Philosophie - Übersicht

Philosophie II

Texte der griechischen Philosophie

Die Vorsokratiker

Einer der prägenden Gegensätze der antiken Philosophie war der zwischen den Lehren der Zeitgenossen Heraklit und Parmenides. Für Heraklit war das Prinzip der Welt (Logos) ein Streit der Gegensätze, eine ständige Veränderung, also nicht nur ein Sein, sondern auch ein Werden. Von ihm stammt der Satz: „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.“ Dialektische Denkweise.

Parmenides hingegen hielt alles Werden für Schein, die wirkliche Welt selbst (aletheia) war für ihn und für die von ihm begründete eleatische Schule ein unvergängliches und unveränderliches Sein.

Heraklit aus Ephesus (um 500 v.Chr.)

Fragment: Über die Natur

Bestände das Glück in körperlichen Lustgefühlen, so müsste man die Ochsen glücklich nennen, wenn sie Erbsen zu fressen finden.

(Die Sonne ist) neu an jedem Tag.

Das auseinander Strebende vereinigt sich und aus den verschiedenen (Tönen) entsteht die schönste Harmonie und alles entsteht durch den Streit.

In dieselben Fluten steigen wir und steigen wir nicht: wir sind es und sind es nicht.

Krieg ist aller Dinge Vater, aller Dinge König. Die einen macht er zu Göttern, die anderen zu Menschen, die einen zu Sklaven, die anderen zu Freien.

Parmenides aus Elea (Unteritalien, *540 od. 525 v.Chr.):

Er macht ernst mit dem Begriff des Seins. Seine Grundthese heißt ΕΣΤΙ. Denken und Sein sind untrennbar verbunden. Strenge Logik erweist: Nur IST ist, NICHT IST ist nicht. Werden setzt ein Noch-NICHT-IST, bzw. ein NICHT-IST-mehr, also jedenfalls ein NICHT-IST voraus und ist somit undenkbar. Das Sein ruht in sich als "wohlgerundete Kugel". Trotzdem belässt er der Scheinwelt der Wahrnehmung und des Werdens (die ein NICHT-IST als seiend voraussetzt) ihren relativen Wert.

Daß man es erkennt, ist zugleich die Erkenntnis, daß es ist;

denn nicht ohne das Seiende, auf das sich das Ausgesagte bezieht,

wirst du das Erkennen finden; nichts nämlich ist oder wird auch sein

sonst außer dem Seienden, weil dies das Schicksal verfügt hat,

daß es gänzlich unveränderlich sei; deshalb wird alles beim Namen genannt,

was die Sterblichen gesetzt haben, vertrauend, es sei wahr:

Entstehen und auch Zugrundegehen, zu sein und auch nicht zu sein,

und den Ort zu wechseln und sich durch die leuchtende Farbe hindurch zu verwandeln.


Platon: Der Staat, 7. Buch, Das Höhlengleichnis

Stelle dir nämlich Menschen vor in einer höhlenartigen Wohnung unter der Erde, die einen nach dem Lichte zu geöffneten und längs der ganzen Höhle hingehenden Eingang haben, Menschen, die von Jugend auf an Schenkeln und Hälsen in Fesseln eingeschmiedet sind, so daß sie dort unbeweglich sitzen bleiben und nur vorwärts schauen, aber links und rechts die Köpfe wegen der Fesselung nicht umzudrehen vermögen; das Licht für sie scheine von oben und von der Ferne von einem Feuer hinter ihnen; zwischen dem Feuer und den Gefesselten sei

oben ein Querweg; längs diesem denke dir eine kleine Mauer erbaut, wie sie die Gaukler vor dem Publikum haben, über die sie ihre Wunder zeigen.

Ich stelle mir das vor, sagte er.

So stelle dir nun weiter vor, längs dieser Mauer trügen Leute allerhand über diese hinausragende Gerätschaften, auch Menschenstatuen und Bilder von anderen lebenden Wesen aus Holz, Stein und allerlei sonstigem Stoffe, während, wie natürlich, einige der Vorübertragenden ihre Stimme hören lassen, andere schweigen.

Ein wunderliches Gleichnis, sagte er, und wunderliche Gefangene!

Leibhaftige Ebenbilder von uns! sprach ich. Haben wohl solche Gefangene von ihren eigenen Personen und von einander etwas anderes zu sehen bekommen als die Schatten, die von dem Feuer auf die ihrem Gesichte gegenüberstehende Wand fallen?

Unmöglich, sagte er, wenn sie gezwungen wären, ihr ganzes Leben lang unbeweglich die Köpfe zu halten.

Ferner, ist es nicht mit den vorübergetragenen Gegenständen ebenso?

Allerdings.

Wenn sie nun mit einander reden könnten, würden sie nicht an der Gewohnheit festhalten, den

vorüberwandernden Schattenbildern, die sie sahen, dieselben Benennungen zu geben?

Notwendig.

Weiter: Wenn der Kerker auch einen Widerhall von der gegenüberstehenden Wand darböte, sooft jemand der Vorübergehenden sich hören ließe, - glaubst du wohl, sie würden den Laut etwas anderem zuschreiben als den vorüberschwebenden Schatten?

Nein, bei Zeus, sagte er, ich glaube es nicht.

Überhaupt also, fuhr ich fort, würden solche nichts für wahr gelten lassen als die Schatten jener Gebilde?

Ja, ganz notwendig, sagte er.

Betrachte nun, fuhr ich fort, wie es bei ihrer Lösung von ihren Banden und bei der Heilung von ihrem Irrwahn hergehen würde, wenn solche ihnen wirklich zuteil würde: Wenn einer entfesselt und genötigt würde, plötzlich aufzustehen, den Hals umzudrehen, herumzugehen, in das Licht zu sehen, und wenn er bei allen diesen Handlungen Schmerzen empfände und wegen des Glanzgeflimmers vor seinen Augen nicht jene Dinge anschauen könnte, deren Schatten er vorhin zu sehen pflegte: was würde er wohl dazu sagen, wenn ihm jemand

erklärte, daß er vorhin nur ein unwirkliches Schattenspiel gesehen, daß er jetzt aber dem wahren Sein schon näher sei und sich zu schon wirklicheren Gegenständen gewandt habe und daher nunmehr auch schon richtiger sehe?

Und wenn man ihm dann nun auf jeden der vorüber wandernden wirklichen Gegenstände zeigen und ihn durch Fragen zur Antwort nötigen wollte, was er sei, - glaubst du nicht, daß er ganz in Verwirrung geraten und die Meinung haben würde, die vorhin geschauten Schattengestalten hätten mehr Realität als die, welche er jetzt gezeigt bekomme?

Ja, bei weitem, antwortete er.

Und nicht wahr, wenn man ihn zwänge, in das Licht selbst zu sehen, so würde er Schmerzen an den Augen haben, davonlaufen und sich wieder jenen Schattengegenständen zuwenden, die er ansehen kann, und würde dabei bleiben, diese wären wirklich deutlicher als die, welche er gezeigt bekam?

So wird‘s gehen, meinte er.

Wenn aber, fuhr ich fort, jemand ihn aus dieser Höhle mit Gewalt den rauen und steilen Aufgang zöge und ihn nicht losließe, bis er ihn an das Licht der Sonne herausgebracht hätte, - würde er da wohl nicht Schmerzen empfunden haben, über dieses Hinaufziehen aufgebracht sein und, nachdem er an das Sonnenlicht gekommen, die Augen voll Blendung haben und also gar nichts von den Dingen sehen können, die jetzt als wirkliche ausgegeben werden?

Er würde es freilich nicht können, sagte er, wenn der Übergang so plötzlich geschähe.

Also einer allmählichen Gewöhnung daran, glaube ich, bedarf er, wenn er die Dinge über der Erde schauen soll. Da würde er nun erstlich die Schatten am leichtesten anschauen können und die im Wasser von den Menschen und den übrigen Wesen sich abspiegelnden Bilder, sodann erst die wirklichen Gegenstände selbst. Nach diesen zwei Stufen würde er die Gegenstände am Himmel und den Himmel selbst erst nachts, durch Gewöhnung seines Blickes an das Sternen- und Mondlicht, leichter schauen als am Tage die Sonne und das Sonnenlicht.

Ohne Zweifel.

Und endlich auf der vierten Stufe, denke ich, vermag er natürlich die Sonne, das heißt nicht ihre Abspiegelung im Wasser oder in sonst einer außer ihr befindlichen Körperfläche, sondern sie selbst in ihrer Reinheit und in ihrer eigenen Region anzublicken sowie ihr eigentliches Wesen zu beschauen.

Ja, notwendig, sagte er.

Und nach solchen Vorübungen würde er über sie die Einsicht gewinnen, daß sie die Urheberin der Jahreszeiten und Jahreskreisläufe ist, daß sie die Mutter von allen Dingen im Bereiche der sichtbaren Welt und von allen jenen allmählichen Anschauungen gewissermaßen die Ursache ist.

Ja, entgegnete er, offenbar muß er zu diesen Einsichten nach jenen Vorübungen gelangen.

Wenn er nun an seinen ersten Aufenthaltsort zurückdenkt und an die dortige Weisheit seiner Mitgefangenen: wird er da wohl nicht sich wegen seiner Veränderung glücklich preisen und jene bedauern?

Ja, sicher.

Darstellung des Liniengleichnisses von Platon

Thrasymachos-Dialog im 1. Buch von Platons Politeia

Sokrates fragt, was gerecht ist

Auch Kephalos war drinnen, der Vater des Polemarchos. Er kam mir sehr alt vor; denn es war auch schon lange her, daß ich ihn gesehen hatte. Bekränzt saß er auf einem Kissen auf dem Stuhle; denn er hatte eben im Hofe geopfert. Wir setzten uns nun zu ihm, denn es standen daselbst einige Stühle im Kreise herum.

Gleich wie mich Kephalos sah, grüßte er mich und sagte: Sokrates, du kommst auch gar nicht oft zu uns herunter in den Peiraieus, und solltest doch. Denn wäre ich noch imstande, ohne Anstrengung in die Stadt zu gehen, so brauchtest du nicht hierher zu kommen, sondern wir kämen zu dir. So aber mußt du häufiger hierher kommen; denn wisse nur, in demselben Maße als sonst die sinnlichen Genüsse für mich absterben, wächst mein Verlangen und meine Freude an Gesprächen. Tu' mir also den Gefallen, schenke diesen jungen Leuten deinen Umgang und komme oft hierher zu uns als zu Freunden und ganz guten Bekannten?

Wirklich, Kephalos, antwortete ich, unterhalte ich mich gern mit besonders alten Männern; denn ich meine, man muß sich bei ihnen erkundigen als Vorgängern auf einem Pfade, den auch wir vielleicht werden gehen müssen, wie derselbe beschaffen ist, ob rauh und beschwerlich oder leicht und bequem. Und so möchte ich auch dich fragen, was du davon hältst, da du bereits die Jahre erreicht hast, welche die Dichter als »Schwelle des Alters« bezeichnen, ob für einen beschwerlichen Teil des Lebens, oder was du sonst darüber aussagst?

Ich will dir, Sokrates, versetzte er, bei Gott sagen, wie es mir vorkommt. Oftmals kommen unser mehrere zusammen, die in gleichem Alter stehen, das alte Sprichwort in Ehren haltend. Bei diesen Zusammenkünften nun jammern die meisten von uns, indem sie sich nach den Freuden der Jugend sehnen und der Liebesgenüsse gedenken und der Trinkgelage und Schmause und was es sonst noch ähnliches gibt, und sind verdrießlich, weil sie etwas Großes verloren und damals ein glückliches Leben geführt haben, jetzt aber eigentlich gar keines. Einige beklagen auch die Mißhandlungen des Alters durch die Angehörigen und stimmen deshalb über das Alter ein Lied an, was es ihnen alles für Unglück bringe. Mir scheint aber, Sokrates, als würden diese nicht den wahren Schuldigen beschuldigen; denn wäre das Alter schuldig, so müßte auch ich um seinetwillen dieselbe Erfahrung gemacht haben, und die übrigen alle, welche diese Lebensstufe erreicht haben. Nun aber habe ich auch schon andere getroffen, bei denen es nicht so war; namentlich war ich einmal dabei, wie jemand an den Dichter Sophokles die Frage richtete: »Wie sieht's bei dir aus, Sophokles, mit der Liebe? Vermagst du noch einem Weibe beizuwohnen?« Der antwortete: »Nimm deine Zunge in acht, Mensch; bin ich doch herzlich froh, daß ich davon erlöst bin, wie ein Sklave, der von einem tobsüchtigen und wilden Herrn erlöst worden ist!« Schon damals deuchte mir das wohlgesprochen und auch jetzt nicht minder: denn immerhin hat man im Alter in diesen Beziehungen vollkommenen Frieden und Freiheit. Wenn nämlich die Anspannung durch die Begierden aufgehört hat und sie nachgelassen haben, so wird allerdings das Wort des Sophokles wahr: von sehr zahlreichen tollen Gebietern kommt man los. Aber in dieser Beziehung und in betreff des Verhältnisses zu den Angehörigen ist die Ursache dieselbe, und zwar nicht das Alter, Sokrates, sondern der Charakter der Menschen. Sind sie geordnet und verträglich, so sind auch die Beschwerden des Alters mäßig; wo nicht, - so ist für einen solchen, Sokrates, Alter wie Jugend beschwerlich.

Ich hatte meine Freude daran, ihn so sprechen zu hören, und da ich wollte, daß er weiter rede, so stachelte ich ihn mit den Worten: Kephalos, ich meine, die Menge wird dich nicht ankommen lassen, wenn du so sprichst, sondern meint, du tragest leicht am Alter nicht wegen deines Charakters, sondern weil du ein großes Vermögen besitzest: denn die Reichen, heißt es, haben viele Tröstungen.

………….

Hast du, Kephalos, fragte ich, dein Vermögen zum größeren Teile überkommen oder selbst erworben?

Was soll ich erworben haben, Sokrates? erwiderte er; ich habe in bezug auf das Geschäftsglück die Mitte gehalten zwischen meinem Großvater und meinem Vater: mein Großvater, dessen Namen ich trage, hat ungefähr so viel Vermögen, als ich besitze, geerbt und hat es vervielfacht: mein Vater Lysanias aber hat es noch kleiner gemacht, als es jetzt ist: ich bin zufrieden, wenn ich diesen da nicht weniger hinterlasse, sondern ein bißchen mehr, als ich überkommen.

Nun, weshalb ich dich fragte, fuhr ich fort, war, weil es mir schien, als ob du auf das Geld keinen besonderen Wert legtest. So machen es gewöhnlich solche, welche es nicht selbst erworben haben; wer es erworben hat, der hat es doppelt so lieb als die anderen. Denn wie die Dichter ihre Gedichte und die Väter ihre Kinder lieb haben, so ist es denen, welche das Geld erworben haben, Ernst mit dem Gelde, als ihrem eigenen Werke, und dann noch überdies wegen seiner Nützlichkeit, wie den andern auch. Daher ist es auch unangenehm, mit ihnen umzugehen, weil sie nichts loben mögen als den Reichtum.

Das ist wahr, sagte er.

Immerhin, sprach ich; aber sage mir noch so viel: Was hältst du für den bedeutendsten Vorteil, den du von deinem großen Vermögen gehabt hast?

Etwas, antwortete er, was mir vielleicht nicht viele glauben werden. Denn wisse nur, Sokrates, wenn man nahe daran ist, daß man glaubt sterben zu müssen, so wandelt einen Furcht und Sorge an über Dinge, an die man vorher nicht gedacht hat. Denn die bekannten Sagen vom Zustand in der Unterwelt, daß, wer hier Unrecht getan, dort Strafe leiden müsse, über die man sich bis dahin lustig gemacht, beunruhigen nunmehr einen innerlich, ob sie nicht am Ende doch wahr seien, und entweder aus Altersschwäche oder auch, weil man jener Welt jetzt näher ist, beschaut man sie mehr. Da wird man voll Unruhe und Furcht und besinnt sich und prüft sich, ob man einmal jemandem Unrecht getan. Wer nun in seinem Leben viele ungerechte Handlungen findet, der fährt sogar oft erschrocken aus dem Schlafe auf, wie die Kinder, und lebt in schlimmer Erwartung; dem aber, der sich keines Unrechts bewußt ist, dem steht immer frohe Hoffnung zur Seite, und die gute Alterspflegerin, wie Pindar sich ausdrückt. Denn anmutig, Sokrates, sagt er, wer gerecht und heilig das Leben verbringe……….

Das ist ausgezeichnet schön gesprochen; und in dieser Beziehung, behaupte ich, ist der Besitz von Geld sehr viel wert, jedoch nicht für jedermann, sondern nur für den Braven. Denn daß man auch nicht unfreiwillig jemand betrogen oder belogen hat, noch auch einem Gotte Opfer oder einem Menschen Geld schuldig ist und deshalb sich fürchtet, dorthin abzugehen, dazu trägt einen bedeutenden Teil der Besitz von Geld bei. Es hat auch noch viele andere nützliche Seiten; aber, eins mit dem andern verglichen, möchte ich als nicht das Unbedeutendste aufstellen, daß hierzu, Sokrates, für einen verständigen Mann der Reichtum von größtem Nutzen ist. Sehr schön gesprochen, Kephalos, sagte ich. Dieses eben aber, die Gerechtigkeit, sollen wir es nur so einfach als die Wahrhaftigkeit bezeichnen und als das Zurückgeben, wenn man etwas von jemand bekommen hat, oder heißt dieses selbst bald gerecht, bald ungerecht handeln? Ich meine z.B. einen Fall wie folgenden: Wenn jemand bei gesundem Verstande einem Freunde Waffen übergäbe und im Zustande des Wahnsinns sie zurückforderte, so wird wohl jedermann sagen, daß man weder zur Zurückgabe von dergleichen verpflichtet sei, noch der Zurückgebende gerecht wäre noch auch einer, der einem Menschen von diesem Zustande die volle Wahrheit sagen wollte.

Du hast recht, antwortete er.

Also ist nicht dies die Begriffsbestimmung der Gerechtigkeit, daß man die Wahrheit sagt und das Anvertraute zurückgibt.

O ja, doch, Sokrates, sprach Polemarchos, das Wort ergreifend, wofern man wenigstens dem Simonides recht geben darf.

Nun ja, sagte Kephalos, gern übergebe ich euch das Gespräch; denn ich muß jetzt nach dem Opfer sehen.

Du setzest also, fragte ich, den Polemarchos zu deinem Erben ein?

Jawohl, antwortete er lachend und ging damit zum Opfer.

So sage denn also, begann ich, du Erbe des Gesprächs, welches ist die Äußerung des Simonides über die Gerechtigkeit, die du richtig findest?

Daß gerecht ist, jedem geben, was man ihm schuldig ist, antwortete er; mit diesem Satze scheint er mir wenigstens recht zu haben.

Freilich, sagte ich, dem Simonides ist es nicht leicht den Glauben zu versagen: denn es ist ein weiser und göttlicher Mann; indessen was das heißt, was er da sagt, verstehst vielleicht du, Polemarchos, - ich aber begreife es nicht; denn offenbar ist, daß er nicht das meint, wovon wir eben gesprochen, das Zurückgeben anvertrauten Gutes an wen auch immer, wenn er es bei getrübtem Verstande zurückfordert; und doch ist man schuldig, was man uns anvertraut hat, - nicht wahr?

Freilich.

Man darf also schlechterdings nicht zurückgeben, wenn jemand bei getrübtem Verstande zurückfordert?

Du hast recht, antwortete er.

Es scheint also, daß Simonides etwas anderes meint als derartiges, wenn er sagt, daß es gerecht sei, zurückzugeben, was man schuldig sei.

Freilich, bei Zeus, etwas anderes, erwiderte er: er meint nämlich, daß Freunde schuldig seien. Freunden Gutes zu tun und nichts Böses.

Ich verstehe, sagte ich: denn der tut nicht seine Schuldigkeit, welcher jemandem, der ihm Gold anvertraut hat, es zurückgibt, wofern das Zurückgeben und Inempfangnehmen nachteilig ist und der Zurücknehmende und der Zurückgebende Freunde sind; meinst du nicht, daß Simonides so es versteht?

Allerdings.

Wie aber - den Feinden muß man geben, was immer man ihnen gerade schuldig ist?

Jedenfalls, antwortete er, was man ihnen schuldig ist; schuldig aber ist, denke ich, ein Feind dem Feinde, wie billig, etwas Böses.

So hat denn also, sagte ich, wie es scheint, Simonides nach Dichterart angedeutet, was das Gerechte sei: er dachte nämlich, wie sich herausstellt, gerecht sei, daß man jedem gebe, was ihm gebühre, und hat dies als Schuldigkeit bezeichnet.

Was ist aber deine Ansicht? fragte er.

Bei Zeus, erwiderte ich, wenn nun jemand die Frage an ihn richtete: »Simonides, wem gibt die Kunst, welche man Arzneikunst nennt, das Schuldige und Gebührende, und was gibt sie- was glaubst du, daß er uns antworten würde?

(336 b)…als wir aber eine Pause machten und ich jene Worte gesprochen hatte, konnte er (Thrasymachos) nicht mehr ruhig bleiben, sondern sich zusammenkrümmend stürzte er wie ein wildes Tier auf uns los, um uns zu zerreißen. Ich und Polemarchos gerieten in Angst und Bestürzung; er aber schrie mitten unter uns hinein: Was für Unsinn treibt ihr da schon lange, Sokrates? Und wie mögt ihr so einfältig euch anstellen und einander selbst ausweichen? Wenn du wirklich erfahren willst, was das Gerechte ist, so mußt du nicht bloß fragen und deine Eitelkeit damit kitzeln, es zu widerlegen, wenn dir jemand eine Antwort gibt, weil du wohl weißt, daß es leichter ist, zu fragen, als zu antworten, sondern du mußt auch selbst antworten und sagen, was du als das Gerechte bezeichnest. Und daß du mir nur nicht sagst, es sei das Pflichtmäßige oder das Nützliche oder das Vorteilhafte oder das Gewinnbringende oder das Zuträgliche; sondern deutlich und genau mußt du mir sagen, was du sagst: denn ich werde es nicht gelten lassen, wenn du mir mit solchem Zeuge kommst.

….Thrasymachos, sei nicht böse auf uns; denn haben wir uns verfehlt in der Erörterung des Gesprächs, ich und dieser da; so wisse nur, daß wir es nicht absichtlich getan haben! Denn glaube nur nicht, daß wir zwar, wenn wir nach Gold suchten, einander nimmermehr mit Willen höflich aus dem Wege gingen beim Suchen und das Finden vereiteln würden, aber beim Suchen nach der Gerechtigkeit, die doch wertvoller ist als viele Goldhaufen, so unverständig vor einander ausweichen und uns nicht ernsthaft bemühen, daß sie möglichst zutage komme. Das glaube ja nicht, mein Lieber! Sondern ich glaube, an unsern Kräften fehlt es. Darum solltet ihr Starken billigerweise viel eher Mitleid mit uns fühlen als uns böse werden!

………………..

So höre denn, sagte er: Ich behaupte, daß das Gerechte nichts anderes ist als das dem Überlegenen Zuträgliche. - Nun, warum lobst du nicht? Du wirst eben nicht mögen!

Sobald ich verstehe, was du meinst, erwiderte ich; denn für jetzt weiß ich's noch nicht. Das dem Überlegenen Zuträgliche, behauptest du, sei das Gerechte. Wie verstehst du das nun, Thrasymachos? …….

Jede Regierung gibt doch die Gesetze mit Rücksicht auf das, was ihr zuträglich ist: die Demokratie demokratische, die Tyrannis tyrannische und die andern ebenso. Wenn sie sie gegeben, so haben sie damit aus gesprochen, daß dies, das ihnen Zuträgliche, für die Regierten gerecht sei, und den, der das übertritt, bestrafen sie als einen Gesetzesübertreter und Frevler. Das also, mein Bester, ist das, was ich meine: daß in allen Staaten das nämliche gerecht ist, nämlich das der bestellenden Regierung Zuträgliche.

343b – 344c…Weil du glaubst, die Schaf- oder Rinderhirten sehen auf das Beste ihrer Schafe oder Rinder und haben, wenn sie sie mästen und pflegen, etwas anderes im Auge als das Beste ihrer Herrn und ihr eigenes Bestes, und ebenso glaubst, die in einem Staate Regierenden - wenn sie wahrhafte Regierer sind - seien gegenüber den Regierten anders gesinnt, als man es Schafen gegenüber ist, und denken Tag und Nacht an etwas anderes, als wie sie sich selbst nützen können. Und so sehr bist du auf dem Irrwege in bezug auf das Gerechte und die Gerechtigkeit und das Ungerechte und die Ungerechtigkeit, daß du nicht einsiehst, wie die Gerechtigkeit und das Gerechte in Wahrheit das Beste eines andern ist, nämlich das dem Überlegenen und Regierenden Zuträgliche, für den Gehorchenden und Dienenden aber der eigene Schaden, und wie die Ungerechtigkeit das Gegenteil ist und die in Wahrheit Einfältigen und Gerechten regiert, und wie die Regierten das ihm Zuträgliche tun, weil er überlegen ist, und ihn durch ihr Dienen glücklich machen, sich selbst aber schlechterdings nicht. Und daß der Gerechte dem Ungerechten gegenüber allenthalben im Nachteil ist, davon muß man, du einfältiger Sokrates, auf folgende Weise sich überzeugen: Fürs erste im gegenseitigen Verkehr wirst du, wenn ein solcher mit einem solchen Gemeinschaft hat, bei Auflösung der Verbindung niemals finden, daß der Gerechte gegen den Ungerechten im Vorteil ist, sondern vielmehr im Nachteil; dann in den Beziehungen zum Staat zahlt der Gerechte, wenn es sich um Steuern handelt, vom Gleichen mehr, der andere weniger; und wenn es sich ums Einnehmen handelt, so macht der eine keinen, der andere vielen Gewinn. Und wenn beide ein Amt bekleiden, so trifft den Gerechten wenn kein anderer so jedenfalls der Nachteil, daß sein Hauswesen infolge der Vernachlässigung in schlimmeren Stand kommt und er aus der Staatskasse keinen Nutzen zieht, weil er gerecht ist, und daß er außerdem verhaßt wird bei seinen Angehörigen und Bekannten, wenn er ihnen nicht dem Rechte zuwider dienen will; bei dem Ungerechten aber ist alles dieses umgekehrt: ich meine nämlich denjenigen, von dem ich eben gesprochen, den, welcher imstande ist, seinen Vorteil in großem Maßstabe zu verfolgen. Diesen mußt du in Betracht ziehen, wenn du beurteilen willst, um wie viel mehr es ihm persönlich zuträglich ist, ungerecht zu sein, als gerecht. Am allerleichtesten aber wirst du es einsehen, wenn du an die vollendetste Ungerechtigkeit herangehst, die den, der Unrecht begeht, ganz glücklich macht, die aber, welche Unrecht leiden und nicht Unrecht tun mögen, ganz unglücklich. Das heißt aber Tyrannei, die das fremde Gut nicht stückweise wegnimmt, sowohl heimlich als mit offener Gewalt, Heiliges und Erlaubtes, Persönliches und Öffentliches, sondern alles zusammen. Wenn jemand von diesen Ungerechtigkeiten eine einzelne begangen hat und es an den Tag kommt, so wird er gestraft und hat die größte Schande; denn Kirchenräuber und Seelenverkäufer und Einbrecher und Räuber und Diebe heißen diejenigen, welche solche Freveltaten einzeln verüben. Wenn aber jemand außer der Habe der Bürger auch noch ihre Personen knechtet, so bekommen sie statt jener beschimpfenden Benennungen die Titel »glücklich« und »preiswürdig«, nicht bloß von den Staatsangehörigen, sondern auch von allen andern, die vernehmen, daß er die Ungerechtigkeit im Großen treibt; denn nicht weil sie das Ungerechte zu tun, sondern weil sie es zu leiden fürchten, schmähen auf die Ungerechtigkeit die, welche sie schmähen. So ist denn also, Sokrates, die Ungerechtigkeit, wenn sie auf tüchtige Weise geschieht, etwas Stärkeres und Edleres und Gewaltigeres als die Gerechtigkeit, und wie ich von Anfang an sagte: das dem Überlegenen Zuträgliche ist das Gerechte, und das Ungerechte ist das, was einem selbst nützlich und - zuträglich ist.

Du hältst also, Thrasymachos, die Ungerechten für klug und gut?

Diejenigen allerdings, antwortete er, welche imstande sind, in vollkommener Weise Unrecht zu tun, die ganze Staaten und Völker sich zu unterwerfen vermögen, - während du, scheint es, meinst, ich rede von Beutelschneidern. Es ist nun zwar auch das nützlich, wofern es nicht entdeckt wird; indessen ist es nicht der Rede wert, sondern nur das, was ich eben genannt habe.

Was du sagen willst, erwiderte ich, verstehe ich ganz wohl; aber darüber wundere ich mich, daß du die Ungerechtigkeit zur Tugend und Weisheit rechnest, die Gerechtigkeit aber zum Gegenteil.

Platon, Der Staat, 4. Buch, 439c-440b, 441e, 443)

Wollen wir nun sagen, daß manche bisweilen, wenn sie dürsten, nicht trinken mögen?

Jawohl, antwortete er, viele und vielmals.

Was wird man nun, fragte ich, in bezug auf diese sagen? Nicht, daß in ihrer Seele zwar vorhanden sei das zu trinken Gebietende, aber vorhanden auch das zu trinken Verbietende, als ein vom Gebietenden Verschiedenes und es Bezwingendes?

Mir kommt es so vor, versetzte er.

Wird nun nicht das dergleichen Verbietende, wenn es darin sich zeigt, durch Überlegung erzeugt, dagegen das Treibende und Ziehende durch Zustände des Leidens und Krankseins hervorgebracht?

Es scheint so.

Nicht ohne Grund also, fuhr ich fort, werden wir die Ansicht hegen, daß es ein Doppeltes und von einander Verschiedenes sei, indem wir das, womit sie überlegt, das vernünftig Überlegende der Seele nennen, das aber, womit sie verliebt ist und hungert und dürstet oder sonst etwas leidenschaftlich begehrt, das Unvernünftige und Begehrende, das gewisse Erfüllungen und Genüsse liebt?

Nein, vielmehr mit Recht, versetzte er, werden wir dies annehmen.

Damit seien uns denn, sagte ich, zwei in der Seele befindliche Arten bestimmt. Der Zorn nun aber und das, womit wir zornig sind, ist es ein Drittes? Oder mit welchem von jenen beiden wäre es gleichartig?

Vielleicht, antwortete er, mit dem Zweiten, dem Begehrenden.

Aber, entgegnete ich, ich habe einmal etwas gehört und glaube daran, daß nämlich Leontios, Aglaions Sohn, wie er vom Peiraieus her die nördliche Mauer entlang außen heraufging und bemerkte, daß bei dem Scharfrichter Leichname liegen, einerseits sie zu sehen begehrte und andererseits doch Abscheu empfand und sich abwandte und eine Weile kämpfte und sich verhüllte, [440 St.] zuletzt dann aber, von der Begierde überwältigt, mit weitaufgerissenen Augen zu den Leichnamen hinlief und ausrief: „Da habt ihr's denn, ihr Unseligen! Seht euch satt an dem edlen Anblick!“

Ich habe es gleichfalls gehört, versetzte er.

Diese Erzählung, bemerkte ich, zeigt denn doch, daß der Zorn manchmal mit den Begierden im Kampfe liege, als ein anderes mit einem anderen.

Allerdings zeigt sie's, sagte er.

Machen wir nun, fuhr ich fort, nicht auch sonst oftmals, wenn einen die Begierden seiner Überlegung zuwider nötigen, die Wahrnehmung, daß er sich selber schilt und auf das in ihm, was ihn nötigt, zornig ist und daß - wie bei einem Kampf zwischen zweien, der Zorn eines solchen sich mit der Vernunft verbündet? Daß er aber mit der Begierde gemeinsame Sache machte und, wenn die Vernunft sagt, er dürfe nicht, ihr zuwiderhandelte, etwas Derartiges wirst du, glaube ich, nicht behaupten, je an dir selbst wahrgenommen zu haben, und ich glaube auch nicht, an einem anderen.

Nein, beim Zeus, antwortete er.

441d .Wir müssen also im Gedächtnis behalten, daß auch von uns ein jeder, bei dem jedes von dem, was er in sich hat, das Seinige tut, gerecht sein wird und das Seinige tut.

Allerdings, versetzte er, muß man es im Gedächtnis behalten.

Gebührt es nun aber nicht dem vernünftigen Teile zu regieren, da er weise ist und die Vorsorge für die ganze Seele hat, dem zornartigen Teile aber, jenem gehorsam und verbündet zu sein?

Freilich.

Wird nun nicht, wie wir gesagt haben, die Vermischung von Musenkunst und Turnkunst sie einstimmig machen, indem sie das eine anspannt und großzieht durch schöne Reden und Lehrgegenstände, [442 St.] das andere dagegen herabstimmt durch beschwichtigende Zureden und mildert durch Harmonie und Rhythmus?

Vollkommen, antwortete er.

Und wenn diese beiden denn in dieser Weise erzogen sind und in Wahrheit das Ihrige gelernt haben und dafür gebildet sind, so werden sie die Aufsicht führen über das Begehrende, das ja den größten Teil der Seele in jedem ausmacht und von Natur ganz unersättlich ist an Besitztümern. Dies werden sie hüten, daß es nicht, wenn es infolge der Erfüllung mit den sogenannten sinnlichen Genüssen stark und mächtig geworden ist, seinerseits nicht das Seinige tue, sondern zu knechten und zu beherrschen versuche ein Geschlecht, bei dem ihm das nicht zukommt, und das gesamte Leben aller zerrütte.

Freilich, versetzte er.

Werden nun wohl, fuhr ich fort, nicht auch vor den auswärtigen Feinden diese beiden am besten behüten zum Schutze der gesamten Seele und des Leibes, indem das eine beratend wirkt, das andere vorkämpfend, dabei aber dem Regierenden folgend und mit seiner Tapferkeit vollziehend, was beschlossen ist?

So ist es.

Und tapfer also, denke ich, nennen wir nach diesem Teile jeden Einzelnen, wenn das Zornartige an ihm durch Schmerzen und Genüsse das von der Vernunft als schrecklich und nicht schrecklich Vorgezeichnete festhält?

Richtig, sagte er.

Weise jedoch nach jenem kleinen Teile, dem, der in ihm regierte und jenes vorschrieb, der seinerseits gleichfalls Wissenschaft in sich hat, nämlich von dem, was jedem Einzelnen und der ganzen Gesamtheit von ihnen drei zuträglich sei?

Freilich.

Wie aber? Besonnen nicht wegen der Freundschaft und Zusammenstimmung von eben diesen, wenn das Regierende und die beiden Regierten der gleichen Meinung sind, daß das Vernünftige regieren müsse, und wenn sie nicht mit ihm im Streite liegen?

Besonnenheit ist allerdings, antwortete er, nichts anderes als dies, bei einem Staate wie bei einem Einzelnen.

Aber nun gerecht wird er doch sein durch das, was wir schon oft gesagt haben, und auf die angegebene Weise?

Ganz notwendig.

Wie nun? fuhr ich fort, es trübt sich uns doch nicht das Bild der Gerechtigkeit, so daß sie etwas anderes zu sein scheint, als was sie sich im Staate erwiesen hat?

Mir scheint es nicht, antwortete er.

Folgendermaßen werden wir es ja, sagte ich, vollkommen feststellen, wenn in unserer Seele noch ein Zweifel vorhanden ist, indem wir das ganz Gemeine zu ihm hinzubringen.

Was denn?

Zum Beispiel, wenn wir uns zu verständigen hätten hinsichtlich des beschriebenen Staates und des ihm gleichgearteten und gleicherzogenen Mannes, ob wir glauben, daß ein solcher bei ihm hinterlegtes Gold oder Silber unterschlagen würde, wer, meinst du, könnte meinen, daß er dies eher tun würde als alle, die nicht so beschaffen sind?

[443 St.] Wohl kein Mensch, erwiderte er.

Also auch Tempelraub und Diebstahl und Verrat, im engeren Kreis an Freunden, oder in weiterem am Staate, wird diesem fremd sein?

Jawohl.

Und sicherlich wird er auch in keiner Weise treulos sein, weder in bezug auf Eide noch auf sonstige Vereinbarungen.

Wie sollte er auch?

Und Ehebruch und Vernachlässigung der Eltern und Versäumnis des Götterdienstes kommen sicher jedem anderen eher zu als ihm?

Gewiß jedem anderen eher, versetzte er.

Ist nun nicht die Ursache von dem allem dies, daß bei ihm jedes Einzelne in ihm das Seinige tut in bezug auf Regieren und Regiertwerden?

Das ist's freilich, und sonst nichts.

Willst du nun haben, daß die Gerechtigkeit noch etwas anderes sei als dieses Vermögen, das die Männer und Staaten von dieser Beschaffenheit liefert?

Beim Zeus, ich nicht, war seine Antwort.

In vollständige Erfüllung also ist uns der Traum gegangen, wovon wir, wie wir sagten, eine Ahnung hatten, daß wir gleich, als wir anfingen, den Staat zu gründen, von einem Gotte auf den Anfang und gleichsam Umriß der Gerechtigkeit geführt worden zu sein scheinen.

Freilich vollkommen.

Es war dies also, mein Glaukon, und dies ist auch der Grunde warum es Nutzen bringt, ein Schattenbild der Gerechtigkeit, daß es das Richtige ist, wenn der von Natur zum Schustern Geschickte schustert und nichts anderes tut, und der zum Zimmern Geschickte zimmert, und so weiter.

So erweist es sich.

In Wahrheit aber war die Gerechtigkeit zwar, wie es scheint, etwas von der Art, jedoch nicht in bezug auf das äußere Tun seiner Bestandteile, sondern in bezug auf das wahrhaft innerliche, an sich selbst und dem Seinigen, indem einer keinem Teile seines Inneren gestattet, das Fremde zu tun, noch den Seelenteilen erlaubt, unter einander zwecklose Geschäftigkeit zu treiben, vielmehr in der Tat sein Haus wohl bestellt und die Herrschaft über sich selbst gewonnen und sich in Ordnung gebracht hat und sein eigener Freund geworden ist und jene drei in vollständigen Einklang gebracht hat, gleichsam die drei Hauptsaiten eines Instrumentes, die unterste und höchste und mittlere Saite, und die andern, die etwa noch dazwischen liegen, diese alle unter einander verknüpft hat und vollständig Einer geworden ist aus Vielen, besonnen und rein gestimmt, und alsdann nunmehr in solcher Weise handelt, falls er handelt entweder in bezug auf Erwerb von Besitztümern oder die Pflege des Leibes oder auch in einer Angelegenheit des Staates oder des persönlichen Verkehrs, indem er in allen diesen Verhältnissen als gerechte und schöne Handlung diejenige betrachtet und bezeichnet, welche diesen Zustand bewahrt und mitbewirkt, und als Weisheit die Wissenschaft, die dieses Handeln leitet, [444 St.] und als ungerecht ein Handeln, das im einzelnen Falle jenen stört, und als Torheit die Meinung, die ihrerseits dieses Handeln leitet.

Wollen wir nun sagen, daß manche bisweilen, wenn sie dürsten, nicht trinken mögen?

Jawohl, antwortete er, viele und vielmals.

Was wird man nun, fragte ich, in bezug auf diese sagen? Nicht, daß in ihrer Seele zwar vorhanden sei das zu trinken Gebietende, aber vorhanden auch das zu trinken Verbietende, als ein vom Gebietenden Verschiedenes und es Bezwingendes?

Mir kommt es so vor, versetzte er.

Wird nun nicht das dergleichen Verbietende, wenn es darin sich zeigt, durch Überlegung erzeugt, dagegen das Treibende und Ziehende durch Zustände des Leidens und Krankseins hervorgebracht?

Es scheint so.

Nicht ohne Grund also, fuhr ich fort, werden wir die Ansicht hegen, daß es ein Doppeltes und von einander Verschiedenes sei, indem wir das, womit sie überlegt, das vernünftig Überlegende der Seele nennen, das aber, womit sie verliebt ist und hungert und dürstet oder sonst etwas leidenschaftlich begehrt, das Unvernünftige und Begehrende, das gewisse Erfüllungen und Genüsse liebt?

Nein, vielmehr mit Recht, versetzte er, werden wir dies annehmen.

Damit seien uns denn, sagte ich, zwei in der Seele befindliche Arten bestimmt. Der Zorn nun aber und das, womit wir zornig sind, ist es ein Drittes? Oder mit welchem von jenen beiden wäre es gleichartig?

Vielleicht, antwortete er, mit dem Zweiten, dem Begehrenden.

:::::::::

Wir müssen also im Gedächtnis behalten, daß auch von uns ein jeder, bei dem jedes von dem, was er in sich hat, das Seinige tut, gerecht sein wird und das Seinige tut.

Allerdings, versetzte er, muß man es im Gedächtnis behalten.

Gebührt es nun aber nicht dem vernünftigen Teile zu regieren, da er weise ist und die Vorsorge für die ganze Seele hat, dem zornartigen Teile aber, jenem gehorsam und verbündet zu sein?

Freilich.

Wird nun nicht, wie wir gesagt haben, die Vermischung von Musenkunst und Turnkunst sie einstimmig machen, indem sie das eine anspannt und großzieht durch schöne Reden und Lehrgegenstände, [442 St.] das andere dagegen herabstimmt durch beschwichtigende Zureden und mildert durch Harmonie und Rhythmus?

Vollkommen, antwortete er.

Und wenn diese beiden denn in dieser Weise erzogen sind und in Wahrheit das Ihrige gelernt haben und dafür gebildet sind, so werden sie die Aufsicht führen über das Begehrende, das ja den größten Teil der Seele in jedem ausmacht und von Natur ganz unersättlich ist an Besitztümern. Dies werden sie hüten, daß es nicht, wenn es infolge der Erfüllung mit den sogenannten sinnlichen Genüssen stark und mächtig geworden ist, seinerseits nicht das Seinige tue, sondern zu knechten und zu beherrschen versuche ein Geschlecht, bei dem ihm das nicht zukommt, und das gesamte Leben aller zerrütte.

Freilich, versetzte er.

-----

Zum Beispiel, wenn wir uns zu verständigen hätten hinsichtlich des beschriebenen Staates und des ihm gleichgearteten und gleicherzogenen Mannes, ob wir glauben, daß ein solcher bei ihm hinterlegtes Gold oder Silber unterschlagen würde, wer, meinst du, könnte meinen, daß er dies eher tun würde als alle, die nicht so beschaffen sind?

Wohl kein Mensch, erwiderte er.

Also auch Tempelraub und Diebstahl und Verrat, im engeren Kreis an Freunden, oder in weiterem am Staate, wird diesem fremd sein?

Jawohl.

Und sicherlich wird er auch in keiner Weise treulos sein, weder in bezug auf Eide noch auf sonstige Vereinbarungen.

Wie sollte er auch?

Und Ehebruch und Vernachlässigung der Eltern und Versäumnis des Götterdienstes kommen sicher jedem anderen eher zu als ihm?

Gewiß jedem anderen eher, versetzte er.

Ist nun nicht die Ursache von dem allem dies, daß bei ihm jedes Einzelne in ihm das Seinige tut in bezug auf Regieren und Regiertwerden?

Das ist's freilich, und sonst nichts.

Willst du nun haben, daß die Gerechtigkeit noch etwas anderes sei als dieses Vermögen, das die Männer und Staaten von dieser Beschaffenheit liefert?

Beim Zeus, ich nicht, war seine Antwort.

In vollständige Erfüllung also ist uns der Traum gegangen, wovon wir, wie wir sagten, eine Ahnung hatten, daß wir gleich, als wir anfingen, den Staat zu gründen, von einem Gotte auf den Anfang und gleichsam Umriß der Gerechtigkeit geführt worden zu sein scheinen.

Freilich vollkommen.

Es war dies also, mein Glaukon, und dies ist auch der Grund, warum es Nutzen bringt, ein Schattenbild der Gerechtigkeit, daß es das Richtige ist, wenn der von Natur zum Schustern Geschickte schustert und nichts anderes tut, und der zum Zimmern Geschickte zimmert, und so weiter.

So erweist es sich.

In Wahrheit aber war die Gerechtigkeit zwar, wie es scheint, etwas von der Art, jedoch nicht in bezug auf das äußere Tun seiner Bestandteile, sondern in bezug auf das wahrhaft innerliche, an sich selbst und dem Seinigen, indem einer keinem Teile seines Inneren gestattet, das Fremde zu tun, noch den Seelenteilen erlaubt, unter einander zwecklose Geschäftigkeit zu treiben, vielmehr in der Tat sein Haus wohl bestellt und die Herrschaft über sich selbst gewonnen und sich in Ordnung gebracht hat und sein eigener Freund geworden ist und jene drei in vollständigen Einklang gebracht hat, gleichsam die drei Hauptsaiten eines Instrumentes, die unterste und höchste und mittlere Saite, und die andern, die etwa noch dazwischen liegen, diese alle unter einander verknüpft hat und vollständig Einer geworden ist aus Vielen, besonnen und rein gestimmt, und alsdann nunmehr in solcher Weise handelt, falls er handelt entweder in bezug auf Erwerb von Besitztümern oder die Pflege des Leibes oder auch in einer Angelegenheit des Staates oder des persönlichen Verkehrs, indem er in allen diesen Verhältnissen als gerechte und schöne Handlung diejenige betrachtet und bezeichnet, welche diesen Zustand bewahrt und mitbewirkt, und als Weisheit die Wissenschaft, die dieses Handeln leitet, und als ungerecht ein Handeln, das im einzelnen Falle jenen stört, und als Torheit die Meinung, die ihrerseits dieses Handeln leitet.


Philosophie II