9. Die Sonne zwischen den tausend Pagoden von Bagan
Auf unserem Weg in den Norden betreten wir ein solches Feld bei Bagan. Mit Pferdekutschen und mit Fahrrädern fahren wir durch eine ganz unwahrscheinliche Landschaft. Über viele Jahrhunderte wurden hier Pagoden und Tempel errichtet. Wo wir hinblicken, sehen wir die Spitzen der Pagoden, ein Wald von Ziegelsteinbauten in allen Größen mitten in den trockenen Feldern, auf denen noch Reste von Baumwolle stehen und Kürbisse zwischen grünen Blättern liegen.
Ein Sonnenaufgang zwischen den Tempeln von Bagan ist ein mystisches Erlebnis. Weit vor Sonnenaufgang holen uns die Kutschen ab und bringen uns zu einer hohen Pagode. Die Nachtluft ist kalt und der Fahrtwind dringt durch unsere Pullover, während wir in den recht unbequemen Kutschen sitzen. An der Pagode müssen wir die Schuhe ausziehen auch Ruinen dürfen weder mit Schuhen noch mit Strümpfen betreten werden. Mit Taschenlampen zwängen wir uns durch einen schmalen Gang über hohe Stufen aufwärts zu den Terrassen. Vor uns liegen im Grau der Nacht die dunklen Spitzen der Bauwerke. Von unten dringt der rote Schein eines Feuers zu uns herauf, graue Rauchwolken ziehen an uns vorbei. Die Silhouetten der Bäume werden allmählich sichtbar. Tak taktak tak. Da schlägt ein hartes Holz gegen eine Holztrommel. Stimmen, gequetscht, lang gedehnt, breiten sich aus, ziehen durch die schwarze Nacht. Graue Rauchwolken tragen die Töne hoch, die sich wie ein Netz auf alle Schatten niederlegen. Eine Beschwörung des Lichts. Magisch und ohne Pause dauert der Gesang der koreanischen Nonnen, die mit gefalteten Händen unter uns stehen, an, bis der schwarze Nachthimmel in ein mildes Grau übergegangen ist und Farben sichtbar werden. Die Lichtwerdung, das Sichtbarwerden der Welt, der Gang aus der Dunkelheit des Nichtwissens zur Helligkeit des Wissens um den Grund des Seins wird hier als magische Verwandlung erlebbar. Die Magie wird spürbar während der Dämmerungsphase. Das Sichtbarwerden der Farben ist dagegen ohne Zauber. Nur der Übergangszustand wird gefeiert. Der Gesang endet in diesem Augenblick, obwohl die Sonne erst später erscheint. Dieses Licht eines diffusen Übergangszustandes wird künstlich auch in den halbdunklen Meditationshöhlen und Buddhagrotten der Pagoden hergestellt.
Einen ganz anderen Erlebnischarakter hat die Form des Sonnenuntergangs. Er eignet sich für große Gefühle. Die große rote Sonnenscheibe, die sich im Wasser vervielfältigt, die einen roten Teppich zum Betrachter hin auslegt, deren wechselnde Rotfärbungen sich am Himmel in den Wolken spiegeln, bietet dagegen eine dramatische Szenerie. Das AH und OH der Zuschauer entspricht meist einem leeren Klischee. Hier wird der Mensch nicht nach Innen geführt, sondern steht vor einem Naturspektakel, das nach lauter Zustimmung verlangt. Toll! Wunderbar! Phantastisch! Klatschen wir der Natur Beifall!
Da erwarten wir doch als Steigerung oder Abschluss des Geschehens, dass Buddha selber mit der Schar seiner Jünger erscheint. Viele solcher Sonnenuntergänge haben wir auf unserer Reise erlebt, aber nur einmal den Sonnenaufgang im Pagodenwald von Bagan. Annähernd vergleichbar war nur der Sonnenaufgang auf den Mayaruinen im wolkenverhangenen Urwald von Tikal (Guatemala), während in der Ferne die Brüllaffen den beginnenden Tag besangen.
Zu diesen weitläufigen Pagodenfeldern gehört auch die Shwezigon Pagode, die über einigen Knochen und Zähnen Buddhas errichtet wurde und wo alle 37 Nats, die Volksheiligen der Burmesen, aufgestellt wurden. Vielleicht sind meine unangenehmen Begegnungen in dieser Pagode auf die Anwesenheit der dämonischen Geister zurückzuführen, die immer aktiv werden, wenn man sich nicht genügend um sie kümmert. Kinder halten die Hände hin: "Bon", d.h. Bonbons und "money". Mönche winken uns zu "one foto one dollar." Und sie lachen und halten ihre schwarzen Betteltöpfe hin. Die Händlerinnen laufen auf uns zu oder winken "Come". Eine zeigt auf mein Hemd "your T-shirt for my papa." Eine andere zeigt auf meine Uhr "Your watch" und sie zeigt auf ihren Verkaufsstand. Ich soll mir etwas aussuchen. Ein Junge fragt "How much?" Er zeigt mir eine Schachtel voller Glassteine. Einen "Rubin" für meine Uhr. Zum Beweis, dass er echt ist, legt er den Stein auf den Boden und schlägt mit einem Ziegelstein darauf. Der Ziegelstein zerbricht und er hält stolz den Rubin hoch vor meine Augen. Es ist nicht möglich, die Pagode in Ruhe zu besichtigen. Immer wieder steht eine Händlerin vor mir "postcards one dollar".
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