Rundreise durch den Shan-Staat in Myanmar
Begegnungen mit den Volksstämmen und ihren Kulturen (31 S., 32 Fotos)
2004/5
Die Akha tragen ihre traditionellen Trachten,
die selbst gewebten Stoffe und die Metallhauben, auch bei ihrer täglichen Arbeit.
1.Teil: Weihnachten auf deutschen Bahnhöfen. Eindrücke in Yangon. Politische Wirklichkeit. Faszination unserer Myanmarreise. Zur Geschichte des Shan-Staates. Die Hauptstadt Kyaingtong. In Khun-Dörfern bei den Töpfern und Schnapsbrennern.
2.Teil : Die Kultur der Akha und ihr Neujahrsfest.
3.Teil : Die schwarzen Menschen in den Ann-Dörfer. In den Großhäusern der weißen Loi. Das Nebeneinander der Volksstämme der Akhu und Khun
4.Teil : Unsere Teestunden bei den Danu und Taung Yoe. Die Herstellung von Kartoffelchips und Tofu. Nazi-Embleme.
5.Teil : Das Pagodenfeld von Kakku. Verarbeitung von Tabak. Zuckerrohr und Reis bei den Intha und Pao.
Auf einem kleinen Bahnhof im Münsterland: Ein Zug fährt ein. Nur wenige Wagen. Endstation. Eine dicke Schmutzschicht überzieht die Wagen. Unter der grauen Schicht zeigt sich eine rote Lackierung. Vergeblich versuchen Reisende die Tür des ersten Wagens zu öffnen. Eine andere Tür lässt sich öffnen. Einige Schwarze suchen sich einen Platz im hinteren Teil des Wagens. Der Blick durch blinde Scheiben in den kalten Abend misslingt. Die Schwarzen unterhalten sich lautstark. Eine einheimische Mitreisende steht auf und schließt eine Zwischentür. „Die Wagen werden nur einmal im Monat gewaschen; wenn der Regen kommt, dann sieht es so aus“, sagt der Kontrolleur.
Der Umsteigebahnhof im Ruhrgebiet hat einen Warteraum, in dem schon einige Ausländer sitzen. Die Sitze sind aus Metall. Eine Mutter schiebt ihren Kinderwagen gegen einen Heizkörper. Auch die übrigen zwei schmutzigen Heizkörper sind kalt. „Der Zug hat wegen eines Signaldefektes 20 Minuten Verspätung“, sagt die Stimme aus dem Lautsprecher.
Der ICE schlingert über die Schienen, dass eine Flasche vom Tisch fliegt. Die gläsernen Zwischentüren öffnen und schließen sich unentwegt Der Gang zur Toilette ist sehr gefährlich. Auch Menschen werden gegen die Wände geschleudert. Als der Zug seine Hochgeschwindigkeit erreicht, legt sich ein Druck auf die Ohren, der mit Nadeln ins Innere des Kopfes sticht. Die Bundesbahn möchte ihre Züge auch ins Ausland verkaufen. Sie wünscht allen Mitreisenden einen schönen Weihnachtsabend.
Der Frankfurter Flughafen möchte keinem Reisenden zu nahe treten und verzichtet auf einen weihnachtlichen Wunsch. Christliche Symbole sind an diesem Ort nicht erlaubt. Aber viele Lichter erhellen die leeren Hallen.
Wir denken an die tanzenden und singenden Weihnachtsmänner im Amsterdamer Flughafen. Hier und in den USA sagt man jetzt Happy Holidays und verzichtet auf Weihnachtslieder. Im Airbus steigen wir mit über 600 Menschen gegen den Himmel in Richtung Buddhaland Thailand. Der Wind im Rücken des Flugzeuges schlägt seinen Rumpf hin und her. „Wir werden heute nur 6 Stunden benötigen, eine Stunde werden wir einsparen“, sagt der Kapitän, während ein Weihnachtswind uns in ein fremdes Land bläst.
26. Dezember
Wir sehen noch am Abend die goldenen Tempelspitzen in der Stadt Yangon. Am Morgen bewegen sich im 8. Stockwerk unseres Hotels Bett und Wände. „In Yangon bebt alle 2-3 Monate die Erde“, sagt unser Guide. „Das ist normal. Schäden gibt es dabei nicht.“
Die Stadt zeigt sich gepflegt und sauber. Reger Verkehr auf breiten Straßen zwischen riesigen Werbeflächen. Keine hupenden Autos, wie wir sie aus Indien kennen. Moderne Hochhäuser im neuchinesischen Stil. Straßenfeger sind unterwegs. Blumen.
Versteckt die Stadt ihr wahres Ich? Keine politischen Parolen, kein Militär, keine Diktatur?
In der letzten Ausgabe von Pogrom (6/2004), der Zeitschrift für bedrohte Völker, wütete ein Vertreter des Südtiroler Vereins Helfen ohne Grenze gegen die westliche Welt, die wegsieht, wie in Burma „seit 1962 Generäle mit geballter Waffengewalt 50 Millionen Menschen, 8 Völker, 136 ethnische Minderheiten unterdrücken, assimilieren, ausbeuten, niederschießen, vergewaltigen“, wie sich „viele Millionen Menschen vor den mordenden Gesellen der Tatmadaw, der burmesischen Armee, verstecken“. Der Schreiber verweist auf unsere Reisebüros, die Luxusreisen durch Burma anbieten und „die mit Zwangsarbeit und Drogengeld gebauten Luxushotels füllen und die Taschen der Luxusklamotten der Generäle und ihrer Freunde“. Dann wünscht er „eine entspannte Reise und unbeschwertes Vergnügen“.
Schwer bewaffnete Begleiter der Generäle während des Neujahrfestes der Akha
Eine fundierte Meinung zu dem Problem „Soll ich in einen Militärstaat reisen?“ hat das österreichische Institut für integrativen Tourismus im Web dargelegt (52 Seiten). Golden Burma oder Terra non grata? - eine Auseinandersetzung mit Argumenten gegen und für einen Tourismus nach Burma/Myanmar von Christian Baumgartner, Daniel Predota, Margit Leuthold, Wien, März 2003
Wir müssen gestehen, unsere Reise zu den Minderheiten, zu den Volksstämmen im Shan-Staat, war ein Vergnügen seltener Art. Die freundliche Gelassenheit der Menschen mag eine Folge buddhistischer Lebenshaltung sein. Die Offenheit, die lachenden Gesichter und die Gastfreundschaft uns gegenüber ist so wohltuend, dass wir Begegnungen mit ausländischen Touristen, die gestresst nur mit sich und ihrer Reise beschäftigt sind, als besonders unangenehm empfinden. Dazu kommt das Erlebnis alternativer Lebensformen, die zeigen, wie weit wir Europäer uns von einfachen Möglichkeiten der Lebensbewältigung entfernt haben. Wir sehen andere Wertsetzungen, erleben aber auch hautnah die schwierigen hygienischen Bedingungen auf Grund von Traditionen oder von geographisch-klimatischen Gegebenheiten. Ein weiteres Erlebnis sind die Tätowierungen, die animistischen Insignien und Rituale, die Gegensätze zwischen traditionellen exotischen Kleidern und europäischen Allerweltkleidern, die Gegensätze zwischen den Stelzenhäusern aus Bambus, den goldenen Pagoden und Steinhäusern, die Widersprüche zwischen der atheistischen Lehre Buddhas, seiner Anbetung als Gott und dem allgegenwärtigen Geisterglauben. Der Gegensatz zwischen dem Buddhismus und der marxistischen Ideologie. Die Toleranz in religiösen Dingen steht im Gegensatz zum Verbot jeder politischen Opposition. Der Buddhismus wurde zwar zur Staatsreligion erklärt, aber in Yangon finden wir große Gotteshäuser aller Religionen, der römisch-katholischen, anglikanischen, methodistischen, baptistischen, armenischen Kirchen, eine Synagoge, hinduistische und Sikh-Tempel und viele Moscheen. Die besondere Erhaltung tradierter Kulturmerkmale in Myanmar ist sicherlich eine Folge der erzwungenen Isolation unter dem Militärregime.
Damit ist auch die Frage einer Belgierin beantwortet, der wir in Kalaw begegneten. Als sie hörte, dass wir bereits zum dritten Mal in Myanmar seien, fragte sie uns, was uns denn so sehr an diesem Land gefalle.
Es gibt zwar noch die täglich erscheinende Regierungszeitung „New Light of Myanmar“ mit den alten Parolen auf der ersten Seite, die an altkommunistische Staaten wie DDR und das China Maos erinnern, aber in den Städten zeigt sich auf großen Tafeln ein anderes Problem, das Drogenproblem. Immer wieder wird darauf hingewiesen „Amazing Your Life without Drugs“ (= Erstaunlich, wie wertvoll dein Leben ohne Drogen ist.)
Die weitaus meisten Textwerbungen sind in burmesischer Kringelschrift verfasst. Nur Menschen mit höherer Schulbildung können die lateinische Schrift lesen. In den wenigen Buchhandlungen werden fast keine Bücher in lateinischer Schrift angeboten, d.h. keine englischsprachigen Bücher. Auch die Zeitungen sind fast alle in burmesischer Schrift verfasst. Insgesamt haben wir den Eindruck, dass in Myanmar wenig gelesen wird.
Die Shan, ein Tai-Volk, wanderten mit der dritten Einwanderungswelle nach den Mon-Khmer und den Tibeto-Burmanen zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert aus Yunnan ein. Nach mehreren rein kriegerischen Raubzügen versuchten sie die Burmesen aus den fruchtbaren Gebieten am Irrawaddy zu vertreiben, und beherrschten von 1287 bis 1531 von der Hauptstadt Ava aus Nordburma. Schließlich wurden sie aber in die Berge abgedrängt, wo sie sich dann niederließen.
Die Vielzahl der Völker im Shan-Staat, ihre Verwandtschaftsgrade und Kennzeichen sind kaum zu überblicken. Eigenartigerweise liegen ihre Dörfer durcheinander über ein weites Gebiet verstreut und doch haben sie ihre kulturellen Eigenheiten wie Sprache, Kleidung, Hausbau u.a. bewahrt.
Während des zweiten Weltkrieges kämpften die Minderheiten auf der Seite der Alliierten im Gegensatz zu den Burmesen, die sich unter Aung San zunächst auf die Seite der Japaner stellten, um schneller eine Unabhängigkeit zu erhalten. Bei einem Treffen der politischen Kräfte im Februar 1947 mit Vertretern von Minderheiten wurde zwischen den Burmesen und einigen Bergstämmen beschlossen, eine Union zu bilden mit dem Versprechen, sie könnten sich nach 10jähriger Zugehörigkeit zur Union, wieder abspalten.
Bis 1959 beherrschten 34 Sabwas, erbliche Fürsten, die Shan. Erst auf Druck der Unionsregierung verzichteten sie auf ihre Privilegien und bekamen dafür 25 Millionen Kyat. Als 1960 die Shan und Kayah den Versuch unternahmen, das in der Verfassung garantierte Sezessionsrecht in Anspruch zu nehmen, führte Ne Win einen Staatsstreich durch und regierte Myanmar in den nächsten 12 Jahren diktatorisch. Alle Sabwas wurden verhaftet. In dieser Zeit wurden Touristenvisa nur für 24 Stunden ausgestellt. (Später wurde die Aufenthaltserlaubnis allmählich auf 2-3 Wochen erweitert, bis auf 4 Wochen heute.) Die „Sozialistische Republik Myanmar“ wird bis heute vom Militär regiert. Nach der Niederschlagung des Aufstandes an der Thaigrenze konnten Touristen ab 1972 das Land für 7 Tage besuchen. Allerdings waren die aufständischen Gebiete gesperrt. Hier wurden nach offiziellen Angaben 1978/79 etwa 800 Guerillas und 150 Soldaten getötet.
Aktuelle Nachrichten aus dem Shan-Staat: Vertreibung und Umsiedlungen von Völkern
Kyaingtong
oder Kengtong oder Kengtung u.a.
(Die Schreibung der Wörter erfolgt oft entsprechend der englischen Aussprache.)
Goo Turn Tuck
(Guten Tag!! in Shan-Schreibweise)
das wünscht uns Ma Yin Min Shwe, unsere Shan-Führerin, in einer Email aus Myanmar, um zu beweisen, dass sie von uns schon einige Worte Deutsch gelernt hat.
Mit einer Propellermaschine fliegen wir in 4 Stunden (mit Zwischenlandungen in Heho, Mandalay und Tachilek) vom heißen Yangon zur kalten Bezirkshauptstadt Kyaingtong (785 m hoch). Das Flugzeug ist zur Hälfte mit schnatternden Italienern besetzt. Wir mutmaßen, dass in Italien zur Zeit eine Myanmarreise in Mode ist, da wir immer wieder Italienern begegnen. Unsere junge Shan-Führerin Ma Yin Min Shwe empfängt uns. Sie will uns in den folgenden vier Tagen begleiten. Leider hat sie eine leichte Erkältung, die sich in den nächsten Tagen so verschlimmert, dass sie kaum noch ein Wort sprechen kann.
Maisum kah
guten Tag
Indi kah
danke
(Shan-Sprache )
Von den 200 000 Einwohnern Kyaingtongs gehören 80% dem Volksstamm der Khun an (auch Gon-Shan genannt), 10% sind Han-Chinesen.
Die Stadt liegt auf mehreren Hügeln um einen See herum. Nach einer Sage gab es zunächst nur einen großen See, bis ein Eremit durch sein Gebet den See verkleinerte, so dass um 1000 n. Chr. Häuser gebaut werden konnten. Auf einem Hügel sollen sogar Inschriften gefunden worden sein, die darauf hinweisen, dass Buddha selbst dies geweissagt haben soll. Dort, wo neben dieser Schrift auch viele kleine Buddha-Figuren gefunden wurden, steht jetzt eine riesige hässliche Buddhastatue, die mit dem ausgestreckten Arm auf den See zeigt ähnlich wie eine B.- Figur in Mandalay. Dieser Figur musste das Militär weichen, das sich aber neben einem besonders hohen Baum auf dem Nachbarhügel wieder ansiedelte und so der Bevölkerung einen beliebten Treffpunkt mit Blick auf den See nahm. Die Leute treffen sich jetzt jeden Abend an den Ufern des Sees. Sicherlich zum Ärger des Militärs, das alle Zusammenkünfte unterdrücken möchte. So wurde auch eine Disco am See wieder geschlossen. Hier werden Spannungen zwischen der autoritären Zentralregierung und den Minderheiten sichtbar.
In unmittelbarer Nähe der Buddha-Statue stehen ein buddhistischer Tempel und eine große katholische Kirche. Kyaingtong soll 30 buddhistische Tempel und 2 katholische Kirchen haben. Uns erschien die Stadt immer wie ein Dorf, und wir fragten uns, wo wohnen die 200.000 Einwohner?
Neben dem Wasserbüffelmarkt liegt der große Friedhof der Stadt. Der untere Teil ist buddhistisch. Meist sind die Gräber klein, weil die Buddhisten ihre Toten verbrennen und nur Knochenreste unter den Zementhäuschen begraben liegen. Diese Häuschen sind oft wie kleine idyllische Spielzeughütten angemalt worden, Wunschbilder für ein zweites Leben. Im oberen Teil liegt hinter einer Umzäunung der katholische Friedhof mit Zementaufbauten bis zu 3 m Länge. Hier liegen auch Gräber von italienischen und chinesischen Schwestern und Brüdern der Franziskaner.
Lackdekorationen im Shan-Stil.
Dünne, gerollte Lackfäden werden als Schmuckmuster aufgetragen.
In der Stadt besuchen wir einen Lackwarenhersteller, der anders als im klassischen Bagan-Stil, die Bilder auf den Gegenständen nicht einritzt, sondern durch den Auftrag von dünnen, schwarzen Lackfäden herstellt, die später meist vergoldet werden.
In Khun-Dörfern
Bei den Töpfern und Schnapsbrennern
Wir besichtigen zunächst ein Töpferdorf der Khun. Bei unserem Gang durch die Hofanlagen sehen wir hinter vielen Häusern große, dickbauchige Rundtöpfe mit Dekormuster, kleine Hausöfen und Ziegel, daneben Reste von Lehm und Asche. Die Töpfe werden nicht auf Töpferscheiben hoch gezogen, sondern schichtweise aufgebaut, wie unsere Führerin erklärt. Leider können wir niemanden bei der Arbeit beobachten, weil alle Männer auf den Reisfeldern sind. Nur einige Frauen sind vor dem Haus aktiv. Eine Frau webt aus Binsen Liegematten für die Wohnungen, eine andere backt Küchlein…
In einem anderen Khun-Dorf, Pan Law, sind alle Bewohner anwesend. Es ist ein Alkoholherstellerdorf. Neben den Häusern wird in großen Töpfen Reis gekocht. Unter den Stelzenhäusern stehen Dutzende von hohen Reis-Töpfen zur Gärung. Auf anderen Feuerstellen wird neben kleinen Bächen 40%iger Alkohol destilliert. Der ausgekochte Reis wird weggeschüttet und dient den frei umher laufenden Schweinen als Futter.
Die Khun sind zwar Buddhisten, aber sie meinen, sich doch gegen Geister schützen zu müssen. Über der Eingangstür eines Hauses hängt ein Tsaleo, ein sternförmiger Glücksbringer, zur Abwehr der Dämonen. In den Reisfeldern der Khun stehen Pfähle (Dan Had) für eine gute Ernte und zur Vertreibung der bösen Geister.
Die älteren, traditionellen Häuser haben keine Fenster und ihre Außenwände laufen schräg nach außen. Auf dem Dach schützt ein kleines Giebeldach die Rauchabzugsöffnung vor Regen.
Die Khun haben ihre eigene Sprache und Schrift.
Abends meldet die BBC die Folgen des Erdbebens und der Flutwelle. 6300 Tote, davon 2450 auf Sri Lanka, 1000 Tote in Südindien.
Die Nacht wird sehr kalt. Mit diesem Temperaturwechsel zwischen 30° am Tag und 3-5° in der Nacht müssen wir in den nächsten Wochen zurecht kommen, und in den Hotels gibt es keine Heizungen.