Schwarz-Afrika und wir

46 Seiten mit 36 Fotos von Christa Neuenhofer, vorwiegend von der Burkina-Reise im Februar 2013

Themen:

Die Weißen als Vorbilder, Frauenarbeit, Wie Zeit ausgedrückt wird, Zauberpriester und Heiler, Der Geisterglaube, Das Gehöft, Albinos, Schwarze Schriftsteller, Schwarz sieht Schwarz, Négritude/Tigritude/Afrikanität, Schwarz-Sein und Weiß-Sein

Mutter, Mutter,
warum?
Warum wurde ich
schwarz geboren?


Der Imker Apekira Gomgnimboubei, Pô, Burkina
s. Begegnungen mit Imkern in "Burkina Faso"

So klagt "Ocol" in der Rolle des modernen, fortschrittlichen Schwarzen im Epos des Ostafrikaners Otok P`Bitek. Ocol will alles das zerstören, was uns fasziniert, was wir auf unseren Reisen durch afrikanische Länder suchen, archaische Lebensformen, die in Europa längst verschwunden sind, die aber unterschiedliche Entwicklungen von Menschen dokumentieren und kulturelle Verschiedenheiten aufzeigen, die sicherlich in wenigen Jahren im Zuge der Globalisierung verschwunden sein werden oder zumindest übertüncht sein werden durch den alles gleich machenden industriellen Fortschritt.

Wir sehen die zerstörerischen Entwicklungen mit Wehmut, mit den romantischen Blicken eines Touristen, der auf Zeitreisen immer wieder Bilder voller Exotik konsumiert, aber selbst nicht in dieser "Zeit" leben möchte, weil das den Verzicht auf all die Annehmlichkeiten des industriellen Fortschritts bedeuten würde.


Dorf Wolokonto der Karaboro, Burkina

Tradition ist [..] das, was als kulturelles und materielles Erbe von den Vorfahren übermittelt ist: Die Wertesysteme, die Erklärungen der Welt, religiöse Überzeugungen und Praktiken und vieles andere mehr, ausgedrückt im Verhaltenskodex einer Gesellschaft, in dergesellschaftlichen Hierarchie, im Gewohnheitsrecht, den Sitten und Gebräuchen, den liebgewonnenen Gewohnheiten, der Mode, den Liedern und Tänzen, Gedichten und Erzählungen, den Festen und Institutionen und schließlich der Sprache.

Zur Tradition im materiellen Sinn gehört auch der Siedlungsraum, in dem eine Gesellschaft lebt und ihre Erfahrungen im Umgang mit der Umwelt gesammelt hat, die Produktionsform, mit der sie sich den Umweltbedingungen angepaßt hat, das Land, das ihr gehört und in dem die Vorfahren bestattet sind, die materielle Kultur in Form von Denkmälern, Gebäuden, Wegen, Verkehrsmitteln, Handwerkszeug, Gebrauchsgegenständen, Kunst und Kunsthandwerk.

All diese Vorstellungen, Gewohnheiten und Institutionen prägen die Menschen und unterscheiden sie von anderen Gruppen. Entstanden sind sie in einem langen Prozeß, der sich weit in die Vergangenheit zurückerstreckt; jede Epoche hat ihren Teil zur Ausgestaltung der Überlieferung beigetragen.“ (Zit. Harding, Geschichte Afrikas im 19. und 20.Jahrhundert, 1999, 142 f.)


Heiler mit seiner Medizin auf dem Markt von Toumousseni, Burkina
s. unsere Berichte zu Reisen durch Togo und Benin:
Eine Reise zu den Göttern der Voodoo-Kulte und auf den Spuren des afrikanischen Christentums

Wie verstehen wir die Drohungen "Ocols", des fortschrittlichen Schwarzen?

Zur Hölle mit inhaltsleeren Traditionen und bedeutungslosen Sitten!

Wir werden die Tabus Stück für Stück zerschmettern, die Wurzeln des Aberglaubens in die Luft jagen. Wir werden jeden heiligen Baum entwurzeln und jeden Ahnenschrein zerstören….

Wir werden Kornspeicher zerstören, Kochtöpfe und Wasserkrüge zerbrechen, wir werden Mühlsteine zu Staub zermahlen.

Wir werden all diese Priester und Priesterinnen der Finsternis zusammentreiben, all die Regenmacher und Kräuterkundigen, all die Männer und Frauen, die vor Heiligtümern und Ahnenschreinen opfern.(204)

Wir werden alle Hexen einsperren, die Zauberer, die mit dem bösen Blick, die Verkäufer von Fetisch-Beuteln, Knochen und Klauen…Wir werden all diese Eckpfeiler der Angst in ein Dampfschiff sperren, zur tiefsten Stelle des Sees hinausfahren und sie in die Tiefe werfen.(S.205)


Opferritual in Ghana: Blut für die Fetische,
s. unseren Reisebericht durch Ghana: Ghana I-III

Entbietet den Geistern eurer Ahnen den Abschiedsgruß…verschwendet keine Hühner oder Ziegen oder Schafe als Opfer an sie.(244)

Wir werden auf dem Berg eine neue Stadt aus Beton, Stahl und Steinen erbauen…weite Avenuen, ausgedehnte Gärten, Parkanlagen, Swimmingpools...(249)

Ich sehe das große Tor der Stadt weit geöffnet, ich sehe Männer und Frauen, die ziehen hinein.


Lehm-Haus des Heilers Sib Taldjaté
mit Ahnenfiguren in Kerkera, Burkina

Wir antworten ihm mit den Worten seiner "dummen" Frau "Lawino".

Ocol sagt über sich, er sei modern, gebildet und auch fortschrittlich.

Mein Gatte überschüttet Schwarze nur mit Spott, er handelt wie die Henne, die ihre eigenen Eier frisst. (12)

Was bleibt von Afrika, wenn die Afrikaner ihre Kulturen abstreifen, ihre Traditionen zerstören und Lebensweise und Werte der Weißen übernehmen?


Denkmal in Bobo-Dioulasso
mit Pferden als dem Staatssymbol und heiligen Welsen

Schwarze und das weiße Werte

Die Ablehnung der schwarzen Haut und der schwarzen Kraushaare als unschön und minderwertig ist ein banales, aber typisches Beispiel für eine Wertsetzung, die vom europäischen Raum ausgeht.
Der Protest gegen die Übernahme dieser fremden Wertsetzungen ist ein Teil des wachsenden Selbstbewusstseins in vielen schwarzafrikanischen Ländern. Auch unser Guide Lateef in Burkina ist stolz auf die kulturellen Reichtümer und sieht sich als Botschafter, der uns die Traditionen seines Landes vermitteln will.


Straße in Bobo Dioulasso, der zweitgrößten Stadt in Burkina

MARCUS GARVEY, 1887-1940, ein radikaler Panafrikanist und Gründer der Universal Negro Improvement Association:

Nehmt die Bilder der weißen Frauen von euren Wänden. Hebt eure eigenen Frauen auf dieses Podest. Sie tragen die schwerste Bürde unserer Rasse.

Mütter! Gebt euren Kindern Puppen zum Spielen und Knuddeln, die wie sie aussehen... Gott schuf uns als sein vollkommenes Ebenbild und machte keinen Fehler, als er uns schwarze Haut und krauses Haar gab... Vergesst also den Scherz der Weißen, dass Gott uns in der Nacht schuf und vergaß, uns weiß zu malen...

Wir sind zwar der Sklaverei entwachsen; aber unser Geist ist immer noch von der Denkweise der Herrenrasse befangen.

Versucht lieber, die Kräuseln und Knoten aus eurem Geist zu kriegen, anstatt [mit Chemikalien] bloß aus eurem Haar.


Kinder der Karaboro in Toumousseni

Die Weißen als modische Vorbilder

Mach,
dass den Kürbis keiner rausreißt!
(53)

Wie freuen uns über die kunstvollen Frisuren, besonders über die Antennenköpfe der Kinder. Sind die Frisuren Beispiele minderwertiger Haare, wofür sich die Trägerinnen schämen müssen?

Das Haar der weißen Frau ist weich wie Seide....Das Haar der schwarzen Frau ist dick und kraus. (43) - Ihr Haar ein ausgebrannter Wald -, sagt Ocol.

Seine Frau Lawino schildert dagegen die Versuche, das natürliche Haar zu verschönern, so:

Mit heißen Eisen wird ihr Haar gekocht, sie zerren dran herum, damit es länger wächst. Dann wickeln sie das Haar auf kleine Hölzchen...Man brät ihr Haar in heißem Öl...Und das gesunde Haar, voll Leben - kraus, elastisch, dick...wird nun matt und tot gemacht... Das Haar hängt traurig, tot, so wie Bananenblätter an einem windstill-heißen Nachmittag. (49)


Modische Kunsthaarperücken in Ghana und Burkina

Die Prozedur mit den heißen Welleisen war so furchteinflößend, dass ich befürchten musste, meine Haare zu verlieren. Meine Begleiterinnen allerdings waren begeistert. Die Friseurin meinte allerdings, dass ich doch nächstes Mal ein Haarteil mitbringen sollte, dann könne sie mehr aus meinen Haaren machen.  Kwa Raha Zangu – Zu meinem Vergnügen

Eine einfachere Methode, "europäisch schön" zu erscheinen, ist tatsächlich die Nutzung einer Perücke. Auf allen Märkten werden solche glatten Langhaarperücken angeboten.

Lawino dazu: Und manchmal trägt sie Haar von irgendeiner Toten.

Ich bin mit meinem Haar geboren und ich bin stolz darauf…so spür ich keinen Wunsch, der weißen Frau zu gleichen.

Black is Beautiful


Traditionelle Frisuren in Burkina und Ghana


Werbeplakat eines Friseurs in Togo

Auch Männer putzen sich so raus wie Weiße, so, als lebten sie im Land der Weißen. Selbst mitten in der heißen Zeit muss für die Progressiven und Gebildeten ein wollner Anzug her und wollne Socken aus Europa, lange Unterhosen, wollne Westen, weiße Hemden. Sie tragen Sonnenbrillen und Krawatten aus Europa. (29)


Fußballspieler Aristide Bancé der Nationalschaft "Les Etalons" ("Die Hengste")
mit blondierten Haaren

Weiß in 15 Tagen!

Weiß sein, heißt schön sein, heißt erfolgreich sein, sagt eine Ärztin, die sich vehement gegen die Benutzung von Cremes zur Aufhellung der dunklen Haut wendet. Die Haut wird ruiniert.

Seit hellhäutige afroamerikanische Stars als Vorbilder dienen und die Popsängerin Beyoncé dank Photoshop in Illustrierten kaum wiederzuerkennen ist, legt auch die ökonomische und intellektuelle Elite Wert auf helle Haut: Fernsehmoderatoren, Künstler, Minister und Models greifen zur Tube, in ganz Westafrika. Auch Männer folgen dem Trend.

Bleichcremes: Schwarz und Weiß - Afrika - FAZ
Tretinoin ist eine Vitamin-A-Säure. Sie beschleunigt das Absterben der oberen Hautschicht. Der Körper stößt die melaninhaltigen Zellen ab. Die Hornhautschicht wird dünner. So kann der zweite Wirkstoff, das Hydrochinon, leichter in die Zellen eindringen - und dort verhindern, dass neues Melanin gebildet wird. Hydrochinon ist ein chemischer Stoff, der auch bei der Entwicklung von Fotos benutzt wird. In Deutschland ist diese Chemikalie in Kosmetika verboten. Die Haut wird nicht nur durch die Cremes malträtiert, sie verbrennt auch leichter unter der Sonne. Sie färbt sich rot und juckt. Zunächst lässt der dritte Wirkstoff, das Clobetasol, Rötungen verschwinden. Clobetasol ist ein starkes Kortison.


Besonders in Ghana haben wir viel Werbung für Bleichcremes gesehen.

Man erzählt sich in Afrika folgenden Witz:

Gott fliegt über Afrika, und weil er gut gelaunt ist, denkt er sich: 'Ich werde hundert Afrikanern einen Wunsch erfüllen.' Er fragt den ersten Schwarzen: "Was wünscht Du Dir?" Der Schwarze antwortet: "Ich möchte weiß werden." Der Wunsch wird Ihm erfüllt.

Auch der zweite, dritte, vierte, fünfte wünscht sich das gleiche. Gott fällt auf, dass der Letzte in der Schlange sich krümmt vor Lachen. Alle 99 Afrikaner hatten den gleichen Wunsch, der Ihnen natürlich auch erfüllt wurde.

Gott fragt den Allerletzten: “Und was wünscht Du Dir?”

Der Schwarze: “Ich wünsche mir, dass alle wieder schwarz werden…”

"Kolonisierung der Gehirne"

Das nach dem jeweiligen „Mutterland“ modellierte Erziehungs- und Bildungswesen, einschließlich Evangelisation, welches in der Regel auch nach Erlangung der staatlichen Unabhängigkeit beibehalten bzw. kopiert wurde, vermittelte nachhaltig das Bild der europäischen Überlegenheit und das Gefühl eigener Minderwertigkeit und trug zu einer Entfremdung von der eigenen Kultur und zu sozialer Entwurzelung bei.

Diese „Kolonisierung der Gehirne“ (Frantz Fanon) verpflanzte die Orientierung an westlichen Leitbildern bei Entwicklung, Lebensstilen und Konsumgewohnheiten in die Köpfe und sorgte dafür, dass viele der afrikanischen Staatseliten dem Gepränge der Weißen nacheiferten und bestärkt durch externe „Entwicklungsexperten“ die Strategie einer kapitalintensiven „nachholenden Entwicklung“ verfolgten.
(s. Frantz Fanon: Peau Noire, Masques Blancs. Paris 1952. Deutsch: Schwarze Haut – weiße Masken. 1980.)

Was braucht ein Mensch, um glücklich zu sein?

Du Frosch, ich möchte wissen,
worüber freust du dich,
wenn es regnet?
Du lachst im Teich.
Du hast keine Kleider zum Waschen.
Dazu noch hast du keine Seife.
Und einen Wassertopf hast du auch nicht.
Was nützt dir das Wasser?
(Diwani ya Shaaban, Tansania, Lourenco Noronha)

Frauenarbeit


Lobi-Frauen zerstoßen Cassava in Ghana

Wenn die Hirsestampferinnen ihre Achselhaare voreinander verbergen, wird die Hirse nicht richtig gestampft.


Hirse und Mais werden täglich gestampft (Burkina Faso)

Wir bewundern die Töpferinnen, die ihre Krüge auf dem Kopf kilometerweit zum nächsten Markt tragen und die Wasserträgerinnen, die das Wasser von einem Brunnen zur Hütte auf dem Kopf in Blechschüssel balancieren. Die dafür notwendige aufrechte Körperhaltung verleiht ihnen eine gewisse Grazie. Aber uns ist auch bewusst, dass diese Tätigkeiten eine enorme körperliche Belastung für die Frauen bedeuten.


Karaboro-Frauen tragen ihre Töpferwaren zum Markt.

Ocol:

Ich sehe eine junge Frau heimkehren von der Wasserstelle, sie balanciert den großen Krug auf ihren Kopf…wirf diesen Krug mitsamt dem Wasser ab; lass ihn in Stücke springen…zerschmettere den Krug, zerschmettere Tabus, Gebräuche, Traditionen. (211)

Wenn du auf deinem Kopf einen schönen Krug mit Wasser balancierst oder einen neuen Korb, vielleicht auch einen Krug mit schlankem Hals und voller Honig, dann erinnert mich dein schlanker Hals an einen eleganten Speer. (46)


Auf dem Weg zum Markt

Wie Zeit ausgedrückt wird

Als wir einen Bauern und Imker in Burkina fragen, wann er die Honigwaben aus seinen traditionellen Beuten holt, zeigt er mit der Hand vom Boden aus eine 30 cm Höhe an und sagt: "Wenn die Hirse so hoch steht." Das bedeutet, die Zeitangabe wird nach jahreszeitlichen und alltäglichen Ereignissen beschrieben und nicht nach einem mechanischen Uhrwerk, das die Zeit in Ziffern nach dem Zeigerstand angibt.

Ocols Frau sagt:

Ich kann die Zeit nicht nennen, denn ich kann die Zahlen ja nicht lesen...Es ist schon komisch, wie Ocol die Zeit angibt. Am Morgen, wenn man in der milden Sonne liegen kann, dann sagt er: "Es ist acht!" Und wenn der Hahnenschrei zum ersten Mal ertönt, dann sagt er: "Es ist fünf!"...Und wenn mein Gatte drauf besteht, dass er zur ganz genauen Zeit den Morgentee und auch das Frühstück haben möchte,..., dann muss ich erst zur Sonne schauen, der Hahn muss krähn und mich dran erinnern.


Reisfelder im Februar zu Füßen der Pics de Sindou (Burkina)

Wenn wieder Regen kommt, dann sagen wir: "Die Regen sind gefallen!" Die Zeit wird poto-kot (Beginn der großen Regenzeit) genannt. Die Hirsesamen keimen jetzt. (84)

Wenn man die Lobi auffordert, die Zeit eines früheren Ereignisses annähernd anzugeben, antworten sie, dass die Hirse damals solche Höhe hatte, oder dass man sie gerade gesät hatte, oder dass man sie ernten wollte, oder dass man sie geschnitten, aber noch nicht in die Speicher getan hatte. Wenn es sich darum handelt, wann ein länger zurückliegendes Ereignis geschah, dass man es genau festlegen muss, sagen sie, dass es vor oder nach der Ankunft der Europäer im Land war, oder dass es zur Zeit dieser Hungersnot oder jenes bedeutenden Gefechtes war …
(Nach Henri Labouret,1931,163 f.)

Für die Kassena, die in Burkina zwischen Pô und Tiébélé wohnen, beginnt der Tag mit dem ersten Hahnenschrei (tyabia lelya). Dann fangen die Perlhühner an, von ihren Schlafplätzen herunterzuspringen (tepena pòro3). Es folgt zizinga oder zizanga, der Morgen, der Vormittag, der etwa von Sonnenaufgang bis zum Mittag dauert. Ein Unterabschnitt dieser Zeit ist offenbar tyaderi. Die Sonne scheint und die Hühner beginnen mit dem Eierlegen. Den Mittag nennt man wè yi pare. Dann scheint die Sonne direkt auf den Kopf (yi oder yu). Dittmers Notiz

Dann kommt yaga-surum, wenn die Männer nun auf den Markt gehen, um dort Hirsebier zu trinken. Der Sonnenuntergang ist wè-zuuri. Wenn die Frauen die Abendmahlzeit zubereiten, nennt man das duwè sangem (sangem „kochen“). Danach beginnt man zu essen (gul duru). Dòleliya (dò „schlafen“) nennt man die Zeit, zu der die ersten Frühschläfer zu Bett gehen. Schlafenszeit ist dòòm. (http://matrei.ruso.at/ In: Heller, H., 2006, Gemessene Zeit – Gefühlte Zeit)


Mossi-Gehöft in Burkina: nur die männlichen Bewohmer sind anwesend.

Wenn ich gewusst hätte, dass du ein Säufer bist,
dazu unbeständig und in der Schenke streitsüchtig.
Von Zuhause verschwindest du, finanzierst nicht einmal Salz.
Ich hätte einen Greis vorgezogen (geheiratet), wenn ich es früher gewusst hätte.

(Neema Komba)

Traditionell unterschiedliche Arbeiten von Männern und Frauen

Die Woche als Marktzyklus

Der Brauch wollte es, dass sie nun die Braut in ihr eigenes Dorf mitnahmen,
damit sie sieben Märkte lang bei der Familie ihres zukünftigen Ehemannes wohne.
(Chinua Achebe: Okonkwo oder das Alte stürzt, 1958)

Die Woche präsentiert sich in afrikanischen Kulturen als Marktzyklus. Das bedeutet, die Woche richtet sich nach der Abfolge der Markttage in einem eng begrenzten Gebiet. Nur selten werden Märkte aufgesucht, die weiter als 12 bis 15 km entfernt sind. Man geht bei Tageslicht von zu Hause fort, kommt zwischen 10 Uhr und Mittag beim Marktplatz an, bleibt bis etwa 14 oder 15 Uhr und kehrt so zurück, dass man vor Einbruch der Nacht wieder zu Hause ist. Die Abfolge der Markttage steht fest, und mit dem Namen des Marktplatzes definiert man den Wochentag. Also etwa „heute ist der Markt von Bogu“ oder „morgen ist der Markt von Nano“. Interessant ist, dass überall dort, wo es kein Marktwesen gibt, auch keine Wocheneinteilung vorhanden ist.

In Westafrika gibt es Kulturen, in denen die dreitägige Marktwoche üblich ist, z. B. bei den Kassena im südlichen Burkina Faso und nördlichen Ghana. Die Konkomba, Bewohner Nord-Togos, kennen die sechstägige Marktwoche. Die Bulsa in Nordghana kennen die drei- und die sechstägige Marktwoche. Die viertägige Marktwoche ist in Afrika am weitesten verbreitet.

Die Siebentagewoche ist im Inland Westafrikas unter dem Einfluss des Islam und im küstennahen Gebiet durch das Christentum nach Afrika gekommen.

Die Akan-Völker nennen die sieben Tage der Woche nach bestimmten Geistern. Nach diesen bzw. nach dem Tag der Geburt werden auch die Menschen benannt.
(nach http://matrei.ruso.at/ : Heller, H., 2006, Gemessene Zeit – Gefühlte Zeit)

Natürlich finden sich in afrikanischen Romanen die für Europäer ungewöhnlichen Zeitbeschreibungen:

Noch ehe vier Märkte vorüber waren, baten sie um Frieden. (Nigeria, Chinua Achebe: Okonkwo, S.218)
Seit zwei oder drei Monden schränkte Bissibingi seine Besuche ein. Er war in seiner sechzehnten Regenzeit. (Zentralafrikanische Republik, René Maran: Batuala, S.42)

Landwirtschaftliche Tätigkeiten während des Jahres

Zauberpriester und Heiler

Mein Gatte hat mit angedroht, er würde mich verprügeln, wenn ich noch mal zum Zauberpriester ging...Ocol verdammt die Zauberpriester und die Kräuterheiler... - Er sagt, dass alle Lügner wären, die arme Trottel täuschen könnten, und die den Leuten ihre Hühner stehlen würden, ihre Ziegen, Schafe, Rinder und ihr Geld. Auch ihre sogenannten Medizinen seien dreckige Mixturen. (131)

Mein Gatte trägt ein kleines Kruzifix um seinen Hals, und alle seine Töchter tragen Rosenkränze. Doch er verbietet mir, mein Elefantenschwanz-Collier zu tragen... Mein Gatte sagt, die Kaurimuscheln, die Stummelaffenfelle und die Hundezehenamulette - das alles sei bloß Plunder. Er sagt, so schmutzge Sachen trüge nur der blöde Mann, zurückgebliebnes simples Volk, ganz ohne Bildung, das im Schatten großer Angst zu leben hätte. (133)


Fetischpriester Tadjalté Sib in seiner magischen Fetischhöhle in Kerkera, Burkina

Sib wurde 2001 nach Düsseldorf eingeladen, um in der Ausstellung "Altäre" seine Fetischhöhle nachzubauen. Dabei lernte er zum ersten Mal die Welt der Weißen kennen.
(s. Video-Dokumentation Le voyage de Sib on Vimeo)


Wie ein steriles Schaufenster sah der Nachbau des Fetischraumes in der Ausstellung in Düsseldorf aus.

Es gibt kein Unglück ohne Wurzel. Der Schlangenbiss, der Speer des Feindes, der Blitz, das sind die bittren Früchte, die dem Schicksalsbaum entsprossen sind, sie kommen nicht per Zufall unsern Weg entlang...weil das der Fluch des Onkels ist. Und das geht ewig weiter so, bis du ihm einen weißen Hahn gegeben hast! (143)

Um zu genesen, musst du eine Ziege schlachten. (145)

Wenn Regen ausbleibt und der Hunger schlimmen Einzug hält...wenn der Hagel alle Hirse ruiniert...dann ists nicht wegen nichts. Der Grund ist klar: Die Ahnen sind erzürnt, denn sie sind hungrig, durstig, unbeachtet. Dann sammeln sich die Ältesten...sie opfern unsern Ahnen Blut und Fleisch und Bier. (147)


Ahnenpaar in einem Gehöft (Soukala) der Lobi, Burkina
Ahnenfiguren werden im Gegensatz zu den hölzernen Geistfiguren, den thila, immer aus Lehm hergestellt.

DER HAUCH DER AHNEN
(Birago Diop)

Erlausche nur geschwind
die Wesen in den Dingen
Hör sie im Feuer singen,
Hör sie im Wasser mahnen
Und lausche in den Wind: Der Seufzer im Gebüsch
Das ist der Hauch der Ahnen.

Die gestorben sind, sind niemals fort,
Sie sind im Schatten der sich erhellt,
Und im Schatten der tiefer ins Dunkle fällt.
Sie sind in dem Baum der dröhnt
Und sind in dem Baum der stöhnt,
Sie sind in dem Wasser das sich ergießt
Wie im Wasser das schlafend die Augen schließt,
Sie sind in der Hütte, sie sind im Boot:
Die Toten sind nicht tot.

Erlausche nur geschwind
die Wesen in den Dingen
Hör sie im Feuer singen,
Hör sie im Wasser mahnen
Und lausche in den Wind: Der Seufzer im Gebüsch
Das ist der Hauch der Ahnen
.
........
.........

Geisterwelt der Natur

Diesseits und Jenseits gehen in der Natur fließend ineinander über. Überraschende Ereignisse, ein Stolpern oder Ausgleiten, ein Glücksfund und dergleichen mehr können ebenso Zeichen von Geistern sein wie auf Begegnungen mit ihnen zurückgehen. ... Herd-, Haus- und Feldgeister tun den Menschen, wenn diese ihnen ihrerseits respektvoll und freundlich begegnen, nur Gutes; sie warnen sie … vor Gefahren, schützen sie und sind ihnen in kritischen Lagen behilflich.

Buschgeister dagegen kennzeichnen Unberechenbarkeit, Tücke und Bösartigkeit; vor allem, wenn man in ihre Nähe kommt, sie im Schlaf stört oder gar unwissentlich tritt. Das kann man .. in vielen Fällen vermeiden, da bekannt ist, wo „Naturgeister“ sich bevorzugt aufzuhalten pflegen. Fast sicher hat man mit ihnen an Quellen und Weihern, an Kreuzungen, in Höhlen, im tiefen Dickicht des Waldes, in Geröllfeldern, Wüsten und hohen kargen Bergregionen zu rechnen…Geister können die verschiedensten Formen annehmen.. Bäume sind ein Beispiel dafür. Sie besitzen eine Seele.
(Klaus Müller und Ute Ritz-Müller, Soul of Africa. Magie eines Kontinents.132f.)

Der Ethnologe Lévi-Strauss war der Überzeugung, dass archaische Gesellschaften den westlichen darin überlegen seien, dass sie die Verwobenheit mit Natur viel stärker empfänden und dieses Bewusstsein auch in ihr Denken und ihr tägliches Leben einfließen ließen.

Er prägte dafür den Begriff Wildes Denken (franz. pensée sauvage), womit er eine Denkform bezeichnet, die mit einer magischen Weltsicht verbunden ist: Alle Wesen, Dinge und Phänomene seien dabei durch einen allumfassenden Zusammenhang miteinander verbunden, der rational nicht erklärbar oder begreifbar sei. Dieses Denken sei kein eigenständiger Prozess. Ordnung sei hierbei das Ergebnis immer wieder neuer Kombinatorik und Assoziation, nicht die Folge von Abstraktion und deduzierter rationaler Prinzipien wie etwa der Kausalität. (nach Wikipedia)


Eulenmaske der Bobo, Burkina

Wie andere afrikanische Volksgruppen glauben die Lobi in Burkina an einen Schöpfergott, der sich von ihnen abwandte, als sie seine Gesetze brachen. Um sie aber nicht allein zu lassen, stellte er ihnen die „thila“ zur Seite – unsichtbare, mit übermenschlichen Kräften versehene Wesen, die als Vermittler zwischen Gott und den Menschen stehen. Die thila beschützen die Menschen aber nur, wenn ihre Wünsche respektiert werden, die wiederum von Wahrsagern übermittelt werden. Die Figuren und Masken stellen Geister dar, die gegen das Böse schützen, Krankheiten heilen oder für Schwangerschaften sorgen.

Droht dem Besitzer des "thil" eine Gefahr, während er z. B. auf seinen Feldern arbeitet, Märkte besucht, sich auf Reisen befindet, kann ihm der "thil" diesen Vogel als lebendigen Vogel nachschicken, der ihn dann mit seinem artspezifischen Schrei auffordern wird, unverzüglich einen Wahrsager aufzusuchen. Dort wird der Mann von seinem "thil" erfahren, welche Gefahr plötzlich aufgetaucht und wie ihr zu begegnen ist.

Senghor behauptet, afrikanische Kunst habe „weder spielerischen Sinn noch ästhetische Freude“, sondern stets eine Bedeutung. Geschnitzte Ornamente beispielsweise seien niemals nur leere Dekoration, sondern stellten Ahnen, Schutzgeister oder ähnliche religiöse Motive dar.
(Senghor, Die negro-afrikanische Ästhetik, 1967)

Die von den Ahnen geschützte Erde und die gefährliche Wildnis

Die eigentliche Erde, d.h. das kultivierte Land, das von den Menschen bewohnt und von den Ahnen beschützt wird, muss man von dem unkultivierten Gebiet, dem Busch, der Wildnis, unterscheiden, das von den wilden Tieren und zahlreichen Geistern bevölkert wird. In den Busch wagen sich im Allgemeinen nur die Jäger. Nur sie haben entsprechende magische Mittel, um die vielfältigen Gefahren bestehen zu können. Aber selbst der erfahrene und durch Amulett und magische Mittel gut geschützte Jäger ist nicht sicher, dass er heil aus dem Busch zurückkehrt. Ein Tabubruch oder eine Nachlässigkeit kann ihm zum Verhängnis werden.

Selbst durch Tiere verursachte „Buschunfälle“ führt man auf übernatürliche Mächte zurück, die man durch Handlung oder Unterlassung verletzt hat, denn man glaubt, dass diese Mächte die Tiere schicken, die den Zwischenfall verursachen.


Ein Jäger mit Grigris (schützenden Amuletten) bei einer Feier in Douna
und ein berittener Jäger aus dem Museum in Manega

Neben den „Naturgeistern“ bevölkern auch die Seelen unheilvoller Toter den Busch. So werden Verunglückte und durch äußere Gewalt Getötete an der Stelle begraben, an der man sie findet. Geschieht das Unglück im Dorf, wird der Tote im Busch bestattet. Ertrunkene werden am Flussufer beigesetzt. In einer Niederung werden Frauen bestattet, die während einer Schwangerschaft oder Geburt gestorben sind, ferner im Initiationslager oder an Schlafkrankheit Verstorbene, Selbstmörder, Blitztote und durch wilde Tiere Umgekommene, soweit sie nicht im Busch begraben werden. Alle diese Toten erhalten keine Trauerriten und können nicht reinkarniert werden. Ihre Geister gehen nicht ins Totenreich, sondern irren im Busch umher und belästigen gelegentlich Lebende.

Selbst im bewohnten Gebiet können dem Menschen Gefahren drohen. Tiere, Bäume und Gegenstände können sich auch durch Hexerei unangenehm bemerkbar machen. Henne, Hund, Schaf und Ziege betätigen sich gerne als Hexen. Mahlsteine und Dachsparren werden gelegentlich ebenfalls in dieser Weise aktiv. Man muss sie dann rituell beseitigen.

In einem 1901 von der britischen Kolonialregierung eingeführten Gesetz, das bis heute in vielen ehemals britischen Kolonien volle Gültigkeit hat, heißt es: „Jeder, der zugibt oder durch seine Handlung beweist, ein Zauberer oder eine Hexe zu sein, muss 50 Pfund Strafe zahlen oder wird für bis zu zehn Jahre eingekerkert.."

Uni-Absolventen, reiche Geschäftsleute, Minister, sie alle glauben an Zauberei", sagt ein Professor von Nairobis Kenyatta-Universität, der seinen Namen nicht gedruckt sehen möchte. Auch er geht zu einem Zauberheiler wie Bebabeba, wenn ein Unglück seine Familie heimsucht. „Ich bin so aufgewachsen, und ich kann auch nichts schlechtes daran finden". Hexenjagd in Afrika

Die Geister von bestimmten Bäumen machen sich dadurch unangenehm bemerkbar, dass sie nachts weinen oder schreien oder in die Häuser eindringen und schlafende Menschen belästigen. Ein solcher Baum muss durch Opfer beruhigt oder gefällt werden, z.B. Baobab, Ficus spec., Kapok (Bombax costatum), Sheabutterbaum (Butyrospermum parkii), Néré-Baum (Parkia biglobosa), Rônier-Palme (Borassus aethiopium) und Tamarinde.

Der Baobab gilt als der schlimmste dieser Bäume. Wer einen Baobab vor seinem Gehöft hat, weiß, dass er damit immer Ärger haben wird.


Baobab bei Manega, Burkina

Die Einteilung der Natur in männlich und weiblich findet sich in der gesamten Umwelt. Der männliche Himmel befruchtet durch seinen Regen die weibliche Erde. Als männlich werden länglich geformte, schmale und spitze Dinge aufgefasst und alles Rechtsseitige wie der zunehmende Mond, auch Blitz, Donner und der Regen aus dem Norden. Als weiblich gelten kurze, runde, stumpfe Dinge, alles Linksseitige, der abnehmende Mond, Nieselregen, kurze Schauer aus südlicher Richtung und zerstörerische Naturereignisse durch Staub und Sand.

Die Natur lebt mit dem Menschen, so dass geglaubt wird, Fehltritte können Dürren und Überschwemmungen, das Versiegen von Quellen und die Abwanderung des Wildes auslösen.
(nach Soul of Africa. Magie eines Kontinents.133)


Opferaltar der Gouin mit Resten geopferter Hühnchen in Nafona, Burkina

Die Opfer finden am Altar der lokalen Erde, d.h. des Kultbezirks, statt. Das Erscheinungsbild des Erdheiligtums kann variieren. Es kann ein Berg oder ein Hügel sein, ein Teich, ein Felsen, eine Felsengruppe, ein Hain, eine Baumgruppe, ein einzelner Baum oder auch ein Steinhaufen. Die Opferstelle, der eigentliche Altar, ist jeweils gesondert durch ein besonderes Merkmal gekennzeichnet, oft nur durch einige Steine.

Beim Opfer am Erdaltar wird neben der Erde stets auch der Himmelsgott angerufen. Besonders beim Ausbleiben des Regens wendet sich der Erdherr mit einem Opfer an die Erde und bittet sie, beim Himmel zu intervenieren, dass es regnet. Mit gleichen Bitten wendet man sich auch an die Ahnen oder an einen heiligen Teich.
(nach ZWERNEMANN, Jürgen http://matrei.ruso.at/)


Typische, geschwänzte Fetische
mit Kauris, Opferblut und Hühnerfedern

Was ist Afrika?
Nur Schwärze,
tiefe, unergründlich tiefe Schwärze!

So spricht Ocol im Lied des schwarzen Schriftstellers Okot p´Bitek im Jahre 1967.

Eine Medizin oder ein Heilmittel gegen diese "Schwärze" verspricht der englische Baptistenmissionar und "Heiler" Alfred Saker (1814- 1880) mit dem arroganten Bewußtsein der Weißen, dass die europäisch-christliche Kultur den primitiven Schwarzen weit überlegen ist und sie aus ihrer "Finsternis" erlösen kann.

Duala (in Kamerun) ist dunkel, sehr dunkel, schwarz wie der Tod. Aber gepriesen sei Gott; das Evangelium, welches wir bringen, ist imstande, diese Finsternis zu vertreiben, wie groß sie auch sein mag.

Menschenbilder,
traditionell und modern

In den traditional geprägten Gesellschaften Afrikas spielen Familien- und Gemeinschaftssinn, Spiritualität und Religiosität eine wichtige Rolle. Diesen Werten liegt ein ganzheitliches Weltverständnis und Menschenbild zugrunde, wonach der Mensch als Teil eines ausgewogenen kosmischen Ganzen bereits eine vollständige Identität und Persönlichkeit hat, die er nicht erst durch eine materiell feststellbare Selbst-Verwirklichung erlangen muss.

Damit ist gleichsam eine andere Wahrnehmung der Wirklichkeit gemeint. „Realisieren“, so betont Diallo, bedeute hier „wahrnehmen, was ist“, und nicht, „eine neue Realität konstruieren“. Es sei dies das Gegenteil zur Moderne, zur kapitalistischen Kultur, in der der Mensch die Welt und alles, was in ihr ist, vor allem unter dem Aspekt der materiellen Verwertbarkeit und Effizienz betrachte und, weitgehend befreit von transzendentalen Bezügen, eine neue Realität nach seinen eigenen Maßstäben zu konstruieren versuche und sich dabei in erster Linie auf das Messbare, das Materielle, unmittelbar Fassbare beschränke.


Der Karaboro zeigt uns stolz seinen Garten.

Der Wohn- und Lebensraum

Der Begriff „Raum“ kann in unserer Sprache sehr vielfältige Bedeutungen haben: „Wohnzimmer", Raum „brauchen", „Lebensraum", „Weltraum". Der Afrikaner unterscheidet gewöhnlich nur zwischen der vertrauten Umgebung, also dem Raum, den er kennt, und der fremden Umwelt, die er nicht oder nicht gut kennt und die gefährlich ist.

Er wohnt auf dem Lande in Gehöften, die sich jeweils in einigem Abstand voneinander befinden. Gehöfte hatten früher mindestens den Abstand einer Bogenschussweite, vielleicht wegen der geringen Ertragsfähigkeit der Böden, jedenfalls als Ausdruck der Unabhängigkeitsliebe der Westafrikaner. Daher sind die Dörfer oft nicht als solche erkennbar. Sie sind gleichsam autonome Wohneinheiten, die selbst ähnliche Sprösslinge abspalten können, wenn es sozial oder politisch erforderlich wird. Eben das führt zu einer weiten Streuung der einzelnen Gehöfte. Entsprechend ihrem hierarchiefreien Charakter entsprechen die Wohneinheiten „regulierten Anarchien” sich selbst organisierender Gesellschaften im Kleinen.

Die Gehöfte werden von Familien bewohnt, dazu gehören der Chef mit seinen Frauen, seinen Kindern, evtl. ihren Frauen mit deren Kindern und die jüngeren Brüder des Chefs mit Frauen und Nachkommen. Sobald ein männlicher Vorstand stirbt, löst sich der in einem Gehöft ansässige Familienverband auf. Der älteste Sohn bleibt im „Vaterhaus”, während seine Brüder neue Gehöfte bauen.


Kassena/Gurunsi-Gehöfte in Tiébélé, Burkina,
mit aufwändigen Fresken von Frauen verziert.
Die Lehm-Architektur inspirierte sogar Le Corbusier.

Die Männer bauen die Mauern und die Dächer, während die Frauen für die abschließende Oberflächengestaltung zuständig sind. Sie verputzen, ritzen und bemalen die Wände mit symbolträchtigen Mustern. Direkt hinter dem Eingang befindet sich der Bereich für das Vieh, der sich optisch kaum von den für die Menschen reservierten Teilen unterscheidet.

Jede Frau hat eine fensterlose, meist runde Hütte oder bei den Kassena/Gurunsi zwei Räume in Form einer Acht mit einem Kegeldach oder Flachdach, dazu eine Kochstelle und einen Vorplatz, der durch eine Mauer mit Einstieg abgegrenzt ist. Die Männer wohnen meist in größeren viereckigen Häusern. Dazu kommt der Viehhof mit dem heiligen Familienspeicher, dem Grab des Gehöftgründers mit Opferplatz und einem schattenspendenden Baum mit Sitzmöglichkeiten.


Das Grab des ersten Königs von Tiébélé, des Begründers.

Jedes Gehöft liegt in dem als heilig geltenden Familienfeld, das von allen Gehöftbewohnern gemeinsam bearbeitet wird und niemals brach liegt. Es wird daher regelmäßig durch Küchenabfälle und den im Gehöft gesammelten Ziegen-, Schafs- und Rindermist gedüngt. Auffällig ist, dass alle Pfade und Wege der Ortschaft auf dieses Gründergehöft zulaufen.


Die Anordnung der Hütten folgt nicht geometrischen Strukturen.
(Gehöft in Timba, Burkina)

Jedes Gehöft hat seinen eigenen Erdpriester, den Erdherrn. Er ist ein Nachkomme des ersten Siedlers, und nur er kann ein Opfer an die Erdgottheit des Kultbezirkes bringen. Bei Krankheit oder aus Altersgründen kann er den Opfervollzug an ein Mitglied seiner Familie delegieren. Vor jedem Opfer am Erdaltar muss er seine eigenen Ahnen an ihrem eigenen Altar anrufen und ihnen das beabsichtigte Opfer ankündigen. Zweck ist, dass die Ahnen die Erde bitten sollen, das Opfer anzunehmen.

Nach dem Glauben dieser Leute gibt es kein besitzloses Land. Es gehört den dort wohnenden übernatürlichen Mächten, mit denen die ersten Siedler gewissermaßen ein vertragliches Verhältnis eingegangen sind, nachdem sie die heiligen Plätze dieser Mächte ermittelt haben. Die Nachkommen des ersten Siedlers werden als Landbesitzer betrachtet, die das Amt des Erdherrn (chef de terre, earth-priest, custodian of the earth usw.) innehaben. Der Erdherr vergibt das Nutzungsrecht für Landstücke zum Hausbau und zur Anlage von Feldern, schlichtet Landstreitigkeiten und kennt genau die Grenzen des von ihm „verwalteten“ Kultbezirkes.
(nach Heller, H., 2006, Raum – Heimat – fremde und vertraute Welt, LIT-Verlag, Wien; http://matrei.ruso.at/)



Balafone und Trommeln bei Douna, Burkina

Ocol fragt und wir fragen im Hinblick auf die politischen Auseinandersetzungen und Kriege innerhalb vieler afrikanischer Länder ebenfalls:

Wo ist uhurus (= Freiheit) Frieden?
Wo ist die Einheit nach der Unabhängigkeit?
(161)

Zitate mit Seitenangaben aus: p´Bitek, Okot: Lawinos Lied. Ocols Lied. Ein Streitgesang. engl.1967/1970 (1998, übers. v. R.Pousset, P. Hammer Verlag)
Jürgen Zwernemann zu "Raum, rechts und links, Zeit, Naturrezeption in Westafrika" auf der Seite http://matrei.ruso.at/

Empfehlenswerte Infos:
René Gardi, Auch im Lehmhaus lässt sich´s leben, 1973
Dieter Kramer u. Wendelin Schmidt, Plakate in Afrika, 2004

Die Albinos in Afrika

Wir haben in Burkina wie sonst in keinem anderen westafrikanischen Land immer wieder Albinos gesehen, deren Haut durch die Sonne oft aufgerissen war.

Spuck auf den Boden, wenn du so ein unheilbringendes Wesen siehst,
so fordert ein Sprichwort in Mali.

Die Albinos haben in Afrika nicht nur medizinische Probleme - sie werden auch ausgegrenzt, beschimpft und manchmal versteckt. Als Heiratskandidaten kommen sie nicht in Frage und werden. Außerdem gibt es viele Legenden und Mythen über Albinos. Zum Beispiel, Gott wolle die Familie bestrafen, ein Albino mache die Familie unrein und sei Anzeichen dafür, dass die Mutter Inzest oder Sex mit einem Weißen oder einem Kobold gehabt habe. Albinos werden oft als Geister betrachtet, die nicht sterben, sondern einfach verschwinden. Es wird gedacht, dass sie ansteckend wirken und einen Fluch verbreiteten. Neuerdings glaubt man, dass Sex mit einer Albinofrau Aids heilen könne.

So werden Albinos einerseits als Monster dargestellt, die entfernt werden müssen und andererseits wird gedacht, dass Albinos Halbgötter seien und besondere Kräfte besäßen; Albinohaare im Fischernetz sollen demnach einen guten Fang ergeben, Körperteile von Albinos in der Nähe von Bergwerken einen guten Fund, ein Getränk aus verschiedenen Albinokörperteilen zu Reichtum führen. s. Weißer als Weiß

Unsere (Haut)Farben

Farbe ist eine Zierde Gottes, Farbe ist keine Schande.
Alle Menschen gehören zusammen, die ”Chapati und Mofa” essen,
Die Weizen und Linsen essen, die Lebenden und die Toten.
Farbe ist eine Zierde Gottes, kein Zeichen von Unglück.
(Diwani ya Shaaban, in Swahili)

Shairi/Mashairi ist eine Gedichtform mit 16 mizani (Silben) und zwei vipande (Hälfte einer Verszeile) in einer mstari (Verszeile). Eine ubeti (eine Strophe) hat vier mistari.

Gedichte werden in Ki-swahili (Ostafrika) nicht gesprochen, sondern gesungen, daher der Ausdruck „kuimba shairi“ (ein Gedicht singen). Lourenco Noronha

Schwarze Schriftstellerei

Literatur im Kontinent der 1000 Muttersprachen

Die am weitesten verbreiteten afrikanischen Literatursprachen sind Französisch, Englisch und Portugiesisch. Schriftsteller haben ein "rotten English" geschaffen (Saro-Wiwa z.B. "a mixture of Nigerian pidgin English, broken English and idiomatic English" und Kojo Laing, Ghana, mit Elementen des Pidgin und selbst geschaffenen Neologismen), ein Englisch, das dem afrikanischen Ton näher liegt und mehr mit Verkürzungen arbeitet.

Afrikas wohl beste Literatur existiert im Gedicht. Zu den eindrücklichsten Poeten gehören 2010 der im Londoner Exil lebende Malawier Jack Mapanje und der Nigerianer Tanure Ojaide im US Exil.

Jack Mapanje:

UNSERE CLOWNS ZU MÄRTYRERN MACHEN
(oder zurück nach Hause ohne Chauffeure)


Wir alle wissen, warum du nach Hause gekommen bist ohne
Nationalfarben, die deinen schwarzen Mercedes Benz flankieren.
Das Radio berichtete, in den Toiletten der festlichen Empfangshallen
Deines Traumes haben sich grüne Schlingpflanzen und Küchenschaben angesiedelt
Die sich nicht hinunterspülen lassen, und die Befehle, die du einst
An die so schweigsamen Konkubinen schriest, haben dich jetzt eingesperrt....

... Aber willkommen zurück bei den gebrochenen Schilfrohrzäunen, Bruder;
Willkommen daheim bei den matschigen Schilfhütten, die du hinter dir ließest;
Willkommen bei diesen verwahrlosten Latrinengruben, wo einzig
Der stechende Anflug summender Fliegen zurückweicht.
Du wirst deine untätigen Enten immer noch beim Scharren und Furzen vorfinden
In großen Mengen. Der schwarze Hund, den du zurückließest, erschnüffelt immer noch
Ein entferntes Wiedererkennen, er liegt und leckt seine Wunden an den Pfoten. Und
Sollten die Verwandten dich mit nerviger Neugierde
grüssen
Nach der Art, wie sie in jemandes Bild von einem eingraviert ist,
Dann ist da immer noch über der ungeteerten Straße dein verrücktes Tantchen.
Sie alleine denkt, die neue Welt ist beschissen.
Sie alleine witzelt noch immer darüber, warum wo ein
Warum ein Verbrechen sein kann.

Aus: Jack Mapanje: Of chameleons and gods / Und Gott ward zum Chamäleon. Gedichte. African Writing; Poetry; Jack Mapanje; Three Poems

When This Carnival Finally Closes - lyrikline

Chirikure Chirikure (Simbabwe) ist einer der wenigen Dichter, die in einer afrikanischen Sprache schreiben und trotzdem international wahrgenommen werden. Der mehrsprachige Band (Aussicht auf eigene Schatten in Shona, Englisch und Deutsch) enthält rhythmische Gedichte, deren Thematik von Mythen bis hin zu Maschinengewehren reichen.

Die 1. von 6 Strophen http://www.lyrikline.org/index

Hier legten wir ihn zur Ruhe
Gleich hier in dieser steinigen, nackten Erde
Gleich hier inmitten von Dornenbüschen
Einfach hier, als wäre er eine Kreatur des Dschungels
Ein wildes Tier, ein Vieh, um das sich niemand schert

This is where we laid him to rest
Right here on this rocky, bare ground
Right here in the middle of thorny bushes
Just here, as if he was an animal of the jungle
A wild beast, a brute no one cares about

Ndipo patakamuviga pano,
Pano parukakangarabwe, muchivavani,
Pakati pezvimatombo nemiunga,
Kunge chiya chikara chesango,
Chisina achazocheuka mangwana.

Richard Wright, "Haiku: This Other World", 1998 Haiku Poems by Richard Wright

I am nobody:
A red sinking autumn sun
Took my name away
.

Westafrikanische Schriftsteller

Chinua Achebe, Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2002 gilt als eigentliche Gründerfigur der westafrikanischen Literatur. Seine Bücher thematisieren den Kolonialismus und haben das erklärte Ziel, das von der kolonialistischen Literatur z. B. Joseph Conrads vermittelte Bild eines primitiven Afrikas zu berichtigen. Weitere Vertreter dieser desillusionierenden Literatur, die im Vergleich mit der Négritude auch Tigritude genannt wird, waren Wole Soyinka und der Ghanaer Ayi Kwei Armah.

In den 1950er Jahren kam zudem eine Großstadtliteratur nach amerikanischem Vorbild auf. Cyprian Ekwensi schrieb wöchentlich eine Kurzgeschichte für den nigerianischen Rundfunk. Seine Erzählung When Love Wispers veröffentlichte er 1948 in kleinen Heftchen, die über den Markt vertrieben wurden und begründete damit die Tradition der sogenannten Onitsha-Marktliteratur (1950-1960 in der Stadt Onitsha,Nigeria).

Sie wurde vorwiegend in Pidgin-Englisch geschrieben und behandelte Themen wie Ratgebung, Liebe oder andere Sorgen des täglichen Lebens der ganz normalen Bevölkerung. Eine ähnliche Entwicklung gibt es heute im Norden Nigerias, wo die Kano-Marktliteratur in der Hausa-Sprache publiziert wird.

Ein Roman des französischen Literatur-Nobelpreisträgers Jean-Marie Gustave Le Clézio spielt in Onitsha und trägt auch den Titel „Onitsha“.

In den 1970er Jahren beginnen auch Frauen literarisch zu schreiben, beispielsweise die Nigerianerin Buchi Emecheta und die Ghanaerin Ama Ata Aidoo.

Ken Saro-Wiwa (1995 von der Militärdiktatur Sani Abachas zum Tode verurteilt)

...öffnet die Augen, seht ihn euch an:
Er kann nur eine kleine Mahlzeit verzehren
doch er will das Essen
von Millionen anderen
auf einmal verschlingt er ...

Nehmt ihn fest, verurteilt ihn:
Er ist der schlimmste Terrorist des Volkes.

Ostafrikanische Schriftsteller

Über eine afrikanische Nationalsprache verfügt außer Tanzania auch Somalia, für dessen Landessprache Somali 1972 eine einheitliche Orthographie mit lateinischen Buchstaben entwickelt wurde. Der bekannteste somalische Schriftsteller, Nuruddin Farah (geb. 1949) schreibt allerdings auf Englisch.

In Uganda schrieb Okot p'Bitek "Song of Lawino" in Luo und übersetzte es ins Englische. ln dieser satirischen Elegie beklagt sich die Bäuerin Lawino, wie sich ihr Mann von den Lebensweisen verführen lässt und so seinen Respekt verliert. Aus Uganda stammt ebenfalls Okello Oculi (geb. 1942).

Aus Äthiopien kommt Daniachew Worku ("Die dreizehnte Sonne", 1981), der in Amharisch und Englisch schreibt. s. adefris.info und Profile of an Ethiopian writer

Viele Texte von ihm stehen in meinen Äthiopienberichten. Reiseeindrücke aus Nordäthiopien

Solomon Deressa, ein amharisch und englisch schreibender äthiopischer Poet:

Lass die Flamme sprudeln und die Quelle lodern
auf diamantharten Boden will eine Handvoll Sand ich säen,
klirrende Kiesel für kärgliche Zeit.
Viel anderes bleibt nicht zu tun,
denn seht ihr nicht, der Festung trutzige Zinne
ist von heute an eine schöne Stätte des Zerfalls.
Glasschartiges Bild, uns daran bis aufs Blut zu reiben,
o Herr.

Ostafrikanische Literatur - Margit Niederhuber

Schwarz sieht Schwarz

Frauen beschimpfen sich

Sieh dich doch an, total platt deine Figur.
Du gibst an und bist doch wie plattgebügelt.

(„Mambo Yapo Huku“, Chorus II)

Eine Figur wie ein Elefant, gesegnet mit einem großen Bauch.
Das Gesicht über und über mit Pickeln und aufgerissene Füße.
Die reißen ja die Bettlaken kaputt. Er will dich nicht, du niederträchtige Person
(„Ngangari Feki“, 1. Strophe)

Deine Kochkünste sind hoffnungslos, das totale Chaos in der Küche.
An den Reis gibst du Zitrone. Was ist denn das für eine Küche?
Da verging dem Mann die Lust, haute von zu Hause ab.
(„Utalijua Jiji“, 2. Strophe)

Mit was gibst du denn bei denen an? Hast weder das Gesicht noch die Figur dazu.
Kochen ist auch nicht dein Gebiet, Pfannkuchen überfordern dich.
Ganz zu schweigen von Biriani, total klumpig und innen nicht gar gekocht.
Das sind keine Lappalien. Sei still damit ich dich schütze.
Meine Liebe, halte den Mund, oder ich demaskiere dich.
(„Kinyago cha Mpapure“, 3. Strophe)

Ostafrika: Als Taarab-Musik (‚Heiterkeit‘) wird eine Kombination aus afrikanischen, arabischen und indischen Musikelementen bezeichnet, die sich auf Sansibar entwickelt hat. Der Musikstil ist dort und entlang der Küste von Tansania und Kenia verbreitet. Der Taarab ist der musikalische Ausdruck einer Swahili-Identität, die das Ergebnis aus der gegenseitigen kulturellen Beeinflussung am Indischen Ozean sind. (Nicht zu verwechseln mit der improvisierten, gesungenen klassischen und populären arabischen Musik.)

Beispiele aus Liedtexten der von Frauen gesungenen Taarab-Musik
(
Kwa Raha Zangu – Zu meinem Vergnügen - Modern Taarab)

Zurück ins Land der Ahnen

Wegzehrung

von Birago Diop (1906-1989, Senegal, Burkina)

In einen der drei Töpfe,
darin in gewissen Nächten
die heitern Seelen wiederkehren,
die Atemzüge der Ahnen,
der Ahnen, die Menschen waren,
hat Mutter drei Finger getaucht,
drei Finger der linken Hand:
den Daumen, den Zeigefinger, den Großen.
Ich tauche auch drei Finger ein,
drei Finger der rechten Hand:
den Daumen, den Zeigefinger, den Großen.
Mit ihren drei Fingern, gerötet von Blut,
von Hundeblut, von Stierblut, von Bocksblut,
hat Mutter mich dreimal berührt.
Hat meine Stirn berührt mit dem Daumen,
mit dem Zeigefinger meine linke Brust
und meinen Nabel mit dem Großen.
Und ich streckte drei Finger, gerötet von Blut,
von Hundeblut, von Stierblut, von Bocksblut,
ich streckte drei Finger hoch in die Winde,
in den Nordwind, in den Ostwind,
in den Südwind, in den Westwind,
ich hob drei Finger hoch zum Mond,
zur Mondgöttin rund, zur Mondgöttin nackt,
als sie ruhte im größten der Töpfe.
Ich bohrte drei Finger tief in den Sand,
in den abgekühlten Sand.
Und Mutter sagte: »Jetzt zieh in die Welt,
S i e folgen dir Schritt für Schritt.«

Und seither geh ich die Pfade entlang,
die Pfade entlang und die Straßen entlang,
übers Meer und weiter und weiter noch,
übers Meer und weiter und weiter noch,
übers Meer und darüber hinaus.
Und wenn mir die Bösen begegnen,
die Menschen mit schwarzen Herzen,
und wenn mir die Neider begegnen,
die Menschen mit schwarzen Herzen,
dann zieht der Atem der Ahnen vor mir her.

Der schwarze amerikanische Schriftsteller Richard Wright (1908-1960, "the western man of color"), der aus einer Sklavenfamilie stammte, formuliert in seinen Romanen und seiner Lyrik am deutlichsten die weiß-schwarze Frontstellung.

Er schreibt "Ich bin doch Afrikaner! Ich bin afrikanischer Abstammung ... Nach den landläufigen Begriffen von 'Rasse' müßte dort unten in Afrika etwas von 'mir' existieren."

Doch der schwarze Mann fühlt sich im "Land seiner Väter" wie in einer fremden Welt. "Das Kaleidoskop aus See, Urwald, Nacktheit, Lehmhütten und wimmelnden Marktplätzen brachte mich in einen tieferen Konflikt, als mir bewußt wurde; instinktiv protestierte ich gegen alles, was ich sah."

Was er in Afrika zu sehen bekommt, bringt sein Konzept der Neger-Emanzipation völlig durcheinander: "Ich hatte den allgemeinen Eindruck, daß diese schwarzen Menschen mit dem Schmutz in einem Maße verschmolzen waren, daß man unmöglich sagen konnte, wo das Humane aufhörte und das Erdhafte begann; die Menschen lebten im und vom Schmutz, und das Fleisch ihrer Leiber schien unmerklich in Erdreich überzugehen ... Der Gestank der Fische mischte sich mit dem Gestank von Urin und Exkrementen, die in einem ausgewaschenen Graben mitten durch das Dorf flossen. Satte Fliegen surrten in trägen Schwaden. Nackte bresthafte Kinder folgten mir ... Die Bäuche der Kinder sahen wie straffgespannte, schwarze Trommeln aus, so aufgebläht waren sie. Fast jedes Kind, ob Junge oder Mädchen, hatte einen monströsen Nabelbruch ..."

Er findet, er hat nichts Gemeinsames mit diesen Menschen seiner Hautfarbe. Er erkennt, "daß ich mich mit den Afrikanern niemals auf der Grundlage der 'Rasse' eins fühlen würde ... Ich war schwarz, und sie waren schwarz, aber meine schwarze Hautfarbe gab mir keine Hilfe ..."

Den Animismus begreift er als eine Primitivkultur, einen Fetisch-Glauben, der auf dem afrikanischen Ahnenkult beruht mit einer Furcht vor den Geistern der Vorfahren.
Richard Wright: "Ich Negerjunge".

Zurück ins Land der Geburt (Aimé Césaire, 1947, S. 77 f.)

Jene, die nicht das Pulver erfunden haben und nicht den Kompass,
jene, die nicht den Dampf bezwangen und nicht die Elektrizität,
jene, die nicht die Meere erforschten und nicht den Himmel,
aber ohne welche die Erde nicht wäre die Erde. [...]

Äya für jene, die niemals etwas erfanden,
für jene, die niemals etwas erforschten,
für jene, die niemals etwas bezwangen,
aber sich hingeben, ergriffen, dem Wesen der Dinge,
unkundig der Schale, doch gepackt von der Schwingung der Dinge,
nicht aufs Bezwingen bedacht, aber spielend das Spiel der Welt.
[...]

Aimé Césaire (1913-2008), Kämpfer für die kulturelle Selbstbehauptung aller Menschen Afrikas und ihrer afrikanischen Herkunft, Vertreter der Négritude, der das Integrationsangebot der Francité, die Kolonisierten assimilierend zu "Hundert Millionen Franzosen" werden zu lassen, ablehnt.

Keine Rasse besitzt das Monopol der Schönheit, der Intelligenz, der Kraft.
Für alle ist Platz beim Stelldichein des Sieges.

Noch einmal: Meine Sache ist die uneingeschränkte Apologie unserer alten Negerkulturen - es waren höfische Kulturen...

Es ist uns nicht darum zu tun eine abgestorbene Gesellschaftsform wiederzubeleben. Das überlassen wir den Amateuren des Exotismus. Ebenso wenig wollen wir die gegenwärtige Kolonialgesellschaft, das größte Aas, das je unter der Sonne faulte, bestehen lassen.

Es ist eine neue Gesellschaft, die wir unter Mithilfe aller Sklavenbrüder schaffen müssen, reich an moderner Produktivkraft, beseelt von der Brüderlichkeit aus alter Zeit.

Um unsere eigene und wirkliche Revolution zu beginnen, mussten wir unsere entliehenen Kleider, die Kleider der Assimilation, ablegen und unser eigenes Sein bejahen ... Wir konnten nicht in die Vergangenheit zurückkehren ... Um uns wirklich treu zu sein, sollten wir die negro-afrikanische Kultur in die Realitäten des 20. Jahrhunderts eingliedern. Um uns aus unserer N. ein effektives Instrument der Befreiung zu machen, mussten wir den Staub wegblasen und ihr in der internationalen Bewegung der zeitgenössischen Welt ihren Platz zuweisen.

Zur "Negritude", "Tigritude" und "Afrikanität"

Unter Tigritude versteht man die kritische Reaktion des anglophonen Afrika auf die literarische Bewegung der Negritude, der man zu starke Abhängigkeit von Europa vorwarf und eine idealisierte Darstellung der afrikanischen Vergangenheit. Wole Soyinka, 1962: „Ein Tiger verkündet nicht seine Tigritude, ein Tiger springt.“

Die Négritude ist aus der Isolation farbiger Studenten im Paris der dreißiger Jahre entstanden. "Sie hatten", schreibt der Philosoph Stanislas Adotevi aus Benin, "viel Latein studiert und begriffen nicht, warum man sie nicht als Menschen wie alle andern betrachtete." Als Exoten wollten sich diese Studenten, unter ihnen auch der Senegalese Léopold Sédar Senghor, nicht länger begaffen lassen, so wie das modebewusste Paris Jahrzehnte zuvor die Anleihen der "Fauves" bei der afrikanischen Kunst zur Kenntnis genommen hatte.

Wieviel Gemeinsames, welche Unterschiede, welche Qualitäten finden wir in Afrika?

Für den schwarzafrikanischen Teil des Kontinents wurde das Konzept einer panafrikanischen Kultur insbesondere in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhundert ernsthaft diskutiert, nachdem die verschiedenen afrikanischen Staaten ihre Unabhängigkeit errungen hatten. Vor allem im Zusammenhang mit der Négritude wurde das Konzept einer panafrikanischen Kultur sehr populär. Mit dem politischen Verfall der panafrikanischen Vision und den blutigen ethnischen Auseinandersetzungen der 80er und 90er Jahre verlor diese Idee allerdings an Überzeugungskraft.

Man hat oft gesagt, der Neger ist ein Mensch der Natur. Er lebt traditionellerweise von der Erde und mit der Erde, im und durch den Kosmos. Er ist ein Sinnenmensch, ein Wesen mit offenen Sinnen, ohne Mittler zwischen Subjekt und Objekt, er ist Subjekt und Objekt zugleich. Er besteht zunächst aus Klängen, Düften, Rhythmen, Formen und Farben, er ist also Takt, bevor er Auge ist wie der europäische Weiße. Er fühlt mehr als er sieht: er fühlt sich. Denn in sich selbst, in seinem Fleisch empfängt und empfindet er die Strahlungen, die jedes Seinswesen aussendet. In Schwingung gebracht, antwortet er dem Anruf und gibt sich hin, geht vom Subjekt zum Objekt, vom Ich zum Du auf den Wellen des Anderen.
(Léopold Sédar Senghor: Négritude und Humanismus. Düsseldorf, Köln 1967, S. 156)

Einen anderen Ansatz für ein gemeinsames Bewusstsein der Schwarz-Afrikaner zeigt der Begriff "Afrikanität". Hier wird nach einer realen gemeinsamen Basis gesucht. Man sucht z.B. eine gemeinsame Wurzel aller afrikanischen Sprachen. Im Wikipedia-Artikel Afrikanische Kultur wird darauf hingewiesen, dass die große Mehrzahl der Schwarzafrikaner, etwa 400 verschiedene Ethnien (Afrika), eine Sprache aus der Sprachfamilie der "Niger-Kongo" Sprachen spricht, die alle einen gemeinsamen Ursprung haben.

Die Wirklichkeit aber sieht so aus, dass die Einwohner der verschiedenen Länder sich noch nicht einmal innerhalb ihrer Länder ohne eine europäische Sprache verständigen können.

Das Weiße und das Schwarze

Weiße Menschen machen sich eigentlich nie Gedanken über ihre Hautfarbe, über ihr „Weiß-Sein“, weil sie glauben, dass „Weiß-Sein“ das Normale ist, ja, weiß sind die Engel, weiß ist Gottvater und wenn unsere Seele rein und weiß ist, kommen wir in den lichten Himmel. Mit dem Weißsein verbinden wir auf Grund philosophischer und religiöser Erzählungen seit der Antike das Gute und das Vernünftige, während das Schwarze mit dem Teufel, dem Bösen und Irrationalen verbunden wird. Das Schwarze genießen wir mit dem Sarotti-Mohr als Negerkuss oder Mohrenkopf. Weiße Kinder singen spielend das Lied von den zehn kleinen Negerlein und wenn ihnen etwas nicht passt, sagen sie vielleicht "Ich bin doch nicht dein Neger!", und keiner möchte dabei Menschen mit dunkler Hautfarbe beleidigen.

Das wäre auch ganz unproblematisch, wenn es nicht die Vergangenheit des Sklavenhandels gäbe und einen arroganten Rassismus bis in die heutige Zeit. WEISS-SEIN UND SCHWARZ-SEIN

Ganz ausgezeichnet hat die "Afrodeutsche" May Ayim die Problematik des Schwarz- und Weiß-Seins in ihren Gedichten ausgedrückt.

meine heimat
ist heute
der raum zwischen
gestern und morgen
die stille
vor und hinter
den worten
das leben
zwischen den stühlen

... es ist ein blues in schwarz-weiß

1/3 der welt

zertanzt

die anderen

2/3

sie feiern in weiß

wir trauern in schwarz

es ist ein blues in schwarz-weiß

es ist ein blues

blues in Schwarzweiß
May Ayim Teil 1 - YouTube

2010 wurde in Berlin die Straße Gröbenufer in May-Ayim-Ufer umbenannt. Gröben war der Leiter einer Westafrika-Expedition, der 1683 im Auftrag des Großen Kurfürsten die brandenburgische Kolonie Groß Friedrichsburg im heutigen Ghana gegründete.

Aus der europäischen Geschichte:
Die wertende Einteilung der Menschheit beim großen Philosophen Kant

In seiner Schrift "Von den verschiedenen Rassen der Menschen" (1775) unterscheidet der Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) vier „Rassen“, wobei für ihn „Neger“ und Weiße die „Grundracen“ darstellen. Eine Begründung ist nicht notwendig: „Die Ursache, Neger und Weiße für Grundracen anzunehmen, ist für sich selbst klar.“ Eine Wertung wird ebenfalls als selbstevident gesetzt: „Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen.

Weißsein bedeutet nicht nur Vollkommenheit, sondern auch Ursprünglichkeit, denn Europa mit seinem gemäßigten Klima bezeichnet nach Kant den Ort, „wo auch der Mensch [...] am wenigsten von seiner Urbildung abgewichen sein müßte“. Weiße sind es auch, denen die Zukunft der Zivilisation gehört: „(Weisse:) Enthalten alle Triebfedern der Natur in affecten und Leidenschaften, alle Talente, alle Anlagen zur Cultur und Civilisierung und können sowohl gehorchen als herrschen. Sie sind die einzigen, welche immer in Vollkommenheit fortschreiten.“

Vor diesem Hintergrund entwarf Kant das Konzept des Subjekts als ein vernunftbegabtes und autonom urteils- und handlungsfähiges Individuum, welches für ihn selbstverständlich weiß und männlich war im Gegenüber zu der minderen „Grundrace“, den „typisierten Objekten“, den rassisch Ge-anderten. Somit ist das Konzept des „Subjekts“ historisch unmittelbar mit Weißsein (und Mannsein) verknüpft, verbunden mit dem vermeintlichen Naturrecht, „Andere“ zu objektivieren, als Kollektiv zu markieren und abzuwerten. When worst comes to worst

Wir und Schwarz-Afrika

Wir haben in den Dörfern immer wieder die Erfahrung gemacht, dass kleine Kinder in Tränen ausbrachen und sich hinter der Mutter versteckten, wenn sie uns Weiße sahen. Für sie waren wir Schreckgespenster aus einer anderen Welt. Es war nicht möglich, sie durch nette Worte und Lächeln zu beruhigen. Wenn wir uns ihnen zu nähern versuchten, schrien sie wie am Spieß. Schockierend für uns. Wer sind wir?

Reichtum und Schönheit der Menschheit liegen in der Vielfalt von Glaube und Brauchtum, von literarischen und ästhetischen Ausdrucksformen, die die Menschen hervorgebracht haben. (Claude Lévi-Strauss)

Afrika, auf Wiedersehen.

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Christas neue Fotogalerien:
Impressionen aus Burkina Faso
Heiler, Wahrsager und magische Orte in Burkina Faso
Goldgräber in Burkina Faso

Reisen durch verschiedene afrikanische Länder:
Ghana I-III 2012.,Togo-Benin 2009, Kamerun I-III 2007, Die schwarzen Völker Südäthiopiens 2004, Reiseeindrücke aus Nordäthiopien 2003 und 2013, West-Äthiopien 2013

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