Reise in den
westlichen Himalaya
2. Teil. Bei den Vogelmenschen wischen den 6000ern am
Sutlej-River:
- Der Bhimakali Tempel
von Sarahan - Bhairav und Narasingh als Identifikationsfiguren
der Stammesgötter
- Im paradiesischen Baspa- /
Sanglatal - Tanz und Apfelschnaps zu Ehren eines Gottes - Die Götter besuchen einander - Bei den
Vogelmenschen - Die Rolle der Frau bei den Bergstämmen - Holztempel und Rituale
Blick von Kamru nach Norden
Sa.10.4.
Shimla-Nirath-Rampur-Sarahan
Am Sutlej-River entlang auf
dem Weg nach Tibet.
Durchs Gebirge bis Narkanda,
einem unschönen Wintersportort in 2700 m Höhe, ab hier wird die Landschaft
schöner. Es geht hinunter auf 950 m. Grüne Apfelplantagen statt grauer Felder.
In Nirath, 49 km hinter Narkanda, einem kleinen Dorf zwischen Straße
und Fluss sehen wir zum ersten Mal die typische Kinnaur-Architektur der Häuser.
Die Wände bestehen aus wechselnden Lagen von Steinen (drei Schichten) und
Balken (ein Balken). Die Dächer stehen rundum über und sind mit dicken Schieferplatten
abgedeckt. Zwischen den grauen Dächern fallen zwei Tempeltürme aus rotem
Sandstein auf. Wie häufig in den Gebirgstälern hat sich der alte Volksglauben
mit der Hindureligion verbunden. Hier finden wir einen alten Sonnentempel des
Gottes Surya. Der zweite Tempel ist der Bhimakali geweiht. Sie ist eine
Inkarnation der am meisten verehrten
Dämonenvernichterin Durga. Den größten und schönsten Bhimakali-Tempel werden
wir in Sarahan sehen.
Rampur,
140 km von Shimla, ist eine große Marktstadt, voller Autos und Menschen. Wenn
im November die Hirten mit ihren Herden von ihren Sommergebieten hier
eintreffen, findet der größte Markt Nord-Indiens statt, der Lavi. In dieser
ehemaligen Hauptstadt eines kleinen Fürstentums wurde nach einem gemeinsamen
Sieg über den Herrscher von Kaschmir ein Handelsabkommen mit Tibet geschlossen,
das gelten sollte,
bis der Sutleyj-River austrocknet, die
schwarzen Krähen weiß werden, Pferde Hörner bekommen und den Steinen auf beiden
Seiten der Vertragsparteien Haare und Wolle wachsen.
Einen Hinweis auf die
Verbindung mit Tibet gibt ein buddhistisches Kloster mit einer großen
Gebetstonne. Auf eine weitere kriegerische Auseinandersetzung verweist neben
dem Bhimakali-Tempel ein neuer, kitschiger Krischna-Tempel. Nach der Legende kämpfte
hier der Gott Krischna gegen den Herrscher Banasur, weil dessen Tochter mit dem
Enkel Krischnas mit Hilfe magischer Mächte entflohen war.
Die ältere Haupt- und
Handelsstadt Sarahan liegt 40 km
weiter, 1920 m über dem Flusstal, an der alten Hindustan-Tibet-Straße. Unser
Hotelfenster bietet einen direkten Blick auf den 5227 m hohen, schneebedeckten
Gipfel des Srikhand Mahadev, einen Wohnsitz von Gott Shiva. Das ist ein
Ausgleich für die stinkenden Betten, die man uns gibt.
Auf der anderen Seite des Hotels
liegt in Sichtweite inmitten grüner Gärten der kulturelle Höhepunkt unserer
Reise, die palastartige Anlage des prächtigsten Holztempels des indischen
Himalayas.
Der
Bhimakali Tempel von Sarahan
Fünf hölzerne Stockwerke mit
sechs silbernen Türen, bedeckt mit wunderbaren Figuren und Dekorationen. Die
vielen Dächer und Dachreiter sind an den Ecken gewölbt wie Pagodendächer, ein
Einfluss chinesischer Architektur. Zwei Götter werden hier ausgestellt. Im
oberen Stockwerk steht die ein Meter hohe Figur der Bhimakali, hergestellt aus
acht Metallen, neben sich viele andere Gottheiten u.a. Chamunda, Shiva-Parvati,
Ganesha und Buddha. Im 2. Stock steht die mit Silberplatten geschmückte Figur
der Parvati, die hier in zwei Formen verehrt wird, einmal als „shakti“, als
unverheiratete und einmal als „sati“, als verheiratete.
Ein anderer Tempel ist Ragunath geweiht. Seine Statue war eine
Kriegsbeute im Krieg mit Kullu. In einem steinernen Tempelturm wird eine
Marmorstatue von Narasingh, verehrt, und in einem Erdtempel Bhairav (Lankra
Vir). Im letzten Tempel werden Ziegen geopfert, früher dagegen Menschen. Ein
tiefer Schacht führt in die Erde. Dort unten soll eine geheime Tür und ein
Geheimgang nach draußen führen.
Bhairav und Narasingh als Identifikationsfiguren
der Stammesgötter
Über die schrecklichen
Manifestationen der Hindugötter fand der Hinduismus Eingang in die
Gebirgstäler. Die blutrünstigen Gestalten Bhairav, eine Shiva-Manifestation,
und der löwenköpfige Narasingh, eine Vishnu-Manifestation, konnten die Hirten
mit ihren lokalen Gottheiten identifizieren.
Der furchterregende Bhairav, verwandt mit dem antiken
Dionysos, wird in ähnlicher Weise auch im Buddhismus (als Mahakala) verehrt. In Nepal spielt er noch heute in der
Öffentlichkeit eine bedeutende Rolle. Vor seiner Figur werden die an einem
Gerichtsverfahren Beteiligten vereidigt. Diese Gottesgestalt überschreitet mit
ihrem wilden Charakter alle gesellschaftlichen Schranken und Normen und stellt
damit einen Schmelztiegel für viele regionale Stammesgottheiten dar. Er steht
für den die Gesetze übertretenden Gott. Er hat dem Gott Brahma den fünften Kopf
abgeschlagen, mit dem er als Schädelschale zur Buße bettelnd durch die Welt
gehen muss. Bei einer Form der Darstellung hält er tanzend wie besessen den
abgeschlagenen Kopf Brahmas in der Hand, während sein Hund das herunter
tropfende Blut aufschleckt. Dieses Bild soll symbolisch die Erreichung eines
Glückszustandes durch geistige Befreiung und Herrschaft zeigen. Diese
widersprüchlichen Werte, die als Werte kaum zu verstehen sind, haben es wohl
den Unberührbaren und Stammesangehörigen ermöglicht, den Hinduismus zu
übernehmen. Gerade Ausgestoßene und Kriminelle verehren den schwarzen Bhairav,
der auch in Sarahan noch immer durch ein Tieropfer verehrt wird.
So. 11.4. Sarahan-Chora-Kalpa
In der Morgensonne sehen wir uns noch mal den Tempel
und auch die seitwärts liegenden Raja-Paläste an. Der Eigentümer, der Raja von
Rampur, ist Parlamentsabgeordneter von Himachal und meist nicht anwesend.
Für die Fahrt hinunter zum Fluss brauchen wir 30
Minuten. Ein Elektrizitätswerk, Militärlager und Wohnsiedlungen zeigen, dass
der Fortschritt hier angekommen ist. In früheren Jahren war hier das Ende der
Asphaltstraße. Ab hier führt die Straße hoch über den Fluss durch Galerien, die
in den Fels geschlagen wurden. Seitwärts fällt der Berg steil ab zum Fluss.
Mehrmals müssen wir hinunter, um den Fluss auf Brücken, die noch im Bau sind,
zu überqueren. Für Siedlungen ist kaum noch Platz im schmalen Tal. Unser Fahrer
hält bei einem Tempel und holt sich den Schutz eines Gottes in Form eines roten
Stirnpunktes.
Chora,
ein schmaler Felsenrücken, eine Barriere im Fluss, ist besiedelt. Die uralten
Häuser wirken so anziehend auf uns, dass wir über viele Stufen hinunter steigen
zu den Häusern mit den Holzschindeln, dem Holztempel und den Bienenkästen,
neugierig beobachtet von den Einheimischen.
Religiöse Symbole am Holztempel von Chora
Die Straße verläuft meist in der Höhe von 1650 – 1890
m. Vor Rekong Peo biegen wir dann in ein nördliches Seitental und steigen in 20
km auf 2960 m. Vorbei an einigen Traubengärten kommen wir in eine blühende
Frühlingslandschaft mit vielen Apfelbäumen.
Von unserer Unterkunft im Stil eines alten Wohnhauses
oberhalb des kleinen Dorfes Chinni (das alte Dorf Kalpa)
haben wir einen prachtvollen Blick in den Süden auf die über 6050 m hohen
schneebedeckten Gipfel des Kinner Kailash. Bis Chinni sind die Chinesen in den
sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts vorgedrungen, deshalb der Name des
Dorfes. Die Hinweisschilder „Chainies Dish“ und „Chines“ erinnern ebenfalls an
dieses Ereignis. Dieses Dorf erweist sich als überaus urig. Die Hausdächer sind
z.T. noch mit Lehm und Sand abgedeckt. Die Einwohner werden lebendig, wenn wir
sie mit dem Hindugruß Namaste begrüßen. An vielen der Lehm- oder Steinhäuser
wehen buddhistische Gebetsfahnen. Der Gompa
und der Stupa sind nicht so alt wie die Hindutempel. Durch ein Tor
treten wir in den Tempelkomplex, zu dem drei Tempel für die lokalen Götter und
ein Vishnu-Krischna-Tempel gehören. An den Außenseiten befinden sich viele
Tierdarstellungen in Paarform, Fruchtbarkeitsbeschwörungen. Sechs Tigerpaare,
dazu Widder, Ziegenböcke und Stiere mir großem, erigiertem Phallus.
Am Abend
finden in mehreren Tempeln Zeremonien für den lokalen Gott Narenas statt.
Nach dem Feuer- Rauchopfer spritzt der Priester Wasser über die Mütze des Gottes, während ein
anderer ein Glöckchen läutet.
Die Wanderungen der
schwarzen Perückengötter
Tanz
und Apfelschnaps zu Ehren eines Gottes
Als überraschend auf dem
steilen Pfad an unserer Unterkunft vorbei sich eine Prozession bewegt, von
Trommeln begleitet, in der Mitte eine seltsame Last, die von Männern mit zwei Stangen
getragen wird, klettern wir hinterher. Die Leute sind freundlich und winken uns
zu. Vorweg geht jemand mit einem Wedel aus einem Yakschwanz und einem silbernen
Stoffband als Gürtel, dann folgen Pauken und Zimbeln, dann das Tragegestell mit
einer riesigen schwarzen Wollperücke, umgeben von einem Dutzend Männern. Alle
tragen die grüne Kinnaurikappe und einen roten Gürtel. Nach der Ankunft vor
einem kleinen Tempel wird zur Begrüßung der Gottheit Weihrauch abgebrannt. Die
Männer trinken Apfelschnaps aus der Handkuhle. Einige haben wohl schon bei der
Verabschiedung des Gottes im Dorf Schnaps getrunken und stehen nicht mehr ganz
sicher auf den Beinen. Auch wir sollen zur Ehre des Gottes trinken. Sie zeigen
uns, wie man aus der hohlen Handfläche trinken kann.
Die Gläubigen tanzen
voller Apfelschnaps unter blühenden Apfelbäumen zu Ehren des Dorfgottes.
Auf der anderen Talseite
zieht der Kinner Kailash ein rotes Tuch über den Schnee und verbirgt schamvoll
seine Gipfel, oder er zieht zum Abschied das rote Gewand des obersten Gottes
Shiva an. Es wird kalt. Die Männer steigern ihren Gottesdienst, beginnen zu
singen und zu tanzen. Christa darf fotografieren. Dafür muss sie im Kreis
mittanzen und ich soll sie fotografieren. Frauen, die zugeschaut haben, bringen
gelbe Äpfel. Nachdem jeder seinen Apfel gegessen hat, kommen sie mit einer
Teekanne. Danach wenden sie sich wieder dem verhüllten Gott zu. Der Priester
läutet eine Glocke, entzündet mit seinem Helfer ein Feuer, in dem er Kräuter
verbrennt. Gleichzeitig spritzt der Helfer mehrmals Wasser über die vermummte
Gestalt. Dann öffnet der Priester ein Paket, in dem gelbe Bälle sind, bietet
sie dem Gott an, indem er sie vor dem Gott zerbröselt. Darauf bekommen alle
Anwesenden ein halbes Kuchenbällchen, auch wir. Es ist wohl eine Art von
Kommunion, eine gemeinsame Mahlzeit. Nach diesem Höhepunkt wird wieder die
Trommel geschlagen und die Männer setzen
das Gestell mit der Gottheit in den offenen Tempel, der dann vom Priester verschlossen
wird. Die Gesellschaft löst sich auf und die Leute verschwinden im Dunkeln.
In unserer Luxusunterkunft
angekommen, geht alsbald das Licht aus. Nach geraumer Zeit klopft es und ein
Angestellter bringt zwei Kerzen. Nach einiger Zeit erscheint er wieder und
bringt uns Toilettenpapier. Die Badezimmerlampe kann er leider nicht
reparieren. Zum letzten Mal erscheint er kurz vor dem Schlafengehen mit zwei
Oberbetten, die wir dankbar annehmen, da die Nacht kalt durch die Holzritzen
der Wände hineinzieht. Durchs Fenster leuchten die Sterne mit selten erlebter
Intensität. Wir fühlen die weiten Räume, in denen Shiva seinen kosmischen Tanz
aufführt.
Die Götter besuchen einander
Die Gottheiten eines
Landstrichs mit verschiedenen Dörfern stehen in genau festgelegten
hierarchischen Beziehungen zueinander. Sie sind miteinander befreundet oder
miteinander verwandt, was in vielen Erzählungen überliefert worden ist.
Dementsprechend besuchen sie sich im Laufe der Zeit.
Das größte Götterbesuchsfest
findet im Frühjahr, Ende April, in Kullu, dem Tal der Götter, statt. Es ist das
Pipal jatra. Unter einem Pipal-Baum wohnte früher der Raja dem Fest bei. Damals
wurden 16 Götter aus den Dörfern hierher getragen, um die Tänze und Gesänge
mitzuerleben.
Ähnliches haben wir zum
ersten Mal 1994 in Südindien erlebt, wo im Minakshi-Tempel zu Madurai jeden
Abend Shiva in einer geschlossenen Sänfte zu seiner Gemahlin Minakshi-Parvati
gebracht wird. Einmal im Jahr, zu einem Fruchtbarkeitsritus im Frühjahr, kommen
am Tag ihrer Hochzeit alle Götter der Stadt zusammen, auch Alagar-Vishnu, der
göttliche Bruder der Minakshi, aus 20 km Entfernung.
Eine weitere Form der Reise
von Göttern gibt es z. B. in Maharashtra, wenn die Götter des Hausschreins auf
einen Ausflug zum Tempel des Familiengottes Khandoba mitgenommen werden, um ihn
mit Tänzen und Gesängen zu erfreuen. Dort werden sie auch mit Wasser, Milch und
Butter gereinigt und mit neuer „Kraft“ aufgeladen. (Weitere Details in „Die anderen Götter, Köln 1993, S.271)
Bei den Vogelmenschen.
Im Land der Kinner
Die Bewohner der Landschaft
Kinnaur zu beiden Seiten des Sutlej-River werden Kinner genannt. Sie wohnen in
Dörfern, die wie Nester an den Hängen der Berge hängen. Das Klima ist ähnlich
trocken wie in Ladakh.
In alten Schriften werden
sie als Vögel mit einem Menschenkopf dargestellt oder als Menschen mit einem
Pferdekopf bzw. Pferde mit Menschenkopf. In alten Epen als himmlische
Musikanten und Chorsänger beschrieben – mehr als 100 Feste im Jahr stehen auf
ihrem Festkalender - und als „Gandharvas“, die schon 2000 v. Chr. aus
Zentralasien einwanderten. Vom 13./14. Jh an vermischten sie sich mit den von
Tibet her einwandernden Bhotias. Somit finden wir in jedem Dorf sowohl einen
Hindutempel als auch einen buddhistischen Gompa.
In Kinnaur tragen die
Menschen wie die Paharis in anderen Teilen Himachals runde Kappen mit grünem
Samtband. Diese Kappen werden sowohl von Männern als auch Frauen getragen. Die
Frauen tragen meistens einen dicken, langen Zopf, in den sie Wolle
eingeflochten haben. Die älteren Frauen sind ganz in selbst gewebte Tücher
gekleidet.
Die Rolle der Frau bei den Bergstämmen
Das Selbstbewusstsein der
Frauen zeigt sich auch darin, dass wir immer wieder von älteren Frauen
angesprochen werden oder dass Frauen am Steuer eines Autos sitzen. Besonders auf
Nebenstraßen sehen wir Männer, die ihren Frauen das Autofahren beibringen.
Während in anderen Teilen Indiens ein Mädchen für die Familie eine Belastung
bedeutet, weil bei einer Verheiratung meist eine hohe Mitgift gezahlt werden
muss, die manche Familien in den Ruin treibt, bezahlen hier die Männer den
Brautpreis. Und während sonst eine geschiedene Frau oder eine Witwe nicht mehr
heiraten kann und keinen Wert für die Gemeinschaft darstellt, erhöht sich hier
im Himalaya der Wert einer Frau mit jeder Heirat, denn jeder Mann hat für sie
bezahlt.
Eine Frau aus Roghi
In früheren Jahren gab es
überall im Himalaya die Polyandrie,
d.h. die Frau des ältesten Bruders war auch mit den anderen Brüdern
verheiratet. Aber eine Frau konnte sich dem Stress einer Ehe entziehen, wenn
sie jemanden fand, der den Brautpreis an die Brüder zurückzahlte. Die jüngere
Generation hält nichts mehr von der alten Sitte, die die Geburten beschränken
und das Land zusammen halten sollte. Dagegen halten sie an der Sitte des Darosh
bzw. Dab Dab (gewaltsame Entführung der Braut) durchaus fest.
Verglichen mit der
Frauenrolle in der Kastengesellschaft der Hindus und in moslemischen
Gesellschaften hat die Frau hier eine modernere Position, die unserem
Verständnis von der Würde eines Menschen näher steht.
Mo. 12.4. Kalpa
(2960 m, 260 km von Shimla)
„Horch, was kommt von
draußen rein?“ Wir schauen erstaunt in das Auto, das wir gerade gestoppt haben.
Auf unserer einsamen Fußwanderung in das Bergdorf Panghi haben wir uns
entschlossen umzukehren. Das einzige Auto, das heute über diese schmale Straße
fährt, hat angehalten. Im Innern sitzt eine indische Familie, vier Personen,
und der Vater singt hingebungsvoll deutsche Volkslieder. Wir schauen uns
sprachlos an. Gottseidank können wir uns mit ihm in englischer Sprache verständigen. Er
erklärt uns, dass er mit einem Chor in Kalkutta internationale Volkslieder
gesungen habe. Jetzt mache er mit seiner Familie hier Urlaub, zum Leidwesen
seiner jungen Tochter, für die es hier keine Abwechslung gebe.
Als wir bei der Unterkunft
ankommen, steht dort unser Fahrer und erklärt sich bereit, uns ein Stück zu
einem winzigen anderen Dorf zu fahren, nach Roghi. Die Häuser dieses Weilers sind erst erreichbar, seitdem ein
Weg in den Felsen gesprengt wurde. Seitwärts geht es über 500 m steil ab ins
Flusstal. Die Häuser am Ende des Weges sind auf drei schmalen Terrassen
übereinander gebaut. Auf den Dächern lagert wie
in Ladakh das Holz, an einem Webstuhl sitzt ein schüchternes Mädchen und
webt bunte Borten. Andere Frauen kommen hinzu, lachen über die Schüchternheit
der Tochter und überreden sie, sich doch fotografieren zu lassen. Wir wollen
ihnen das Familienfoto gerne zusenden. Nur ihr Bruder, ein Lama aus einem
einsamen Kloster, will auf keinen Fall mit aufs Bild. Die Leute schenken uns
Walnüsse und zeigen uns, wie man sie am besten knackt.
Vor uns haben wir wieder das
Panorama des Kinner Kailash. Dreimal wechselt der Kailash seine Farbe. Wir
haben den Eindruck, er hat noch mehr Farben zur Verfügung, denn jeder Gott da
oben hat vielleicht eine andere Farbe. Diese Götter, die da im Angesicht der
Menschen leben, haben manchmal auch eine bestimmte Form, z.B. zeigen uns die
Kinner eine Gestalt Shivas in Form eínes Shivalingam, eine 24 m hohe
Steinsäule, zu der viele hinauf pilgern. Daneben zeigt sich Parvati als spitz
aufragender Gipfel. Je länger man hinüber und hinauf blickt, umso mehr Götter
und Geister erscheinen. Verwehrt dagegen wird uns der fotografische Blick auf
die vermummten Dorfgötter. Auch hier in Roghi stellt sich gleich der Aufseher
des Gottes vor uns hin, wenn wir die Kamera heben. Ein Foto vom Gott nimmt ihm
die Kraft. Oder will man uns vor dem Zorn der Götter schützen? In den
Lamaklöstern werden die gefährlichsten Göttergestalten in einem besonderen Raum
aufgestellt, den Frauen nie betreten dürfen, weil sie den Anblick nicht
ertragen würden. Die Götter, die wir in den Tälern des östlichen Himachal
erleben, sind ebenfalls verhüllt unter einem riesigen Wollschopf. Sichtbar sind
allerdings die silbernen Masken der lokalen Götter, die unterhalb des
Wollschopfs angebracht sind.
Jeder Gott hat einen Tempel
als eigenen Aufenthaltsraum. Diese Tempel in den Dörfern unterscheiden sich von
den klassischen indischen Steintempeln, die von den Herrschern errichtet wurden.
Holztempel und Rituale
Die Tempel in diesem Teil
des Himalaya sind Holztempel, die von den Dorfbewohnern nach traditionellen
Ritualen in einer bestimmten Form gebaut werden. Wir erleben immer wieder, wie
heilig der Tempel und der ihn umgebende Platz sind. Nur mit nackten Füßen
dürfen wir ihn betreten. Der eigentliche Turm- oder Pagodentempel darf nicht
betreten werden. Auf manchen Dorfplätzen steht nur ein kleiner Pavillon,
manchmal nach allen Seiten offen und manchmal mit einer großen Tür versehen. Als
wir in diese offenen Räume hineinsehen, wundern wir uns über die seltsame Form
der Gottheit. Auf einer Trage steht ein großes Stoffkissen aus rotem Stoff, auf
dessen Vorderseite mehrere silberne Masken von menschlichen Gesichtern liegen,
oft sind es drei Reihen zu je drei Gesichtern, die mit Girlanden aus
Tagetesblüten umwickelt sind.
Diese Gesichter sind so
heilig, dass wir sie nicht fotografieren dürfen. Warum? Nehmen wir ihnen ihre
göttliche Kraft durch ein Foto? Immer ist ein Wächter in der Nähe,
gekennzeichnet durch eine gelbe Schnur, der uns beobachtet.
Früher wurden diese
Tempelplätze durch ein Menschen- oder Tieropfer (Büffel, Widder oder
Ziegenbock) geheiligt. Inzwischen sind diese Opfer durch die Brahmanen durch vedische
Rituale ersetzt worden. Nicht ersetzt worden ist der Schamane, der in einer
Trance die Verbindung zwischen Mensch, Gott und Natur herstellt. Ein Schamane,
der wiederum von mehreren anderen Schamanen bestätigt werden muss, muss zuerst
die Erlaubnis des Gottes einholen, bevor mit dem Bau oder der Erneuerung eines
Tempels begonnen werden kann.
Diese Schamanen sind überall
im Himalaya aktiv. Wir haben sie auch in Arunachal Pradesh bei den Apatanis und
bei den Mishmis erlebt.
„Ohne die sich versenkenden Beter können
die Götter nicht existieren, und ohne die Götter kann der Mensch nicht
existieren.“
In abgewandelter Form finden
sich die trancehafte Versenkung und das göttliche Sprechen durch Menschen auch bei
den christlichen Gemeinden der Baptisten. Gegen die Einweihungsrituale dieser
Dorftempel erscheint die Einweihung einer christlichen Kirche geradezu ärmlich.
In einer besonderen Aktion wird der heilige Abschlussdachbalken des Tempels aus
dem heiligen Wald geholt. Nur nach Einbruch der Dunkelheit darf die Auswahl des
Baumes erfolgen, der dreimal um Erlaubnis befragt wird, bevor er unter Gebeten
gefällt wird. Dann darf er nicht mit einem gewöhnlichen Seil transportiert
werden, sondern nur mit Lianen, und zwar barfuß und auf den Schultern von
Männern.
Immer wieder haben wir uns
über Eisenteile, Münzen und Metalltöpfe gewundert, die an der Außenseite
mancher Tempel zu finden waren. Solche Metalle sind starke Symbole, sie lassen
die Vorratshäuser des Gottes anwachsen für Zeiten der Not.. Besonders wichtig
ist der Abschlusstopf auf dem heiligen Balken. Manchmal hat er die Form einer
Lotusblüte und besteht aus Messing oder einer Mischung aus 5 bis 8 Metallen,
mit Silber oder Gold belegt. Der turmartige Tempel ist rundum mit dekorativem
Schnitzwerk versehen, mit Blumenmustern, Schutzgottheiten, Reitern, Kriegern zu
Fuß, Maultieren, Elefanten und Schlangen. Auffällig sind hängende kleine
Holzstangen, die gruris, die in verschiedenen Höhen in festgelegten Zahlen (96
bzw. 19) den Tempelturm umgeben. (Der Tragekorb der Göttin Yelamma wird in
Maharashtra rundum mit meist 21 kleinen, spitzen Aufsätzen ausgestattet, die
ratis, die das Heer der Göttin darstellen.)
Die zentrale Tür, erreichbar
über einen Halbstamm mit 8-10 Kerben, zeigt die Darstellung des Gottes Shiva,
der sich eine Schlange umhängt, mit dem Stier Nandi und einem großen Fisch.
Abends versuchen wir einen
Apfelschnaps zu kaufen. Den gibt es aber nur privat, da jeder selbst brennt. In
einem Zimmer warten wir, bis unser junger Verkäufer zurück kommt und uns
erklärt, der Apfelschnaps sei sehr stark und sehr teuer. Wir müssten ihn vor
dem Trinken erst mit Wasser verdünnen. Für eine halbe Flasche nehme er 50
Rs (1 €). In diesem Ort gibt es sogar
ein Telefon. Wir zahlen für einen Anruf nach Deutschland 12 Rs (24 Cent).
Blick von Chinni übers Tal des Sutlej-River
Auf dem Weg zurück ins
Sutlej-Tal wandern wir noch nach Kothi,
das zwischen Kalpa und Rekong Peo liegt. In der Ferne hören wir Trommeln und
Langtrompeten vom Dorf her. Leider finden keine Rituale statt, sondern Schüler
einer Schule marschieren zu dieser Musik über den Schulhof. Den Tempelhof
dürfen wir nur barfüßig betreten und die beiden vermummten Lokalgötter auf den
Traggestellen nur mit den Augen besichtigen. Ein wichtigtuerischer Priester
verhindert jedes Fotografieren. Wie an den Tempeln von Chinni-Kalpa zeigen auch
hier viele Schnitzarbeiten die Beschwörung von Fruchtbarkeit durch Tigerpaare.
Im paradiesischen Baspa / Sangla -Tal
Unten am Sutlej-River fahren
wir nicht weiter in Richtung Spiti und der berühmten Lama-Klöster von Tabo,
sondern fahren auf der gegenüber liegenden Talseite wieder hinauf ins
Baspa-Tal. Die Straße ist wieder in den Fels hineingeschlagen worden. An einer
besonders engen Stelle, hoch über dem Fluss, drückt uns ein Saddhu einen roten
Punkt auf die Stirn und gibt uns geweihte Zuckerperlen. Ein Elektrizitätswerk
verrät, dass auch hier der Fortschritt Einzug gehalten hat. Auf der Höhe von
2700 m weitet sich das Tal. Wir befinden uns in einem kleinen Paradies mit
blühenden Apfelbäumen, geschützt durch mehrere Ringe von Dreitausendern,
Viertausendern und Sechstausendern.
Wenige Kilometer vor dem
Hauptort Sangla liegt Kamru, das wie
eine Klostersiedlung hoch über der Straße an einem schmalen Bergrücken klebt.
Wie die Spitze einer Krone überragt ein fünfstöckiger Holzturm die ineinander
verschachtelten Stein- und Holzhäuser. Mühsam klettern wir die Treppen hinauf,
weichen immer wieder Kühen aus, sehen erstaunt die vielen Bienenhäuser, nicken
den Frauen zu, die auf den Dächern oder in den Innenhöfen Getreide reinigen und
waschen. Der Turm auf dem obersten Plateau erweist sich als alte Festung der
Bushehr-Herrscher von Sarahan als Wehrburg gegen Tibet, dessen Grenze nur 30 km
von hier liegt. Inzwischen wohnt nur noch die Göttin Kamakshi in dem Fort. Es
dauert einige Zeit bis sich das Tor öffnet und wir eintreten dürfen. Vorher
müssen wir nicht nur unsere Schuhe ablegen, sondern jegliches Leder, wie Gürtel
und Brieftasche. Erst nachdem wir eine Kopfbedeckung aufgesetzt und ein
Hüftband umgebunden haben, dürfen wir den Tempelbezirk der Kamakshi, der
Liebesäugigen, einer Manifestation von Parvati, betreten.
O Mutter, die Du überall gegenwärtig
bist, Du verkörperst unsere allumfassende Mutter.
O Mutter, die Du überall gegenwärtig
bist, Du verkörperst Kraft und Energie.
O Mutter, die Du überall gegenwärtig
bist, Du verkörperst Frieden.
Ich verneige mich vor Dir, Ich verneige
mich vor Dir, Ich verneige mich vor Dir.
In einen Brunnen bei dem
Fort wurden Gefangene geworfen. Vom Bhim Kali Tempel glauben die Bewohner, dass
sie ihm die Abwehr von mehreren Angriffen der Tibeter verdanken, die den Raja unterwerfen
wollten. Man erzählt, dass früher ein Mensch sieben Tage gut genährt wurde und
Alkohol bekam, um dann am achten Tag geopfert zu werden.
Viel mehr beeindruckt uns
der Tempelplatz im Dorf unterhalb des Forts. Von der Rückwand des Hindutempels
begrüßt uns eine abgemilderte, aber noch immer erschreckende Wandmalerei mit
dem Begründer des lamaistischen Buddhismus Padmasambhava in der Gestalt des
Löwengurus, von Flammen umhüllt, mit Stirnauge, Diamantenkrone, mit einem
Tigerfell als Lendenschurz, die rechte Hand drohend mit dem Vajra ausgestreckt
und die linke Hand mit der Bannungsgeste. So beschützt er die buddhistische
Lehre. Es fehlen die Gehänge aus Schädeln und die von seinen Füßen zertretenen
Menschen. An Stelle der schwarzen Hindugöttin Kali stellt sich hier der starke
Afffenkönig Hanuman in seinen Dienst. An den Seiten des Gebäudes sind
tibetische Gebetsmühlen befestigt.
Alter Hindutempel mit neuem Gompa im
Hintergrund (Kamru)
Seitwärts am Rande des
Bergabhangs steht ein frisch verputzter, gelber Gompa mit neuen Holz- und
Steindekorationen im chinesischen Stil. Vier große Drachen und zwei
Dämonenwächter schauen auf zwei schwarze Kühe, die vor dem offenen Pavillon in
der Sonne liegen.
Von der gegenüber liegenden
Seite schauen vom Tempel der lokalen Gottheit viele symbolische Tiergestalten,
Steinbockköpfe mit echtem Gehörn und Tiger. Der doppelstöckige Tempel ist Badri
Nath geweiht, einem Abgesandten der Muttergöttin Mathi zum Schutz der
Gaddi-Hirten. Zu diesem wunderbaren Holztempel wurde früher der Raja von
Bushehr in einer Sänfte den Berg hinauf getragen, um hier in einer Zeremonie
inthronisiert zu werden.
Die Endstation unserer Fahrt
ist das Banjara-Camp hinter dem Ort Sangla. Inzwischen sind wir uns sicher, dieses Tal gehört mit dem Kalpa-Tal
zu der schönsten Plätzen im Himalaya. Vorbei an riesigen Zedern, durch blühende
Apfelplantagen kommen wir zu dem Camp oberhalb des Baspa-River. Zeltzimmer mit
angebautem Sanitärteil erwarten uns, luxuriöser als die Zeltcamps auf dem Weg
nach Ladakh und ins Nubra-Tal.
Nicht weit vom Camp liegt
das Dorf Batseri. Über eine alte
Brücke, die in einer archaischen Technik mit übereinander gelegten Stützbalken
im Flussufer befestigt worden ist – in Bhutan haben wir 1999 noch viele solcher
Brücken gesehen – kommen wir in das idyllische Dorf. Obwohl das Dorf durch die
Apfelplantagen inzwischen wohlhabend ist, werden neue Häuser noch ganz aus Holz
im traditionellen Stil gebaut. Der neue Reichtum drückt sich vor allem darin
aus, dass die Bewohner für den 1998 abgebrannten Holztempel einen neuen
außergewöhnlichen Hindutempel (Devta) errichtet haben.
Grob geschnitzte, comicähnliche
Erotikskulpturen am neuen Tempel von Batseri
Für die vielfältigen
Schnitzereien haben sie erstklassige Künstler aus Nepal kommen lassen. Sie
gaben den Auftrag, einen Tempel zu entwerfen, der viele Besucher anziehen
solle. Die Dacharchitektur besteht aus zwei quadratischen Dächern, auf denen
diagonal und rechtwinklig aufgesetzte Dachreiter sitzen. Neben den normalen
Götterfiguren finden sich an den Außenseiten viele erotische Szenen, wie sie an
Tempeln in Nepal häufig zu finden sind, also nicht nur Tiere bei der
geschlechtlichen Vereinigung, sondern auch Menschen. An einem älteren
Hindutempel sehen wir nur die üblichen Tierszenen. Ein Stier bespringt eine
Kuh.
Bevor man aber in das Dorf
kommt, durchschreitet man eine alte buddhistische Torkapelle. In den Ecken und
auf dem Zwischendach lagern viele kleine Votivstupas aus Lehm, die von der
Ausübung des Glaubens künden. Dahinter wird wohl im Sinne der Gleichwertigkeit
der Religionen ein neues buddhistisches Tor errichtet. Wenn die Hindugötter
eine neue Bleibe bekommen, dann soll auch Buddha eine neue Erinnerungsstätte
bekommen. Auch im Dorf finden sich viele Zeichen der Religiosität der Bewohner.
Neben Buddha stehen Vishnu, Shiva, Durga, und vor allem Ganesh und
Hanuman. Die Häuser zeigen buddhistische
Symbole wie Lotosblüten, Endlosknoten und Makara. Zwischen den Häusern liegt
ein altes Kloster mit Buddhadarstellungen und außerhalb des Dorfes zum Berg hin
steht eine mit Wasser betriebene Gebetsmühle zwischen hohen Zedern. In diesem
Waldbereich, der eine Barriere gegen Überschwemmungen und Schlammlawinen bildet
und von mehreren Bächen durchflossen wird, stehen ein „Badehaus“ und ein leeres
Schwimmbecken, in dem gerade Kinder Volleyball spielen. An den Bachläufen
stehen mehrere kleine Wassermühlen mit Mahlwerken.
Zum Abend treffen noch 32
Inder aus verschiedenen Teilen Indiens ein, die auf Kosten ihrer Firma für 4
Tage in den Bergen Himachals Ferien machen. Frierend sitzen die Inder in kurzer
Hose im Esszelt und später am Lagerfeuer. In Delhi zeigt das Thermometer 38°,
erzählen sie uns. In der folgenden Nacht sinkt die Temperatur unter 8° C.
Angeheiterte Frauen
trinken neben ihrem Haus Apfelschnaps (Kamru)
Mi.14.4., Sangla-Batseri-Sarahan
Kurz nach Sonnenaufgang 6.30
Uhr können wir uns einen heißen Tee holen oder einen Nescafe aufbrühen. Zum
Frühstück gibt es sogar Honig und Porrigde.
Mit unserem Fahrer verabreden
wir uns um 12 Uhr am Endpunkt einer Wanderung nach Sangla.
Nach einem erneuten Besuch
in Batseri wandern wir durch eine paradiesische Landschaft mit blühenden
Apfelbäumen, uralten Zedern, vorbei an einem Shivatempel und an einer
buddhistischen Manimauer im Wald durch ein buddhistisches Tor. Freundlich
werden wir von den Menschen begrüßt, die Kühe durch den Wald zur Weide treiben,
Ziegen und Schafe beaufsichtigen, an Webstühlen neben dem Haus sitzen oder
Steine zerkleinern für eine Reparatur des Weges. Christa empfindet das
Geräusch, das beim Zerschlagen der Steine entsteht, als ein typisch indisches
Geräusch. Überall an den Straßen trifft man auf Menschen, vorwiegend Frauen und
Kinder, die auf die relativ kleinen Steine zwischen Daumen und Zeigefinger
schlagen.
Sangla
liegt an einer steilen Bergkuppe oberhalb des Baspa-River. Nur schmale Fußpfade
durchziehen das Dorf, auf denen alle Lasten, auch Balken und Zementsäcke, auf
dem Rücken transportiert werden. Im Ort stoßen wir wieder auf einen der für
Himachal typischen Zeremonialkomplex mit mehreren Holztempeln incl.
Buddhatempel und drei lokalen Wollmützengöttern. Eine Gruppe Männer in
Kinnauri-Tracht mit grün-grauen Käppis
und grauen schafswollenen Jacken holt gerade Musikinstrumente wie Trommeln, Cymbeln,
Gongs und lange, gekrümmte Trompeten aus einem Tempel, weil heute ein Fest
beginnt, das die ganze Nacht durchgeht. Wir erleben leider nur den Beginn des
Festes. Zunächst trommeln, blasen und tanzen die Jugendlichen begeistert um die
große Dorfzeder. Auch sie tragen wie die Alten Kinnauri-Käppis und gewebte
Jacken. In einer langen Reihe bewegen sie sich langsam in verschiedener
Schritttechnik um den Baum, an dem eine verhüllte Götterstatue aufgestellt
worden ist. In den Händen halten die meisten gekrümmte Messing-Hörner, die bei
gesteigerten Schlägen der großen Umhänge-Trommeln über den Kopf gehoben werden.
Die jungen Kinnauri
blasen und tanzen zu Beginn eines Festes um einen Baum.
Die Älteren treffen erst
später ein. Wir steigen die Fußwege hoch, vorbei an den Sitzterrassen vor den
Häusern, neugierig beobachtet von den Einheimischen. Krähen sitzen auf den
Rücken der Kälber und zupfen die Winterwolle für ihren Nestbau aus. Oben an der
Durchgangsstraße sitzt unser Fahrer vor einem Fernsehapparat und verfolgt das
Krickettspiel Pakistan – Indien, das bereits den ganzen Tag andauert. Wir
müssen weiter nach Sarahan. Unser altes Hotel ist überfüllt, Franzosen und
Engländer haben die besten Zimmer besetzt. Uns bleibt ein Kellerzimmer, der
beleuchtete Bhimakali-Tempel und der Blick in einen sternklaren Himmel über den
Bergen des Himalaya.
Do.
15.4. Sarahan – Sharmali - Rohru
Am Morgen werden wir durch das Gebimmel der großen
Tempelglocke und durch ein Lied aus dem Lautsprecher des Tempels geweckt.
Ab Rampur fahren wir über
eine kleine Nebenstraße, deren Beschreibung wir durch einen indischen
Automobilclub im Internet entdeckt hatten, Richtung Rishikesh. Die Straße
schlängelt sich zwischen Bäumen bis auf 2600 m. Hier in Sungri, es gibt nur
wenige Häuser, plane man eine Übernachtungsmöglichkeit für Touristen, vertraut
uns der Hausmeister des Circuithauses an, dann lädt er uns zum Tee ein. Auf dem
Weg nach Rohru begegnen uns nur großen Herden mit Ziegen, Schafen und Kühen.
Die Dörfer liegen abseits auf Bergrücken und an Berghängen. Als wir ein
besonders uriges Dorf mit einem hohen Tempelturm sehen, halten wir an und
klettern hinauf. Solche Tempeltürme erheben sich in jedem Ort. An der Tür zu
dieser lokalen Gottheit, die mit Vishnu liiert sei, hängen viele Metallhände.
Eine Hand sei jeweils ein Zeichen für eine Bestrafung, erklären uns die
Menschen und wollen uns wieder zu einem Tee einladen.
Nach 5 ½ Std kommen wir in
Rohru an, einer uninteressanten, schmutzigen Stadt mit unfreundlichen Leuten,
Betrunkenen und Bettlern. Die Stadt besteht aus Beton, Blech, Plastikbahnen und
vielen LKW`s.
Think green
Eat green
Sleep green
Plant a tree for every child.
To protect wildlife
is protect life.
Avoid plastic - Plasticbag free
zone – Eco friendly Restaurant
Fr.
16.4. Rohru – Hatkoti – Hanol – Mussorie - Rishikesh
Der heutige Tag wird zu einer großen Belastung für
uns und für das Auto. Die Fahrt dauert 11 Std. Zuerst fällt mehrmals das Gummi
der Fensterdichtung auf die Straße, dann brechen zwei Stücke der Blattfedern
ab. Unser Superfahrer Prem fährt trotzdem wie ein Weltmeister durch die Kurven.
Er hält zwar jede Stunde, legt sich unters Auto und kontrolliert den Zustand
der Federn, aber wir sollten nicht beunruhigt sein, das Auto sei o.k.
Hinter Rohru liegt die Ruine eines steinernen
Tempelturms und etwas weiter in Hartkoti sehen wir wieder Steintempel. Der
Hateshwari Tempel stammt aus dem 7./8. Jh. Es sieht so aus, als ob wir das
Gebiet der Holztempel und der Wollmützengötter auf den Traggestellen verlassen
haben. Ein unfreundlicher Priester vertreibt uns aus dem Tempelbereich, als
immer mehr Menschen für eine Puja kommen.
Die Landschaft wird immer schöner. Dann können wir
plötzlich am Ton-River nicht weiter, weil wir für die Hauptstraße, die dem
Militär gehört, ein Permit benötigen, das es aber nur in Shimla gibt. Auf
kleinen Straßen kurven wir den Fluss hinauf statt hinunter durch die Berge und
kommen zufällig an dem kleinen Dorf Hanol vorbei. Von der Straße aus
zählen wir fünf Tempeltürmchen. Wir sind auf ein kulturgeschichtliches Kleinod
gestoßen. Nicht die Holztempel, in denen noch bis in jüngster Zeit Frauen nicht
beten durften und Tiere geopfert wurden, faszinieren uns, sondern die
archaischen Göttersäulen. Später erfahren wir, dass dies Shivlings sind, die
nach einer Sage auf einem Feld gefunden wurden, als mit Hilfe Shivas und der
vier Söhne einer Verehrerin ein Menschen fressender Dämon getötet wurde. Nach
den Söhnen wurde der Tempel Mahasu genannt.
Als wir ankommen, tönt uns ein Trommelkonzert
entgegen, das von zwei Männern veranstaltet wird, die eine Puja, einen
Gottesdienst einleiten. Der Gott wird geweckt. Ohne Schuhe und ohne
Ledergegenstände dürfen wir bis in den dritten Raum hinein, wo wir uns wie die
Einheimischen auf den Boden setzen. Der Priester sitzt im nächsten Raum bei der
Götterstatue, die sich als silberne Gestalt mit zwei Nebenfiguren im Dunkeln
nur erahnen lässt. Der Priester drückt jedem eine Tika, einen roten Punkt, auf
die Stirn und erwartet eine Geldspende.
Dann werden zwei Ziegen
in den Raum geholt, eine weiße und eine schwarze. Beide werden ausgiebig mit
Wasser besprengt, über den Nacken und ins Maul. Als die schwarze Ziege sich
schüttelt, sind alle zufrieden, weil das eine positive Bedeutung hat. Diese
Ziegen werden als ein Orakel genutzt, dem die Gläubigen Fragen stellen können.
Vor dem Tempel laufen noch viele Ziegen herum, die den Menschen auf
verschiedene Weise helfen können. Zwei zum Trocknen ausgelegte Ziegenfelle
lassen vermuten, dass hier trotz gegenteiliger Beteuerungen noch Tiere geopfert
werden.
Im Tempelbezirk von Hanol stehen zwei weiße
Steinfiguren, ein Holzidol und mehrere Balken, in die Münzen geschlagen wurden.
Auf dem Weg nach
Rishikesh durchfahren wir weiter eine sehr schöne Waldlandschaft am
Yamuna-River entlang. Unterwegs sehen wir einmal am Fluss große, farbig
gestrichene Lehmhäuser mit Grasdächern, ganz ungewöhnlich. Vielleicht wohnen
hier Gaddi-Hirten während ihres Winteraufenthaltes? Nachdem wir die
Querverbindung von der hl. Yamuna zur hl Ganga eingeschlagen haben, steigt die
Straße nach Mussorie in 30 km auf 2100 m. Unten, 1000 m tiefer, weitet sich das
Tal. Das Korn steht gelb auf den Feldern. In einsamer Landschaft mit weitem
Blick über Tal und Berge entsteht hier ein Osho-Ashram. Je näher wir der
Hillstation Mussorie kommen, umso mehr nimmt der Autoverkehr zu, hupend
versuchen sich die Autos zu überholen. Wir sind wieder in der indischen
Normalität gelandet. Von hier aus fahren wir über Dehra Dun abwärts bis auf 340
m.
Die Ankunft in Rishikesh
ist ein Schock. Krach, Menschenmassen, Autos. Vor allem unerträglicher Lärm. Vor
einigen Jahren waren wir schon einmal in der Stadt am Ganges, in der die
Beatles zu Füßen eines Gurus gesessen haben. Wo sich noch immer die Alt- und
Neuhippies treffen, wo es die Glückssucher aus dem Westen gibt, die mit
verfilzten Haaren, krank, blass,
gestresst vor der German Bakery sitzen, wo ein grunzender Hanumanclown
Stirnzeichen verteilt und sich für Geld fotografieren lässt. Wir wenden uns mit
Grausen. Christa weigert sich, überhaupt ein Foto zu machen.
17.4.
Rishikesh – Haridwar –
Delhi (s. Reisebericht Ladakh)
Das Pilgerfest in Haridwar
Von Haridwar, 13 km den Ganges abwärts, versprechen wir uns mehr, weil
hier noch das Pilgerfest Ardh Kumbh Mela, die halbe Kumbh Mela, die alle 6
Jahre für drei Monate stattfindet, noch bis Ende April andauert. Man rechnet
mit 15 Millionen Pilgern. Das ist nichts gegen die 70 Millionen Pilger, die
sich vor drei Jahren in Allahabad einfanden. Zunächst begrüßt uns ein neu
errichteter Götterkoloss, Shiva als sieben Stockwerke hohe Statue aus Beton,
der über die Zeltstädte wacht, die für die Pilger erbaut wurden. Auf dem
riesigen Areal für Autos und für die wartenden Pilgermassen an den Höhepunkten
des Festes hat man zur Regulierung der Massen, die alle gleichzeitig das von
Sünden reinigende Bad im Ganges nehmen wollen, aus Balken Viehgatter errichtet,
die in Hin- und Her-Gängen über drei Brücken zu den Badeplätzen führen. Der
Hauptbadeplatz Ghat Har ki Pauri, „Fußstapfen Gottes“, der neben dem kleinen,
häßlichen „Main Temple Vishnu Feet“ liegt, zeigt uns wie schon bei unserem
letzten Besuch die unkomplizierte, fremdartige Religiosität der Inder.
Es herrscht ein Treiben wie
in einem Freibad. Die Pilger ziehen sich ins Wasser, spritzen sich gegenseitig
nass, tauchen unter, kreischen, hocken zusammen bis zum Hals im Wasser, Väter
zeigen ihre schreienden Kinder, sie fotografieren sich, während aus dem
Lautsprecher Gesänge und Gebete ertönen und Suchmeldungen und
Sicherheitshinweise. Die Sicherheitskräfte am Ufer benutzen Trillerpfeifen, um
die Gläubigen, die sich weg von den Halteseilen in das stark strömende Wasser
wagen, zu warnen. Immer wieder werden wir von Spendensammlern mit einem
Quittungsblock angesprochen. Auch für ein Stirnzeichen und natürlich für ein
Schiffchen, Blumenopfer und Kokosnüsse erwarten die Verkäufer Geld. Das heilige
Wasser kostet nichts, wohl die leeren Plastikkanister an den farbigen
Tragegerüsten, die von Pilgergruppen ins Heimatdorf gebracht werden, ohne den
Boden berührt zu haben. An den untersten Stufen des Badeghats suchen
Jugendliche auf dem Boden des Flusses nach Opfermünzen zwischen Gläubigen, die
die Hände zum Gebet erhoben im eiskalten Wasser stehen oder aus einem Gefäß
gemäß einem Ritual langsam das Wasser in den großen Strom zurückschütten.
Ein Sadhu reinigt die
Welt mit Weihrauch und ruft die Götter an, indem er eine Glocke läutet.
Etwas abseits von diesem
Trubel beobachten wir eine Gruppe von Männern und Frauen, die in einer
langwierigen Zeremonie sich waschen und die Körperteile mit symbolischen
Zeichen bemalen. Ein Glöckchen wird mit Gangeswasser gereinigt, bevor sein
Klang die Wiedergeburt verkünden darf, ein Muschelhorn wird geblasen, dann
werden Himmel, Erde und Wasser mir Weihrauchstäbchen gesegnet oder gereinigt.
Danach hüllen sich die Gruppenmitglieder in neue Gewänder und begrüßen sich als
neue Menschen, indem sie die Füße der anderen
berühren und sich mit erhobenen Händen begrüßen. Sie haben nichts
dagegen, als wir die Vorgänge filmen wollen. Vielmehr werden wir zum Abschluss
der Zeremonie wie einer der ihren begrüßt.
Für die letzte Etappe bis
Delhi, 210 km, brauchen wir 6 Stunden. Es ist der heißeste Tag unserer Reise.
Die Temperatur liegt über 30° C. Durchs geöffnete Fenster dringt heiße
Außenluft. Noch heißer ist die Situation auf den Straßen. Die Fahrt wird zu
einem Alptraum. Die Überholmanöver, das nervtötende Hupen, die Ochsenkarren mit
Zuckerrohr, die aggressiv fahrenden Busse und LKW`s und unser Federbein krankes
Auto kümmern unseren Fahrer herzlich wenig. Er will zeigen, dass er ein guter
Fahrer ist.
Wir wundern uns wieder
einmal, dass wir ohne Unfall ans Ziel kommen. Fünf Stunden bleiben uns im
Luxus-Ashok-Hotel zum Ausruhen, dann geht es weiter zum Flughafen.
In einer Zeitschrift finde
ich einen Satz aus Aitareya Brahmana (VII,33.3), der etwas über unsere Motivation zu reisen
andeutet trotz aller Unbill:
Es gibt kein Glück für
den, der nicht reist. Indra ist der Freund der Reisenden. Darum wandere!
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Teil 1: 1 Im Kangra-und Chamba-Tal: Alte Hindukultur.
Dalai Lama und buddhistische Klöster. Gaddi, ein wanderndes Hirtenvolk. Die
Chamba Rumals. Die
Felsentempel von Masroor.
Teil 4: Tourverlauf, Preise und Straßenkarte