I. Orissa 2006
Die Volksstämme im südlichen Orissa

Fotos von Christa Neuenhofer


Tätowierte Frau der Desia-Kondh

Aus dem Inhalt:

Orissa I.
Bei den Volksstämmen im südlichen Orissa
(Kondh/Kui, Desia-Kondh, Kuttia-Kondh, Dongria-Kondh, Dongria-Kondh, Gadaba, Bondo, Dharuva-Gond, Lanjia Saora )

- Der Tulsistrauch,
- Der Büffelopferpfahl, eine Erinnerung an die Zeit der Menschenopfer,
- Brautwerbung bei den Ulari-Gadaba,
- Bei einer Schamanin
- 12 Adivasi werden von der Polizei erschossen: Generalstreik

Orissa II
Aus der Geschichte, die Küstenebene, Jagannath in Puri, der Sonnentempel von Konarak, die Hauptstadt Bubaneshwar, die Höhlenklöster von Udayagiri und Khandagiri, der Göttinnen/Yogini-Tempel, die Missionierung der Adivasi durch die Hindutva, die Malereien und Bronzefiguren.


Mit Perlenketten geschmückte Bondo-Frau

Zum Orissa-Überblick
Der Tourverlauf 2006 und Karte von Orissa

Die Tour 2005/6 beschränkt sich nur auf das südliche Orissa und soll einem intensiveren Studium der Volksstämme dienen. Diese zweite Fahrt bringt überraschend vielfältige und neue Begegnungen mit den verschiedenartigen Volksstämmen und begeistert uns ebenfalls durch die unterschiedlichen Landschaftsbilder.

Das Handy gehört inzwischen zu den Selbstverständlichkeiten der reisenden Inder. Am Flughafen Mumbai gibt es an den Wänden viele öffentliche Ladestationen für Handys. In Bhubaneshwar werden wir sogar von einem Fotohandy fotografiert und bekommen die Bilder gleich zu sehen. Hier sind wir nicht mehr die überlegenen Europäer, die die Inder durch digitales Video- und Fotodisplay zum Staunen bringen. Das gelingt erst wieder in den Dörfern Orissas.

Orissa zeigt sich immer noch sehr traditionell. Das zeigt sich uns zunächst an der Vielzahl der alten Autos Marke Ambassador. Während wir in Nordindien fast keinen dieser alten Dieselautos mehr sahen, gehören sie hier wie vor 10 Jahren zum Straßenbild dazu. Auch wir bekommen als Tourauto eine weiße Buckelkiste, die bei jeder Steigung ins Keuchen kommt und bei steilen Anstiegen fast stehen bleibt. Der Kofferraum kann nur mit Mühe unsere drei Gepäckstücke aufnehmen und die Türen lassen sich nur mit viel Mühe öffnen. Trotz unserer Bedenken schafft der Ambassador die Tour aber ohne eine Panne.


Ochsenwagen auf dem Weg nach Namgiri

Von Anfang an nimmt uns das ländliche Orissa gefangen: schmale zweirädrige Ochsenkarren transportieren Reisstroh zu den Dörfern, während Busse, auf deren Dach fast ebenso viele Personen hocken wie im Bus, hupend an ihnen vorüberbrummen. Auf einigen Feldern ziehen Ochsengespanne mühsam einen Hakenpflug durch den morastigen Boden. Auf manchen Feldern wird noch der Reis geschnitten und getrocknet. In den Dörfern schlagen Frauen mit langen Stöcken die Körner aus den Ähren, während auf den Feldern auch Tiere über die Ähren im Kreis rundum getrieben werden. Daneben stehen wieder andere, die durch Ausschütten des Gedroschenen im Wind die Spreu von den Körnern trennen.

Eine bestimmte Sorte Reis wird vorgekocht und dann getrocknet. Braun liegen diese Körner im Dorf Khonguria (bei Bolagarh) vor den Häusern. In Itamati besuchen wir mehrere Weber. In schmalen Hausscheiben, wie wir sie in alten holländischen Städten finden, arbeiten und wohnen die Weber zu mehreren Familien hintereinander. An fünf Webstühlen hocken hier die Weber in tiefen Erdlöchern und lassen unermüdlich das Webschiffchen hin und her sausen. Neben einem Webstuhl bleibt kaum Platz, um in den hinteren Raum zu kommen. Ein Tuch 80 x 160 cm kostet 50 Rs (1 €).

Auf unserer Fahrt durch das waldreiche Bergland begegnet uns häufig der Sal-Baum, der aus sehr hartem Holz besteht und für Opferpfähle und Dachträger für die Lehmhütten verwendet wird. Genauso häufig sehen wir den Mango-Baum. Die Mango-Baumblüte im Februar kündigt sich schon manchmal in den Blütenständen an. Die Mangofrüchte reifen allerdings erst ab April. Der Mohua-Baum ist für die Stämme wichtig, da aus seinen Blüten ein Schnaps gewonnen wird. Aus dem Saft einer Sago-Palmenart wird ein Wein gewonnen. Die Blüte oder der Stamm werden angebohrt und der in einem Tongefäß aufgefangene Saft ist im Laufe der Nacht oder des Tages bereits vergoren und trinkfertig. Auch Bambus sieht man immer wieder. In den Dschungelwäldern sollen außer Affen und Hirschen auch Bären, Wildschweine und Leoparden leben.

Die Stammesgruppen der Kondh/Kui

Man schätzt die Zahl der Menschen auf  750 000 - 1 Million. Die Untergruppen der Kondh sprechen unterschiedliche Kui-Dialekte (zur dravidischen Sprachgruppe gehörig) und unterscheiden sich auch in Brauchtum und Religion. Sie wohnen in Höhen zwischen 700 und 1000 m. Dort regnet es im Februar und von April bis September. Im Winter ist es sehr kalt, im Sommer sehr heiß, 40° C.. (Wegen der Verbreitung von Malaria ist eine Prophylaxe empfehlenswert.)

Die englische Kolonialverwaltung erfuhr 1835 erstmals bei einer militärischen Strafaktion von den Kondh und war entsetzt über die alljährlich im Frühjahr üblichen Menschenopfer (Meriah) zu Ehren der Erdgottheit und für die Fruchtbarkeit der Felder. Es gelang ihnen die Kondh zu bewegen, anstelle der Menschen  Büffel zu opfern.


Desia-Kondh-Dorf Bhatpur: Hirsekolben werden gedroschen.

Untergruppen der Kondh:

1. Maliah. Sie wohnen um Phulbani und im westlichen Ganjam-Bezirk. Viele sprechen auch Oriya und haben Elemente des Hinduismus übernommen. Zu ihnen zählen auch die Desia-Kondh, die den Tulsistrauch und Bronzefiguren verehren.

2. Kuttia-Kondh, südwestlich von Phulbani.

3. Dongria-Kondh. Sie wohnen an den steilen Berghängen der Niyamgiri, nordwestlich von Koraput.

4. Kuvi-Kondh, nördlich von Koraput.

s. Mythos der Erschaffung der Kondh

Die landlosen Pano, eine Unterkaste der Hindus, wohnen z.T. in den Dörfern der Maliah-Kondh. Sie besorgen die Opfertiere, machen Musik, reinigen den Dorfplatz und hüten das Vieh. Viele von ihnen traten zum Christentum über, um ihre wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung zu verbessern. Etwa ab 1950 treten auch vereinzelt Kondh zum Christentum über (2%), weil sie dem christlichen Gott mehr Macht zubilligen als den eigenen Göttern. Die Probleme der Christianisierung beschreibt Barbara M. Boal, die viele Jahre bei den Kondh gelebt hat, in dem Buch "Fire is easy, The Tribal Christian and his Traditional Culture", 1973, wobei sie vor allem sehr detalliert die traditionelle Kultur der Kondh beschreibt. (s.a. Boal: "The Kondhs, Human Sacrifice and Religious Chance", Delhi 1997)

Bei den Desia-Kondh, den Nicht-Tätowierten

Der erste Ort heißt Madhapur. Dort werden gerade Vogelfallen hergestellt und große Vorratskörbe für Reis von außen mit Lehm abgedichtet.

"Was wollt ihr in unserem Land? Ihr habt doch alles." fragt uns eine Frau. Genügt die Antwort "Nein, wir haben keine Bananen, keine Kokusnüsse"? Warum fahren wir in diese abgelegenen Gebiete? Was geben uns die armen Menschen mit? Wir sammeln ihre Gesichter, ihre Häuser, ihre Lebensart, ihre Religion. Mit Schaudern schauen wir auf ihre primitiven und archaischen Sitten. Wir sehen das Fremde, nehmen Kontakt zu ihnen auf wie zu Märchengestalten. Wir sehen das Ähnliche, stellen Übereinstimmungen mit unserer europäischen Kultur fest, erkennen in ihnen allgemein menschliche Verhaltensweisen. Wir sehen danach uns und unsere Kultur mit anderen Augen. Was uns an der fremden Kultur überrascht, finden wir in unserer Geschichte wieder. Suchen und finden wir uns auf unseren ethnologischen Reisen?

In Nuagaon (15 km von Baliguda) werden Worfelschalen aus Bambus hergestellt. Die Hauswände sind nicht nur beliebig mit Lehm verdichtet worden, sondern durch den Aufstrich mit feuchten Fingern erhalten sie geometrische Muster, und durch einen Anstrich mit roter Erdfarbe werden sie zu schönen Wohnungen. Die Strohdächer sind so tief herunter gezogen, dass kein Sonnenstrahl ihre Veranda trifft. Diese Veranda ist mindestens 30 cm hoch über dem Erdboden, so dass kein Wasser ins Haus hineinlaufen kann. Auch die Veranda wird immer wieder mit Lehm und Kuhdung glatt gestrichen, so dass sie sauber wie ein Parkettboden glänzt. Der Innenraum ist dunkel. Das Licht fällt nur durch die geöffnete Tür. Zwei Löcher im Fußboden werden als Stampftöpfe für Körner genutzt.

Abends treffen wir in einer "jemenitischen" Kaschemme eine Holländerin, die bereits 26 mal in Indien war. Auch sie schläft in der „Karawanserei“, einer Zelle im Innenhof, während die Autos unmittelbar vor den Türen stehen und die Stimmen der Einheimischen bis spät in die Nacht ins Zimmer hineindringen. Das Wasser auf der Toilette läuft. Ein brennender Coil gegen Mücken nimmt uns die Atemluft. Die Kehle und die Lippen sind trocken. Schlaflos wälzen wir uns im steinharten Bett.

Als wir am frühen, kühlen Morgen durch dichten Wald hinauf zu den Bergsiedlungen der Desia-Kondh fahren, tropft das Wasser von den Bäumen, als ob es regne. Bei Barakhama, etwa 600 m hoch, wandern wir mit einem lokalen Führer durch einige Dörfer (Patra Ghata, Dokakadi und Jargi). Die Gärten enthalten Kartoffeln, Tomaten, Auberginen und Gelbwurz, das für religiöse Zeremonien gebraucht wird. Vor den Häusern steht auf einem Lehmsockel ein kleiner Tulsistrauch , eine Art Basilikum.

Der Tulsistrauch

Die Tulsipflanze, eine würzig duftende Basilikumart, findet sich meist vor einem Vishnu-Tempel und in Orissa vor vielen Häusern in den Stammesgebieten. Sie symbolisiert die treue Brundabati, deren dämonischer Ehemann von Krischna/Vishnu getötet wurde, nachdem er sie verführt hatte. Brundabati verfluchte ihn deshalb mit den Worten: "Ich werde als heilige Tulsi-Pflanze wiedergeboren werden und du sollst meine Blätter auf deinem Kopf tragen als Zeichen deiner Falschheit." Krischna nahm zerknirscht ihre Worte zur Kenntnis. Und somit schätzte er die Tulsi als Sinnbild der Reinheit einer Frau mehr als alle anderen Blumen. Die Einheimischen begießen jeden Morgen vor dem Essen die Pflanze, schlürfen ein wenig Wasser von der Wurzel und schmücken ihre Stirn mit der heiligen Erde. Am Abend entzünden sie vor der Pflanze eine kleine Ölflamme, knien nieder, flüstern der Pflanze ihren Kummer zu und suchen so ihr Heil. Man sagt der heilige Gangesfluss umspüle ihre Wurzeln, Brahma und andere Götter wohnten in ihren Zweigen, so dass sie der Treffpunkt von Himmel und Erde sei. Unverheiratete Mädchen reinigen jeden Morgen den Altar und malen mit Reismehl Symbole der Götter auf die Erde, um Brundabati zu erfreuen und einen guten Ehemann zu bekommen. Die Witwen schmücken die Tulsi mit Blumen und ihre Wurzeln mit den Vishnu-Symbolen einer Muschel, eines Rades, eines Stabes und einer Lotusblüte. Dabei singen sie:

O Brundabati, ich beuge mich vor dir und berühre deine Füße hundert Mal.
Gib mir guten Verstand und Wissen.
Gib mir Schutz zu deinen Füßen im Himmel, wenn ich gestorben bin.
Ich grüße dich hundert Mal.


Zwei unterschiedliche Tulsi-Altäre

Der Büffelopferpfahl, eine Erinnerung an die Zeit der Menschenopfer

In den Dörfern steht immer ein Opferpfahl. Gopi erzählt uns voll Abscheu von dem Opferritual Meriah im April, bei dem er zweimal anwesend gewesen sei. Bei der Opferung eines Büffels stürzten sich die Männer des Dorfes betrunken auf das Opfertier und schnitten dem Tier bei lebendigem Leibe Fleischstücke heraus, um sie auf den eigenen Feldern zu vergraben. Sie glaubten, dass dies ein notwendiges Geschenk an die Erdgöttin sei, um die Felder fruchtbar zu machen. Bei diesem Fest schlössen sich oft bis zu sechs Dörfer zusammen, um sich die Kosten dafür zu teilen.

In einem Mythos wird von der Entstehung der Menschenopferung erzählt.

Bangu pinnu schickte den Leuten Krankheiten. Sie gingen zur Erdmutter Nirantali-Kapantali und erzählten es. Sie sagte: "Ihr habt das Land bestellt und Korn gesät, aber ihr habt nicht geopfert. Daher wurde die Göttin zornig und schickte euch Krankheiten. Früher hat sie das Blut der Frauen getrunken. Nun müsst ihr das Blut des Bengiri-Baumes an den dharni-Steinen  opfern, und sie wird es trinken. Sie taten, wie geheißen, und die Krankheiten gingen vorbei.

Nach vielen Jahren wuchs die Zahl der Menschen, und sie ließen sich in Dörfern nieder. Und alle Leute opferten den roten Saft des Bengiri-Baumes. Da sagte Bangu-pinnu: "Ich bin mit dem roten Saft nicht mehr zufrieden. Ich will das Blut eines Menschen haben. Der Mensch muss in allen Familien essen, muss in allen Familien mit Gelbwurzwasser gewaschen werden an dem Tag, an dem ihr ihn tötet. Mit Trommeln und in Prozessionen soll der Mensch im Dorf herumgeführt werden. Dann bin ich zufrieden und gebe euch viel Korn."

Da brachten die Armen ihre Kinder, und die Leute kauften sie. Das geschah zuerst in einem Dorfe, und als erstes opferten sie ein Mädchen, weil Bangu pinnu früher das Blut der Frauen getrunken hatte. Später wurden auch Männer geopfert.

So entstand das Meriah-Opfer. Später verbot die Regierung diese Opfer, und die Leute nahmen als Ersatz den Wasserbüffel.

(nach H. Niggemeyer, Kuttia Kond, S. 224)

Als wir wieder in Bhubaneshwar sind, bringt die Zeitung The New Indian Express das Bild eines Protestzuges gegen die alte Tradition der Opferung von Kühen: im Demonstrationszug marschieren Menschen und Tiere. Vorweg gehen zwei Wasserbüffel, denen man Schilder umgehängt hat. Einige Tage nach Neujahr lesen wir, dass auf Grund des Widerstandes und des massiven Einsatzes von Polizei bei dem Kondh-Fest in Khairguda (30 km entfernt) anstelle eines Büffels Reis, Bananen und Kokosnüsse geopfert worden seien. Allerdings seien in anderen Orten kleinere Tiere wie Ziegen, Schafe und Hühner getötet worden, wie es jedes Jahr am zweiten Dienstag des Monats zu Ehren der Gottheit Sulia Bhudha geschehe. Seit zwei Jahren protestiere dagegen eine Gruppe, die jetzt hofft, dass auch bei anderen Ritualen in anderen Orten auf eine Opferung von Tieren verzichtet werde.


In den Dörfern steht ebenfalls ein Totempfahl in Form einer Gabel mit einem geschnitzten Büffelkopf, der Jakri. Vor der Opferung des Büffels wird hier gebetet. Zu anderen Zeiten werden hier den Göttern auch Schweine und Hühner geopfert. Neben dem Opferpfahl steht in Dokakadi ein Tulsialtar, wo täglich die Erd- und Fruchtbarkeitsgöttin Patkanda verehrt wird. In den Dörfern sind noch weitere etwa 1.50 m hohe Ritualpfähle zu sehen. Am Dorfeingang von Patra Ghata steht am Waldrand ein Pfahl für Dharani Penu, die Schutzgottheit des Dorfes. In Jargi erklärt man uns einen anderen Pfahl mit einem Loch im oberen Seitenteil. Ins Loch wird ein Eier gelegt und oben drauf Reis gestreut und etwas Alkohol geschüttet. Für die Opferung von Kleintieren haben sie einen anderen Pfahl unmittelbar neben einem Lehmhaus.

Als wir Trommelschläge aus einem abseits liegenden Haus hören, fragen wir, ob hier wie bei anderen Kondh-Stämmen üblich ein Pano, ein Angehöriger der Dienerkaste, wohne. Nein, bei den Desia-Kondh gebe es keine Kasten. Der Mann übt auf einer großen zweiseitigen Trommel aus Ton für Gelegenheiten wie Hochzeiten und Beerdigungen.

In Barakhama, einem Zentrum der Metallgießer, kaufen wir bei einem Händler eine Bronzefigur, die wie üblich durch Ruß und Rizinusöl geschwärzt ist, eine große, sehr schöne Ahnen-Figur einer stehenden Mutter mit einem Kind, das an der linken Seite in einem Tuch hängt und mit beiden Händen an ihrer Brust trinkt. Die Haare sind straff nach hinten gekämmt und enden in drei abstehenden Zöpfen mit Schmuckplatten. Ein Schmuckband verläuft quer über ihre Stirn. Die beiden Wangen und das Kinn sind jeweils mit den geometrischen Mustern der Desia-Kondh tätowiert. An beiden Seiten des Mundes befinden sich die typischen, tätowierten "Blumenblüten". Um Hals und Schultern hängen vier breite Schmuckketten. Die untere endet in einem kreisförmigen Anhänger. In den Ohren sind jeweils 8 Ringe und jeweils einer in den Nasenflügeln. Die Fußknöchel schmückt je ein dicker Reif. In der rechten Hand hält sie einen Schirm mit Schmuckketten. Als einziges Kleidungsstück bedeckt ein schmales Tuch ihre Hüften.

Zu unserer Überraschung legt der Händler die Figur auf die Waage und erklärt uns, dass 100 Gr. Bronze 100 Rupies kosten. Nicht die künstlerische Qualität wird bezahlt, sondern das Gewicht des bearbeiteten Metalls. Das rührt wohl noch daher, dass die Kondh diese Bronzen gegen eine entsprechende Menge Reis eintauschten. Eine kleine Figur gegen 8-12 kg Reis.

Das zweite Stück, eine recht ungewöhnliche Ritualbronze, bekommen wir als Zugabe. Nur durch Hinweise im Buch "Die anderen Götter" von C.Mallebrein, 1993, konnten wir etwas mit dem seltsamen Gebilde anfangen. Es handelt sich um das Fabelwesen Jelbangrodu: ein Stachelschwein mit röhrenförmigem Körper auf vier Beinen, vorne ein winziger Kopf, darüber drei Pfauenköpfe, seitwärts gespreizte Stacheln, hinten eine Person mit einem Pfauenkopf und gespreizten Stacheln. Vielleicht werden auch die Federn der Pfauen und ein Pfauenkörper dargestellt? Auf dem Körper befinden sich drei und seitwärts zwei kleine Körbe und vor dem letzten Korb ein aufragender, größerer Schmuckaufsatz.

Die Körbe zeigen an, dass das magische Tier in der Lage ist, sie mit Reis und Getreide zu füllen und den Besitzer reich zu machen. Es soll die Körbe mit dem Korn des Nachbarn füllen. In diesem Sinne wird er im November zur Zeit der Ernte angerufen und ihm ein Hühnchen geopfert.

Bringe kein Fieber und keine Krankheit, es möge Getreide und Korn geben, lass die Bambuskörbe voll sein, bringe das Eigentum des anderen, bringe es mir, ich gebe dir Blut und Opferspeise, ich verehre dich und bete zu dir. (nach Mallebrein, S.489)

Diese Figur wird in einem gesonderten Bambuskorb in einem Tontopf mit Reis am Ahnenplatz aufbewahrt. In einem anderen Topf werden im Stall Bronzen von Rindern, Zugochsen und Wasserbüffeln aufbewahrt und vor der Reisernte verehrt. Diese Bronzen sind an die Stelle der früheren Büffelopfer getreten.

Die Ahnen gelten als allgegenwärtig. Deshalb gießt man vor dem Trinken von Palmbier oder bei anderen Zeremonien immer etwas auf die Erde, bevor man selbst trinkt. Die Ahnen werden immer wieder um Rat gefragt. Auf diese Weise wird im täglichen Leben zwischen den Mitgliedern der Familie eine gewisse Solidarität hergestellt.

Die Kuttia-Kondh

Nachdem wir wieder einmal unterwegs in einer Hütte, die sich "Hotel" nennt, weil im hinteren Bereich einige Bettgestelle zum Schlafen stehen, widerwillig muffig-schmeckenden Reis mit scharfen Beigaben gegessen haben, fahren wir hoch in die Berge zu dem abgelegenen Kuttia-Dorf Taraling in der Belghar-Region.

Die Kuttia (etwa 5 000) leben in 120 Dörfern, d.h. im Schnitt leben nur etwa 40 Menschen in einem Dorf. Ihre Kultur wird von H. Niggemeyer in seinem Forschungsbuch "Kuttia Kond, Dschungelbauern in Orissa", 1964, ausführlich beschrieben.

Die Straße schlängelt sich in steilen Serpentinen bis auf 875 m hoch. Mehrmals geht unserem Ambassador die Puste aus. Er stinkt gefährlich nach Gummi. Aber wir müssen unterwegs nicht aussteigen und an jeder Kurve Wasser nachschütten, wie wir es bei Darjeeling in Nordindien erlebt haben. Auf der Passhöhe, vor dem Dorf, begrüßt uns eine auffällige Steinsetzung. Das rote Pulver und die vielen Weihrauchstäbchen verraten, dass hier häufig zu den Göttern gebetet wird.


Opferpfahl in einem Dongria-Dorf

Das Dorf liegt hinter Palisaden aus hohen Baumstämmen, der Zugang zum Dorfplatz, eine kurze, breite Straße mit wenigen aneinander gebauten Häusern, ist offen. Eine junge tätowierte Frau entlaust ihr Kind, eine andere kämmt ihre langen schwarzen Haare. Auf der Dorfstraße stehen zwei Büffelopferpfähle und Dharni-Steine. Die Dharni-Steine sind drei aufrecht stehende, 20-30 cm hohe Natursteine, vor denen flache Steine liegen, auf denen die Opfergaben Hirse und Gelbwurz zerrieben werden. Sie sind der zeitweilige Wohnsitz der Erdgöttin Bangu pinnu, die unter der Erde wohnt und bei einer Kultfeier zunächst herauf gerufen wird und dann wieder zurück geschickt wird. Die wichtigsten Kultfeiern bei diesen Steinen sind das Frühjahrsfest, das Fest der grünen Mango-Früchte, das Fest der Mango-Kerne, das Saatfest, das Fest der Pockengöttin und das Meriah-Opferfest.

O Gott
du hast das Seil gemacht,
um das Meriah-Opfer zu binden,
dieses Schwert und die Axt hast du gemacht
Wir haben keine Schuld.
Wir haben nichts falsch gemacht,
wir haben kein Verbrechen begangen.
Dein Schmied hat gestaltet diese Axt.

Durga isst, Durga isst alles.
Unten wohnt Dhartani, die stille alte Erde.
Oben wohnt Dharmu, der Gott der Gerechtigkeit;
wir opfern nur eine kleine Gabe, unbedeutend.
Das Land wird glücklich sein,
Gott wird glücklich sein.
Lass sie reich werden.
Die Lanze isst das Opfer,
o Gott, wir opfern dir so vieles.

(Anrufung der Erdgottheit beim Meriah, übersetzt nach "Unending Rhythms, Oral Poetry of Indian Tribes", Sitakant Mahapatra, 1937/92)


Landschaft bei Bissamcuttack

Häufig kommen wir an gelb blühenden Feldern vorbei. Gopi sagt: "elo oilsi" und meint damit "yellow oilseed". Er spricht meist nicht die Anfangs- und Endkonsonanten eines Wortes oder er verändert sie willkürlich. "oxen" meint auction, "ud" ist wood und "umen" women. Den Sinn seiner Erklärungen müssen wir oft erraten.

Durch eine Landschaft mit kegelförmigen Bergen, die an Landschaften im südchinesischen Yunnan erinnern, fahren wir zu der Bezirksstadt Maniguda. Dort sollen wir unsere Zelte aufschlagen. Da wir aber nur zu zweit reisen, ergibt sich die Möglichkeit in einem sehr schlichten Inspection-Bungalow zu übernachten. Dort haben wir Wasser und Elektrizität, und die Nachtkälte bleibt draußen. Gut denken wir, aber zu schlafen ist unmöglich, da während der ganzen Nacht Züge mit durchdringendem Warnton an unserem Fenster vorbeirattern. Gegen dieses Geräusch können wir uns nicht mit Ohropax abschotten, wir sind ihm regelrecht ausgeliefert.

Am nächsten Tag starten wir schon in der Dunkelheit zu den Siedlungsgebieten der wilden Dongria-Kondh. Heute ist Markttag und die Dongria wandern von den Bergen herab zum Markt Chatikon an der Bahnstation Bissamkuttack. Da es noch einige Stunden dauern wird, bis sich der Markt gefüllt hat, wandern wir ihnen bergauf entgegen. Dort, wo die Straße auf die Ebene trifft, stehen schon Touristen mit gezückten Kameras und schießen gnadenlos alle Ankommenden ab. Eine italienische Gruppe von 18 Personen und eine holländische Gruppe von 20 Personen haben Aufstellung genommen. Das ist eine recht unangenehme Situation, deshalb steigen und fahren wir weiter hoch in die Berge zum Ort Khatjuri. Die tief heruntergezogenen Strohdächer der Häuser wirken wie heruntergelassene Jalousien. Die meisten Menschen sind hinuntergegangen zum Markt. Interessant ist ein halb verfallener Lehmtempel im oberen Bereich des Dorfes. Malereien, geometrische Muster außen und im Innern, zeigen den Kunstsinn der Dongria. Als besonderes Merkmal tragen die Frauen ein Dutzend Klammern im Haar und in der hinteren Haarrolle ein kleines Messerchen. Auf ihrer Stirn findet sich meist eine Tätowierung, ein Ast mit drei Zweigen, am Kinn Punkte und an den Armen verschiedene abstrakte Ornamente. In der Nase tragen sie drei Ringe.


Dongria-Mädchen mit typischen Haarklammern

In den folgenden Dörfern Jhigidi und Bhatpur wohnen Maliah-Kondh, die zu den nicht-tätowierten Desia gehören.

Gopi sagt, dass die ungebildeten Kondh sich früher von den cleveren Küstenhindus das Land haben abschwatzen lassen, was jetzt aber von der Regierung unterbunden worden wäre. Jetzt wüssten die Kondh besser über ihre Rechte und den Wert ihres Landes Bescheid.

Auf dem Weg nach Jeypore wird die Landschaft hinter Rayagada immer baumloser. Die Berge rücken näher. Industrieanlagen, Metallfabriken und eine Papiermühle seitwärts der stark befahrenen Hauptverbindungsstraße. Der Ort Jaykaypur ist nach dem Besitzer der Papierfabrik J.K. benannt worden.

Das Dorf Minapai wird von den hinduisierten Sabar/Saar bewohnt. Sie gehören einer sehr niedrigen Kaste an und dürfen nicht jeden Hindutempel besuchen. Sie leben von Bambusflechtarbeiten.

Gopi, unser Führer, weist gerne auf die Einordnung der Hindubevölkerungsgruppen im Kastensystem hin. Dabei lässt er seine Brahmanenschnur aus dem Hemd heraushängen. Unser Fahrer gehört auch einer höheren Kaste an, somit versteht er sich mit ihm recht gut. Einmal erwischen wir ihn beim Trinken von Bier. Wie kann er das mit seinem Brahmanenstatus verbinden? Er erklärt uns die Essregeln bei den Brahmanen. Grundsätzlich essen Brahmanen nur frisch zubereitetes Essen, nichts Getrocknetes. Hier in Orissa seien die Regeln etwas anders als in Südindien, wo die Brahmanenen kein Fleisch essen würden. Hier würden sie durchaus Lamm und Ziege essen, Hühnchen manchmal, Schweinefleisch nie. In seiner Familie würde das unterschiedlich gehalten. Sein Vater esse kein Hühnerfleisch, dagegen er und sein Bruder wohl.

Auf den Märkten seien sogar Unberührbare, die die unterste Stufe des indischen Gesellschaftssystems einnehmen. Die Volksstämme dagegen stehen außerhalb des Kastensystems. Zu ihnen hat er einen guten Kontakt. Er umarmt sogar einige kleinwüchsige Frauen, scheut sich nicht, in ihre Häuser zu gehen, spricht freundlich und väterlich beruhigend auf sie ein, schiebt Betrunkene sanft zur Seite, schickt eine wild schreiende Kinderbande weg, verteilt Bonbons und gibt älteren Frauen etwas Geld. Er ist ein guter Guide mit einem guten Kontakt zu den Stammesvölkern. Bei ihnen fühlt er sich wohl, ganz anders als in den großen Städten an der Küste.


Bondo-Frauen

In Jeypore treffen wir im Hotel Apsara wieder auf die Italiener und die Holländer. Von hier aus fahren alle Gruppen zum berühmten Bondo-Markt in Onukudelli/Onkeduli, wo man das exotische Volk der Bondo antrifft. Vor zehn Jahren waren die Bondosiedlungsgebiete noch für Fremde gesperrt (s.o.). Jetzt kommen die Frauen aus den Bergen und verkaufen am Straßenrand Wurzeln, Bohnen, „Apfelbeeren“, Kleinsttomaten, Kartoffeln, Weißkohl und Alkohol. Die schmale Straße ist voller Menschen, Kühe drängen sich durch die Menge und die Autos der Touristen. Ein Bulle nimmt eine zierliche Bondofrau auf die Hörner und frisst ihre Wurzeln. Es treffen noch Japaner und Amerikaner ein, so dass wir den Eindruck haben, in diesem Zoo sind gleich viel Weiße wie Bondos. Die Frauen versuchen Ringe, Halsketten und schmale selbst gewebte Hüfttücher zu verkaufen. Vor allem passen sie auf, dass sie für jedes Foto etwas Geld bekommen. Später tauchen auch Frauen der exotischen Gadabas auf, die um den Hals schwere dicke Reifen und riesige Ohrdrahtringe tragen. Gopi ist sehr ängstlich, wir sollten auf keinen Fall die Leute im Alkoholteil des Marktes fotografieren. Die Männer seien sehr aggressiv und die Frauen würden mit Steinen werfen. Wir haben viel Zeit. Während die anderen Touristengruppen nur kurze Zeit hier sind, bleiben wir über Mittag und essen hier eine Dosa/Crepe.

Nachmittags besuchen wir das Dorf Ghadibeda der Rana, die nicht zu den primitiven Volksstämmen gezählt werden, wie Gopi betont, sie seien Landbesitzer und nicht kleinwüchsig. Bei Auktionen können sie auch das Ernterecht über Anpflanzungen (Cashewnüssen, Pfeffer, Kaffee u.ä.) vom Staat erwerben. Wir wandern zwischen ihren fruchtbaren, bewässerten Gärten. Auf einigen Feldern werden im Auftrag einer Firma aus Mumbai medizinische Pflanzen angebaut. Die dünnen Wurzeln werden getrocknet und bringen pro Kilogramm 100 Rs (2 €). Auf den Hausdächern trocknen Chilischoten und Kürbisschalen. Hierhin kommen selten Fremde, denn die Kinder flüchten schreiend und die Babys weinen, als sie uns Weiße sehen. Als Christa ein Kind berührt, schreit es, als ob es sich verbrannt hätte und kann sich gar nicht mehr beruhigen. Die Erwachsenen sind sehr freundlich.


Rana-Frau beim Stampfen von Reis

Das nächste Dorf Tikasimili wird von den Ulari-Gadaba bewohnt. Die Häuser sind ziegelgedeckt und die Terrassen haben zur besseren Luftzirkulation Öffnungen in der Seitenwand der farbigen Häuser. Zwischen den Häusern arbeitet ein Drechsler mit seinen drei Söhnen. Ein Junge tritt die Pedale eines hoch gestellten Fahrrads, das mit einer Seilverbindung einen Holzstamm dreht, während der Vater mit einem Beitel Einkerbungen vornimmt und zwei andere Söhne gleichzeitig das Holz mit Schmirgelpapier glätten.

Im Dorf treffen wir viele Männer an, die jetzt nach der Reisernte gemeinsam zur Papierfabrik gehen wollen, um dort als Bambusarbeiter einen Monat zu arbeiten. Pro Tag können sie dort 100-150 Rs (2-3 €) verdienen. Nach einem Monat können sie 60-80 € mit nach Hause bringen, wenn sie nicht zuviel vertrinken und verspielen. Die Gemüsefelder werden von den Frauen betreut.

Wir übernachten im wunderschön auf einem Hügel gelegenen Inspection-Bungalow von Machkund. Die Italiener und Holländer schlagen auf der anderen Seite des Hügels ihre Einzelzelte auf. Sie frieren hier, 905 m hoch. So kalt hätte sich keiner die Nächte vorgestellt, erzählen sie uns schniefend in der Morgensonne.


Geometrische Lüftungsschlitze eines Gadaba-Hauses

Bei den Gadaba

Heute machen wir eine Tageswanderung durch die Siedlungsgebiete der Boro/Bado-Gadaba und besuchen die sieben Dörfer Gutalpada, Sisaput, Barangabadi, Gadabapada, Kantabounsa, Dural und Ridali. Das ebenfalls am Weg liegende Dorf Sergiguda der Maliah-Kondh übergehen wir.

In Orissa leben 1971 etwa 44 000 Gadaba, in Andhra Pradesh etwa 22 000 und in Chhattisgarh etwa 1200. Die acht Bevölkerungsgruppen sprechen den Mundari-Dialekt Gutub. Der Name Gadaba soll von ihrem ursprünglichen Siedlungsgebiet am Fluss Godavari stammen.

Nach dem Einkauf von Keksen und Joghurt in Onukudelli fahren wir ein Stück über Feld- und Staubwege, lassen das Auto stehen und wandern zum ersten idyllischen Gadaba-Dorf, wo wir von vielen alten Frauen in der traditionellen Tracht gleich am Brunnen und Versammlungsplatz mit Geschrei empfangen werden. Die Frauen tragen schwere Halsreifen, riesige Ohrdrahtringe und ein seltsames Steißpaket, das den selbst gewebten rot-blau-weiß gestreiften Rock hält.

Über den Kopf tragen sie meist ein rotes Perlenband, um den Hals einige Bänder mit kleineren gelben und roten Perlen. Der Unterarm trägt noch viele Armreifen und das Fußgelenk jeweils einen größeren Reif. Die Tätowierung im Gesicht besteht aus vier Punkten auf der Nasenwurzel, einem Sonne-Mond-Bogen auf der Stirn, zwei Strichen an den Augenwinkeln und einem größeren Punkt auf dem Kinn.


Gadaba-Frau mit kiloschweren Halsreifen

Gopi gibt unsere Bonbontüte einem Einheimischen zum Verteilen. Bald schreien nicht nur die Frauen, sondern auch eine riesige Kinderschar. Da kann man sich nur zurückziehen, beobachten und filmen. Der Brunnen befindet sich neben einem Ritualplatz, einem Baum mit einem Opferstein, der von aufgestellten Steinen umgeben ist. Hier werden Hühner und Schweine dem obersten und allumfassenden Gott Undi geopfert.

Die fensterlosen Häuser haben vorgezogene Dächer, unter denen sonnen- und regengeschützt die Veranden, die mit einer Lehmmauer von der Straße abgetrennt sind, liegen. Geometrische Löcher in Dreieckform ermöglichen eine Zirkulation der Luft. Das Vieh steht in diesem Dorf neben den Zimmern der Menschen unter dem gleichen Dach. In den Gassen stehen noch die Rinder und warten auf die Hirten, die sie gegen 10 Uhr hinaustreiben. Die Lehmwände sind beige, türkis und terrakotta angestrichen. Die Farbe für den roten Anstrich gewinnen sie aus den Fruchtkernen des Baumes Jopra.

In dem Dorf Barangabadi erklären uns die Gadaba ihre Rituale und zeigen uns die entsprechenden Plätze. In der Mitte des Dorfes befindet sich der Sadar, der allgemeine Versammlungsplatz mit den aufgestellten Erinnerungssteinen für verstorbene Einwohner, für den Naik (den Dorfältesten), den Barbier und den Member, wie der Repräsentant bezeichnet wird. Der Naik ist immer der reichste Bauer und vererbt seine Position an den Sohn.

Die Clans eines Dorfes sind nach Tieren benannt (Bär, Schlange, Tiger), sie wohnen in eigenen Vierteln und dürfen nicht untereinander heiraten.

Da die Gadaba glauben, dass Krankheiten durch Hexerei verursacht werden, haben sie zwei Heiler. Den Disari, einen Astrologen und Kräuterdoktor, und einen Gurumai/Gunia, einen Spezialisten für Hexerei und Magie. Sie kennen acht Feste und drei Dorffeste (März-April, Juli-August, Dezember-Januar).

Die Ritualplätze liegen außerhalb des Wohnbereichs. Der Platz Gumang, von dem aus die Männer im Monat Chaitra zur Zeit der ersten Mangoreife für einen Monat aufbrechen zu einer Jagd mit Pfeil- und Bogen und Speer, liegt an der anderen Seite des Dorfes unter einer Baumgruppe ohne sonstiges Kennzeichen. Hier werden Eier, Reis, Kokusnüsse, Ziegen, Hühner und Schweine geopfert. Während dieser Zeit tanzen und singen die Frauen den ganzen Tag.

Der Verbrennungsplatz liegt weit außerhalb der Siedlung. Nach dem Tod einer Person begleiten die Frauen den toten Körper. Auf dem Rückweg halten die Trauernden an, kochen einen Fisch und bieten ihn der Seele der verstorbenen Person an. Ein Ei wird in zwei Teile geschnitten, auf den Boden gelegt und daneben ein Rindenstück eines Mangobaumes.

Das Gedenkfest kann auch Jahre später durch die Erben arrangiert werden, wenn sie genügend Opferbüffel, Nahrungsmittel und Stoffe gesammelt haben. Am zweiten Tag wird dann der Gedenkstein am Sadar aufgestellt. Eine verstorbene schwangere Frau wird nicht verbrannt, da man ihren Geist fürchtet. Der Himmel für die Seelen befindet sich oberhalb der Erde. Dort führen sie ein Leben, das dem voherigen ähnlich ist.

Mehrmals singen ältere Gadaba-Frauen uns Lieder vor. Sie sind allerdings nur bereitet, uns Lieder vorzusingen, die in den kulturellen Rhythmus passen. So weigern sie sich Lieder anderer Monate vorzusingen, das gehe einfach nicht. Sie singen auch das Lied vor, dass die Eltern der Braut bei der Übergabe an die Eltern des Bräutigams singen und erzählen, wie die Heiratszeremonie abläuft. Der Bräutigam geht zum Haus der Braut, während die Eltern folgen. Unterwegs stoppen ein Schwarm junger Mädchen und Männer die Gruppe und ein Mädchen verlangt einen Ring. Darauf steckt einer aus der Gruppe des Bräutigams ihr einen Ring an den Finger, worauf sie weiter zum Haus der Braut gehen. Am zweiten Tag wird eine neue Hütte aus Gras gemacht, worin eine Jungfrau etwas Reis kocht. Der Bräutigam und die Braut werden dann in dieser Hütte eingeschlossen und zwei Töpfe Wasser über sie ausgeschüttet. Darauf vollzieht das Paar in der Hütte die Hochzeit.


Bondo bringen hochprozentigen Mohua-Alkohol zum Verkauf in andere Dörfer.
Der Mann trägt wie üblich Pfeil und Bogen als Zeichen der Männlichkeit.

Bei den Bondo/Banda

Etwa 5000 Bondo leben im südlichen Orissa in 36 Dörfern. Sie werden als das wildeste und aggressivste Volk von den anderen Völkern gefürchtet. Nachdem wir die Bondo bereits auf dem Markt von Onukudelli kennengelernt haben, werden wir heute eine ganztägige Wanderung zu dem Bondodorf Katanguda in den Bergen machen. Über Bäche, durch Flüsse, durch Büsche, über Berge zwischen 800 und 1000 m wandern wir mit Gopi und einem ortskundigen Führer. Seitwärts liegen Felder mit Ölsaaten, deren kleine schwarze Körner überall auf den Märkten an Großhändler verkauft werden. Bondofrauen schneiden die Fruchtstände mit kleinen Handsicheln ab. Der ehemalige Wald ist längst der Brandrodung zum Opfer gefallen. Die Bondo holzen alles ab, sagt Gopi, obwohl die früher bei allen Bergstämmen übliche Brandrodung inzwischen von der Regierung verboten worden sei.

Alsbald treffen wir auf Bondo, die auf dem Weg zu einem anderen Dorf sind, um Alkohol zu verkaufen. Die beiden Frauen tragen große bauchige Aluminiumtöpfe auf dem Kopf, während die beiden Männer an einer Schulterstange jeweils zwei große Töpfe tragen. Mit schwingender Bambusstange gehen sie schnell mit nackten Füßen die schmalen Pfade durch Gebüsch und über Sand. Unser Führer hält sie an und fragt, wohin sie gehen und ob wir von ihnen ein Foto machen dürften. Gegen Rupies ja. Wir fotografieren und der einheimische Führer gibt ihnen etwas. "Das ist zu wenig", sagt der mit dem Bogen. Sie wollen mehr, sie werden laut, laufen weiter, bleiben stehen und schreien uns etwas zu, unser Führer schreit zurück. Wir verstehen nichts von der erregten Auseinandersetzung. Der mit dem Bogen und den Pfeilen hat gedroht, unseren Führer bei dem nächsten Treffen zu erschießen, und der hat erwidert, er werde dafür sorgen, dass sie in seinem Dorf keinen Alkohol mehr verkaufen könnten.

Kurz vor dem Dorf treiben zwei Jungen eine gemischte Viehherde in den Buschwald. Neugierig starren sie uns an. Gopi meint, wir sollten die Kameras verstecken. Erst will er klären, ob betrunkene Männer im Dorf sind. Er fürchtet ihre Aggressivität. Sie hätten keine normalen Maßstäbe und würden für ein Foto viel zuviel Geld verlangen. Die roten Lehmhütten des Dorfes scheinen verlassen. Eine kranke Frau liegt in eine Decke eingehüllt mit einem Kind auf dem Sandboden in der Sonne. Mitten auf dem Dorfplatz liegt ein alter Mann ausgestreckt in der Sonne. Einige Frauen trocknen Reis in der Sonne und passen auf, dass die Hühner und die Schweine nicht zuviel wegfressen.

Um das Vertrauen der Leute zu gewinnen, setzen wir uns zunächst unter ein Blätterdach bei einer Hütte. Einige Männer kommen. Einer bringt eine gefüllte Plastikflasche mit, lässt Becher holen und unser einheimischer Führer trinkt einen hohen Becher voll aus: Brüderschaft mit den Bondo. Wir sollen auch trinken. Probieren, ja, den Flaschenverschluss voll probieren. Es ist ein aromatischer, hochprozentiger Alkohol, aus Mohua-Blüten destilliert. Ein Vater setzt seinem Baby ebenfalls den Becher an den Mund. Wie ist ein solch alkoholisiertes Leben möglich ohne gravierende Organschäden?


Bondo-Frau

Die Bondofrauen haben noch nicht den indischen Sari übernommen wie viele andere Volksstämme. Sie tragen noch als einziges Kleidungsstück den schmalen Minirock, der ihr halbes Hinterteil zeigt. Über die Brüste hängen sie dicke Perlenstränge. Den geschorenen Kopf bedecken sie ebenfalls mit weißen Perlen, gemischt mit einer roten oder gelben Kette. Die Läuse jedenfalls, die bei allen Volksstämmen auftreten und von den Angehörigen gegenseitig abgesucht werden, finden bei ihnen keine Nahrung. Die jüngeren Mädchen dagegen tragen oft weite Stofftücher. Ist das ein Vorzeichen der zukünftigen Entwicklung in dieser Kultur, eine Anpassung an indische Moden oder der Einfluss von christlichen Missionaren, die als erstes den Frauen bodenlange Kleider vorschreiben. Die Kinder sind meist nackt und unsäglich schmutzig. Teilweise tragen sie zerrissene Kleidungsstücke.

Als wir weiter durchs Dorf gehen, entdecken wir einen Teil der Bewohner bei einer Zeremonie. Sie sitzen vor etwa 100 Blättertellern, die z.T. mit Reis und z.T. mit Hirse und kleinen Fleischstückchen gefüllt sind, und vor großen Töpfen mit Alkohol. Vom Dorfpriester wird mit einem Flaschenkürbis ausgeschenkt. Jeder bekommt einen gefüllten Kürbis, den er sofort austrinkt. Wir machen ein Gruppenfoto und zeigen ihnen zum Schrecken unseres Führers Filmaufnahmen. Er möchte nicht ihre Habgier wecken. Aber sie haben ihre helle Freude an den Bildern auf dem Videodisplay. Als Geschenk lassen wir für jede Frau 20 Rs da. Habgierig zeigen sich allerdings der Priester und die Männer, die bettelnd hinter uns herlaufen, als wir wieder schnell das Dorf verlassen, um außerhalb an einem Bach unser Mittagessen hervorzuholen. Die Frauen, die jetzt von der Feldarbeit kommend an uns vorüberziehen, bleiben zwar neugierig, aber schüchtern in einiger Entfernung stehen.

Auf dem Rückweg wählen wir einen anderen Weg über einen 1000 m-Pass und machen in dem freundlichen Gadaba-Dorf Hangil noch einmal eine Rast, wo eine Frau uns noch mal Lieder vom bevorstehenden Pus-Pandu-Fest vorsingt und dabei den Demsa-Tanz mit einem Büschel Pfauenfedern vorführt. Christa stellt plötzlich fest, dass die 2 GB- Speicherkarte der Digitalkamera schon voll ist, über 600 wunderbare Fotos.

Am Neujahrsmorgen 2006 sitzen wir in einer urigen Küche des Dorfes Machkund, wo sich neben dem Küchenfeuer zwei Katzen räkeln und unter dem Tisch drei Tauben die Krümel aufpicken. An den Wänden hängen die Traumbilder schweizerischer Schneeberge und europäische Traumhäuser, unter denen wir mehrere Neujahrsdosas verspeisen. Neben dem Teller liegen die duftenden Rosenblüten Gopis. Vor unserem Frühstücksrestaurant steht in großen bunten Buchstaben "Happy New Year 2006". Hunderte von weißen Reihern fliegen nach und nach von ihren Schlafbäumen auf, während auf der anderen Seite des Dorfes Hunderte von fliegenden Hunden in ihren Tagesbäumen Platz nehmen. Die Leute rufen uns Happy New Year zu und einige drücken unsere Hände. Auf dem Vorplatz wird noch das undichte Rad eines Schrottbusses gegen ein anderes Schrottrad ausgetauscht. Christa steckt sich eine der vielen duftenden Frangopani-Blüten, die hier auf dem Boden liegen, ins Haar und schaut glücklich dem Neuen Jahr in die indischen Augen.

Richtung Lamtaput in das Siedlungsgebiet der Ulari-Gadaba.

Im Dorf Bantalbir studieren wir den Hausbau, untersuchen die Lagerung der Dachbalken in Astgabeln, die teilweise außerhalb der Zimmerlehmwände stehen und bewundern die mit Lehm ummantelten Ziegelsteinsäulen, die farbig angestrichen worden sind. Auch die Querbalken der Zimmerdecke sind an den Außenseiten der Mauer farbig hervorgehoben. Ein schönes Dorf.


Haus mit Säulenveranda

In Sankei teilt ein weit ausladender Banyan-Baum das Dorf in eine Seite, wo die Ulari-Gadaba wohnen und eine Seite, wo die niedrig kastigen Hindus wohnen. In einigen Bäumen hängen Vogelfangnetze und auf dem Boden entdecken wir ein 3x4m großes Spannnetz mit einem Rahmen, das über laufende Waldvögel geschoben und fallen gelassen wird.

In der Nähe vom Bambuskorbdorf Peta erleben wir noch einen Markt mit Tauschhandel ohne Geld . Die Angehörigen der Stämme der Desia, Paraja und Batara bringen Waren mit und tauschen sie gegen Dinge, die sie nicht haben. Sie füllen aus einem großen Korb, der am Rastplatz der Familie steht z.B. Reis in kleine Körbchen und gehen dann zu jemanden, der Kartoffeln, Zwiebeln oder Wurzeln hat und bekommen dann für die Menge Reis eine entsprechende Handvoll Wurzeln o.ä.. Auf dem Markt werden auch viele runde Tontöpfe aus den umliegenden Töpferdörfern (z.B. Baapaniguda) angeboten.

Im Fischerdorf Sadeiguda stehen kurioserweise überall Toilettenplatten herum. Die Regierung hat in einer Gutwillaktion ihnen diese Toiletten vor einigen Jahren geschenkt, ohne dass die Bewohner sie haben wollten. So stehen sie zwecklos zwischen den Häusern.

Bei den Rana-Hindus finden wird abgeschlossene Gehöfte, die nur durch ein Tor von der Straßenseite zu betreten sind.

Ein Höhepunkt unserer Tagestour sind die Gruppentänze im Desia-Santa-Dorf Baligaon. Nach und nach nehmen 20 Frauen an diesen Reigentänzen teil, bei denen die Frauen sich Schulter an Schulter meist seitwärts in eine Richtung bewegen, während Männer sie mit drei verschiedenen Arten von Trommeln begleiten. Nach einer halben Stunde wird es dann unangenehm, als sich eine betrunkene Frau und ein betrunkener Mann in die Tanzformation drängen.


Gruppentanz der Desia-Frauen

Der Vorgang der Brautwerbung bei den Ulari-Gadaba

1. Zunächst nehmen die Freunde des Vaters Kontakt zu den Nachbarn der Braut auf, wobei wichtig ist, dass beide nicht demselben Clan (Tiger- und Cobra-Clans) angehören dürfen. Der mitgebrachte Alkohol muss akzeptiert werden.

2. Der Vater und seine Freunde gehen mit den Nachbarn zu den Brauteltern und bieten ihnen Alkohol an.

3. Der evtl. Bräutigam muss unentgeltlich einen Monat für den Brautvater arbeiten und erhält am Ende ggf. Reis und Hirse als Geschenk für seinen Vater.

4. Dann beginnen die Verhandlungen über den Brautpreis, eine Kuh oder einen Büffel. Dabei geht es oft sehr hitzig zu. (Gopi: "As if a new war between India and Pakistan had started.")

In dieser Nacht übernachten wir in der heiligen Stadt Gupteswar, an dem Grenzfluss Kolab zu Chhattisgarh, wo es  aus religiösen Gründen kein Fleisch, kein Bier, keine Zwiebeln und kein Knoblauch gibt. Obwohl der Ort nur 500 m hoch liegt, ist es der kälteste Ort unserer Reise. Oberhalb der wenigen Pilgerhäuser steht in einer Höhle der geheime Lingam, bewacht von dem aufrecht stehenden Shiva-Bullen Nandi und dem dreibeinigen Brundi.


Waldsiedlung der Dharuva mit Palisadenschutz gegen Tiere

Dharuva-Gond

Von hier aus unternehmen wir eine Tageswanderung durch das Gebiet der Dharuva-Gond, die in den Wäldern hier etwa 14 Walddörfer bewohnen. Obwohl die Felder in einer Gemeinschaft von 3-5 Familien bewirtschaftet werden, wohnen die Dharuva nicht in einem geschlossenen Dorf. Die einzelnen Gehöfte und die Felder sind jeweils von Zäunen umgeben. Während die strohgedeckten Kuhställe im Hofareal liegen, stehen die Schweineställe, durch Baumstämme vor Leoparden gesichert, 50 m abseits. Die Kühe stehen auf Stämmen, da in der Monsunzeit der Boden überschwemmt wird. Die Wohnhäuser sind verhältnismäßig groß, haben kleine Fenster und sind mit Tonziegeln abgedeckt.

Ein frischer Kuhstallgeruch liegt zwischen allen Häusern, weil in allen Gehöften am Morgen der Hof mit Kuhmist und Wasser ausgeputzt wird und alle 2-3 Tage der rote Sockelanstrich der Häuser erneuert wird. Wir gehen auf Zehenspitzen zu einem Nebengebäude, aus dem Stampfgeräusche herüberklingen. Es ist der Arbeitsraum der Frauen. Bei den anderen Völkern war das Stampfloch für Reis und Hirse immer im Boden der Veranda oder vor dem Haus eingelassen. Hier im speziellen, überdachten Raum (wegen der Affen?) steht neben einem Stampfloch eine Maschine, die mit dem Fuß bedient wird. In einem anderen Haus finden wir sogar eine Eisenmaschine für die Entkernung und Pressung der Tamarindenkerne, die die Regierung geschenkt hat, aber nicht benutzt wird. Ein weiterer Beweis der Aktivität der Regierung ist ein neues, seltsam modernes Betonhäuschen für Selbsthilfegruppen, das überhaupt nicht in diese Waldsiedlung passt. Die neuen Pumpen mit Betonsockel werden dagegen eifrig genutzt.


Dharuva-Frau

Die Frauen sind sehr scheu. Im Haar tragen sie einen kunstvollen kleinen Kamm aus Gras und Bambus, der oft ein Liebesgeschenk eines Freundes ist, weshalb sie ihn nicht verkaufen. An den Füßen tragen sie schwere Metallringe und an den Armen Metallreifen. Die jüngeren Mädchen bevorzugen lieber Plastikreifen, wie eine alte Frau uns zu verstehen gibt. Ochsenkarren und gelbe Ackersenffelder zwischen den hohen Bäumen weisen auf eine besondere Waldbauernkultur hin. Allerdings werden in den Wäldern auch Bären, Rotwild und Stachelschweine gejagt.

Über ihre Religion klare Auskünfte zu bekommen, ist sehr schwierig. Rufen sie einen höheren Gott an? Kennen sie animistische Formen von übermächtigen Wesen? Opfern sie Tiere? Ist Undi ihr Gott wie bei den Kondh? Verehren sie Tulsi als Göttin? Wir fragen mehrere Einwohner, ohne Ergebnis.

Die lange Wanderung führt durch ursprünglichen Wald mit vielen Termitenbauten, unter Lianen hindurch gelangen wir zum Fluss Kolab und auf schmalen Wegen wieder zurück zum Pilgerort. Dort gibt es Wasser nur im Eimer. Unsere beiden Begleiter sind beide sehr bemüht, uns einen Mindeststandard zu bieten. Zum Frühstück bereiten sie uns Pfannkuchen, kochen Porrigde und besorgen bei den Einheimischen köstlichen Wildhonig. Da wir nach den Schlafhäusern für Jugendliche gefragt haben, fahren sie uns noch einmal auf unmöglichen Wegen durch den Urwald zum Dorf Soris Padar. Dort erfahren wir aber, dass das voreheliche Zusammenwohnen und Besuchen von Jugendlichen beiderlei Geschlechts, die so durch Ausprobieren wechselnder Partner in die Sexualität eingeführt werden, hier nicht mehr üblich ist. In der Trockenzeit wird der Platz vor dem Haus für Tänze und fürs Singen genutzt. Der Raum wird nur in der Regenzeit benutzt. Gopi erzählt von einem Gespräch: Er habe einen Dharuva gefragt, ob er in seiner Jugend auch in einem Schlafhaus gewohnt habe. Er habe gelacht und geantwortet: Das weiß ich nicht mehr. Das ist so lange her. Danach fahren wir eine Stunde durch unbesiedeltes Waldgebiet und treffen überall auf Leute, die auf dem Weg zum Markt von Namgiri sind. Als wir um 10 Uhr beim Markt ankommen, sind noch alle Stände leer. Die Menschen brauchen z.T. 5 Stunden, um diesen Markt zu erreichen.

Koraput: Der Jagannath-Tempel zeigt uns die Bilder der Götter, die wir in Puri nicht sehen dürfen. Dort können wir nach Belieben filmen und fotografieren. Nur den ausgebreiteten Gewändern Jagannaths, die auf dem Vorplatz liegen wie nach einer Wäsche, dürfen wir nicht zu nahe kommen. Bei diesem Tempel stoßen wir in unmittelbarer Nachbarschaft auf den seltsamen Saora-Gott, dessen Symbol ein nierenförmiges Gebilde ist, das Schriftzeichen darstellen soll. Die Nachbarschaft zu Jagannath/Krischna drückt die Vereinnahmung des Saora-Gottes durch die Hindus aus. Eine Saora-Frau hat nach den Berichten des Ramayana für Rama/Krischna/Vishnu Speise gekostet. Also sind die Saora vom Hindugott akzeptiert worden und ihr Gott ist nur eine von Krischnas vielen Gestalten, somit dürfen die Saora Hindus sein.


Jagannath in der Vishnu-Inkarnation des Narasingha

Im Kurmidorf Lendriguda sind Frauen und Männer damit beschäftigt, Wurzeln zu zerreiben, auszuwaschen und auszusieben, um die ausgewaschenen Teile dann zu trocknen, um ein Milchersatzpulver für Babys herzustellen. Andere sind mit der Vorbereitung einer Hochzeit beschäftigt und stellen Papiergirlanden her. Reis wird in Säcke gefüllt, während sich zwei Zicklein mitten auf dem Reis niederlassen und die Hühner immer wieder einige Körner wegpicken.

Die Frauen der Kurmis tragen dreifach gedrehte Ohrringe und drei Nasenringe. Als Stamm sind die hinduisierten Kurmis von der Regierung nicht anerkannt.

Im Westen der Wohngebiete der Kondh wohnen die Gond und im Süden die Paroja, Bondo und Saora. Um zu den Dörfern der Saora zu kommen, müssen wir einen Umweg von 70 km machen, beinahe umsonst.

Der Polizist

Als wir vom Markt Jartal kommend bei einer neuen christlichen Kirche halten, um sie zu fotografieren, hält plötzlich ein Moped und eine laute Stimme fordert von uns die Pässe. "Was wollen Sie hier? Dieses Gebiet ist für Ausländer gesperrt. Sofort umdrehen und das Gebiet verlassen!" Unfreundlich gestikulierend redet er auf unseren Guide und uns ein. Er sei der Polizeioffizier. Selbst als wir ihm eine Kopie unserer Passinformationen geben, ist er unerbittlich. "Wenden Sie sofort das Auto. Keine Fotos!" Erst gestern habe er eine Gruppe zurückgeschickt. Wir sollen mitkommen zur Bezirksstadt Gumpur, um alles zu regeln. Gopi spricht von seinen Tribaltouren, die er seit 14 Jahren macht. "Wir waren bei den Bondo und bei den Gadaba, ohne eine Sondergenehmigung zu gebrauchen". Schließlich gehen beide ein Stück weiter. Der Kopf mit der weißen Kappe und der dunklen Sonnenbrille neigt sich Gopi zu, dann setzt der Polizist sich zu unserer Überraschung plötzlich aufs Moped und schnurrt davon. Wir dürfen weiter. Ein "Geschenk" Gopis hat alles geregelt.

Lanjia-Saora-Frau

Die Lanjia Saora

Die Saora/Saura/Sahara/Saor u.ä. stellen mit etwa 400 000 Menschen das drittstärkste Volk. Der Name wird vom skythischen Wort Sagories für Axt abgeleitet. Die traditionellen Saora tragen wie viele Bergvölker Orissas immer eine Axt auf der Schulter, wenn sie im Wald oder auf dem Feld unterwegs sind. Eine andere Ableitung greift auf die Sanskritwörter Saba Raye zurück, was bedeutet einen toten Körper tragen. Ihre Sprache Soar ist ein Dialekt der Mundar-Sprachen, die zur austro-asiatischen Sprachgruppe zählen. Die Saora der Küstenebene, die Suddho-Saora, haben weitgehend die Oriya-Kultur angenommen. Sie sprechen Oriya, während bei den Lanjia-Soara in den Bergregionen Südorissas die traditionelle Kultur erhalten blieb. Der Distrikt Gajapati wird auch als Saora-Land bezeichnet. Die Kennzeichnung der Berg-Saora als Lanjia geht zurück auf ihre Gewohnheit, das schmale Hüfttuch lanjia (loin cloth) wie einen Schwanz hinten herunter hängen zu lassen.

Wir fotografieren bei unserer Fahrt in die Dörfer eine christliche Kirche und Schule, wo die Kinder neben Oriya und Hindi natürlich auch Englisch lernen. 1981 lag die Analphabetenrate noch bei 85 %. In den Dörfern gibt es keine Schulen und keine Verkaufsläden. Die alltäglichen Bedarfsartikel wie Arbeitsgeräte, Töpfe, Salz, Tabak, Milch, Seife, Kleidung und Gewürze erwerben sie meist im Tausch gegen landwirtschaftliche Produkte wie Reis, Mais, Feuerholz u.ä., die sie auf Brandrodungsfeldern oder Terrassen anbauen. Die Reisterrassen sind meist in Privatbesitz. Diejenigen, die kein Land besitzen, arbeiten als Landarbeiter. Jugendliche verdingen sich oft auf den Teeplantagen in Assam. Ein männlicher Landarbeiter erhält als Lohn 2 kg Reis oder Mais, eine Frau nur die Hälfte, 7 - 15jährige Kinder können als Erntewächter und Hirten im Jahr 50 kg Reis verdienen. (nach “A Study of the Saora Tribe of Orissa” von D.P.Biswas, in “Transition, Chance and Transformation: Impacting the Tribes in India”, 2003)

Es gibt keine Clans oder Totemgruppen, sondern eine Einteilung in Birindas, das sind 20-30 Familien, die jeweils auf denselben männlichen Vorfahren zurückgehen. Innerhalb dieser Gruppe sind keine Heiraten erlaubt. In einer Birinda wird die soziale, ökonomische und religiöse Kontrolle durch vier Personen ausgeübt. An der Spitze steht der reichste Mann, der Gomango, dann folgen der Bhuyya als religiöses Oberhaupt, der Mandala als Chef des Rates, der Disari als Astrologe und Schamane und der Raita als Landverwalter. Auch die zum Christentum Konvertierten müssen sich den Regeln unterwerfen.

Im Dorf Rijingtal besichtigen wir ein typisches Saora Langhaus ohne Fenster. Der durchgehende Raum enthält keine Gegenstände. Der Küchenteil liegt seitwärts hinter einer halbhohen Mauer und unter einer hängenden Decke, auf der Vorräte zum Trocknen stehen. An der dunklen Innenwand befinden sich helle Strichmalereien, die uns an steinzeitliche Höhlenmalereien in Maharashtra erinnern. Im Halbdunkel können wir Reihen von Strichmännchen, Elefanten und ein Krokodil erkennen. Solche religiösen Wandbilder sehen wir auch in einem christlichen Haus, obwohl die Weihe des Bildes Sache des Schamanen ist, gibt es keinen Konflikt mit dem christlichen Priester.

 
Die Schamanin bei ihrem Trance-Ritual

Kumbater, die Schamanin der Saora

Der Höhepunkt dieses Tages soll der Besuch bei einer Schamanin (Kumbater) sein. Sie wohnt etwas abgelegen in einem Seitental. Die rotbraunen Lehmhäuser scheinen verlassen. Nur einige rote und gelbe Küken flüchten aufs Dach, als wir kommen. (Diese Küken sind in einen Farbtopf getaucht worden. Auf dem Markt hatten wir schon ähnliche gesehen.) Wir sehen uns um. Ein halb verfallenes Haus mit Stallungen, das nicht mehr genutzt wird, ein kleines, frisch gestrichenes Haus mit hoher, schmaler Terrasse und ein winziges Haus mit offener Tür liegen in einem grünen Gartental vor uns. Kein Mensch ist zu sehen.

Die offene Tür. Ich starre in einen dunklen Raum. Erst allmählich sehe ich Umrisse einer menschlichen Gestalt, die auf dem Boden an einem Feuer hockt. Sie regt sich nicht. Erst nach geraumer Zeit erscheint eine alte, barbusige Frau in der Türöffnung, setzt sich in Hockstellung hin und schaut uns mit trüben Augen an.

Inzwischen ist ein kleines Mädchen erschienen, das unserem Führer erklärt, die Kumbater sei auf dem Berg und schaue nach ihrem Vieh, aber sie könne sie holen.

Die Kumbater überrascht uns. Sie ist eine relativ junge, freundliche Frau, die uns zuwinkt und uns in ihr kleines Haus einlädt. Ja, sie sei die Kumbater, ihren Beruf als Schamanin habe sie von der Großmutter mütterlicherseits erlernt und übernommen. Die Leute kämen zu ihr, wenn sie krank wären oder wenn sie andere Probleme hätten. Sie rufe die Ahnen und Götter an und befrage sie. In Trance ergriffen diese dann Besitz von ihr und gäben ihr Ratschläge.

Auf der rotbraunen Lehmwand der Tür gegenüber befindet sich ein altes Bild mit weißen Figuren, das beim letzten Wandanstrich teilweise übermalt worden ist. Dieses alte Bild ist an der Stirnwand neben der Feuerstelle noch einmal an die Wand gemalt worden. Es stellt in einem großen gemalten Hausrahmen Menschen und Tiere bei bestimmten Tätigkeiten dar. In der Dachspitze thront eine Göttin über drei Personen, die auf Stühlen sitzen. Auf dem First sitzen zwei Pfauen, zu denen Affen hochklettern. Darunter lange Reihen von Menschen, die tanzen, jagen, den Göttern opfern. Was an den anderen Wänden liegt und hängt können wir nicht erkennen. Der Innenraum ist klein und ohne ein Fenster. Das Licht fällt nur durch die Tür auf die beiden magischen Kultbilder.

Die Schamanin ist bereit, uns zu zeigen, wie sie Kontakt mit den Ahnen aufnimmt. Sie geht in eine dunkle Ecke des Raumes und kommt nach einiger Zeit in anderen Kleidern wieder ins Licht.

Dann setzt sie sich unter das alte Wandbild, schüttet den Reis in eine Worfelschale, wehrt die zudringlichen Küken ab und rührt den Reis mit der Hand rhythmisch in kreisender Weise. Sie schließt die Augen, dreht schneller und lauter und beginnt mit monotoner Stimme rhythmisch zu singen. Als sie nach einiger Zeit unterbricht, fragen wir, was sie gesungen habe: Sie wisse es nicht, es seien die Namen der Vorfahren, die ihr automatisch von der Zunge kommen. Sie müsse sie noch einmal singen. Wieder beginnt sie den Reis in schnellen Bewegungen über den Boden des Korbes zu bewegen. Ein monotoner, aber doch dynamischer Raschelton bildet den Unterton für ihren Beschwörungsgesang. Ihr Körper bewegt sich dabei vor und zurück. Die Augen zeigen sich leicht gerötet, scheinen sich zu verdrehen. Wird sie gleich in Trance sein? Plötzlich bricht sie wieder ab und öffnet lächelnd die Augen. Ja, sie hat die Namen der Vorfahren aufgerufen. Sie kämen zu ihr und würden ihr Ratschläge zur Heilung von einer Krankheit geben. Kurz darauf kommt ihr Mann mit Wurzeln und Kräutern, die er für ihre Patienten gesammelt hat.


Ausschnitt aus einer Wandmalerei

Erregender Abschied von Orissa: 12 Adivasi werden von der Polizei erschossen

Bei einem Zusammenstoß zwischen 500 protestierenden Adivasi und der Polizei bei Kalinga Nagar kommt es zu einem Ausbruch von Gewalt. Die Einheimischen werfen Steine, die Polizei setzt Tränengas und Gummigeschosse ein, worauf ein Polizist grausam getötet wird und die Polizei das Feuer eröffnet. Im ersten Bericht wird von zwei getöteten Polizisten gesprochen und zwölf getöteten Adivasi, von acht durch Pfeil und Bogen verletzten Polizisten und zwölf durch Schüsse verletzten Einheimischen.

In den folgenden Tagen sind die Zeitungen voller Berichte über die Folgen und Ursachen dieses Ereignisses. Es wird berichtet von dem Tod eines Schülers, der gerade mit Schulmaterialien vom Markt gekommen sei, vom Tod eines Arbeiters, der eine Familie von fünf Personen ernährt habe, vom Tod einer Frau, die Mann und kleine Kinder hinterlässt. Die vorgeblich getöteten Polizisten werden in keinem Bericht mehr erwähnt. Sollte ihre Erwähnung ein entschuldigender Vorwand für das brutale Vorgehen der Polizei sein? Als sechs Leichen von der Polizei zurückgegeben werden und ihre Hände fehlen, weil sie zwecks Identifikation von den Ärzten abgetrennt worden waren, ist der Teufel los.

Die Oppositionsparteien und die beiden Adivasi-Nachbarstaaten Jharkhand und Chhattisgarh stellen sich auf die Seite der Adivasi, verurteilen die Polizeiaktion und verlangen von der Regierung eine Entschädigung für die Familien der Toten und eine Erfüllung der Forderungen der Demonstranten, d.h. eine bessere Entschädigung für das abgegebene Land bzw. eine Umsiedlung. Schließlich habe die Regierung einen weit höheren Preis von der Tata-Stahl-Industrie bekommen, als sie an die Eigentümer gezahlt habe und somit einen enormen Gewinn erzielt. Man wirft der Regierung vor, nach der Flöte von Wirtschaft und Industrie zu tanzen. Die Auseinandersetzung eskaliert. Die Volksführer schwören bei der Asche ihrer Ahnen, solange zu kämpfen, bis ihr Land wieder frei sei.

Das bebaubare Ackerland und die Waldflächen sind die einzigen Quellen der Selbsterhaltung für die Adivasi. Wenn dieses Land ihnen unter Zwang weggenommen wird, so werden sie zu Waisen und heimatlos. (Stan Swamy, Menschenrechtler)

Dann wird von den oppositionellen Parteien und von den Gewerkschaften als Protest gegen die Tötung der Adivasi bei Kalinga Nagar ein ganztägiger Generalstreik ausgerufen. Alle Läden, Behörden, Museen, Tempel und Schulen werden geschlossen und die Straßen gesperrt..

STOP The Ongoing
Displacement,
Dispossession And Killing
Of Poor Tribals in Orissa.

(NGO-Plakat bei einer Demonstration in New Delhi)

s. GfbV Probleme der Adivasi

Wir wollen an diesem Tag wieder zurück nach Deutschland fliegen. Wie soll das geschehen, wenn keine Autos in der Stadt fahren dürfen. Keine Besichtigung der Tempel und des Museums mehr. In aller Frühe hat uns Gopi eine Motorradrikscha organisiert, die versuchen soll uns trotz der Straßensperren zum Flughafen zu bringen. Es gelingt. Im Flughafengebäude sehen wir in Fernsehübertragungen, wie auf den Straßen Autoreifen brennen und Adivasi mit Pfeil und Bogen in Stellung gegangen sind. In einer Durchsage wird den Neuankömmlingen mitgeteilt, dass die Stadt gesperrt sei und sie bis zum Abend im Flughafen bleiben sollten.

Wir aber starten pünktlich nach Mumbai, erleben noch den Sonnenuntergang und das glitzernde, farbige Nachtleben am Strand und starten am frühen Morgen zurück nach Deutschland.

 
Der Juhu-Strand von Mumbai

Orissa II