Günter Neuenhofer, VHS 2009-II

Philosophie - Übersicht

II.

Philosophie am Morgen

Wir diskutieren über unser Menschsein in der Welt des Alltags, des Denkens und der Sprache. Dabei gehen wir von Texten klassischer Philosophen aus der Antike und Neuzeit aus.

Der Mensch, der sich der Welt und sich selbst zuwendet, fragt:

was ist? – wer bin ich? –was ist der Mensch? -was heißt „sein“? - was heißt „das Richtige tun“?

Themen und Texte der philosophischen Gespräche:

1. Staunen und Fragen als zwei Grundelemente des Philosophierens (I, II)

2. Max Scheler (1874-1928), Auszüge aus "Die Stellung des Menschen im Kosmos".

3. Sokrates fragt, was gerecht ist ( Platons Politeia, 1. und 4. Buch)

4. Gerechtigkeit

Staunen als philosophisches Grundlement

„Das Staunen ist die Einstellung eines Mannes, der die Weisheit wahrhaft liebt, ja es gibt keinen anderen Anfang der Philosophie als diesen.“ Platon: Theätet 155 d

„Denn Verwunderung war den Menschen jetzt wie vormals der Anfang des Philosophierens, indem sie sich anfangs über das nächstliegende Unerklärte verwunderten, dann allmählich fortschritten und auch über Größeres Fragen aufwarfen...“ Aristoteles : Met. I 2, 982 b 11

„Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle...

Wer es nicht mehr kennt und sich nicht mehr wundern, nicht mehr staunen kann, der ist sozusagen tot und seine Augen erloschen.“ (Albert Einstein)

„Eine Kuh glotzt, aber der Mensch kann der Welt staunend und fragend begegnen, weil er eine Vernunft hat und weil er die Freiheit hat, sich zu entscheiden. Vielleicht entscheidet er nicht, aber er könnte entscheiden. In der Folge ist er auch dafür verantwortlich, wie er entscheidet.“ (Jeanne Hersch, Das philosophische Staunen. Einblicke in die Geschichte des Denkens, 1981)

Ich glaube, jeder Philosoph, der wirklich ein Philosoph ist, läßt seinen Leser manche Gedanken und Haltungen versuchen und vollziehen, die seine Freiheit vervielfältigen und vertiefen. Er zwingt sie zu einem bestimmten Tanz, wenn Sie wollen. Er zwingt sie, geistig etwas zu vertiefen.

Staunen bzw. Verwunderung ist ein emotionaler Zustand als Reaktion auf das Erleben von etwa Unerwartetem, das nicht den bekannten Denkmustern entspricht. Es wird begleitet von einem neurobiologischem Zustand der Erregung, einem inneren Unruhezustand, der sich motivationsfördernd auswirkt, bisher Unbekanntes zu erforschen und zu lernen. Die Art des Staunens kann unterschiedlich gefärbt sein, je nachdem, ob das Unerwartete, Verwunderliche eher ein „gläubiges“ oder „ungläubiges“ Staunen hervorruft. Entsprechend wird es von unterschiedlichen Emotionen begleitet, wie Bewunderung, Respekt, Verehrung, oder Befremden, Irritation, Argwohn. Staunen als „starr werden“, „stumm da stehen“, als „verblüfft sein“.

"Im Erstaunen halten wir an. Wir treten gleichsam zurück vor dem Seienden - davor, daß es ist und so und nicht anders ist. Auch erschöpft sich das Erstaunen nicht in diesem Zurücktreten vor dem Sein des Seienden, sondern es ist, als dieses Zurücktreten und Ansichhalten, zugleich hingerissen zu dem und gleichsam gefesselt durch das, wovor es zurücktritt". (Coreth)

Fragen als philosophisches Grundlement

Wortzusammensetzungen: er- ab- aus- nach- be- an-fragen, das Fragenswerte

Redewendungen: es fragt sich – es steht in Frage – sich selbst fragen. Fragen ist leichter als antworten.. Wer viel fragt, geht viel irre. Man fragt sich aus der Welt. Der Teufel hat das Fragen geschaffen. Fragen ist keine Schande. Dem Frager den Mund stopfen. "Fragen kann ich nur, wenn ich wissen will ..."

"Wenn ich frage, so weiß ich, dass ich frage, und ich weiß um den Sinn des Fragens - sonst könnte ich nicht fragen, erst recht nicht sinnvoll fragen ...".

Emerich Coreth:

"Fragen heißt ins Offene stellen ... Das Gefragte muß für den feststellenden und entscheidenden Spruch noch in der Schwebe sein ... Nun ist die Offenheit der Frage keine uferlose. Sie schließt vielmehr die bestimmte Umgrenzung durch den Fragehorizont ein. Eine Frage, die desselben ermangelt, geht ins Leere. Sie wird erst zu einer Frage, wenn die fließende Unbestimmtheit der Richtung, in die sie weist, ins Bestimmte eines 'So oder So' gestellt wird: mit anderen Worten, die Frage muß gestellt werden. Fragestellung setzt Offenheit voraus, aber zugleich eine Begrenzung. Sie impliziert die ausdrückliche Fixierung der Voraussetzungen, die feststehen und von denen aus sich das Fragliche, das, was noch offen ist, zeigt. Auch eine Fragestellung kann daher richtig oder falsch sein, je nachdem, ob sie in den Bereich des wahrhaft Offenen hineinreicht oder nicht. Falsch nennen wir eine Fragestellung, die das Offene nicht erreicht, sondern dasselbe durch Festhalten falscher Voraussetzungen verstellt. Als Frage täuscht sie Offenheit und Entscheidbarkeit vor. Wo aber das Fragliche nicht - oder nicht richtig - abgehoben ist gegen die Voraussetzungen, die wirklich fest stehen, dort ist es nicht wahrhaft ins Offene gebracht und dort kann daher auch nichts entschieden werden".

Versäumt man es, sich über die Bestimmtheit der Frage und ihre Voraussetzungen Rechenschaft zu geben, dann bleibt es von vornherein unausgemacht, ob man nicht etwa falsch oder gar sinnlos dahergefragt hat.

"... die Frage (kann), ... sofern sie diese bestimmte Einzelfrage ist, die durch bestimmtes Mitwissen bedingt ist, noch eine falsch gestellte, sinnlose und gegenstandslose, darum unbeantwortbare Frage sein".

Es gibt nun aber auch ein illegitimes Daherfragen, das trotz besserer Einsicht Fragen stellt und nur den Anschein der Offenheit vorgibt, das sich wider eine klare Evidenz versperrt und in Wirklichkeit überhaupt keine Antwort will oder eigenmächtig den Horizont begrenzt, aus dem allein es eine Antwort gelten lassen will. Solange nicht ausgeschlossen werden kann, daß ein solches Fragen den Ausgang der Philosophie bildet, bleibt das ganze Vorgehen "fragwürdig".

Emerich Coreth SJ (1919–2006) war Vorstand des Instituts für Christliche Philosophie an der Theol. Fakultät der Universität Innsbruck. Sein Buch „Metaphysik“ wurde in viele Sprachen übersetzt.

- Emerich Coreth (Die erkenntniskritische Valenz des Fragevollzugs (81), Staunen als ursprünglicher Wahrheitsvollzug (Im Internet - http://www.ub.uni-freiburg.de/referate/04/verweyen/ontol-01.htm)

- Philosophie als Denkwerkzeug, Zur Aktualität transzendentalphilosophischer Aktualität, 1998

Platons Politeia:

- Thrasymachos-Dialog, 1. Buch: Sokrates fragt, was gerecht ist

- 4. Buch, 439c-440b: Gerechtigkeit in Menschen und im Staat, die drei Seelenteile


Philosophen über „Gefühl und Verstand“

1) Wer sich an seine Gefühle hält, gewonnen und eingeprägt, und sich danach richtet, der

ist mit sich ständig im Einklang. Was braucht er noch Weisung von anderer Seite? (CHUANG TSE)

2) Wir sind zu schwach, um mit der bloßen Vernunft die Wahrheit zu finden;

deshalb ist uns die Autorität der Heiligen Schrift vonnöten. (AUGUSTINUS)

3) Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt.

Die Vernunft beherrscht uns viel gebieterischer als ein Herr. Wenn wir diesem gehorchen,

sind wir unglücklich; wenn wir ihr nicht gehorchen, sind wir Dummköpfe. Es gibt zwei

gleich gefährliche Abwege: die Vernunft schlechthin zu leugnen und außer der Vernunft

nichts anzuerkennen. (PASCAL)

4) Die Vernunft formt den Menschen, das Gefühl leitet ihn.

Wer nicht ein kleines Leid zu ertragen versteht, muss sich darauf gefasst machen, viele

Leiden über sich ergehen zu lassen. (ROUSSEAU)

5) Verstand: ein Hemmungsapparat gegen das Sofortreagieren auf das

Instinkturteil. Mancher findet sein Herz nicht eher, als bis er seinen Kopf

verliert. (NIETZSCHE)

6) Die Eigenliebe und jeder Affekt (Gefühl) betrügen uns innerlich.

Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen (...). (KANT)

Gerechtigkeit in der philosophischen Diskussion der Gegenwart

Weitere Materialien:

http://wapedia.mobi/de/Gerechtigkeitstheorien
http://de.wikipedia.org/wiki/Ethik - http://www.phillex.de/ethik.htm

„Gerecht“ wird – wie der Begriff „gut“ – in vielerlei Bedeutungen gebraucht. Es werden Handlungen, Haltungen, Personen, Verhältnisse, politische Institutionen und zuweilen auch Affekte (der „gerechte Zorn“) als gerecht bezeichnet.

Die subjektive oder besser personale Gerechtigkeit bezieht sich auf das Verhalten oder die ethische Grundhaltung einer Einzelperson. Eine Person kann gerecht handeln ohne gerecht zu sein und umgekehrt. Damit im Zusammenhang steht die kantische Unterscheidung zwischen Legalität und Moralität. Legale Handlungen befinden sich nach außen hin betrachtet in Übereinstimmung mit dem Sittengesetz, geschehen aber nicht ausschließlich aufgrund moralischer Beweggründe, sondern z. B. auch aus Angst, Opportunismus etc. Bei moralischen Handlungen dagegen stimmen Handlung und Motiv miteinander überein. In diesem Sinne wird Gerechtigkeit als eine der vier Kardinaltugenden bezeichnet.

Die objektive oder institutionelle Gerechtigkeit bezieht sich auf die Bereiche Recht und Staat. Hier geht es immer um Pflichten innerhalb einer Gemeinschaft, die das Gleichheitsprinzip berühren. Es ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen der ausgleichenden Gerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit. Bei der ausgleichenden Gerechtigkeit tritt der Wert einer Ware oder Leistung in den Vordergrund. Bei der Verteilungsgerechtigkeit geht es um den Wert der beteiligten Personen.

Die Gerechtigkeit der Einzelpersonen und der Institutionen sind in einem engen Zusammenhang zueinander zu sehen. Ohne gerechte Bürger werden keine gerechten Institutionen geschaffen oder aufrechterhalten werden können. Ungerechte Institutionen erschweren andererseits die Entfaltung der Individualtugend der Gerechtigkeit.

Das Anliegen der Ethik beschränkt sich nicht auf das Thema „Gerechtigkeit“. Zu den Tugenden gehören noch diejenigen, die man vor allem sich selbst gegenüber hat (Klugheit, Mäßigung, Tapferkeit). Zu den ethischen Pflichten gegenüber anderen zählt noch die Pflicht des Wohltuns die über die Gerechtigkeit hinausgeht und ihre Wurzel letztlich in der Liebe hat. Während der Gerechtigkeit das Gleichheitsprinzip zugrunde liegt, ist dies beim Wohltun die Notlage oder Bedürftigkeit des anderen. Diese Unterscheidung entspricht der zwischen „iustitia“ und „caritas“ (Thomas von Aquin), Rechts- und Tugendpflichten (Kant) bzw. in der Gegenwart der zwischen „duties of justice“ und „duties of charity“ (Philippa Foot).

In der Philosophie der Antike finden sich die ersten systematischen Betrachtungen über die Gerechtigkeit bei Platon und Aristoteles. Vor allem Aristoteles traf die Unterscheidung zwischen personaler und gesellschaftlicher Gerechtigkeit als Bürgertugend. Diese Auffassung der personalen Gerechtigkeit war bis ins Mittelalter vorherrschend. Erst mit Beginn der Neuzeit finden sich ausgearbeitete Konzepte, Gerechtigkeit als Vertragsbeziehung zwischen Menschen zur Lösung von Konflikten zu bestimmen, so in den Vorstellungen vom Gesellschaftsvertrag Mitte des 17. Jahrhunderts bei Thomas Hobbes oder ungefähr ein Jahrhundert später im Zeitalter der Aufklärung bei Jean-Jacques Rousseau. Recht wurde nun nicht mehr nur als Ausdruck einer göttlichen Ordnung aufgefasst. Gerechtigkeit erhielt die Bedeutung einer Institution zum Ausgleich unterschiedlicher Interessen. Entsprechend wurde die Bestimmung als personale Gerechtigkeit von der Sicht einer institutionellen Gerechtigkeit, der iustitia legalis, verdrängt.

Eine inhaltliche Erweiterung und Verschiebung erfuhr der Begriff der Gerechtigkeit mit der industriellen Revolution und der damit einhergehenden Pauperisierung großer Bevölkerungsteile, durch die die Soziale Frage aufgeworfen wurde. In der entstehenden Arbeiterbewegung konkretisierte sich dies in der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit, die so bis in die Gegenwart zum Inhalt politischer Auseinandersetzungen geworden ist.

Verstandes- bzw. Vernunftethik: Man glaubt, daß der Verstand oder die Vernunft ethische Werte erkennen bzw. begründen kann. (Z. B. Kant.) Zu den Verstandesethikern kann man die Vertreter der Diskursethik zählen. (Z. B. Habermas und Apel)

Pflichtethik: Kant vertrat nicht nur eine Verstandesethik, sondern auch eine Pflichtethik. Wir empfänden eine starke Pflicht in uns, Bestimmtes zu tun und anderes zu unterlassen.

Gefühlsethik: Man glaubt, daß das Gefühl die Ethik begründet. Das Sittliche sei nichts anderes als die harmonische Ausgestaltung dessen, was als natürliche Anlage in jedem Menschen liege. (Cooper, Hutcheson.) Oft wird auch das Urteil der Mitmenschen einbezogen. Ethik entstehe aus der Sympathie und dem Gemeinschaftsgefühl der Menschen. (Hume, Smith.) Wenn Sokrates vom "Gott in meiner Brust" spricht, Platon über den Eros, die Liebe zur Idee des Guten vorstößt und wenn Aristoteles sagt, wir wüßten mit dem "Auge der Seele" um das Gute, dann sind dies lediglich andere Formulierung für "Gefühlsethik". Eine moderne Form der Gefühlsethik ist der Emotivismus (von Emotion). (Z. B. Ayer, Stevenson.)

Laut Amartya Sen hängt die konstitutive Freiheit von dem Umfang der instrumentellen Freiheit ab.

Zur Bewertung der Gerechtigkeit in einer konkreten Konstellation schlägt Sen vor, den Grad der als „objektive Möglichkeit“ bestehenden Verwirklichungschancen zu messen (capability). Eine Verwirklichungschance (Handlungsmöglichkeit) bezeichnet Sen als Funktion. Da Menschen an die Person gebundene Voraussetzungen mitbringen, sich jeweils in unterschiedlichen Situationen befinden, in einen jeweils anderen sozialen Zusammenhang eingebunden sind und jeweils unterschiedliche persönliche Präferenzen haben, sind auch die Verwirklichungschancen für jedes Individuum verschieden. Gemessen wird ein Bündel an objektiv verfügbaren Handlungsmöglichkeiten, die dem Einzelnen zur Verfügung stehen. So hat der in einer reichen Gesellschaft fastende Mensch andere Handlungsmöglichkeiten im Vergleich zu dem hungernden Menschen in einer armen Gesellschaft.

Stattdessen schlägt Sen ein Konzept vor, das er „plurale Einbindung“ nennt. Zur Weiterentwicklung einer globalen Gerechtigkeit sollen alle transnationalen Institutionen von zwischenstaatlichen Verträgen über multinationale Unternehmen (beispielsweise in Fragen einer gerechten Entlohnung) bis hin zu sozialen Gruppen und Nichtregierungsorganisationen beitragen.

1998 erhielt Sen den Nobelpreis für seine Arbeiten zur Wohlfahrtsökonomie, zur Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung und zum Lebensstandard. s. „Lebenslagen in Deutschland. 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung“ .

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