Melonen, aber auch Dioxin und dergleichen. Da standen sie, auf großen Bögen weißen Papiers, Wörter mit a, Wörter mit b, Wörter mit c usw....

Inger Christensen, Manuskripte. Zeitschrift für Literatur, Heft 115, 1992

Die "Fibonacci-Folge" bestimmt Versmaß und Strophenlänge. Das erste Gedicht des ,Alphabets‘ ist eine Zeile lang, das zweite zwei, das dritte drei Zeilen lang; schon das vierte, nach einem kleinen Sprung, fünf Zeilen lang und das fünfte schon acht Zeilen lang, eine summierende Folge, eine „Fibonacci-Folge“, eine nach dem italienischen Mathematiker Leonardo Fibonacci (am Hof Friedrich II) benannte Zahlenreihe, bei der sich jedes Glied der Reihe aus der Summe der beiden vorangehenden Zahlen errechnet. Nach den Entwicklungsschritten 1 2 3 5 8 13 21 kommen 34 55 89 144 233 377 610 (610 in Inger Christensens Gedicht, aber schon abgebrochen nach dem 320.Vers bei dem Buchstaben n).

Jeder Gedichtteil wiederholt das poetische Gewicht der beiden vorangegangenen Teile und gibt ihnen eine Dauer über sich hinaus. Diese Strukturierung bliebe rein abstrakt und willkürlich, wäre da nicht die Entdeckung, daß die Zahlen dieser Folge exakt bestimmten Wachstumsprozessen bei einigen Pflanzenarten entsprechen. Fibonacci-Prozesse finden sich auch in Kristallbildungen, im Geäst der Bäume oder in Blumen. Sprache als direkte Verlängerung der Natur. (Peter Waterhouse)

http://www.planetlyrik.de/inger-christensen-alfabet-alphabet/2012/02/

Spiel mit Verben

AUFGETAN

Aufgetan ausgetan vertan
oder noch nicht ganz abgetan
die grauen elektroden der zukunft
fest an die gebleichte fingerspitze
des gedächtnisses gespannt
stehe ich da und stottre
daß ich gut sein will

http://www.planetlyrik.de/inger-christensen-lys-licht/2010/11/

Schreibaufgaben zum Thema "Baum":

1. Sammle Wörter, die mit den Buchstaben b a u m beginnen und binde sie in einen Kurzsatz ein, der immer wiederholt wird (z.B. "gibt es"). Bilde Strophen mit 1,2,3,5 Zeilen wie Inger Chr.

2. Schreibe einen Text, in dem Du mit einzelnen Verben aus dem Wortfeld "Baum" (z.B. wachsen oder schlagen) Sinn schreibend erspielst.

3.Schreibe einen Text zum Thema "Baum", in dem Du die "postmodernen" Mittel des Verformens von Sprache einsetzt.

günter neuenhofer:

B
au
m
ab
schlag
weg
schlag
ab
absägab
säg
zersägzer
hackzer
weg
zerschlagzer
nicht
ver
nicht
nicht
den
wald
 

Sandig

Natur nicht
wenn du sie
suchst
ist hier

Wo sie so
in dem sand
nicht stimmt
dass sie hier

Seh ich hin
einen baum
ohne blatt ohne frucht
im sand denk ich schattenlos
und wurzellos

Und halt ihn fest
auf papier
den baum im sand
ohne blatt ohne frucht

Ein baum
wort für wort
auf papier
ist natur

Bildlich

Das hier
nicht das
was zu sehen
ist da

Ein baum
ohne blätter
im sand

Ein baum
um grün
zu sein

Das
denk ich
seh ich nicht
doch ich schreib es

Ein baum
im grünen wald
so
und nicht anders
ist es

Satirisches                             9.10.2013

Peter Paul Rubens, Ankunft der Maria de' Medici in Marseille (Detail)

Wisława Szymborska (1923-2012) war eine polnische Lyrikerin. 1996 Literaturnobelpreis

„Frauen von Rubens“:

Frauliche Fauna, Walküren,
nackt wie das Donnern der Tonnen.
Sie nisten in zertrampelten Betten,
schlafen mit aufgerissenen Mündern, als wollten sie krähen.

Ihre Augäpfel flohen nach innen
und stieren tief in die Drüsen,
aus denen Hefe sickert ins Blut.

Töchter des Barock. [...]

O kürbisrunde, o maßlose…
fette Liebesgerichte!

(Übers. Karl Dedecius)

Original:
Kobiety Rubensa
Waligórzanki, żeńska fauna,
jak łoskot beczek nagie
.
Kobiety Rubensa - Szymborska Wisława

Englische Übersetzungen der ersten zwei Zeilen
Titanettes/Giantesses, female fauna,
naked as the rumbling of barrels.

Herculasses, a feminine fauna.
Naked as the crashing of barrels.

Inward Bound Poetry: 782. Rubins' Women - Wislawa Szymbors

s. Die Puppen Teeyoos von günter neuenhofer

Wisława Szymborska

Im Fluß des Heraklit
fischen Fische nach Fischen,
zerlegen Fische Fische mit einem scharfen Fisch,
bauen Fische Fische, wohnen Fische in Fischen,
fliehen Fische aus belagerten Fischen…
Im Fluß des Heraklit bin ich Einzelfisch, Sonderfisch….
(zumindest nicht so wie der Baumfisch oder der Steinfisch)

Ernst Jandlpoetische werke 9: idyllen stanzen. −

in der küche ist es kalt
ist jetzt strenger winter halt
mütterchen steht nicht am herd
und mich fröstelt wie ein pferd


Aus „Der Filialleiter“ von Thomas Hürlimann

Als der Filialleiter des Supermarktes auf dem Fernsehschirm seine Frau erblickte, erschrak er zu Tode. Nein, er täuschte sich nicht - das erste Programm zeigte Maria - Lisa, seine eigene Frau. Im schicken Blauen saß sie in einer größeren Runde, und gerade jetzt, da der Filialeiter seinen Schock überwunden glaubte, wurde Maria - Lisa von der Moderatorin gefragt, was sie für ihren Ehemann empfinde.

"Nichts", sagte Maria - Lisa.

"Maria - Lisa!", entfuhr es dem Filialleiter, und mit zittriger Hand suchte er den Unterarm seiner Frau. Wie jeden Abend saßen sie nebeneinander vor dem Fernseher, und beide hatten ihre Füße in rote Plastikeimerchen gestellt, in ein lauwarmes Kamillenbad - das stundenlange Stehen im Supermarkt machte ihnen zu schaffen.

Die Bildschirm - Maria - Lisa lächelte. Darin erklärte sie, über den Hass, ehrlich gesagt, sei sie schon hinaus. Der Filialleiter hielt immer noch Maria - Lisas Arm. Er schnaufte, krallte seine Finger in ihr Fleisch und stierte in den Kasten. Hier, fand er, war sie flacher als im Leben. Sie hatte ihr Was-darfs-denn-sein-Gesicht aufgesetzt und bemerkte leise, aber dezidiert: "Mein Willy ekelt mich an." Und das in Großaufnahme!....

                                                       

2.10.2013

Was ich sehe, kann ich vielfältig ausdrücken.

"Blicke in eine andere Welt"

Beispiele:

Inger Christensen (dänische Lyrikerin, Verse aus: „det/das“, 1969/2002)

Ich sehe die leichten wolken

Ich sehe die leichte sonne

Ich sehe wie leicht sie einen

Endlosen verlauf zeichnen

Als empfänden sie vertrauen

Zu mir die ich auf der erde stehe

Als wüssten sie dass ich

Ihre worte bin

Uhland, spätromantischer Lyriker  (19.Jh)

Abendwolken

Wolken seh ich abendwärts

Ganz in reinste Glut getaucht,

Wolken ganz in Licht zerhaucht,

Die so schwül gedunkelt hatten.

Ja! mir sagt mein ahnend Herz:

Einst noch werden, ob auch spät,

Wann die Sonne niedergeht,

Mir verklärt der Seele Schatten.




Magritte, Das Fernohr, 1963

Der Tabakladen von Fernando Pessoa (1888–1935)

Ich trete ans Fenster und sehe die Straße in völliger Klarheit.

Ich sehe die Läden, die Bürgersteige, vorüberfahrende Wagen.

Ich seh die lebendigen und bekleideten Wesen, die aneinander vorübergehn.

Ich sehe die Hunde, die ebenfalls leben.

All dies lastet auf mir wie ein Bann.

All dies ist Fremde für mich.

Der Besitzer des Tabakladens tritt nun an die Tür und bleibt an der Tür.

Ich betrachte ihn mit dem Unbehagen des schräg gedrehten Kopfes.

Er wird sterben, und ich werde sterben.

Er wird das Ladenschild hinterlassen, und ich hinterlasse Verse.

Irgendwann verrotten dann das Ladenschild und auch die Verse.

Nach einiger Zeit stirbt die Straße, in der das Ladenschild hing,

Und die Sprache, in der die Verse geschrieben wurden.

Später stirbt dann der kreisende Planet, auf dem sich dies alles zutrug.

Auf anderen Planeten anderer Sonnensysteme werden menschenähnliche Wesen

Fortfahren, solche Dinge wie Verse zu machen und unter Dingen wie

Ladenschildern zu leben.

Immer das eine so nutzlos wie das andere.

Da! ein Mann tritt ein in den Tabakladen, um Tabak zu kaufen,

Und die glaubhafte Wirklichkeit überwältigt mich jäh.

Ich richte mich auf, energisch und überzeugt und menschlich,

Und will versuchen, Verse zu schreiben.

Bei dem Gedanken, sie schreiben zu wollen,

Setze ich mich hin, zünde mir eine Zigarette an

Und genieße beim Rauchen Befreiung von allen Gedanken.

Ich verfolge den Rauch, als wärs mein eigener Weg,

Und genieße in einem feinfühligen, dazu passenden Augenblick

Das Bewusstsein, dass Metaphysik nur die Folge von Magendrücken ist.

Dann lehne ich mich auf dem Stuhl zurück

Und rauche weiter.

Solange das Schicksal es mir erlaubt, will ich weiterrauchen.

(Wenn ich die Tochter meiner Waschfrau heiraten würde,

Würde ich möglicherweise glücklich.)

Mit dieser Einsicht steh ich vom Stuhl auf.

Ich trete ans Fenster.

Der Mann hat den Tabakladen verlassen und das Wechselgeld in die Hose gesteckt.

Ah, ich kenne ihn; es ist der wirkliche Estefano ganz ohne Metaphysik.

Und der Besitzer des Tabakladens kommt auch an die Tür.

Und das Weltall bekommt wieder eine feste Form für mich,

Und der Besitzer des Tabakladens lächelt.

Aus: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge, 1910, von R.M.Rilke

Ich lerne sehen. Ja, ich fange an. Es geht noch schlecht. Aber ich will meine Zeit ausnutzen. Daß es mir zum Beispiel niemals zum Bewußtsein gekommen ist, wieviel Gesichter es gibt. Es gibt eine Menge Menschen, aber noch viel mehr Gesichter, denn jeder hat mehrere. Da sind Leute, die tragen ein Gesicht jahrelang, natürlich nutzt es sich ab, es wird schmutzig, es bricht in den Falten, es weitet sich aus wie Handschuhe, die man auf der Reise getragen hat. Das sind sparsame, einfache Leute; sie wechseln es nicht, sie lassen es nicht einmal reinigen. Es sei gut genug, behaupten sie, und wer kann ihnen das Gegenteil nachweisen? Nun fragt es sich freilich, da sie mehrere Gesichter haben, was tun sie mit den andern? Sie heben sie auf. Ihre Kinder sollen sie tragen. Aber es kommt auch vor, daß ihre Hunde damit ausgehen. Weshalb auch nicht? Gesicht ist Gesicht.

Andere Leute setzen unheimlich schnell ihre Gesichter auf, eins nach dem andern, und tragen sie ab. Es scheint ihnen zuerst, sie hätten für immer, aber sie sind kaum vierzig; da ist schon das letzte. Das hat natürlich seine Tragik. Sie sind nicht gewohnt, Gesichter zu schonen, ihr letztes ist in acht Tagen durch, hat Löcher, ist an vielen Stellen dünn wie Papier, und da kommt dann nach und nach die Unterlage heraus, das Nichtgesicht, und sie gehen damit herum.
(http://www.sterneck.net/literatur/rilke-gesichter/index.php)

Daß ich es nicht lassen kann, bei offenem Fenster zu schlafen. Elektrische Bahnen rasen läutend durch meine Stube. Automobile gehen über mich hin. Eine Tür fällt zu. Irgendwo klirrt eine Scheibe herunter, ich höre ihre großen Scherben lachen, die kleinen Splitter kichern. Dann plötzlich dumpfer, eingeschlossener Lärm von der anderen Seite, innen im Hause. Jemand steigt die Treppe. Kommt, kommt unaufhörlich. Ist da, ist lange da, geht vorbei. Und wieder die Straße. Ein Mädchen kreischt: Ah tais-toi, je ne veux plus. (Sei still, ich will nicht mehr!) Die Elektrische rennt ganz erregt heran, darüber fort, fort über alles. Jemand ruft. Leute laufen, überholen sich. Ein Hund bellt. Was für eine Erleichterung: ein Hund. Gegen Morgen kräht sogar ein Hahn, und das ist Wohltun ohne Grenzen. Dann schlafe ich plötzlich ein.


watermelon, 1968 (Charles Bukowski ,1920-1994)

and the windows opened that night,
a ceiling dripped the sweat
of a tin god,
and i sat eating a watermelon,
all false red,
water like slow running of rusty
tears,
and i spit out seeds,
and swallowed seeds,
and i kept thinking
i am a fool
i am a fool
to eat this watermelon,
but i kept eating
anyhow.



Wassermelone (Übers. C.Weissner)

Und in jener Nacht
gingen die Fenster
von selber auf,
von der Decke
tropfte der Schweiß
eines blechernen Gottes,
und ich saß da und
aß eine Wassermelone,
all das künstliche Rot,
der Saft lief an mir herunter
wie rostige Tränen,
und ich spuckte Kerne aus
und verschluckte Kerne
und dachte immer wieder:
ich bin ein Idiot,
ich bin ein Idiot, daß ich
diese Wassermelone esse.
Aber ich aß trotzdem
weiter.

Aus Charles Bukowski,, Der größte Verlierer der Welt, Gedichte 1968-1972

Wassermelone (Übers. Christa Neuenhofer)

und die Fenster öffneten jene Nacht,
eine Zimmerdecke tropfte den Schweiß
eines Götzen,
und ich saß, eine Wassermelone essend,
alles falsches Rot,
Wasser wie langsames Fließen rostiger
Tränen,
und ich spuckte Samen aus,
und verschluckte Samen,
und ich dachte immer wieder
ich bin ein Narr,
ich bin ein Narr,
diese Wassermelone zu essen,
aber ich aß weiter
dennoch

Erik Lindner

Een man eet een appel in het park
en de bomen buigen om hem heen
het gras is uit de stammen gelopen
het verdringt zich rond zijn voeten
de vijver duwt planten op de oever
de man neemt een hap uit de appel
en laat die op zijn tong kantelen
zuigt het vocht eruit en vermaalt
de vijver krimpt achter de struiken
takken wijzen uit de bomen omhoog
een dier klimt tegen een stam op
en springt en sprint door het veld
voorbij het groen aan de straatkant
terug de vijver langs de struiken door
naar een man die zijn handen vouwt
op het veld in de verte in een park.

Aus: Tafel, 2004, De Bezige Bij

(Übersetzt von Gregor Seferens)

Ein Mann ißt einen Apfel im Park
und die Bäume beugen sich über ihn
das Gras ist aus den Stämmen gelaufen
und drängelt sich um seine Füße
der Weiher drückt Pflanzen ans Ufer
der Mann nimmt einen Bissen vom Apfel
und läßt ihn auf der Zunge kippen
saugt den Saft heraus und zermahlt
der Weiher schrumpft hinter den Sträuchern
Äste zeigen aus den Bäumen hinauf
ein Tier klettert an einem Stamm hoch
und springt und sprintet über das Feld
vorbei am Grün längs der Straße
zurück am Weiher entlang durch die Sträucher
zu einem Mann, der seine Hände faltet
auf dem Feld in der Ferne in einem Park.


Versuchungen (günter neuenhofer. Sept. 2013)

Ich suchte das alles, was da ist.

Ich suchte die tage, die kommen.

Ich suchte für die andere zeit danach.

Ich suchte dort, wo ich nicht war.

Ich suchte das, was verhüllt ist.

Ich suchte

wo auch
immer
suchte
ich
nach einem
hier
hier auf erden

Bedenken

Die andere Welt. Die gibt es.
So denke ich nicht,
denke nicht, dass es so ist,
denke auch nicht, dass es irgendwie anders ist.
Dass es nicht nicht so ist, denke ich auch nicht.


Aber das schreibe ich nicht.
Ich schreibe nicht : es ist so.
Ich schreibe auch nicht: Es ist anders.
Ich schreibe:
So denke ich nicht :
es ist nicht so,

wie es geschrieben steht.

11.9.2013

Literarische Kunststile
(Bsp.:Romane von Christoph Ransmayr)

„Der Tod des Autors“/Intertextualität/Palimpsest

Der Terminus >Postmoderne< bezeichnet einen Kunststil, der sich vom konventionellen Modernismus mit seinem ständigen Innovationszwang absetzt und als zentrales ästhetisches Konzept die Wiederholung wählt, auch Zitat, Collage, Parodie, Variation des Alten, um den Originalitätsanspruch zu trivialisieren.

„Der Text als ein Gewebe aus Zitaten, die aus zahllosen Kulturzentren hervorgegangen sind.“

Der Tod des Autors ist ein von Roland Barthes (La mort de l’auteur, 1968) geprägter Begriff aus der poststrukturalistischen Text-Theorie. Er wendet sich gegen die herkömmliche Praxis, bei der Frage nach dem Sinn eines Textes in erster Linie nach der ›Autor-Intention‹ zu suchen; Barthes’ Gegenthese lautet: Der Autor ist nicht die primäre Sinn-Instanz eines literarischen Textes, da der Text ein Eigenleben führt; die vermeintliche Autor-Intention bildet nur eine von vielen gleichermaßen legitimen Lesarten des Textes; daher geht der ›Tod des Autors‹ mit der ›Geburt des Lesers‹ einher.

Dieser Theorie zufolge ist der Schriftsteller nur ein Kopist (scripteur kein écrivain), dessen Aufgabe darin besteht, bereits Geschriebenes in einen neuen Zusammenhang zu bringen (›Text‹ = lat. ›Gewebe‹).

Julia Kristeva prägte 1969 denTerminus Intertextualität. Danach bezieht sich jeder Text auf einen anderen Text, einen sogenannten „Prätext“.

Beispiele: VW mit ihrem Slogan „Manche mögen´s sicher“ bezieht sich auf  den Film von Billy Wilder „Manche mögen`s heiß“. „Non plus ultra“, lateinisch „nicht noch weiter“ wird

in der Bedeutung „das Allerbeste“ benutzt.

Ein Palimpsest entsteht z.B. durch die Überlagerung eines bereits vorhandenen Textes mit einem neuen, aktuellen Text.

Ransmayr als Beispiel postmodernen Schreibens

1. Christoph Ransmayr  „Atlas eines ängstlichen Mannes“ (2012)

Jede der siebzig Ransmayrschen Erzählungen beginnt mit den Worten "Ich sah".

Ich sah die Heimat eines Gottes auf 26° 28 südlicher Breite und 105° 21 Minuten westlicher Länge: eine menschenleere, von Seevögeln umschwärmte Felseninsel weit, weit draußen im Pazifik. Mehr als dreitausendzweihundert Kilometer waren es von diesen umbrandeten baum- und strauchlosen Klippen ohne Süßwasser, ohne Gras, ohne Blütenpflanzen und Moos bis zur chilenischen Küste, von wo mein Schiff vor einer Woche mit Kurs auf Rapa Nui, die Osterinsel ausgelaufen war.

Ich sah ein offenes Grab im Schatten einer turmhohen Araukarie.

Ich sah das dunkle, schweißnasse Gesicht des Fischers Ho Doeun in einer gewittrigen Novembernacht in Phnom Penh.

Ich sah den weinenden Sohn des Gärtners auf der Freitreppe eines Herrenhauses in der irischen Grafschaft Cork ...

Die Phänomene der "Wirklichkeit" mögen chaotisch und zusammenhanglos sein, Gestalt und Struktur, vielleicht auch so etwas wie Sinn nehmen sie erst an, wenn man von ihnen erzählt.

2. Christoph Ransmayr „ Die letzte Welt“ - Literaturwissenschaft-o

Ransmayrs „Die letzte Welt“ (1988) wird zumeist  als  Beispiel für postmodernes Erzählen verstanden.

Der Fremde, der dort unter den Arkaden stand und fror; der Fremde, der an der rostzerfressenen Bushaltestelle den Fahrplan abschrieb und auf  kläffende Hunde mit einer unverständlichen Geduld einsprach,  - dieser  Fremde kam aus Rom. (S. 9)

Der Text erzählt die Suche des Römers Cotta nach dem verschollenen Dichter Ovid (hier: Naso) und dessen Hauptwerk  >Metamorphosen<.  Dabei spielt der Roman an zwei Orten, den Städten Tomi und Rom, zwischen denen zeitlich (Gegenwart in Tomi und unmittelbare Vergangenheit in Rom) hin- und hergeblendet wird.

Der Text ist in fünfzehn Kapitel unterteilt, die jeweils mit Zifferzeichnungen versehen sind (analog zu den 15 Büchern von Ovids Metamorphosen).

Die Bewohner von Tomi stammen allesamt aus der klassischen Mythologie (z.B. Proserpina, Echo, Fama etc.) und sind vor allem von Ovids Metamorphosen her bekannt. Somit adaptiert der Roman in erheblichem Umfang sowohl Geschichten als auch Leitmotive (»Nulli sua forma manebat.« / Keinem bleibt seine Gestalt.), modifiziert sie aber ebenso stark.

Je länger die Suche nach dem Dichter Naso andauert, desto mehr verwischt die Grenze zwischen Wirklichkeit und Nicht-Wirklichkeit. Cotta selbst verschmilzt zusehend mit der von ihm gesuchten Person und tritt so in die Metamorphosen-Welt ein.

Dann war er wohl auch selbst eingetreten in das menschenleere Bild, kollerte als unverwundbarer Kiesel die Halden hinab, strich als Kormoran über die Schaumkronen der Brandung oder hockte als triumphierendes Purpurmoos auf dem letzten, verschwindenden Mauerrest einer Stadt. (S.287)

„Die letzte Welt“ mündet in einem offenen Schluss, besteht nur noch aus Zeichen.

Die einzige Inschrift, die noch zu entdecken blieb, lockte Cotta ins Gebirge: Er würde sie auf einem im Silberglanz Trachilas begrabenen Fähnchen finden oder im Schutt der Flanken des neuen Berges; gewiß aber würde es ein schmales Fähnchen sein - hatte es doch nur zwei Silben zu tragen. Wenn er innehielt und Atem schöpfte und dann winzig vor den Felsüberhängen stand, schleuderte Cotta diese Silben manchmal gegen den Stein und antwortete hier!, wenn ihn der Widerhall des Schreies erreichte, denn was so gebrochen und so vertraut von den Wänden zurückschlug, war sein eigener Name. (S. 287f.)

3. Christoph Ransmayr  „Der fliegende Berg“, 2003

Ich starb / 6840 Meter über dem Meeresspiegel / am vierten Tag im Jahr des Pferdes. [...] Ich fror nicht. Ich hatte keine Schmerzen. …

Ich war müde, unsagbar müde. / Wollte liegenbleiben. / Liegenbleiben, schlafen. / Schlafen.

Rezension in SZ (Ijoma Mangold), 22.09.2006: Der Traum, die Müdigkeit, der Tod und die Liebe: Wie urtümliche Steinbrocken strukturieren diese Groß-Wörter an den Wurzeln des Lebens Ransmayrs Text. Ist es Liebe oder Schmock? Ransmayrs Erleuchtungsgeschichte von zwei Brüdern im tibetischen Gebirge löst bei Mangold zweierlei aus: die Achtung vor einem seltenen, kostbaren Buch, das man im Regal neben die Bibel stellen kann, und den Grusel vor der Spiritualität einer verschmockten "Lebenssinn-Offenbarung". Das Funktionsprinzip des Textes (Mann trifft Berg als "Religions-Surrogat") hält sie für "simpel". An der von Ransmayrs Sprachbegabung zeugenden rhythmischen Prosa vermisst sie die Objektivität des Epos, die durch Sakralität ersetzt werde. Das Buch bezeichnet sie als eine "Erhabenheits-Zelebration".

günter neuenhofer

Nusquam tuta fide – nirgends gibt es sicheren Glauben 

matière de Bretagne

Ahi.

nu kumet uns die zit!

wirklicher ist nichts, als das,

was man sieht,

was man glaubt zu sehen

wirf ein netz aus

fang das sichtbare nur

vernetzt gelingt es

geht es

es geschah,

dass ich auf aventuire fuhr

hinaus

wo die sonne

wo das ende

 

die zeichen einer welt

im wald von Breziljan

im wasser der viviane

geschah es

da schickte der teufel

jene dämonen, die sich

den frauen im schlaf bemächtigen,

um mit der jungfrau ein kind zu zeugen

im ginsterlicht, wo

das Nichts nur andacht sucht

und nicht entgeht dem wunden dorn.

Ahi, nu kumet die zit.

Hilf mir, ich bin nicht

teil der tafelrunde.

17.7.2013

Erinnerungen in Zitaten und Bildern

Tattoos - Worten eine Bedeutung geben           

SZ vom 7.7.13 Die Stichprobe - Kultur - jetzt.de: Wir haben also 14 Tätowierer zwischen Hamburg und Kitzingen, Dresden und Bochum gebeten, zwei Wochen lang zu notieren, welche Worte sie stechen.

Das Ergebnis, knapp 300 Sprüche und Einzelwörter. Das fernöstliche Schriftzeichen stirbt aus.

Selbstvergewisserung in Sätzen wie "Je ne regrette rien" oder "If nothing ever changed, there would be no butterflies"."So ist es, es kann nicht anders sein." Vornamen ("Andi"), Nachnamen ("Wängele"), Geburtsdaten und Blutgruppen von Partnern, Kindern oder Verstorbenen.

 Magie und Beschwörungen. "Speranza", "Hope", das Vaterunser. " Atatürk", "Mia san mia" oder "Life is a game", "Ballspielverein".

Beschwörung der Unendlichkeit: "Semper fidelis", für immer treu, das Motto der US-Marines, oder "Para siempre en mi corazón", für immer in meinem Herzen. "Only God can judge me" ist einer der am häufigsten gestochenen Sätze überhaupt.

Liebe”  4mal "Love" 15mal, "Love yourself" ,"Love it, change it or leave it".

Die beliebteste Fremdsprache direkt nach Englisch ist Latein. "Carpe diem" und Cäsars "Veni vidi vici", aber auch Ciceros "Dum spiro spero" (solange ich atme, hoffe ich) und "Mecum loquere ut te videam" werden gestochen. Letzteres ist die Abwandlung eines Sokrates-Zitats. ( Sprich' mit mir, damit ich dich sehe.)

„Wörter gehen nicht aus dem Kopf“

Beispieltext

Katja Petrowskaja,  bachmannpreis.eu/de/texte/4388
Ausschnitte aus dem prämierten Text (7. Juli 2013)

www.literaturcafe.de/katja-petrowskaja-gewinnt-den-bachmannpreis-2013/

Vielleicht Esther

Lasse der Herrgott Dich so viel wissen, wie ich nicht weiß, sagte Babuschka immer wieder. Sie wiederholte den Satz leicht beleidigt, aber auch stolz. Ihr Enkel Marik, mein Vater, war ungewöhnlich belesen. Bis zu seinem neunten Lebensjahr hatte er bereits Hunderte von Büchern verschlungen und stellte den Erwachsenen, wie er dachte, ganz einfache, elementare Fragen. Babuschka wusste meistens keine Antwort. Auch den Ausspruch von Sokrates, Ich weiß, dass ich nichts weiß, kannte sie nicht. Vielleicht wollte sie mit ihrem Satz sich selbst trösten oder ihren klugen Enkel zurechtweisen, denn Babuschka beharrte auf ihrer Devise, die nach einem antiken Aphorismus klang, Lasse der Herrgott Dich so viel wissen, wie ich nicht weiß.

Außer diesem Spruch sind von meiner Urgroßmutter, der Babuschka meines Vaters, nur noch zwei Dinge geblieben: eine Photographie und eine Geschichte.

Als die Familie im August 1941 vor der deutschen Armee aus Kiew floh…..

Ich glaube, sie hieß Esther, sagte mein Vater. Ja, vielleicht Esther. Ich hatte zwei Großmütter, und eine von ihnen hieß Esther, genau.
Wie‚ vielleicht!? fragte ich empört. Du weißt nicht, wie sie hieß?
Ich habe sie nie bei ihrem Namen genannt, erwiderte mein Vater. Ich sagte Babuschka, und meine Eltern sagten Mutter.

Vielleicht Esther ist in Kiew geblieben.

26.6.2013

Magische Sprache und Sprache der Magie

Klassiker der magisch-poetischen Sprache

Joseph Freiherr von Eichendorff
Wünschelrute,1835

Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.


Clemens Brentano
Wiegenlied, 1852

Singt ein Lied so süß gelinde,
Wie die Quellen auf den Kieseln,
Wie die Bienen um die Linde
Summen, murmeln, flüstern, rieseln.


Altgriechischer Vers
Wo mir die Rosen, wo mir die Veilchen, wo mir der schöne Eppich?
Da meine Rosen, da meine Veilchen, und da mein schöner Eppich!


Rafael Alberti (Spanien, 1925)
La amante

Im Erlenschatten, Liebste,
im Erlenschatten, nicht.
Unter der Pappel, ja,
dem Weiß und Grün der Pappel.
Weißes Blatt du,
grünes Blatt ich.


Debajo del chopo, amante,
debajo del chopo, no.
Al pie del álamo, sí,
del álamo blanco y verde.
Hoja blanca tú,
esmeralda yo.


(Unter der Schwarzpappel…Am Fuße der Silberpappel)

Alberto Baeza Flores (Chile, 1914-1998)
Irdisches Paradies

… Fallen so wie die Rose die nach Tau
duftet, selig, für einen Tag.
Und dann ...
Rose im Herbst, du, meine Freundin.
Du, Winterrose, meine Taube.
Rose aus Asche du, Geliebte.


Magische Texte schreiben mit folgenden Satzmustern:

Wenn - dann
Als – da
Wer – der
Zuerst - ,damit – dann
Wo – da
Dann – dann – dann – dann…


Indem es die Einheit gab, gab es das Fluidum
Indem es da Fluidum gab, gab es das…
(HEGUANZI)

Erich Fried (1921-88)

Einkäufe

Die Lampen kaufen ihr Öl
beim Fisch in der Mühle
Die Kinder kaufen…
Die Steine kaufen…
Die Fische kaufen…


TOTSCHLAGEN

Erst die Zeit
dann eine Fliege
vielleicht eine Maus
dann möglichst viele
Menschen
dann wieder die Zeit

RÜCKBLICK, "Warngedichte" (1964)

Dann sage ich:
Ich denke noch an die Liebe
aber den Streit
beginne ich zu vergessen
Dann denke ich:
Ich beginne zu glauben
was ich sage
vom Vergessen des Streites
Dann weiß ich:
Was ich sage und was ich denke
ist nicht wahr
ich glaube mir kein Vergessen

Ich kann nicht die Liebe vergessen
und nicht den Streit
nur was ich sage und denke
nur was ich lüge und glaube
Antwort
Zu den Steinen
hat einer gesagt:
seid menschlich.

Die Steine haben gesagt:
Wir sind noch nicht
hart genug

Beschwörungen und magische Rituale

Jorge Guillén (Kuba, 1893-1984)

SENSEMAYÁ (Lied um eine Schlange zu töten)

Mayombe — bombe — mayombé!
Mayombe — bombe — mayombé!
Mayombe — bombe — mayombé!
Die Schlange hat Augen wie Glas,
sie kommt und schlingt sich um einen Ast,
mit ihren Glasaugen um einen Ast,
mit ihren Augen wie Glas.
Die Schlange geht ohne Pfoten,
die Schlange verbirgt sich im Gras,
sie geht und verbirgt sich im Gras,
sie geht ohne Pfoten!
Mayombe — bombe — mayombé!
Mayombe — bombe — mayombé!
Mayombe — bombe — mayombé!
Du gibst ihr eins mit der Axt und sie stirbt:
gib ihr drauf!
Gibs ihr nicht mit dem Fuß, denn sie beißt,
nicht mit dem Fuß, sie geht durch!
Sensemayá, die Schlange,
Sensemayá!
Sensemayá, mit ihren Augen,
Sensemayá!
Sensemaya, mit ihrer Zunge,
Sensemayá!
Sensemayá, mit ihrem Maul,
Sensemayá!
Die tote Schlange kann nicht fressen,
die tote Schlange zischt nicht mehr,
sie kann nicht gehn,
sie läuft nicht mehr!
Die tote Schlange kann nicht sehn,
die tote Schlange trinkt nicht mehr,
sie kann nicht japsen,
sie beißt nicht mehr!
Mayombe — bombe — mayombé!
Sensemayá, die Schlange ...
Mayombe — bombe — mayombé!
Sensemayá, sie ist still ...
Mayombe — bombe — mayombé!
Sensemayá, die Schlange ...
Mayombe — bombe — mayombé!
Sensemayá, sie ist tot!


Lorscher Bienensegen, 9. Jh

Christ der Bienenschwarm ist hier draußen!
Nun fliegt,ihr meine Bienen,kommt.
Im Frieden des Herren, unter dem Schutz Gottes.
kommt gesund zurück.
Sitzt sitzt Bienen.
Der Befehl kommt von der Jungfrau Maria.
Ihr habt keinen Urlaub;
fliegt nicht in den Wald;
Weder sollt ihr von mir entgleiten.
Oder vor mir flüchten.
Sitzt im absolut Stillen.
und erfüllt Gottes Willen
.

Aus dem althochdeutschen Originaltext

Kirst, imbi ist hûcze
Nû fliuc dû, vihu mînaz, hera
Fridu frôno in munt godes
gisunt heim zi comonne
Sizi, sizi, bîna

....

Altenglischer Bienensegen: Charm wiþ ymbe

Übersetzung:

Zu einem Bienenschwarm bring Erde, wirf sie mit
deiner rechten Hand von unterhalb
deines rechten Fußes und sprich:
Greife ich unter den Fuß, so finde ich es.
Ja, die Erde hat Macht über jedes Wesen
und über den Ärger und über die Vergeßlichkeit
und über die Zunge des mächtigen Mannes.
Und nun wirf Sand über sie, wenn sie
schwärmen, und sprich: ….


Aus einer babylonisch-akkadischen Lamashtu-Beschwörung

Es gab Schadens-und Schutzrituale der Hexer, ähnlich wie im afrikanisch-haitianischen Voodooglauben.

Man formt aus Wachs, Erdbronze, gewöhnliche Bronze, Honig, Ton, Asphalt, Sesam, Binu-und Zedernholz ein Abbild der Person, der man Schaden zufügen will – je genauer das Abbild gelungen ist, desto wirkungsvoller die unheilsbringende Magie. Dann wird der Dämon bzw. die Dämonin angerufen, die der Hexer als seine spirituelle Begleitung für seinen magischen Weg gewählt hat:

....Zu Dir..(Name des Dämon).., der Du die Menschen verbrennest. Schaffe mir Recht, lass Entscheidung ergehen! Verbrenne ..(Name des Opfers). Friss meine Feinde, verzehre meine Widersacher, Dein schrecklicher Tag möge über sie kommen. Wie das Wasser im Schlauch durch Ausschütten, so mögen sie vergehen. Wie absplitternde Steine mögen ihre Finger abgehauen werden.....

Nachdem das Bild fertiggestellt ist und die Beschwörung erfolgreich verlaufen ist, kann das Werk an verschiedenen Plätzen deponiert werden. In der Hand von Toten, in Särgen, auf Türschwellen, an Torwegen, damit die Leute dieses Bild zertreten oder man kann es verbrennen. Dies alles geschieht in dem Sinne, daß all das, was dem Bildnis passiert auch dem auserkorenen Feind und Opfer passiert.
(http://www.daemonenforum.de/babylon-die-sadt-der-damonen-t55.html#p168)

Austreiben von Krankheiten durch das Verbrennen einer Zwiebel:

Wie diese Zwiebel abgeschält und ins Feuer geworfen wird,
"der brennende Feuergott" sie verbrennt, wie sie in ein Beet nicht mehr gepflanzt,
mit Furche und Gräbchen nicht mehr umzogen wird,
im Boden nicht mehr Wurzel schlägt,
ihr Stengel nicht mehr wächst,
das Sonnenlicht nicht mehr erblickt,
wie sie auf den Tisch eines Gottes oder eines Königs nicht mehr kommt,
so werde der Fluch, der Bann, die Pein, die Qual, Krankheit, Seufzen, Sünde, Missetat,
Frevel, Vergehen, die Krankheit die in meinem Leibe, meinem Fleisch, meinen Gliedern sitzt,
wie diese Zwiebel abgeschält!
Heutigen Tages verzehre sie "der brennende Feuergott", der Bann weiche, ich aber möge das Licht schauen!
(http://www.daemonen.de/)

Sprachspiele
"so und so"

Lyrische Beispiele
„Postmodern“

Das Typische an der Postmoderne ist zufällig und unzusammenhängend. Es setzt sich aus mehreren Stilarten zusammen, dessen Elemente unterschiedlicher Epochen entstammen können. Sie verwendet u.a. ironische Formen, absurde Sprachspiele und Genre-Brüche.

ABENDGEBET DER SPASSGESELLSCHAFT - JACQUELINE CREVOISIER, *1942, 1. Züricher Lyrikpreis 2013

Gegrüßt seist Du
HEILIGER DUMIANUS
voll der Gnade, wir sind bei Dir.
Gebenedeit seist Du
und gebenedeit die leeren Hülsenfrüchte
Deiner unbefleckt empfangenen Kopfgeburten.

Wir knien vor Deinem Altar
im formatlosen Format des Großbildfernsehers
um Dir täglich zu danken
für den unermesslichen Reichtum
in der Leere Deiner Gedankenfülle.
Unter unsern Knien spüren wir
die schmerzhafte Härte des Bodens unserer Wirklichkeit
die wir voll Demut und mit Schuldgefühlen akzeptieren
büßend für all die schüchternen Versuche
eigenmächtigen Denkens……………
….
www.literaturundkunst.net

war der tisch, war der stuhl, saß ein kind in der küche und aß, war es still auf dem flur, ging niemand herum und zählte die eigenen schritte, das fensterkreuz weißer als sonst gegen abend, durchschnitten den hof kleine tiere im flug und der staub lag am glas und ein kind war sehr still und etwas, das einfiel im schlag, das heiß war im grund und sich dunkelte, aufschlug, ein kind riss die augen weit auf und konnte, es konnte nichts finden. ( Ulrike Almut Sandig)

Wenn ich in Bienen spreche

meine ich Unschärfe, Murmeln, Nektar am Mund; Und wenn ich in Birnen spreche, in Äpfeln, in Zellen in Kisten von Zungen zerfressen, in Zungen, in Menschen, meine ich Menschen: Schwärme gestempelt innen & außen, ein Bienentanz und damit meine ich: Bienentanz.
(Sandra Trojan, „Sprechen in Bienen“)

„Gute Poesie muss vertraute Sprach-Strukturen aus den Angeln heben, sie dynamisieren und semantischen Zerreißproben aussetzen.“ Mein Kopf ist ein Wespenschwamm, Die Kühnheit der Neuen Poesie, SWR2 Literatur
Manuskript (98,2 KB) - Südwestrundfunk

Poetologische und literarische Informationen

Glossar der lyrischen Sprachspiele - pangloss.de
http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_rhetorischer_Stilmittel

Neologismengedicht (nach August Stramm, Expressionist, 1874-1915). Bekannte Stammwörter werden in neue Wortformen überführt. Typisch sind auch ungewohnte Pluralformen, Änderungen des Genus und der Rektion

Tage sargern
Welten Gräbwern
Nächte ragen
Blute bäumen…

(August Stramm, „Schrei“)

Lapsus-Gedicht. Grammatische Fehler (besonders im Bereich der Partikelverben) werden mutwillig durchgespielt und öffnen den Zugang zu neuen Sinnfeldern vertrauter Wörter.

Dann schlagen rat wir mit den Frauen
Wohin wir fahren wall für heut,
So wandelnd lustdurch Wies und Auen
Wir winden über stets die Zeit.

Insertionsgedicht (nach Ernst Jandl). Gegebene Texte werden durch das systematische Hinzunehmen zusätzlicher Konsonanten oder Vokale (oder Silben) verändert.

beckett-laute,

günter neuenhofer, 20.5.13

zwEidRei
lÄuFigsWed hinder zWer
von iNher dRingZer
auFkeinzWei eInmal
neVerels
Wed Selfail bEtt
er fAila gAin
nO eino zWei
no sel Noan
nuEInzal eindrAng
blinNbittzWeil
Fil im munt
aufma chi chin
ataus atein
onsprech onsin
danhörimi
ortlo
atmun
atein
ai

15.5.2013

Sprachspiele V

„Ein rhythmisches Zeremoniell,
ein Wortlauf“ 

„EIn-Fach zWei  Alle-S EInerlEI“

·  einäugeln, ·  einbitten, · einblinden, ·  einbuße, ·  eindenk, ·  eindrang, ·  einfältigen, ·  eingeberin, ·  einhirnig…

·  zweideuteln, ·  zweiern,  ·  zweidorn, ·  zweidunkel, ·  zweieck, ·  zweieiig·  zweieimerig,  ·  zweieinig,  ·  zweiel…

(Aus „Deutsches Wörterbuch“ von Jacob und Wilhelm Grimm )

All of old.
Nothing else ever.
Ever tried.
Ever failed.
No matter.
Try again.
Fail again.
Fail better.

(S. Beckett)

Alles seit je.
Nie etwas andres.
Immer versucht.
Immer gescheitert.
Einerlei.
Wieder versuchen.
Wieder scheitern.
Besser scheitern.

WEDER  (Samuel Beckett)

hin und her in Schatten von innerem zu äußerem Schatten

von undurchdringbarem Selbst zum undurchdringbarem Nicht-selbst
auf dem Weg von Keinem

wie zwischen zwei hellen Zufluchten, deren Türen einmal
angenähert sachte schließen, einmal abgewendet
sachte wieder öffnen

gelockt zurück und vor und weg gedreht

achtlos des Wegs, entschlossen zu dem einen Schein
oder dem anderen

unhörbarer Tritte einziger Laut

bis zuletzt Halt für immer, abwesend für immer
vom Selbst und Anderem

dann kein Laut

dann sachte nicht auslöschendes Licht auf das nicht beachtete
weder

unaussprechbares Heim


			

nichts und etwas
(ernst jandl,  "der gelbe hund")

nichts im kopf
setze ich mich
an die maschine
spanne ein blatt ein
mit nichts darauf

mit etwas darauf
ziehe das blatt ich
aus der maschine
und lese als text
etwas aus meinem kopf

„Wortlauf“ durch eine Landschaft

Der Nachsommer (Adalbert Stifter)

Ich gehe gerne herum, wo ich nicht beengt bin«, antwortete sie, »ich gehe zwischen den Feldern und den wallenden Saaten, ich steige auf die sanften Hügel empor, ich wandere an den blätterreichen Bäumen vorüber und gehe so fort, bis mich eine fremde Gegend ansieht, der Himmel über derselben gleichsam ein anderer ist und andere Wolken hegt. Im Gehen sinne und denke ich dann. Der Himmel, die Wolken darin, das Getreide, die Bäume, die Gesträuche, das Gras, die Blumen stören mich nicht.


		

teich (Monika Rinck)

sagt er: das leid ist ein teich.
sag ich: ja, das leid ist ein teich.
weil das leid von fischen durchschossen
in einer mulde liegt und faulig riecht.
sagt er: und die schuld ist ein teich.
sag ich: ja, die schuld auch teich.
weil die schuld in einer senke schwappt
und mir bei hochgerecktem arm bereits
zur aufgedehnten achselhöhle reicht.
sagt er: die lüge ist ein teich.
sag ich: ja die lüge ebenso teich.
weil man im sommer des nachts
am ufer der lüge picknicken kann
und immer dort etwas vergißt.


so einfach (Monika Rinck) 

Ein Hang, nein, eine große Fläche,
sanfte Hügel, Aufgewölbtes, ich sehe ein Gefälle,
eine Streckung, ganz ergeben, einen Bogen.
Grün muss alles sein und ein verbindlicher Olivenhain
spendet exquisiten Schatten, selten,
äußerst selten.

Es muss eine weite Mulde sein
mit weichen Übergängen, eine Reling, erdnah,
an der silbrig grüne Fransen wehn, es ist wohl
eine Wiese! Eine Wiese! Dort will ich das Bleiben spürn,
Dass keiner geht und keiner zahlt und hungrig
oder müde wird. Nicht das Murren,
nicht die Sorge, die, das wißt ihr schon,
ein wenig ehrenwerter Dämon ist.
So sind wir nicht, wir haben hier
vermehrtes Brot, Wort, Fische
und Substanzen. Ich sag es gleich:
Wir mögen was Substanzen sind und
was sie tun.

Wie wunderbar, die Fülle hier, die wie das Leben ist
und wie das Wort und besser noch,
doch Jesus Christus sagt es mir
"Du hast längst keine Mitte mehr."
Vielleicht könnten Highheels hilfreich sein
für die Balance, zum Glück, schon kommen die Apostel
Den grünen Hang herab, durchqueren
Den Olivenhain mit einer Auswahl
Stiefeletten.

Monika Rinck (1969 in Zweibrücken geboren.). Aus: Verzückte Distanzen. 2004

SPRACHSPIELE IV

1. Sprachspiel von Elke Erb (Ernst Jandl-Preis, Juni 2013)

Brigade

Sieben gehen sieben,
Sieben rütteln und sieben,
worfeln und schieben Siebe und rütteln,
die Körner springen und schwingen,

rütteln die Schwinge, sieben
Gesichter, unter den Deckenbalken, erblickte,

rütteln und schütteln bis: Mittag:
Wie nach dem Sieben geblieben.

Seit Wochen lese ich Rilke (Poetologische Bemerkungen) beim Frühstück und notiere dabei die Stellen zu poeto­logi­schen Themen, für die ich Beispiel-Dateien anlege. D.h. ich bekomme einen Überblick über diese Themen. Es ist immer noch der junge Rilke, aus dem ich die Beispiele hole. In der Mehrzahl sind es Stellen, bei denen etwas nicht stimmt. (www.poetenladen.de/elke-erb-text.htm)

2. Übersetzung und neuer Sprachgebrauch

1) Elke Erb - Osip Mandel'štam (1926)

(Die) Fliege

Du wohin gerietest, Fliege? / In (die) Milch, in (die) Milch. // Gut dir, Alte? / Nicht leicht, nicht leicht. // Du vielleicht herausklettertest etwas. / Nicht kann, nicht kann. / Ich dir mit (einem) Löffel / werde helfen, helfen werde. // Besser du meiner, armer Seele, / (dich) erbarme, (dich) erbarme, // Milch in andere Tasse / umgieß, umgieß.

– Ty kuda popala, mucha? / – V moloko, v moloko. // – Chorošo tebe, starucha? / – Ne legko, ne legko. // – Ty by vylezla nemnožko. /– Ne mogu, ne mogu. // – Ja tebe stolovoj ložkoj / pomogu, pomogu. // – Lucše ty menja, bednjažku, / požalej, požalej, // moloko v druguju čašku / perelej, perelej.

Elke Erb: Ich spüre beim Wörtlich-Übersetzen eine eigen­tümliche Klarheit. Das Unfertige nimmt der Text-Präsenz etwas von ihrer Geschlossenheit/Geläufigkeit... ... Der Nonsens des „umgieß, umgieß“ spricht: die Tasse taugt nichts, die ganze Tasse taugt nicht, und ganz gleich, ob Milch, ob Tasse ...(www.poetenladen.de/elke-erb-text12.htm)

Wo bist du denn reingeplumpst?
- In die Milch, in die Milch.

Altes Flieglein, wie geht’s sonst?
- Nicht so leicht, oh, bitte hilf!

Kriech ein bisschen, hilf dir selber.
- Ich schaffs nicht, ich schaffs nicht.

Ich helf dir dann mit der Kelle
Raus ans Licht, raus ans Licht.

- Hab doch Mitleid, aus dem Nassen
Rette mich, rette mich.

Gieß die Milch in eine Tasse –
Hier bin ich, hier bin ich.

(von Ralph Dutli)

In: Ossip Mandelstam, DIE BEIDEN TRAMS. Kinder- und Scherzgedichte, Epigramme auf Zeitgenossen 1911-1937. (lyrikzeitung.com/2012/07/06/27-fliege-2/)

"Verflüssigte" Sprache und "ÜberSetzungen"

Finnegans Wake (James Joyce, 1882-1941)

1. Satz:

Riverrun, past Eve and Adam's, from swerve of shore to bend of bay, brings us by a commodius vicus of recirculation back to Howth Castle and Environs.

Im Buch selbst hat Joyce in einem kleinen Selbstkommentar ausgedrückt, wie er seine Sprache verstanden wissen wollte: this is nat language at any sinse of the world (FW 83): Dies sei nicht Sprache in irgendeinem Sinn des Wortes, seit es diese Welt gibt, sondern eine verrückte (nuts) Sprache, die sich wie in einer Nuß (nut) konzentriert. Es sei die Sprache der Nacht (dänisch: nat – Nacht) und damit auch der ägyptischen Nacht-Göttin Nut, der Mutter des Sonnengottes, den sie am Abend verschlingt und am Morgen neu auferstehen läßt. In ihr verkörpert sich die Wiederholung von Ende und Neubeginn…

Der junge Samuel Beckett, damals Mit- und Zuarbeiter von Joyce, schrieb 1929 in einem Aufsatz, hier habe der Autor die Sprache schlafen gelegt. Sie träumt also vor sich hin, Aberwitz und tiefere Bedeutung fließen unterschiedslos ineinander, Definitionen lösen sich auf und mutieren in ihr Gegenteil, die Sprache verflüssigt sich, gerät ins Flüstern, in dem nur noch Klang und Lautfall, nicht mehr die einzelne Wortbedeutung hörbar werden.

Übersetzungsversuche:

Deutsch

- flußlauf, vorbei an Ev' und Adams, vom küstenknick zum bug der bucht, bringt uns auf kommodem vicus zirkel wieder zurück zu Howth Castells Engrer umgebung. (Harald Beck, 1988)

- Flußfloß, furbay Eva' und Adams dahein, vom Klippenrand zur verschlungenen Bucht, und er bringt uns wieder in lässigem Circel zurück über Commodus und Vico nach Hoth Castle samt Einzugskreis. (Kurt Jauslin, o. J.)

- Flußgefließe, schleunigst Ev' und Adam passiert, vom Strandgestreun zum Buchtgebeug, führt uns im commundiösen Wickelwirken des Rezirkulierens zurück zur Burg von Howth con Entourage. (Friedhelm Rathjen, 1987)

- Flußeslauf, Seit' Eve und Adams, von der Krümmung der Küste zur Biegung der Bucht, bringt uns in einem commoden Rezirkulus viciosus zurück zu Howth Castle und Ergebungen. (Wolfgang Schrödter, 1985)

... Flußflaufs, vorbei an Adam und Eva, von KüstenKurven zur BuchtBiegung, führt uns durch einen kommodien Ouikuß der Rezierkuhlation zurück nach Haus Castell und Emccebung.
(James Joyce: FINNEGANS WEHG. Kainnäh ÜbelSätzZung des Wehrkeß fun Schämes Scheuß von Dieter H. Stündel, 1991)

- des Flusses Lauf vorbei an Adam's Eve der Küste Kreis zur Busenbucht bringt uns zurück des TeuFels Preis ganz mühelos wie compliziert nach House Castell und Ebensolchs. (Christian Zelger, 2004)

- fließefluss, nach Ev’ und Adam, von der Küste Schwenk zum Knick der Bucht, bringt uns in entsprechendem Vico-Zirkel zurück zu Howth Castles Einflusskreis. (Christian Zelger, 2006)

Niederländisch

- rivierein, langst de Eva en Adam, van zwier van strand naar bocht van baai, brengt ons via een commodius vicus van recirculatie terug naat Howth Kasteel en Immelanden. (Erik Bindervoet/Robbert-Jan Henkes, 2004)

Italienisch

- fluidofiume, passato Eva ed Adamo, da spiaggia sinuosa a baia biancheggiante, ci conduce con un più commodus vicus di ricircolo di nuovo a Howth Castle Edintorni. (Luigi Schenoni, 1982)

Französisch

- erre-revie, pass’Evant notre Adame, d’erre rive en rêvière, nous recourante via Vico par chaise percée de recirculation vers Howth Castle et Environs. (Philippe Lavergne, 1982)

Aufgabe: Verändere einen fertigen Text durch "neue" Schreibweisen und "neue" Wörter!

3. Komprimierung von Sprache

Haikus von Basho

furu ike ya - old pond !
kawazu tobikomu - frog jump-in
mizu no oto - water's sound
(W.J. Higginson)

shizukasa ya - stillness!
iwa ni shimiiru - seeping into the rock
semi no koe - cicada`s screech
(M.Ueda)

Aufgabe: Übersetze "Frosch" und "Zikaden"- Haiku in die deutsche Sprache entsprechend den Regeln (5,7,5 Silben)

Beispiel: "HerzEntblößung"

Sprachspiele III

Experimente mit Sprache, Schrift und Bedeutung

Arno Schmidt (1914-1979)
Wir haben alles mit Schmerzen versehen: das Licht 'verbrennt'; der Schall 'erstirbt'; der Mond 'geht unter'; der Wind 'heult'; der Blitz 'zuckt'; der Bach 'windet sich' ebenso wie die Straße. / Mein Herz pumpte die Nacht aus: Blödsinnige Einrichtung, daß da ständig sonne lackrote Schmiere in uns rum feistet ! N steinernes müßte man haben, wie beim Hauff.
— Aus: Das steinerne Herz

(? –) : »Ganz=winzij’n Moment nur … (: dreh langsam, 1 Mal, den Kopf in die Wunder einer anderen AtmoSfäre … (?) – : nu, ne Sonne von GoldPapier, mit roth’n Bakkn et=caetera ?)) – : verfolg ma das WasserlinsnBlättchin, Franziska=ja ? – (?) – : Ganz=recht; (Ch kuck aufdii Uhr). –«; (und knien; am WegeGrabm, zu Anfang des Schauerfeld’s) : »Ch wollt die StrömungsGeschwindichkeit ma wissn : Wir habm Zeit, individuell zu sein, gelt Fränzi?« « (Und erneut zu W / www.zettels-traum-lesen.de

Oswald Egger (1963-)

"Bruch-schliff gewetzte Schirr'm-Glimmer-Steine und meine, dass ich in einem alten Flusstal wate. Die Steine aber lippten (tiefe Klüfte und Spalten): ich wate über augweit ausgedörrte Strömfelder, die Wärme droppt wie Watte über mich, und Sinter in gehitzter Spiegelung: ein vorglosendes Flundern, sein schnurrborstiger Hakenbart und die Kinn-Kammwirbel gescheitelter.
Dicht'ickt. Es pitscheln Schloßen über den Teich, teilen die Eistropfen tümpeln wie Mollusken (ohne Schale und Valven), Lachen und verschwemmte Bassins; ich habe nie eine andere Form beobachtet als diese: blitzende, glasblanke Wasserbänke und Ländsand.
"


Egger inszeniert eine hoch aufgeladene poetische Prosa. Handlung oder erkennbare Sprecher gibt es nicht. Es ist vielmehr die Sprache selbst, die hier zu Ehren kommt mitsamt ihrer ganzen Lautlichkeit und Variabilität. Zwar präsentiert sie vornehmlich Bilder der Natur, Landschaften, Seelenlandschaften, doch der Sinn bleibt dunkel:
So raunt der Text und entfaltet trotz aller hermetischen Schwere dennoch einen Sog, dem der Leser sich zumindest eine Weile überlassen kann. Der Grund dafür dürfte sein, dass diese komplexen Sprachgebilde einer inneren Zwangsläufigkeit folgen. Selbst Wortneuschöpfungen und "Nicht-Worte", also sinnfreie Vokabeln, passen sich ein in den lyrischen Strom. So liest man, versteht und versteht doch nicht.  Oswald Egger Die ganze Zeit ...

„Flarf“ und „Twitteratur“

Flarf ist Mashup und Remix in einem – und ein Phänomen unserer Zeit. Bereits Gesagtes oder Geschriebenes wird wiederverwertet – Recycling auf poetischem Niveau.

Google zwei disparate Suchbegriffe, beispielsweise ,Latex' und ,Michael Jackson',( nach Sharon Mesmer, Flarf-Dichterin, studierte Philologin, Anfang vierzig, die hauptberuflich Kreatives Schreiben an der New School in New York unterrichtet). „Dann kopiere einige Textstücke aus der Ergebnisliste von Google in ein Word-Dokument und bearbeite sie, arrangiere um, denke Sätze aus. Das fertige Gedicht schicke an die Flarf-Mailingliste.“  

Die Poesie in 140 Zeichen (15 Tweets) wird als „Twitteratur“ (im Englischen „Twiction“) bezeichnet. Twitter ist ein Medium für Aphorismen. Es bietet große Gedanken in kleinem Format. “Vieles ist so dicht und so intensiv, dass es zu kleinen poetischen Einheiten wird.”

Sprachspiele II

Thema „Seelenherz“

Fatrasie und Fatras

Alles, was in der Fatrasie geschieht, hat „unmöglich“ oder „unvernünftig“ zu sein. Die starren Gesetze von Zeit und Raum sind aufgehoben, Gegenstände, Tiere und Menschen vollführen einen grotesken Reigen. Lyrisches und Zartes findet sich neben Derbem und Obszönem, die Schranken zwischen Hohem und Niedrigem werden bewusst abgeschafft. Die Gedichte reihen Widersinn und Absurditäten (Paradoxa, Oxymora), ihr Ziel ist es, Verblüffung, Verwirrung und Lachen hervorzurufen.

Die anonymen Fatrasies d’Arras sind eine aus fünfundfünfzig Gedichten bestehende, in einem einzigen Manuskript erhaltene Sammlung des 13. Jahrhunderts. Im Schlaf dichten wir den Eierkuchen aus Nichts

Der Furz einer Käsemade
wollte in seinem  Käppchen
Rom davontragen…..

Im 14. Jahrhundert wurde das Genre weiterentwickelt zum Fatras (frz. fatras „Plunder, Durcheinander“), vornehmlich von Watriquet Brassenel de Couvin (um 1325), von dem dreißig, zum Teil obszön-skatologische Motive häufende Fatras erhalten sind. Der Fatras folgt dem Reimschema AB AabaabbabaB, d. h. es sind nun 13 Verse. Es wird zunächst ein lyrischer Zweizeiler möglichst süßlich-kitschigen Inhalts vorangestellt, dem der eigentliche, weiterhin aus 11 Versen bestehende Fatras folgt. Dabei werden zwischen die beiden Verse des Zweizeilers 9 Verse eingeschoben, die den Inhalt des Distichons durch komischen Gegensatz parodieren.

Aufgabe 1: Schreibe einen Fatras zum Thema „Seelenherz“.

Beispieltext:

Sanft tröstet und ermutigt mich
Sie, die mein Herz erobert hat.

Sanft tröstet und ermutigt mich
eine halbtote Katze,
die jeden Donnerstag so laut
ein Halleluja singt,
dass die Klinke an unsrer Tür
sagt, dass ihr der Montag gehöre,
und ein Wolf kam her so wagemutig,
dass er gegen seinen Willen
lossprang, Gott im Paradies zu töten,
und sagte noch: „Kumpel, ich bringe dir
Sie, die mein Herz erobert hat.“

Aufgabe 2: Schreibe einen Text zum Thema Seelenherz, den man unterschiedlich lesen kann.
s. vier unterschiedliche Lesungen eines Textes (www.1gedicht.de):

Beispieltext:

Schneemacht

Schnee/
macht/
die welt//
und unter /der/
welt/ die//
mundtot//
blätter /taub
e// nüsse/ über winter t/
augen/

Aufgabe 3: Schreibe zum Hockney-Bild  ein Gedicht oder den Anfang eines Märchens mit dem Thema „Seelenherz“. Benutze eine Bezugsperson, eine Anrede (Du, Sie…) oder eine 3.Person.

Beispieltext:

Wald von Europa (Derek Walcott, geb.1930, ein karibischer Dichter, 1992 Nobelpreis für Literatur
Für Joseph Brodsky

(16 Str.- www.beilharz.com/walcott.html)

Die letzten Blätter fielen wie Noten von einem Klavier
und hinterließen das Echo ihrer Ovale im Ohr;
der Winterwald mit seinen schlaksigen Notenständern
sieht aus wie ein unbesetztes Orchester mit
auf verstreuten Schneemanuskripten gezogenen Linien.
…….
(7) Als der Zug durch die vergewaltigten Ikonen des Waldes fuhr,
klirrten die Eisfelder wie Rangierbahnhöfe, dann ging es
durch die Nadeln gefrorener Tränen - die Bahnhöfe
kreischten Dampf - und er atmete sie in einem einzigen
Winteratem versteinerter Konsonanten ein.

Engl. Originaltext: www.poemhunter.com/poem/forest-of-europe/

Sprachspiele I

Wörter verfremden. Worte in „Materialien“ einbauen. "Turnübungen in Sachen Syntax".

Hnas im Gülck.

Ein Mäerchn , das wir so nhict gsherciebn haebn, snoredn Jcoab und Wlhilem Gimrm. Ilulstatrive Belegitnug mit ge-märehcltem Geteir. Katzengraben-Presse, 2004. - 32 S.
Hnas httae seiben Jhare bei sneiem Hrern gideent…

Der Büchermacher Christian Ewald macht in seinem Köpenicker Kleinstverlag "Katzengraben-Presse" Bücher, wie sie sonst nirgends zu finden sind. Etwa für den Einband des Reiseberichts „Mit dem Zeppelin nach Pernambuco“ von Heinrich Eduard Jacob (1992) brauchte er Zeppelinstoff.  Aus Wellpappe machte er  ein 14 Meter ausklappbares Leporello über Kolumbus. Für die „Heringe“ fertigte er einen Schuber in Form einer abgerundeten Konservenbüchse, dazu eine Pop-up-Grafik mit dem Titel „Herr Inge pumpt fleißig Zitronensaft, während Herr Buchmann in der Stadt spazierend Pökelsalz kauft“.

Aufgabe: Vertausche die Binnenbuchstaben eines Wortes, lass aber den ersten und letzten Buchstaben stehen. Schreibe einen längeren, lesbaren Text in dieser Art!

Aufgabe: Suche für einen Text ein ungewöhnliches Präsentationsmedium; schreibe auf eine Skulptur, auf altes Papier, Wellpappe oder andere Materialien oder Gegenstände!

Zur Anregung folgendes Gedicht:

"Turnübungen in Sachen Syntax"

Franzobel (Pseud. für Franz Stefan Griebl)

Luna Park, Vergnügungsgedichte

"Picknick"
"Du. Da ist das Tuch, der Korb und die Natur,
auch Mücken, Küssenkönnen und das Bäumeblühen,
auch Summt und Surrt sind da.
Es sticht das Gras, die Jungfernschaft. Du,
da sind Kaktusfeigen, Muscheln aus der Dose,
angefaulte Äpfel schillern Du und da
und der Nachtisch lockt die Bienen an,
Ameisen verspritzen sich, und auch
die Sonne schmilzt. Duda,
weil keine Grille sang.
Es zirpte."

Als "Turnübungen in Sachen Syntax" will Franzobel seine Gedichte verstanden wissen, als lyrische Fieberschübe, die sich, wenn's nach dem Dichter geht, allesamt auch zum Vertonen und zum Singen, gar zum Beten eignen sollen.

Am nächsten Tag beginnt die Schule wieder und der Adpfent ist zu Ende, bevor wir wissen, was er bedeutet. Opa hat gesagt, Ad ist eine lateinische Vorsilbe und bedeutet „vom". Pfent kommt aus den Englischen und heißt ging. Also heißt Adpfent so viel wie Vom Ging, was sich jetzt entweder als chinesische Philosophie Ging und Gang oder als vom Vergehen deuten lässt. Wobei mir Letzteres besser gefällt, weil man erstens nicht weiß, ob die Chinesen an das Christkindl glauben, so lange sie nicht bekehrt sind, und zweitens ja alles vergeht, sogar der Adpfent, bei dem man aber ziemlich sicher weiß, dass er bald wiederkommt, wenn ihm nichts dazwischenkommt.

(Franzobel, Album, DER STANDARD, Langversion, 15./16.12.2012, derstandard.at/1355459674946/Der-Adpfent-der-Adpfent) derstandard.at/1334796440756/Franzobel-Bestaunt-bewundert-und-beklatscht

s.a. Die Krautflut