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 Die schwarzen Menschen in den Ann (Eng)-Dörfern

Die Ann-Frau transportiert mit dem Stirnband in einem Korb Bananenstauden für die Schweine.
Typisch sind die schwarz gefärbten Zähne,  der schwarze Turban mit Kauris und die Schmuckperlen und Blüten im Ohr

Gegen 11 Uhr brechen wir zu zwei Ann-Dörfern auf. Nach einer Stunde Anfahrt mit dem Auto über kaum befahrbare Wege zwischen Nassreisfeldern kommen wir in die Berge. Den meisten aus dem Norden zugewanderten Minderheiten bleibt als Lebensraum  nur die Bergregion zwischen 1000 und 1500 m, wo sie Brandrodung betreiben, um auf den trockenen und steilen Hängen nach der Regenzeit Reis und Mais anzubauen.

Auf schmalen Pfaden wandern wir zu den Dörfern Nam Lin Mai und Wan Mai. Die Leute im ersten Dorf sind Animisten und die im zweiten sind Christen. Unsere Führerin Yin Min Shwe bereitet uns vor: die Ann seien noch viel schmutziger als die Akha und noch dummer. Die Akha seien geschäftstüchtig, sie würden für die Touristen Stickereien herstellen, aber bei den Ann würde sich nichts verändern. Seit 6 Jahren käme sie mit Ausländern hierhin, aber es habe sich  nichts geändert. Das macht uns neugierig, denn wir möchten archaische Lebensweisen kennenlernen. Wir werden nicht enttäuscht.


Zwei Brückentore für die Geister am Dorfeingang

Plötzlich stehen wir auf einer Lichtung und sehen zwei neue überdachte Brückentore für die Geister und in einiger Entfernung die ersten Stelzenhäuser. Neben den Toren stehen zwei Pfosten, die Figuren von Mann und Frau, an den Querstreben sind verschiedene Inschriften und Zeichen angebracht, in den Toren hängen Vasen mit Baumwollflocken. Hinter den Toren, noch außerhalb des Wohnbereiches, befinden sich eine Hütte der Jäger und eine Hütte mit einer Buddhastatue. In der ersten Hütte treffen sich die Männer nach der Jagd und opfern einen Teil des erlegten Tieres, um die erzürnten Geister zu versöhnen, wovon viele Schädel an der Decke zeugen. Eine Vase an der Wand ist für den Schutzgeist. Die zweite Hütte zeugt von dem vergeblichen Versuch, die Ann zum Buddhismus zu bekehren.

Im Dorf stoßen wir zunächst auf einen großen Wasserbehälter, von dem ein 100 m langes Bambusrohr das Wasser mannshoch quer durch das Dorf zu einer anderen Zapfstelle befördert. Der Wassertank sei ein Geschenk einer privaten Initiative, NGO, bei der ihre Eltern engagiert seien, erklärt unsere Führerin Yin Min. Das Wasser strömt aus dem Penis einer zweibeinigen Figur.

Während unserer Wanderung hat unsere Führerin ein Paket mit zwei Decken mitgeschleppt, ein Geschenk zweier Touristen an das Dorf. Gleich nach unserer Ankunft sammeln sich einige neugierige Frauen. Die Decken sollen verlost werden. Von jeder Familie dürfen eine Frau oder ein Mann ein kleines Bambusblättchen ziehen. Zwei davon sind mit einem Strich gekennzeichnet. Auch der Schamane auf seiner Hausterrasse mitten im Dorf zieht ein Blättchen. Die Einwohner machen begeistert mit. Nachdem die Decken verlost sind, geht das Glücksspiel weiter. Wir haben kleine Döschen mit Tigerbalsam mitgebracht, von denen jeweils eins in der geschlossenen Hand zusammen mit der leeren anderen Hand ihnen zum Raten angeboten wird. Die Frauen jubeln wie die Kinder, wenn sie richtig geraten haben.

Durch diese Aktionen werden die Leute sehr zutraulich und lassen sich gerne fotografieren. Die Ann tragen selbst gewebte, schwarze Kleider, die mit einer senkrechten farbig bestickten Biese geschmückt sind. Auf dem Kopf tragen sie einen Turban mit Kauris.

Ungewöhnlich sehen die Frauen durch die schwarzen Zähne und Lippen aus. Sie färben ihre Zähne mit einer öligen Lackpaste. Der Saft eines Lackbaumes wird gekocht und der Dunst mit einem Metallstück aufgefangen.

Wie von Yin Min beschrieben, wirken die Ann sehr schmutzig und spucken und rotzen alle Augenblicke auf den Boden; besonders die Männer und die Kinder sehen ungepflegt aus, aber sie sind alle zutraulich, kindlich, freundlich.

Wir werden eingeladen ins Haus des Schamanen. Im Innern des Hauses hängt eine große Doppeltrommel, deren ununterbrochene Schläge zu Versammlungen ruft. An der Wand hängen zwei mandolinenartige Musikinstrumente und verschiedene Strohsterne als magische Zeichen. Nicht weit vom Haus des Schamanen steht in einer Linie mit der Wasserleitung eine Hütte mit drei Holzfiguren, die Urahnen und eine Figur als personifiziertes Haus.

Das zweite Dorf wirkt ganz anders. Eine Steinkirche und eine Schule, die Menschen sauber, burmesisch gekleidet, zurückhaltender: christlich.

Am Abend wieder Fernsehberichte über die Tsunami-Folgen: 40 000 Tote

29. Dezember

Inzwischen hat sich die Erkältung von Yin Min so verschlimmert, dass sie mit viel Mühe einen Ersatzführer besorgt hat, U Sajot, einen Jungen vom Stamm der Khun. Er ist der Sohn eines Bauern und Schmieds, der Schwerter herstellt. Da sein Vater mit 72 Jahren und seine Mutter mit 68 Jahren nicht mehr gut arbeiten können, muss er neben seiner Tätigkeit als Fremdenführer zu Hause und auf dem Feld helfen. Sajot ist der  jüngste von vier Söhnen und hat eine Schwester, die wie zwei seiner Brüder schon verheiratet ist. Seine Schwester sei vor der Heirat mit ihrem Liebhaber nach Thailand geflohen und habe dort geheiratet. Erst nach einem Monat erlaubte der Vater die Rückkehr. Viele Ehen würden noch von den Eltern arrangiert, obwohl die Jugendlichen eine Liebesheirat vorziehen würden. Im Erbfall würde das jüngste Kind den Großteil des Landes und das Haus erben. Allerdings habe sein Vater den verheirateten Kindern auch etwas Land gegeben.

Da Sajot am Vorabend auf dem Akha-Fest kräftig gefeiert hat und am Morgen nicht richtig gefrühstückt hat, wird auch er krank. Auf der Fahrt zu den Loi-Dörfern und noch auf der Rückfahrt am Abend muss er sich mehrmals mit lautem Getöse am Straßenrand übergeben und begleitet unsere Wanderungen mit lautem Aufstoßen und häufigem Rülpsen. Darüber hinaus zeigt er keine Ermüdungserscheinungen und macht seine Sache recht gut.

In den  Großhäusern der weißen Loi

18 offene Feuerstellen für etwa 100 Personen

Njak guten Tag
Bongmonn danke
(Loi-Sprache)

Mit einem Permit in der Tasche, das anders als beim Besuch der Akha-Dörfer wegen der Nähe zur chinesischen Grenze an einer Schranke auch kontrolliert wird, fahren wir 2 Stunden durch eine schöne Gebirgslandschaft zwischen 600 und 1500 m bis zum Ausgangspunkt unserer Tageswanderung.

Die Loi (Lwe) tragen viele Namen, weil sie von den verschiedenen Nachbarstämmen unterschiedlich bezeichnet werden. Sie gehören zur Hauptgruppe der Mon-Khmers und zur Untergruppe der Wa-Palaung. Nach der Legende sind sie  mit sieben Brüdern aus Dracheneiern entstanden. Das sind die verwandten Wah, Palaung, Shan, Kokant, Bama, Kachin und Lahu. Der älteste Bruder nannte sich Ei va, woraus Wah entstand und die weiteren Bezeichnungen La wa, Wa cho, Loi la u.a. Für die Wa, Palaung u.a. wurde von verschiedenen christlichen Missionaren auf der Grundlage des lateinischen Alphabets eine Schrift erfunden.

Das erste Loi-Dorf Wan Nyet (oder Wan Nynt).

Am Wanderweg liegen zwei tempelähnliche, buddhistische Rastplätze. Nach einer anstrengenden 1 ½ stündigen Wanderung liegt plötzlich in 1000 m Höhe ein idyllisches, 600 jähriges Kloster vor uns. Im Innern sehen wir Gehänge, die wir aus den Himalaya-Regionen als Geisterfallen kennen. Sie werden bei einem Todesfall dem Kloster geschenkt, um dem Verstorbenen eine gute Wiedergeburt zu sichern.

Das erste Kloster

Hinter dem Kloster eine neue Schule, die aber von den Kindern kaum besucht wird, weil die Eltern das Schulgeld nicht aufbringen können. Auffällig sind die weißen, ungefärbten Wadenwärmer, die die Loi tragen.

Dann erst wird hinter dem Berg an Steilhängen das Dorf Wan Nyet sichtbar. Sieben große Langhäuser, in denen 5-6 Familien jeweils leben, d.h. mit Kindern über 50 Personen. Wir verteilen wieder Geschenke und sitzen im Schamanenhaus und trinken Tee. Das Haus ist etwa 12 Jahre alt. Löcher werden provisorisch ausgeflickt. Unter dem First liegt ein breites Brett, das die Feuerstellen der Familien und die Wohnbereiche, die mit Bastmatten ausgelegt sind, abgrenzt. An den Balken hängen Blätter mit buddhistischen Inschriften, die Glück bringen sollen. An den rauchgeschwärzten Balken haben Rauchschwalben ihre Nester gebaut. Das Langhaus hat keine Fenster und keinen Rauchabzug, nur jeweils eine Tür an den Stirnseiten. Unter den Dachschrägen sind Schlafräume abgeteilt. Eine große Trommel steht in der Ecke, die zu Versammlungen ruft. An den brennenden Feuern sitzen überraschenderweise nur alte Männer, die die Kleinkinder füttern und liebevoll betreuen. Nur eine Frau webt einen schwarzen Stoff mit feinen, farbigen Querstreifen. Ihre Weblänge beträgt 40 Longhis, Rocklängen. Wo sind die anderen Frauen? Die Frauen und die jungen Männer seien auf dem Feld, um Chili zu schneiden. Jeder habe bestimmte Aufgaben.


Die große Zeremonialtrommel im Schamanenhaus

Vor jedem Haus trocknen Tee- und Tabakblätter, die auch auf dem weit entfernten Markt von Kyaingtong verkauft werden, um an Geld zu kommen für notwendige Einkäufe wie Salz und Eisenwerkzeuge. Zu der schwarzen  Kleidung tragen die Loi weiße, ungefärbte Gamaschen und Armstutzen. Frauen ziehen über die Armstutzen noch breite Armreifen und haben Ohrknöpfe im Ohr.

Wir fragen, ob bei Zeremonien Tiere geopfert würden. Aber nein, das Dorf sei buddhistisch, es würden nur Eier zerschlagen, und wie wir gesehen haben, gehen manche Jungen für eine bestimmte Zeit ins Kloster. Daneben müssen sich die Bewohner aber an die Geister wenden und bestimmte Regeln beachten, damit sie nicht von bösen Dämonen heimgesucht werden. Deshalb hat das Dorf Eingangstore und ist von einem Zaun umgeben. Auch die Seelen der Verstorbenen möchte man vom Dorf fern halten. Die Toten werden zwar verbrannt und ihre Asche wird in den Fluss gestreut, aber der Gedenkfriedhof liegt doch 45 Minuten vom Dorf entfernt.

Loi-Frau mit gestreiftem Rock und weißen Gamaschen in einem Langhaus

Zum zweiten Loi-Dorf Wan Seng müssen wir noch einmal eine Stunde wandern und dabei auf 1300 m steigen. Dann sehen wir an einem Südhang sechs riesige Langhäuser vor uns. Die größten und längsten Häuser haben ein Wellblechdach. Wir dürfen wieder ein Haus betreten. Auf der Terrasse sitzt ein Mann und flicht einen Tragekorb, mit dem die Frauen täglich das Brennholz heranschaffen müssen. Nachdem wir wie immer vor dem Betreten eines Hauses die Schuhe ausgezogen haben, gehen wir hinein. Drinnen wimmelt es von Kindern, es riecht nach Babykot; einige alte Männer, ganz weiß gekleidet, verschwinden im Dunkeln, es gibt keine Fenster. Vor uns  liegen 18 offene Feuerstellen für etwa 100 Personen. Es gibt keine abgeteilten Schlafkabinen. Hier gibt es keinen Intimbereich. Warum leben so viele Menschen hier auf engstem Raum? Ist dies ein kommunistisches Paradies oder eine große bedürfnislose Ordensgemeinschaft? Das Zusammenleben würde sie vor Raubtieren schützen, hören wir.

Seitwärts vom Dorf, durch einen Fluss getrennt, liegt eine buddhistische Klosteranlage, die 1200 Jahre alt ist. Viele kleine Mönche vergnügen sich mit einem Steinspiel und beachten uns kaum. Zwei andere kleine Mönche sitzen mit ihrem Lehrmeister beim Kloster und schnitzen neue Holzfiguren. Zwischen den Gebäuden steht eine große Satellitenschüssel fürs Fernsehen. Wie ein Mönch erzählt, haben Chinesen ihnen ein kleines Wasserkraftwerk geschenkt, so dass sie etwas Elektrizität erzeugen können. Später am Inle-See sehen wir ein „Kraftwerk“, dessen Kernstück ein hölzernes Wasserrad ist. Ob das chinesische Kraftwerk ähnlich einfach konstruiert ist, wissen wir nicht. Der erzeugte Strom ist wohl nicht für die Beleuchtung der riesigen Langhäuser bestimmt.

Im Dunkeln treffen wir wieder in Kyaingtong ein und haben Mühe noch ein Esslokal zu finden. Der Chinese hat geschlossen, aber unter dem goldenen Banyan-Baum gibt es  noch etwas.

30. Dezember

Auf dem riesigen Markt in Kyaingtong sehen wir an diesem Morgen sehr viele Akha und Ann beim Verkaufen oder Einkaufen. Als letzten Programmpunkt vor unserem Weiterflug nach Heho wollen wir noch ein interessantes Dorf in der Nähe der Stadt besuchen.

Das Nebeneinander von Ahkhu und Khun

Die soliden Häuser des Khun-Dorfes.
Ein Bauer versetzt den Befestigungsgalgen für den Wasserbüffel im abgeernteten Reisfeld.

Das Dorf Wan Sai (junger Knabe) besteht aus zwei Teilen. Der ältere Teil liegt in der Ebene und wird von Khun bewohnt und der neue Teil liegt versteckt zwischen den Hügeln und wird von Ahkhu bewohnt. Die Ahkhu sind erst in den 90er Jahren aus China eingewandert. 1996 wohnten hier erst vier Familien. In der Regenzeit ist es kaum möglich die Häuser zu erreichen, so steil ist der Aufstieg. Viele alte Frauen und viele Babys leben hier. Wie häufig bei den Bergstämmen rauchen auch die Frauen Pfeife. Die alten Frauen bieten die primitiven Pfeifen zum Kauf an, ein dünnes Bambusröhrchen mit einem grünen Bambuskopf. Sie zeigen uns, dass sie dafür gerne Kopfschmerztabletten haben möchten.

Die Ahkhu und die Khun stellen extreme Gegensätze dar. Während die Khun in massiven Häusern, z.T. aus Stein, wohnen und Buddhisten sind, wohnen die Ahkhu in einfachsten mit Blättern gedeckten Bambushäusern und sind Baptisten. Beide sprechen eine grundverschiedene Sprache und eine Heirat ist ganz unmöglich, wie Sajot empört versichert. Bis vor einigen Jahren töteten die Ahkhu wie die Akha noch Zwillinge, um Unglück vom Dorf abzuwenden.

Ahkhufrau mit Ohrstecker und Pfeife vor ihrer Bambushütte

Im Khun-Dorf finden wir auf den Hausterrassen Klotzbeuten, Teile eines hohlen Baumes, in denen Bienen gehalten werden, von denen sie sechsmal im Jahr Honig ernten können.

Der Flug nach Heho dauert nur eine Stunde, die Autofahrt nach Pindaya über schmale Straßen voller Löcher dagegen 2 Stunden. Wir sind jetzt in einer landwirtschaftlich intensiv genutzten Hochebene. Sehr viele Ochsenkarren sind unterwegs. Überladene Lastwagen. Sesam wird geerntet. Der Weizen ist noch grün, steht aber schon hoch. Vor Pindaya begrüßen uns besonders viele der gewaltigen Banyanbäume.

Das neue Hotel Conqueror ist eine großzügige Luxusanlage mit Bungalows, im burmesischen Stil mit vielen Schnitzereien gebaut. Leider ist das Essen schlecht. Alles wird in Dollar abgerechnet, eine Email kostet 5 Dollar, Internet 2 Dollar für 15 Minuten, Telefonieren 8 Dollar für eine Minute. Überraschenderweise wird die Nacht hier noch kälter als in Kyaingtong. Für ein kleines Heizgerät müssen wir zusätzlich 5 Dollar pro Nacht zahlen.

Über dem Eingang des Hotels erinnert eine große Spinne an die Entstehung des Ortes.

Als vor vielen Jahren sieben Prinzessinnen hier am See den Tag verbracht hatten, wurden sie von der Dunkelheit überrascht und übernachteten in dem Höhlenkomplex oberhalb des Ortes. In der Nacht kam eine große Spinne, die die schlafenden Prinzessinnen einspann, so dass sie die Höhle nicht mehr verlassen konnten. Ihre Hilferufe hörte aber ein vorbei reitender Prinz, der darauf herbei eilte, die Spinne tötete und die Worte „Pinku Ya“ rief, d.h. „ich habe die Spinne“. Daraus entstand der Name Pindaya. Dann heiratete er die jüngste Prinzessin und lebte glücklich mit ihr….

Insgesamt gibt es in Pindaya sechs Hotels, auch mit Blick auf den See, wo die Frauen ihre Wäsche waschen.

Im Fernsehen wird die Zahl der Tsunami-Toten mit 120 000 angegeben.