
Mit Worten auch

quer
verwortet
Febr 2022
Literaturwerkstatt Bocholt
Lyrische Kommunikation

...
Lebendig
gesungen (Juli 2020) Literarische-Texte
zu Corona
Versdialoge von Katja Perricci und Günter
Neuenhofer zu Kunstwerken der Ateliergemeinschaft "zeitweilig
ART" (2018), zur Kubaai-Brücke/Bocholt (2019) und trialogisch
mit Bettina Oehmen zu den Themen Herbst, Wolken, Farben u.a. mit
eigenen Fotos (2019 und 2020)
...
...
zeitweilig
versdialogisch - - - - versdialogisch
brückwärts
Die Eliteraten
(2012 - 4. 2018)
Die
Eliteraten waren eine auf Lyrik spezialisierte
Schreibgruppe. Mehrfach setzten sie sich lyrisch mit den
Themen von bildenden Künstlern auseinander und präsentierten
ihre Texte innerhalb von Kunstausstellungen.
Die
Eliteraten 2018 "Die
Eliteraten" 2017

wenn-schwarz-in-rot-ertrinkt
(Verse zu Bildern von Jutta Lawerino / Blick ins Buch)
. 
"Hört eliterarische malwortkunst, spürt eliterarische kunstsprachwellen, hier fließen die flussworte der eliteraten. Hier ins kunstflussatelier spülte uns vor jahren verflossener seelenklang aus winterfrühlings zeiten.
Sie sind gekommen und hören sturzbachmäßige malwortkunst, unsägliche flusswortgesänge. Sie sind gekommen und hören sprudeltransformkunst, unsäglich wirbelnde maulwerkflüsse. Wir sprachkunstfinder-kunstsprachsprecher werfen hier verwortet unsere netze. wir firnissen nicht, wir stauen nicht den fluss, wir entdecken verflossenes, wir kratzen im wortschlamm, wir reinigen klärend die malkunstrinne.
Hört unser sprachflusssprechen, unsre wörterstrudel, unsre sprachsturzbäche. Hier im bocholter farbkunstbrunnen fließt eliterarisch unsere kunstsprechfarbe, hier rauscht eliterarisch der sprachkunstfluss, hier verströmen die eliteraten ganz verflossen ihre regentexte, hier wollen wir herzlich fließen, löschen mit unseren worten den eliterarischen flusskunstbrand."
Die
Eliteraten 2016
Literaturkreis
2015 -
Literaturkreis
2014
2013:
Literarischer Gesprächs- und Arbeitskreis
"Literarisches Schreiben"
VHS-Bocholt
1.
Halbjahr 2012, 2.
Halbjahr 2012
1.
Halbjahr 2011, 2.
Halbjahr 2011
1.
Halbjahr 2010, 2. Halbjahr 2010
1.
Halbjahr 2009, 2.
Halbjahr 2009
2.
Halbjahr 2008

Foto: Anne Quirmbach
"Schreibwerkstatt"
VHS-Borken
1.
Halbjahr 2008
2.
Halbjahr 2007
1.
Halbjahr 2006, 2.
Halbjahr 2006
1.
Halbjahr 2005, 2.
Halbjahr 2005
1.
Halbjahr 2004, 2.
Halbjahr 2004
1.
Halbjahr 2003, 2.
Halbjahr 2003
Texte
der Kursteilnehmer
Schreibwerkstatt 2. Halbjahr 2009 (2.9.2009)
Vom
alltäglichen Sprechen zum gestalteten Schreiben
1.
Einen Eindruck formulieren a) in Stichworten oder in einem
Satz, b) in kurzen Verszeilen
2.
Eine Beschreibung des Eindruckes nach vorgegebenen Regeln:
Elfchen
(Beschränkung auf elf Wörter):
-
pro Zeile eine bestimmte Wortanzahl (1/2/3/4/1), Variante:-
eine bestimmte Silbenanzahl pro Zeile (1/2/3/4/1)
-
inhaltliche Vorgaben (Farbwort, Bezugsobjekt, Ortsangabe,
Ich-Aussage, Pointe)
Haiku
(japanische Lyrikform): eine bestimmte Silbenanzahl pro
Zeile (5/7/5). Es entsteht ein Renga, wenn eine andere Person
zwei weitere Zeilen hinzufügt (7/7). - Inhaltliche Vorgaben:
Beschreibung einer Wandlung oder eines Gegensatzes
Surreales
und metaphorisch-gleichnishaftes Erzählen
Spielerische
Methoden, durch Zufall überraschende Bilder und Geschichten zu
finden.
1.
Im Surrealismus entwickelte Methode (literarische
Richtung ab 1920 in Paris): A. Breton betont, dass man im
Cadavre exquis über ein unfehlbares Mittel verfüge, das
kritische Denken auszuschalten und der metaphorischen
Fähigkeit des Geistes freie Bahn zu verschaffen. (Spiel mit
gefaltetem Papier, in dem es darum geht, einen Satz oder eine
Zeichnung durch mehrere Personen konstruieren zu lassen, ohne
dass ein Mitspieler von der jeweils vorhergehenden Mitarbeit
Kenntnis erlangen kann. Das klassisch gewordene Beispiel ist Le
cadavre-exquis-boira-le-vin-nouveau (frz. = „Der
köstliche-Leichnam-trinkt-den-neuen-Wein“). Der Begriff
surreal bedeutet traumhaft – unwirklich.
2.
Ein Gegenstück dazu bildet écriture automatique
(automatisches Schreiben) Vgl. Nitrofrottage: Abbildungen oder
Texte aus Zeitschriften, Zeitungen, Drucke etc. werden mit
Hilfe von Nitroverdünnung mit einem Lappen in den Bildgrund
„gerieben“.
Materialsammlung
und Gestaltung (G.Neuenhofer, 3.9.2009)
Sätze
mit zufälligen Wortkombinationen bilden das Material für kurze
Verse
1.
Wort- und Silbenelfchen
„Die
Vorhänge atmen Abschirmung.“
Blau
die Abschirmung
vor den Fenstern,
ich atme die Vorhänge,
Schatten.
Blau
atmet
kein Vorhang
den Schreibenden
jetzt
„Weltkarte
weht über die Schreibenden.“
Farbig
die Weltkarte
an der Wand,
weht über die Schreibenden
richtungsweisend.
Neu
sind doch
die Wörter
Schreibenden.
Nicht.
„Der
Stuhl spricht mit den Schreibenden.“
Grau
die Stühle
mit den Schreibenden,
ich spreche mit ihnen
verschlüsselt.
Hart
der Stuhl
fürs Schreiben,
sprich doch mit mir
jetzt.
2.
Haiku
„Der
Schuh verdirbt dünnhäutigen Wahnsinn hinter dem vergrämten
Geld.“
“Ole“
Dünnhäutiger
Wahn
mit vergrämten Krediten
verdirbt das Geschäft.
Vergrämter Banker
mit dünnhäutigen Schuhen
verdirbt Geschäfte.
Vorbilder
für surreale Erzählweisen
Ein
sehr alter Herr mit riesengroßen Flügeln,
Gabriel Garcia Marquez (*1927 in Kolumbien)
(Auszüge
aus der Erzählung)
Am dritten Regentag hatten sie im
Hausinnern so viele Krabben getötet, daß Pelayo durch
seinen überschwemmten Hinterhof waten mußte, um sie ins
Meer zu werfen, denn das Neugeborene hatte die ganze Nacht
gefiebert, und man glaubte, der Pestgestank sei daran
schuld. Die Welt war trostlos seit Dienstag. Der Himmel
und das Meer waren ein einziges Aschgrau, und der Sand des
Strandes, der im März funkelte wie Glutstaub, hatte sich
in eine Brühe aus Schlamm und verfaulten Seemuscheln
verwandelt. Das Licht war so zahm am Mittag, daß Pelayo,
nachdem er die Krabben fortgeworfen hatte, beim Heimkehren
nur mit Mühe wahrnahm, was sich da hinten im Hof, bewegte
und jammerte. Er mußte ganz nahe herantreten, um zu
entdecken, daß es ein alter Mann war, der mit dem Gesicht
im Schlamm lag und sich trotz großer Anstrengung nicht
aufrichten konnte, weil ihn seine riesengroßen Flügel
daran hinderten.
…Es
geschah nämlich in jenen Tagen, daß unter vielen anderen
Attraktionen der wandernden karibischen Jahrmärkte im Dorf
das Schauspiel einer Frau zu sehen war, die aus Ungehorsam
gegen ihre Eltern in eine Spinne verwandelt worden war.
Der Eintrittspreis für ihre Besichtigung war nicht nur
geringer als der für den Engel, es war auch erlaubt, ihr
jede Art von Fragen über ihre absonderliche Beschaffenheit
zu stellen und sie von vorn und hinten zu untersuchen, so
daß niemand die Wahrheit des Entsetzlichen bezweifeln
konnte. Sie war eine ungeheure Tarantel von der Größe
eines Hammels und mit dem Kopf einer traurigen Jungfer.
Aber nicht ihr aberwitziges Aussehen war das
Herzzerreißendste, sondern die ernste Kümmernis, mit der
sie die Einzelheiten ihres Mißgeschicks erzählte. Fast
noch ein Kind, hatte sie sich aus ihrem Elternhaus auf
einen Ball gestohlen, und nachdem sie die ganze Nacht ohne
Erlaubnis getanzt hatte, riß auf dem Heimweg ein
fürchterlicher Donnerschlag den Himmel in Hälften, und
durch diese Spalte stieß der Schwefelblitz herab, der sie
in eine Spinne verwandelte. Ihre einzige Nahrung waren
Fleischbällchen, die mildtätige Seelen ihr in den Mund
stopften…..
http://www.zeit.de/1972/36/Ein-sehr-alter-Herr-mit-riesengrossen-Fluegeln
Ein
seltsames Tier
(Skizze nach Gabriel Garcia Marquez, G.N.)
Am
fünften Segeltag trafen sie im Yachthafen an der
Ostseeküste so viele Quallen an, dass sie schon nicht mehr
auf die Federn und Schmutzteile achteten, die im Becken
herum schwammen, und sie glaubten, ein Bad in diesem
verseuchten Wasser würde sie krank machen, kränker als sie
schon waren nach der letzten Fahrt durch Sturm und hohe
Wellen. Katzenaugen blitzten auf den Wellen und sprangen
hin und her. Die Wellen warfen den Bug des Bootes entgegen
dem Willen des Steuermannes, die Gischt ging über den
Rücken der Bootsmannschaft und durchnässte ihre Kleidung,
während der Wind an den Segeln zerrte, dass sie flatterten
wie wild gewordene Hühner unter dem Beil des Schlächters.
Das Funkeln der aufblitzenden Sonne an der Mastspitze, das
sie noch am Morgen als Hoffnungszeichen eines
wunderschönen Tages gedeutet hatten, war verschwunden in
einem Sud aus Regengrau. Als die Mannschaft erfuhr, dass
in der letzten Nacht ein Skipper über Bord gegangen war,
und man sein Boot verlassen an einem Strand gefunden
hatte, bestärkte dies ihren Willen in diesem Hafen zu
bleiben und abzuwarten, bis die aufgewühlte See sich
beruhigt hätte.
So
war es kein Wunder, dass von den vier Seglern zunächst
niemand das kleine Häufchen Federn zwischen der
Backbordseite und dem Steg bemerkte, als sie in einer Box
anlegten. Erst beim Anschließen des Elektrokabels zeigte
Axel auf das graubraun gesprenkelte Etwas. Ein Vogel.
Undefinierbar. Vielleicht eine Möwe. Axel dachte an eine
Friedenstaube, eine Taube als Zeichen für das Ende des
Konfliktes zwischen ihm und dem Skipper. Am nächsten
Morgen sollte er die Mannschaft verlassen, so hatte der
Skipper gesagt, mit ihm könne er die Sicherheit des Bootes
nicht gewährleisten. Dabei hatte Alex nur protestiert, als
er vom Skipper hemmungslos angeschrien wurde. Aber so war
wohl das Leben an Bord, einer hatte das Sagen, die anderen
mussten schweigen.
Alex
schien alle Hoffnung auf den Vogel zu setzen. Er glaubte
fest daran, dass er eine Friedenstaube sei. „Seht nur
genau hin, von ihr geht ein seltsames Glänzen aus!“
Tatsächlich schien ein goldener Glanz vom Vogel
auszugehen, der sich über das dunkle Wasser ausbreitete
und sogar auf den glucksenden Wellen lag, die gegen die
Wände des Bootes schlugen. Leider zeigte der Vogel jedoch
nicht seine Kraft als Friedenstaube. Alex musste von Bord.
Der Skipper war unerbittlich.
Die
Geschichte des Vogels aber begann danach erst richtig. Ein
Pfarrer hatte ihn in Augenschein genommen und darauf
hingewiesen, dass einige Merkmale, vor allem der Glanz,
sein Kopf und sein geflecktes Gefieder durchaus auf eine
religiöse Herkunft schließen ließen. Gleichzeitig zitierte
er viele Stellen aus der Bibel. Besonders die Stelle aus
Jesaja 40,31 überzeugte viele Menschen: „Aber die auf den
HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit
Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden,
dass sie wandeln und nicht müde werden.“ Der Vogel erhielt
vom Pfarrer einen komfortablen Käfig neben der Kirche, so
dass die Gläubigen vor und nach der Sonntagsmesse ihn
sehen und berühren konnten. Bald kamen sogar Menschen von
weither um sich durch den Anblick des göttlichen Vogels
Kraft zu holen.
Irgendwann
kam auch unsere Bundeskanzlerin und besichtigte ihn,
zeigte mit ihrer bekannten Geste, die ein Fingerzelt
zeigte, auf den Vogel, schloss ihre Hand zu einer sanften
Faust und beteuerte. „Das ist doch der deutsche
Bundesadler, der die Botschaft gebracht hat, dass wir alle
zusammen die Krise bewältigen können. Er wird in der Tat
dafür sorgen, dass wir …..“ Dabei hob sie die Hand zu
ihrer berühmten, halben Segnung. „Er ist in der Tat Beweis
dafür, dass wir, dass ich, die Bundesregierung und das
deutsche Volk die Dinge auf den richtigen Weg gebracht
haben. Ja, wir sind auf einem guten Weg.“ Dann hob sie
auch die zweite Hand zur Segnung und stand so mit
geöffneten Handflächen vor den Anwesenden, dass einige
glaubten der Glanz des Adlers gehe auch von ihrer Person
aus.
Jedoch,
leider hatte sie nicht so genau hingeschaut. So war ihr
entgangen, dass dieser Vogel nur einen Kopf hatte und
nicht zwei wie der Bundesadler. Betroffen zog Angela ihren
Kopf zwischen ihre Schultern, machte die Geste des
„So-groß-ist-der-Fisch“ und überließ das Tier dem
gläubigen Volk und dem Gemeindepfarrer der kleinen
Hafenstadt.
Seitenanfang
Schreibwerkstatt,
VHS-Bocholt, 16.9.2009
Erlebtes
in Worte fassen
1.
Erfinde absurde, rätselhafte, visionäre Erzählungen
(Parabeln).
Heimkehr,
1920 (Franz Kafka, 1883-1924)
Ich
bin zurückgekehrt, ich habe den Flur durchschritten und
blicke mich um. Es ist meines Vaters alter Hof. Die Pfütze
in der Mitte. Altes, unbrauchbares Gerät, ineinander
verfahren, verstellt den Weg zur Bodentreppe. Die Katze
lauert auf dem Geländer. Ein zerrissenes Tuch, einmal im
Spiel um eine Stange gewunden, hebt sich im Wind.
Ich
bin angekommen. Wer wird mich empfangen? Wer wartet hinter
der Tür der Küche? Rauch kommt aus dem Schornstein, der
Kaffee zum Abendessen wird gekocht. Ist dir heimlich,
fühlst du dich zu Hause? Ich weiß es nicht, ich bin sehr
unsicher. Meines Vaters Haus ist es, aber kalt steht Stück
neben Stück, als wäre jedes mit seinen eigenen
Angelegenheiten beschäftigt, die ich teils vergessen habe,
teils niemals kannte. Was kann ich ihnen nützen, was bin
ich ihnen und sei ich auch des Vaters, des alten Landwirts
Sohn. Und ich wage nicht an die Küchentür zu klopfen, nur
von der Ferne horche ich, nur von der Ferne horche ich
stehend, nicht so, dass ich als Horcher überrascht werden
könnte. Und weil ich von der Ferne horche, erhorche ich
nichts, nur einen leichten Uhrenschlag höre ich oder
glaube ihn vielleicht nur zu hören, herüber aus den
Kindertagen. Was sonst in der Küche geschieht, ist das
Geheimnis der dort Sitzenden, das sie vor mir wahren. Je
länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man. Wie
wäre es, wenn jetzt jemand die Tür öffnete und mich etwas
fragte. Wäre ich dann nicht selbst wie einer, der sein
Geheimnis wahren will.
Fremd
werden (G.N.)
Sie
ist zurückgekehrt, sie hatte den Eingang gefunden und
schaute sich sichernd vorsichtig um. Es ist ihr altes
Zuhause. Die Enten schnattern, ein Schaf blökt, die Hühner
gackern. Die Baumleiter neben der hinteren Tür. Die
Pflastersteine versperren scheinbar den Weg nach oben. Die
Beeren des Holunderstrauches liegen schwarz und saftig im
Sand des Bodens.
Sie
ist angekommen. Wer wird sie begrüßen? Was erwartet sie
hinter dem Eingangsloch unter dem Dach? Aus dem Abzugsrohr
der Küche strömt würziger Bratenduft. Lässt sie sich
verführen? Soll sie den Baumstamm hinauf ins Innere des
Hauses klettern? Wird nicht oben der Schwarze stehen, sie
anfauchen und sie mit scharfen Krallen abwehren? Sie
wartet und horcht, schaut nach oben. Aber hier unten sind
ihre scharfen Ohren gefüllt mit Erinnerungen aus guten
Zeiten. Werden die jetzigen Bewohner ihre verschorften
Wunden waschen, ihr Fell bürsten und ihr Milch geben?
Sie
kann es nicht wissen, dass ein anderer ihren Platz
eingenommen, dass dort hinter der Mauer ein anderes
Zuhause entstanden. Schon dreht sie ihren Kopf zurück in
Richtung Wald und Straße, wo sie viele Monate herumgeirrt,
die schönen Bildern der Erinnerung im Kopf. Würde sie sich
nicht misstrauisch ducken, schon wenn sie leise Fußtritte
hörte und würde sie nicht auf der Stelle im Dickicht
verschwinden, wenn jetzt ein lautes Fauchen ertönte?
2.
Erinnerungen an Personen
Von
oben (Hans
Georg Bulla, 1949 geb.)
Sein
Gesicht ist nicht
zu sehen, nur die linke
Hand, behaart, fest um
den Schaufelstiel gepresst.
Auf
dem Kopf die dunkle
Mütze, großkariert das
Hemd, sein Arbeitshemd.
...........
...........
Der
Vater (Günter
Grass, aus Gleisdreieck, 1960)
Wenn
es in der Heizung pocht,
schauen ihn die Kinder an,
weil es in der Heizung pocht.
Wenn
die Uhr schlägt und Bauklötze
stürzen, schaun die Kinder,
weil die Uhr, den Vater an.
...............
................
Brief (Franz
Kafka, 1919)
Liebster
Vater,
Du
hast mich letzthin einmal gefragt, warum ich behaupte, ich
hätte Furcht vor Dir. Ich wusste Dir, wie gewöhnlich,
nichts zu antworten, zum Teil eben aus der Furcht, die ich
vor Dir habe, zum Teil deshalb, weil zur Begründung dieser
Furcht zu viele Einzelheiten gehören, als dass ich sie im
Reden halbwegs zusammenhalten könnte. Und wenn ich hier
versuche Dir schriftlich zu antworten, so wird es doch nur
sehr unvollständig sein, weil auch im Schreiben die Furcht
und ihre Folgen mich Dir gegenüber behindern und weil
überhaupt die Grösse des Stoffs über mein Gedächtnis und
meinen Verstand weit hinausgeht.
…http://de.wikisource.org/wiki/Brief_an_den_Vater
Mieze
(G.N.)
Wenn
es in der Nase kribbelt,
schaut sie hoch mit großen Augen,
weil ich plötzlich nießen muss.
Wenn
die Tür und Kinderschritte
trappeln, schaut sie,
weil die Tür, mich an.
Wenn
der Kaffee zischt und gurgelt
steht sie sprungbereit vor mir,
weil sie ihre Milch verlangt.
Erst
wenn`s draußen dunkel ist,
schaut sie aufgeregt hinaus,
weil sie draußen wildern will..
Ihr
Kopf ist nicht mehr
sichtbar, nur die haarigen
Ohren, spitz, suchen
nach unhörbaren Rufen.
Zwischen
den Gräsern der gefleckte
Kopf, dreifarbig das
Fell, ihr Körper.
Erdigbraun die Furche, bis
zum Rücken hineinge-
duckt, ja, flach gedrückt
so richtig tief.
Ein Augenblick der höchsten
Spannung jetzt.
Käthe
(G.N.)
Wenn
sie
ihr Kinn
hebt
ist das
wie ein
Befehl
steh gerade
sprich lauter
mit mir
hier oben
blick ich
auf dich
pass auf
was ich sage
zu dir
sag danke
gib mir
die gute
die rechte
hand
schau
mich an
wenn ich
spreche
mit dir
und
merk
dir
die
Worte
Liebes
Geburtstagskind,
ich
möchte die Gelegenheit ergreifen und Dir an Deinem 8.
Geburtstag für Deinen weiteren Lebensweg Glück und Gottes
Segen wünschen. Bleibe immer ein artiges Kind, auf das
deine Eltern und deine Tante stolz sein können. Du bist ja
jetzt schon erwachsener, so dass Du weißt, was Du tun
darfst und was Du nicht tun darfst. Mach Deinen Verwandten
keine Schande. Lerne fleißig, damit Du gute Noten nach
Hause bringst. Als Geburtstagsgeschenk habe ich Dir 5 Mark
beigelegt und ein lehrreiches Buch. Du hast ja inzwischen
in der Volksschule lesen gelernt. Wenn Du mich besuchen
kommst, kannst Du mir sicher etwas aus dem Buch erzählen.
Anfang
Dezember erwarte ich Dich mit Deinen Eltern in unserem
Elternhaus in Neuwerk.
Viele
Grüße von Deiner Patentante Käthe
Schreibwerkstatt,
VHS-Bocholt, 23.9.2009
Personenbeschreibungen
Konstruktion
einer Person in der Gruppe
Der
eine Teilnehmer übernimmt Kopf und Hals, ein anderer Arme und
Rumpf, ein anderer den Unterleib und wieder ein anderer die
Beine. Beschreibe detailliert die Teile, so dass auch Gefühle
und Meinungen deutlich werden.
Überarbeite
das „Porträt“ so, dass ein bestimmtes Bild (lustiges,
trauriges, melancholisches, langweiliges…..) entsteht.
1.
Personenschnappschuss
Photographie
(Rolf Dieter Brinkmann, 1940-1975)
Mitten
Auf der Straße
Die Frau
In dem
Blauen
Mantel
2.
Personenbeschreibung auf Grund bestimmter körperlicher
Kennzeichnen
Kurzverse
mit jeweils 2-4 Hebungen
Großmutters
Nase (Martin
Walser )
Streng
steht mir Großmutters Nase
Und stumm im Gesicht
Auf eine eigene hoff ich nicht mehr.
Großmutters Nase, sag ich, wie geht es?
Bist du noch da?
Dann so ein Schnauben von mir,
der Großmutters Nase zum Schnauben benützt
.............
.............
3.
Personenbeschreibung auf Grund eines Verhaltens in einer
Situation
Langverse
mit jeweils 6 Hebungen
Die
junge Frau (Wang Giän)
Zur
Küche steigt hinunter sie am dritten Tag.
Sie wäscht die Hände sich, um eine Suppe anzurühren;
Weiß nicht, ob sie der Schwiegermutter schmecken mag,
und lässt zunächst die kleine Schwägerin probieren.
Großvater
(G.N)
Breit
und rund und ohne ein Haar
leuchtet Großvaters Schädel
mir wie ein Spiegel.
Was du gesagt,
wohin ich gehe,
ist nicht mein Weg geworden.
Wo
find ich nun mein Spiegelbrett,
wenn ich tastend um mich schau?
Noch ist mein Schädel bedeckt vom Haar,
vom Wind zerzaust die Frisur.
Komm,
Johann, zeig, was richtig ist,
erzähl von vergangener Zeit,
lass funkeln deinen Schädel.
Mitten
im Hühnerstall
Großvater
mit den
dampfenden
Kartoffeln
Hinter
den Sträuchern
Großvater
mit der
blau-roten
Amtsmütze
Am
Abend steigt er ab von seinem Eisenrad.
Er nimmt von seinem Kopf die Mütze, den Schädel sich zu
reiben.
Wird Anna wohl zufrieden sein am Skatspieltag,
wenn die Zehntelpfennige hin und her sich teilen?
Schreibwerkstatt
Günter Neuenhofer, VHS-Bocholt, 7.10.2009
Beschreibung
eines Dinges
1.
Das Ding in der Beschränkung auf das äußerlich Wahrnehmbare
2.
Das Ding als Symbol
Ein
Dinggedicht enthält die poetische Darstellung eines
Objekts, eines zumeist intensiv wahrgenommenen Gegenstandes
der äußeren Wirklichkeit.
Teebeutel
(Haiku)
I
nur in sackleinen
gehüllt, kleiner eremit
in seiner höhle.
II
nichts als ein faden
führt nach oben. wir geben
ihm fünf minuten.
Die
Kerze, Francis Ponge (1899-1988)
Manchmal
entzündet die Nacht eine seltsame Pflanze, deren Schein die
möblierten Zimmer in Schattenmassive zerteilt.
Ihr Goldblatt steht in der Höhlung eines Alabastersäulchens
reglos an tiefschwarzem Stiel.
Die zerlumpten Falter bestürmen sie gern bei allzu hohem
Mond, der die Wälder verdunsten lässt. Doch versengt
sogleich oder erschöpft vom Tumult, schaudern sie alle am
Rand einer Raserei, die der Betäubung gleicht.
Die Kerze indes, durch schwankenden Schein auf dem Buch,
macht dem Leser unter jähem Entweichen des ihr
eigentümlichen Rauches Mut, - dann neigt sie sich über ihren
Teller und ertrinkt in dem, was sie speist.
Francis
Ponge lehnte radikal alles psychisch Bedeutsame, alle
lyrizistische Motivik, Stilistik oder Symbolik seiner
Zeitgenossen ab…..Die Struktur seiner Kunsttexte erinnert an
surrealistische Schreibweisen - doch im Gegensatz zu diesen
war Ponge an lexikalischer Präzision interessiert, "Definition
statt Deskription". …..Die Annäherung an den Gegenstand
(Regen, Herbst, Brombeeren, Kerze, Auster, Tür, etc.) erfolgt
nach zähem Ringen um die richtige Distanz……das Schreiben wird
selbst zum Gegenstand.
Op
de fiets (Frans
Deschoemaeker, 1985 West-Flandern)
Open
en bloot het land. En enigzins mooi
in de droeve, decoratieve geometrie
van steeds eendere veldwegels
die uitlopen in het grijs.
Sterk voelt hij zich wel,
met gepantserde schouders op de fiets, lachend
tegen al dat grijs. En eenzaam godverdomme.
Eenzaam als de kleiduif
aan de rand van zijn gezichtsveld.
Zo rijdt hij. Bandhonden en tweelopen trotserend.
En de droeve, halfzachte winterdag (zonder
sneeuwhaas
poolvos en Verschrikkelijke Sneeuwman).
Zo rijdt hij. En in de papperige bladermassa
van de bosrand gaat zijn rijwiel even steigeren.
In de wilde carrousel van wilgen, canada`s
en wiegend weiland rijdt hij daar godvergeten
door het grijs. Naar welk ander grijs?
Naar
welke onherkenbaarheid?
Auf
dem Fahrrad
Offen
und bloß das Land. Und irgendwie schön
in der traurigen, dekorativen Geometrie
stets gleicher Feldwege,
die sich im Grau verlieren.
Stark fühlt er sich schon,
mit gepanzerten Schultern auf dem Rad, lachend
in das ganze Grau. Und einsam, verdammt nochmal.
Einsam wie die Tontaube
am Rand seines Blickfeldes.
So fährt er. Doppelflinten und Kettenhund trotzend.
Und dem traurigen, törichten Wintertag (ohne Schneehase,
Polarfuchs und Yeti).
So fährt er. Und in der breiigen Blattmasse
des Waldsaumes bäumt sich sein Fahrrad kurz auf.
Im wilden Karussell von Weiden, Pappeln
und wogenden Wiesen fährt er dort gottverlassen
durch das Grau. Zu welchem anderen Grau?
Zu welcher Unkenntlichkeit?
Der
Ball (Rainer Maria Rilke, 31.7.1907, Paris )
Du
Runder, der das Warme aus zwei Händen
im Fliegen, oben, fortgiebt, sorglos wie
sein Eigenes; was in den Gegenständen
nicht bleiben kann, zu unbeschwert für sie,
zu wenig Ding und doch noch Ding genug,
um nicht aus allem draußen Aufgereihten
unsichtbar plötzlich in uns einzugleiten:
das glitt in dich, du zwischen Fall und Flug
noch Unentschlossener: der, wenn er steigt,
als hätte er ihn mit hinaufgehoben,
den Wurf entführt und freilässt -, und sich neigt
und einhält und den Spielenden von oben
auf einmal eine neue Stelle zeigt,
sie ordnend wie zu einer Tanzfigur,
um dann, erwartet und erwünscht von allen,
rasch, einfach, kunstlos, ganz Natur,
dem Becher hoher Hände zuzufallen.
Der
Schatten des Körpers des Kutschers,
1952, Peter Weiss,
Peter
Weiss, geboren 1916 bei Berlin, übersiedelte 1940 nach
Schweden. Er arbeitete als Maler, Filmemacher und
Schriftsteller und schrieb bis Ende der fünfziger Jahre in
Schwedisch. Er starb 1982 in Stockholm. In seinem Mikroroman
werden die engen Innenräume einer bürgerlichen Hölle
geschildert, in der nur noch die Rituale einer oberflächlichen
Ordnung den alltäglichen Ablauf sichern. Die banalste
Beobachtung wird in Sprache umgesetzt. Zwei Gruppen, die
Familie mit dem väterlichen Oberhaupt auf der einen Seite und
fünf Junggesellen - mit dem schreibenden Erzähler -, versorgt
von der Haushälterin und dem Hausknecht, bilden eine häusliche
Wohngemeinschaft. Kein Gefühl, keine menschliche Nähe, keine
normale Verständigung werden beschrieben.
Durch
die halboffene Tür sehe ich den lehmigen, aufgestampften Weg
und die morschen Bretter um den Schweinekofen. Der Rüssel
des Schweines schnuppert in der breiten Fuge, wenn er nicht
schnaufend und grunzend im Schlamm wühlt. Außerdem sehe ich
noch ein Stück Hauswand, mit zersprungenem, teilweise
abgebröckeltem gelblichem Putz, ein paar Pfähle, mit
Querstangen für die Wäscheleinen, und dahinter, bis zum
Horizont, feuchte, schwarze Ackererde. Dies sind die
Geräusche: das Schmatzen und Grunzen des Schweinerüssels,
das Schwappen und Klatschen des Schlammes, das borstige
Schmieren des Schweinerückens an den Brettern, das
Quietschen und Knarren der Bretter, das Knirschen der
Bretter und lockeren Pfosten an der Hauswand, die
vereinzelten weichen Pfiffe des Windes an der Ecke an der
Hauswand und das Dahinstreifen der Wind-böen über die
Ackerfurchen, das Krächzen einer Krähe, das von weither
kommt und sich bisher noch nicht wiederholt hat (sie schrie
Harm), das leise Knistern und Knacken im Holz des Häuschens,
in dem ich sitze, das Tröpfeln der Regenreste von der
Dachpappe, dumpf und hart, wenn ein Tropfen auf einen Stein
oder auf die Erde fällt, klirrend, wenn ein Tropfen in eine
Pfütze fällt, und das Schaben einer Säge, vom Schuppen her.
Das ruckhafte, zuweilen kurz aussetzende und dann wieder
heftig einsetzende Hin und Her der Säge deutet darauf hin,
dass sie von der Hand des Hausknechts geführt wird. Auch
ohne dieses besondere, oft von mir gehörte und durch
Vergewisserung bestätigte Merkmal wäre es nicht schwer zu
erraten, dass der Hausknecht die Säge handhabe, da außer ihm
nur ich, und selten einmal der Hauptmann, doch nur am frühen
Morgen und mit unverkennbarer Langsamkeit, sich des Holzes
im Schuppen annehmen; es sei denn, dass eben ein neuer Gast
eingetroffen wäre und sich mit dem Werkzeug und dem straffen
Vorbeugen und Zurückziehen des Rückens und der vorstoßenden
und zurückschnellenden Armbewegung von der Steifheit in den
Knochen nach der langen Wagen-reise hierher erholen will.
Doch ich habe den Wagen nicht kommen hören, weder das
Scheppern der Räder und Riemen, noch das Poltern der
Karosserie, weder das Hornsigna des Kutschers, das dieser
bei seiner Ankunft auszustoßen pflegt, noch sein Schnalzen
mit der Zunge und seinen trommelnden Zungenlaut, mit dem er
das Pferd zum Halten mahnt, auch das Stampfen des Pferdes
habe ich nicht gehört, und auf dem aufgeweichten Feldweg
müsste es zu hören gewesen sein. Und wäre der Gast zu Fuß
angelangt, so ist es unwahrscheinlich, dass er sich gleich
in den Schuppen begeben hat, und selbst wenn er, vielleicht
aus Neugier, in den Schuppen getreten wäre, so hätte ihn die
Müdigkeit nach dem langen Gehen (eine Tageswanderung zu Fuß
von der nächsten Stadt aus) und die Dicke und Unförmigkeit
der Wurzelstücke und Baumstümpfe von der Arbeit abgehalten.
Ich bleibe also dabei, dass es der Hausknecht ist, der im
Schuppen die Säge in die schweren Holzblöcke hineindrückt
und in ihnen hin und her zieht […].
Seitenanfang
Schreibwerkstatt 1. Halbjahr 2009
1.
Thema: „Manche mögen Poesie“ - „In vielen Familien schreibt
niemand Gedichte.“- „Ich sehe dass ich dasitze und
schreibe.“- „Vielleicht könnte man zehn Zeilen schreiben,
die gut sind.“
-
"Wenn ein Schreibender in
einer Winternacht ....." Vervollständige
den Satz.
Beispiel:
Wenn ein Dichter in seinem Urlaubsort am Bodensee die Sonne
in dem Wasser versinken sieht, greift er in der Nacht zur
Feder, um seine Gefühle und Gedanken zum Klimawandel zu
formulieren.
-
Cluster "Schreiben". Formuliere einen Satz aus den
aufgeschriebenen Wörtern.
Beispiel:
Als der Autor seinen Roman zum dritten Mal umschrieb,
wechselte er sein Schreibwerkzeug und seinen Stil. Er
schrieb nicht mehr mit seiner Schreibmaschine, sondern
tippte den Text in seinen PC, suchte ein literarisches Forum
und machte den Text in einem Blog der Öffentlichkeit
zugänglich.
-
Aufgabe: Schreibe im Stil der folgenden Autoren einen
eigenen Text.
Rainer
Maria Rilke, Die
Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge
Wislawa Szymborska, Manche
mögen Poesie und Lob
der Schwester
Inger Christensen, Ich sehe
Variation
zu W. Szymborska
Menschen
mögen Krieg
Menschen
-
das heißt nicht alle.
Nicht einmal die Mehrheit, sondern die Minderheit.
Abgesehen von Parteien, wo man mögen muss,
und von den Kriegsförderern selbst,
gibt`s davon etwa zwei pro Tausend.
Mögen
-
aber man mag auch ein Honigbrot
mag Spaziergänge in der Frühlingssonne,
mag den Gesang der Vögel,
mag den Erfolg beim Kartenspiel,
mag Katzen und Kinder streicheln
Krieg
-
was aber ist Krieg.
Manch windige Antwort
hat es auf diese Frage bereits gegeben.
Aber ich weiß nicht, ich weiß nicht. Ich wehre mich
dagegen,
wie gegen die hereinbrechende Nacht.
Mieze
Meine
Katze hat ernsthafte Probleme
und wird wohl nicht plötzlich mit sich und der Welt im
Reinen sein.
Sie hat`s wohl von meiner Frau, die auch ihre Probleme
hat,
auch von mir.
Unter unserem Dach fühlt sie sich gesichert.
Meine Kinder haben ebenfalls Probleme.
Und klingt es auch wie eine Bildschlagzeile,
jeder von meinen Verwandten hat Probleme.
Meine Katze sucht ihre Ruhe.
Mehrmals täglich besetzt sie meinen Ruheplatz,
rollt sich zusammen, schließt ihre Augen.
Dann weiß ich, sie sagt mir:
Ich habe ganz und gar
überhaupt keine Probleme
Variation
zu I. Ch.
gebeugt
über den schreibtisch drück ich die tasten
sehe den cursor blinken sehe buchstaben
im tross des schwarzen striches lese
beuge mich vor in die leere dahinter
lese geglücktes gedachtes getippt ins
weiße schwarz gerändert buchstaben
vor meinen augen wörter zu sinn
geschrumpft beuge ich mich in sie
gespeichert bleibt das geschriebene
hinterdrein sich druckend aufs weiße Papier
ich sitze und melde mich ab
getrieben vom ungeschriebenen
Leben,
Erinnern, Schreiben - Variationen zu RMR
Ich
glaube, ich könnte aufhören zu arbeiten, jetzt, da ich
schon über 30 Jahre als Lehrer tätig war, und ich könnte
aufhören zu reisen, da ich so viel von der Welt schon
gesehen habe. Es ist so viel schon geschehen in meinem
Leben. Ich könnte aufhören zu schreiben.
Zur
Erinnerung: ich habe als Kind Abenteuergeschichten
geschrieben und Krimis im Stile Jerry Cottons, die Lehrer
haben es mir nicht geglaubt und Gedichte. Aber mit meinen
heutigen Versen haben sie so wenig zu tun wie barocke
Möbelstücke mit dem Bauhaus-Stil und auch mit der
Pop-Kultur. Von der Literaturzeitschrift Akzente wurden
sie mit Empfehlung weitergereicht. Ich habe sie später
irgendwann vernichtet. Denn Verse sind nicht, wie manche
Leute meinen, Gefühle, die hochtrabend, pathetisch
daherkommen. Um eines Verses willen muss man sich sehr
bemühen, und immer wieder andere Möglichkeiten
ausprobieren, etwas in Worte zu fassen. Man muss die
gefundenen Worte formen, ja in einen Rahmen setzen, und
dann lesen, laut lesen. Man muss den gewohnten Klang
vergessen können. Mal sollte man den Text flüstern, mal
mit gehobener Stimme sprechen, mal nett, mal böse, immer
wieder neu. Man muss zurückdenken können an Situationen,
an unerwartete Begegnungen und an Abschiede, die im
Innern, im Kopf oder im Herzen, wachsen wie Samenkörner in
warmer, feuchter Erde. Dann kann es geschehen, dass in
einer ruhigen Stunde das erste Wort eines Verses plötzlich
da ist und wie ein Pflänzchen aufwächst und sich eine Form
sucht.
Aber
so sind nur wenige Texte entstanden, also sind es keine
echten, sind Bastarde. War ich ein Nachahmer, dass ich
eines Vorbilds bedurfte, um gute Texte zu schreiben? Wie
leicht ich in die Falle ging. Und ich hätte doch wissen
müssen, dass diese Anderen, die durch alle meine Texte
gehen, die nicht ich sind, keine Bedeutung haben. Muss ich
sie leugnen? Durfte ich sie als poetische Reittiere
benutzen?
Aber
ich fahre weiterhin durch die Gewässer der Literatur,
umfahre die Klippen der Bestseller, notiere die Ereignisse
meiner Reisen, gerate in den Strudel fremder Kulturen und
lasse es geschehen, dass die Wellen mich hierhin und
dorthin treiben und mich manchmal verschlingen. In der
Hand halte ich dann die bunten Fische, Korallen- oder
Schlammfische, und suche einen Markt, sie anderen zu
zeigen, z.B. euch.
2.
Thema: Wörter überschwemmen dich,
die Idee kommt beim Reden, Dinge werden zu Wörtern, die
Schöpfung wird noch einmal gedacht.
Ernst
Jandl, von wörtern,
Hertha Kräftner (1928-1951), Sieh, ich bin deine
Gebärde
Paul Celan, Aus Sprachgitter
Heinrich von Kleist (1805), Über die allmähliche
Verfertigung der Gedanken beim Reden
Beispiele
von Günter Neuenhofer, im März 2009:
Ratschläge
Hör,
ich will dein Ratgeber sein.
Lass
es nicht zu,
dass er dich verlässt.
Ich vermute ganz stark:
Du wirst ihn verlieren
weil der Abschied
so endgültig ist.
Geh,
geh.
Geh ein Stück deines Weges, geh,
geh ins Ungewisse,
willst leben, willst leben.
Es
geht, geht so!
Über
die allmähliche Gesundung eines Menschen beim Gehen
Wenn
du dich nicht wohl fühlst und dein inneres Gleichgewicht
wieder finden möchtest, so rate ich dir, mein Lieber, geh
hinaus aus deinem Zimmer in die Natur. Es braucht nicht
eben ein großer Park zu sein, auch meine ich nicht, dass
du dort auf einer Parkbank verweilen solltest: nein.
Vielmehr solltest du allererst mit großen Schritten über
die Wege gehen und dabei die frische Luft tief einatmen.
Ich sehe dich zwar große Augen machen und mir antworten,
man habe dir in früheren Jahren den Rat gegeben, den Arzt
als besten Ratgeber aufzusuchen und dich nicht lange mit
einem Unwohlsein herumzuschlagen, dessen Ursachen du nicht
eindeutig feststellen kannst. Damals mag dir der Rat als
der beste erschienen sein, ich will, dass du nicht auf den
Rat Fremder hörst, die dich nur sehr ungenügend kennen,
sondern auf deinen eigenen Rat, auf die Signale deines
eigenen Körpers. Horche auf dich selbst. Bewege dich in
der Natur, und deine Natur wird zu dir sprechen. Im
übrigen lassen sich beide Ratgeber gut miteinander
verbinden. Dein Körper sagt es dir, und dein Arzt wird es
dir sagen. In beiden Fällen musst du gehen, über die
Wiesen, die Felder, durch den Park, den Wald und über die
Asphaltstraßen zu deinem Arzt. Der Volksmund sagt,
Probieren geht über Studieren.
von
menschen
erwarte
von anderen nichts
sie handeln nur
für sich
sie wissen es nicht
überrennen dich
und dein leben
was sie dir
angetan
kann
etwas sein
für
zeitungsschreiber
3.
Themen: Beschreibung von Vorgängen - Erzählhaltungen -
jambische und trochäische Versmaße in Texten
Ich
ging im Walde so vor mich hin (Johann
Wolfgang von Goethe, 1749-1832),
Das alte Lied
(Fridolin Tschudi, 1912-1966),
Ulysses
(James
Joyce, 1914
und 1921 )
Es
ist etwa zwei Uhr in der Nacht. Bloom nimmt Stephen mit zu
sich nach Hause. Bloom hat seinen Schlüssel vergessen. Er
klettert durch ein Fenster ins Haus und schließt dem
wartenden Stephen die Tür von innen auf. Bloom bietet
Stephen an, in der Eccles Street 7 zu übernachten.
Wurde
der Vorschlag der Asylgewährung angenommen?
Er wurde prompt, unerklärlicherweise, auf liebenswürdige
Art, mit Dank abgelehnt…..
Welche
Handlung führte Bloom beim Eintreffen an ihrem
Bestimmungsort aus?
Auf der Haustreppe der 4. der äquidifferenten ungeraden
Nummern, Eccles Street Nummer 7, führte er mechanisch die
Hand in die Gesäßtasche seiner Hose, um den
Wohnungsschlüssel herauszuholen.
Befand
dieser sich dort?
Er befand sich in der entsprechenden Tasche der Hose,
welche er am vorvorangegangenen Tage getragen hatte.
Warum
wurde er hierdurch doppelt zum Zorn gereizt?
Weil er vergessen hatte und weil ihm einfiel, daß er sich
zweimal gemahnt hatte, nicht zu vergessen.
Welche
Alternativen boten sich nunmehr dem vorsätzlich und
(respektive) schlüssellosen Paar?
Rein oder Nichtrein. Klopfen oder Nichtklopfen.
Beispiel
von G. Neuenhofer, im April 2009
Verschlossene
Türen in fernen Ländern
15.00
Uhr
Es
ist etwa drei Uhr am Nachmittag. James gelingt es, den
alten, qualmenden Diesel mit den beiden Touristen bis zu
einem einsamen Waldhaus am Ufer des Urwaldflusses zu
steuern, bevor dieser röchelnd seinen Geist aufgibt. Die
Tür des Hauses ist verschlossen. James nimmt ein großes
Messer und bricht die Schrauben, die das Schloss halten,
aus dem Holz und reißt die Tür auf, so dass die
Wartenden ihr Gepäck ins Haus bringen können. James
bietet ihnen an, in dem Haus zu übernachten.
Welche
Handlung führte James nach der vergeblichen Suche nach
einer Unterkunft und dem drohenden Versagen seines Autos
aus? Er ließ das Auto bis zum nächsten Haus am Rand eines
Urwaldflusses ausrollen.
Wurde
der Vorschlag einer Übernachtung angenommen? Er wurde
prompt verständlicherweise, auf empörte Art, abgelehnt…..
Hatten
die Touristen eine andere Chance? Nein, sie befanden sich
hier in fremder Landschaft. Sie mussten den Vorschlägen
von James in allen Punkten folgen.
Wie
konnte James die Tür zum einsamen Waldhaus öffnen? Er
suchte mit seiner rechten Hand in dem Handschuhfach unter
den Autopapieren, einigen Rechnungen von
Hotelübernachtungen neben einer Packung Zigaretten.
Befand
sich dort ein Schlüssel? Es lag dort ein Fahrtenmesser.
Konnte
er die Tür des Hauses ohne Schlüssel öffnen? Ja, er nahm
sein großes Messer und hebelte die Schrauben, die das
Schloss hielten, aus dem Holz des Türrahmens und riss die
Tür so weit auf, dass der Zugang ins Haus möglich war.
Wurden
die Touristen durch diesen Vorgang zum Zorn gereizt? Weil
sie nichts Unrechtes tun wollten und sich vorgenommen
hatten, immer vorsichtig zu sein.
Welche
Alternativen boten sich nunmehr dem vorsätzlich und
(respektive) schlüssellosen Beteiligten? Rein oder
Nichtrein. Suchen oder Nichtsuchen.
18.00
Uhr
Es
ist etwa sechs Uhr am Abend. James gelingt es, seinen
alten Ambassador mit den beiden Gästen bis zu einem
Eisentor zu steuern. Die Tür ist verschlossen. Das
Eisentor ist durch Ketten und Schlösser gesichert. Er
klettert über das Tor und über den Stacheldraht ins
Innere des Parks und läuft zu dem Missionshaus im
Hintergrund. Nach einer geraumen Zeit kommt ein Priester
und schließt den im Dunkeln Wartenden die Tür von innen
auf und bietet ihnen an, in dem Schulhaus der Salesianer
zu übernachten.
Wurde
der Vorschlag der Übernachtung angenommen?
Er wurde prompt, unerklärlicherweise, auf liebenswürdige
Art, mit Dank angenommen…..
4.
Themen: Redewendungen und Bilder als Anregungen zum
Schreiben
1)
Schreibe einen Text, in dem einige der folgenden
Redewendungen vorkommen:
Das
geht auf mich! - Es geht einem etwas über die Hutschnur -
Das geht über meinen Verstand!- Ich glaube, es geht los -
Das geht zu weit! Das geht klar! Jemandem geht ein Licht
auf.
2)
Schreibe zu folgenden Bildern Texte in der Ich-Form
(Selbstgespräch) und in der Er-Form nach dem Muster von
James Joyce!
-
Foto einer Frau und
Zimmer in New York,
E.Hopper, 1932,
-
Setze die stilistischen Merkmale des Joyce-Textes
Stück für Stück um! Komprimiere deine Geschichte, indem du
nicht mehr Wörter benutzt als Joyce. Imitiere auch den
Satzbau. Füge jeweils die zu deiner Geschichte passenden
Wörter ein.
(Kurze
Sätze, Er-Erzählung, Dialog, Selbstgespräch ohne
Zwischenglieder, assoziative Reihung von Wörtern)
James
Joyce, Ulysses
Mr.
Bloom beobachtete neugierig, freundlich, die geschmeidige,
schwarze Gestalt. Sauberer Anblick: der Glanz ihres
glatten Fells, der weiße Knubbel unter dem Knauf ihres
Schwanzes, die grünen, blitzenden Augen. Er bückte sich zu
ihr hinab, die Hände auf den Knien.
–
Milch für das Pussilein, sagte er.
–
Mrkgnau! schrie die Katze.
Die
sollen dumm sein. Dabei verstehn sie besser, was wir
sagen, als wir sie verstehn. Sie versteht alles, was sie
will. Auch rachsüchtig. Grausam. Ihre Natur. Neugierige
Mäuse piepen nicht. Scheinen es zu mögen. Möchte doch
wissen, wie ich ihr vorkomme. Turmhoch? Nein, sie kann ja
an mir hochspringen.
Original:
Mr Bloom watched curiously, kindly the lithe black form.
Clean to see: the gloss of her sleek hide, the white button
under the butt of her tail, the green flashing eyes. He bent
down to her, his hands on his knees.
—Milk
for the pussens, he said.
—Mrkgnao!
the cat cried.
They
call them stupid. They understand what we say better than we
understand them. She understands all she wants to.
Vindictive too. Cruel. Her nature. Curious mice never
squeal. Seem to like it. Wonder what I look like to her.
Height of a tower? No, she can jump me.
Komprimiere
deine Geschichte, indem du nicht mehr Wörter benutzt als
Joyce. Imitiere auch den Satzbau. Füge jeweils die zu deiner
Geschichte passenden Wörter ein.
Paare
1.(zum
Foto einer Frau)
Lisa schaute nachdenklich, träumend, auf das rote
Plastiktuch. Seine Augen auf der anderen Seite des Tisches:
glanzlos die dunkle Pupille, die struppigen Haare über den
schmalen Schlitzen seiner Augen, die wirre, fettige Mähne in
seiner Stirn. Sie lehnt sich zurück, die Hände flach auf dem
Tisch.
„Eine Limonade für mich“, sagte sie.
„mmmmm!“, stieß er hervor.
Dieser
Typ will cool sein. Dabei ist das, was sie wollen, leichter
zu durchschauen, als sie glauben. Er kann nicht sagen, was
er will. Total schüchtern. Sein Charakter. Eltern setzen die
Regeln. Scheinen autoritär. Möchte doch wissen, wie ich ihm
vorkomme. Gut erzogen? Ja, er kann doch seinen Mund
aufmachen.
2.
(Zum Hopper-Bild)
Die Frau legte einen Finger auf die
Tasten des Klaviers, kalt, glatt. Der Mann im roten Sessel:
das Gesicht über dem Zeitungsblatt, die dunkle Weste und die
Krawatte auf dem weißen Hemd. Er beugt sich vor, die
Ellenbogen auf den Oberschenkeln.
Winterreise,
sagte sie.
Kein Laut kam von seiner Seite.
Die
sind unerträglich. Dabei wissen sie genau, was wir wollen.
Er weiß, was ich will. Auch egoistisch. Bestimmend. Ihr
Charakter. Ehefrauen kochen und waschen. Dafür sind sie da.
Möchte doch wissen, wie er mich findet. Lästig? Nein, er
erwartet die Erfüllung seiner Wünsche.
5.
Musikalische Elemente in Texten
Gesehenes
und Erinnertes: geschrieben als fließender Text, als
Zeilengedicht, als Fuge.
Musikalische
Strukturen durch verschiedene Themen, die wiederholt,
verschränkt und variiert werden. Wortklänge durch
rhythmische und klangliche Elemente.
Norbert
Hummelt: aus „gegen morgen“, 1997
Was
ich geschrieben habe habe ich geschrieben sie wird
wiederkommen u. mich fragen warum das alles ich weiß alles
sehr genau ich habe nichts vergessen ich sitze an diesem
fenster zum platz es ist spät es ist nacht es ist weit nach
mitternacht es ist frühling - es ist frühling es muss
frühling sein ich habe einen kalender es ist vollmond es ist
frühling es muss frühling sein es ist vollmond es muss
vollmond sein der mond ist weiß der mond ist gut ich weiß
nicht wie der mond in die gosse gekommen ist da liegt er gut
ich sehe die ampeln ich liebe die ampeln es gibt nur ampeln
ich liebe die ampeln im schwarzen regen wenn die straßen
glatt gebügelt sind wie silberpapier dann wird sie
wiederkommen u. mich fragen ich sitze an diesem fenster es
regnet es ist frühling es muss frühling sein es ist vollmond
es muss vollmond sein es regnet es regnet nicht ich stehle
bei beckett sie merkt es nicht…die vögel es ist frühling es
muss frühling sein es ist vollmond es muss vollmond sein es
regnet es regnet nicht die vögel keine vögel es ist vollmond
der mond wirft regen auf den schwarzen asphalt welcher mond
wenn ich fragen darf ich sag ihr es sei an der zeit wieder
prosa zu schreiben ….weiße prosa schwarze prosa
mattglänzende leise schwingende prosa…
…
Paul
Celan: aus „Todesfuge“, 1945
Schwarze
Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der
schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes
Haar Margarete
er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die
Sterne er pfeift seine Rüden herbei
er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der
Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz
Rainer
Maria Rilke: aus „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets
Christoph Rilke“, 1899
Reiten,
reiten, reiten, durch den Tag,
durch die Nacht, durch den Tag.
Reiten, reiten, reiten.
Und der Mut ist so müde geworden
und die Sehnsucht so groß. Es gibt keine Berge mehr,
kaum einen Baum. Nichts wagt aufzustehen.
Fremde Hütten hocken durstig an versumpften Brunnen.
Nirgends ein Turm. Und immer das gleiche Bild.
Man hat zwei Augen zuviel. Nur in der Nacht
manchmal glaubt man den Weg zu kennen.
Vielleicht kehren wir nächtens immer wieder
das Stück zurück, das wir in der fremden Sonne
mühsam gewonnen haben? Es kann sein.
Die Sonne ist schwer, wie bei uns tief im Sommer.
Aber wir haben im Sommer Abschied genommen.
Die Kleider der Frauen leuchteten lang aus dem Grün.
Und nun reiten wir lang. Es muß also Herbst sein.
Wenigstens dort, wo traurige Frauen von uns wissen.
Unwirklich
(Variation zu Norbert Hummelt)
was
ich erlebt habe habe ich erlebt ihr werdet es nicht
glauben u. fragen wie ist das möglich ich weiß nicht genau
ich schaue hoch es ist kein traum es ist nach
sonnenaufgang es ist tag es ist tag es muss tag sein ich
habe schlechte ohren die autos auf der straße es ist tag
es muss tag sein die autos sind laut ich weiß nicht wohin
die autos fahren die nachrichten sprechen von katastrophen
unerklärlich die zerstörung das geld des bürgers des
staates es ist tag es muss tag sein ich höre die autos
viel geld wenig geld es ist tag ihr werdet entlassen in
insolvenz ein schwarzer tag ein weißer tag die nachricht
stört was stört dürft ihr fragen am abend fließen die
worte in den gully kein geld geld ohne arbeit schwarze
worte reißen euch in den tag u. ihr wollt es nicht glauben
ich auch nicht kein traum es ist ein tag es muss ein tag
sein ein schwarzer tag ein weißer tag ein laut polternder
katastrophentag
Zeitgemäße
Fuge nach Paul Celan
zwischen
den Zähnen das steinige Brot der Krise
wir beißen wir kauen wir knirschen
wir würgen und würgen
ein Mann wohnt im Haus der Banker der spielt mit dem Geld
der Sparer der pokert
der pokert so hoch ihm gefällt das Reichsein
der fordert Millionen wenn`s kriselt vom Steuerzahler gebt
mehr mir
er fordert Milliarden er tritt vor sein Haus und es heulen
die Aktionäre
er pfeift seine Trommler herbei lässt trommeln jetzt gebt
mir das Geld in die Hände
er fordert lässt uns die Steine zum Beißen zum Kauen zum
Würgen
Günter
Neuenhofer, Mai 2009
Kursprogramm 2008, 2. Halbjahr
1.
Einfache Gedichtformen:
Texte nach
bestimmten Regeln: Elfchen, Haiku (Kusakabe
Kyohaku 17. Jh.)
Minimalistische Kunst bzw. arte povera:
G.Ungaretti
1888-1970, Mattina und Stasera
Rolf Dieter Brinkmann, Photographie
2. Dingsymbol
und Leitmotiv als Konzentrationspunkte
Texte zur
Anregung und Orientierung:
Marguerite Duras, Text aus “Der Liebhaber“
Franz Kafka (1883-1924), Der Fahrgast
E.Jandl (1925-2000), das tuch (aus „idyllen“, 1985)
und das hemd (aus “die bearbeitung der mütze, 1981)
3. Leitmotiv
"Natur/Wolken"
Texte:
Inger Christensen (dänische Lyrikerin, aus: „det/das“,
1969/2002)
Ludwig Uhland, 1787-1862, Abendwolken
Günter Kunert, Auf der Schwelle des Hauses
Robert Walser, 1878-1956, Kleine Wanderung
4. Autobiografische
Texte:
Texte:
Elias Canetti, 1905-1994, Text aus Die gerettete Zunge,
Geschichte einer Jugend
Norbert Hummelt, geb. 1962, nachmittage
Inger Christensen, (Dänische Lyrikerin, 1935 geb.), Text aus
„alphabet“, 1981
5. Leitmotiv
„Zimmer“ (drinnen-draußen)
Texte:
Rilke, aus „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“, 1910
Franz Kafka, Großer Lärm, 1912
Max Dauthendey, 1867 – 1918, Die Mittagsstund'
Guntram Vesper, geb.1941, Licht in das Leben
6./7. Montagen/Collagen
Collagen mit
Werbesprüchen und Schlagzeilen, mit Sprichwörtern und mit
geschichtlichen Fakten
Texte:
Ingeborg Bachmann, Reklame
Ulla Hahn, Im Märzen
James Joyce, Ulysses, 1922
Semesterprogramme:
VHS-Borken
1.
Halbjahr 2008
2.
Halbjahr 2007
1.
Halbjahr 2006, 2.
Halbjahr 2006
1.
Halbjahr 2005, 2.
Halbjahr 2005
1.
Halbjahr 2004, 2.
Halbjahr 2004
1.
Halbjahr 2003, 2. Halbjahr 2003, s.u.
Texte
der Kursteilnehmer
Seitenanfang
Schreibwerkstatt 2.
Halbjahr 2003
1.
(25.9. 03)
Verknappung
von Sprache als literarisches Qualitätsmerkmal
Überlegungen
zum Veröffentlichen von geschriebenen Texten:
- Gemeinsames Schreiben eines Textes mit Partnern über Handy/
SMS und Email
- Veröffentlichung von Texten auf Internetseiten und in
Zeitungen
- Vortrag von Texten bei einer Abendveranstaltung evtl. mit
Musik (z.B. im Heimatmuseum oder in einem Lokal)
Konzentration
und Reduktion von Aussagen für die Entwicklung kleiner
Gedichte
Beispiel:
G.Ungaretti 1888-1970 (Minimalistische Kunst bzw. arte povera)
Morgen
Ich
erleuchte mich
durch Unermessliches
Übersetzung:
Ingeborg Bachmann
Mattina
M`illumino
D`immenso
VierWörter
auf sieben Silben reduziert, fast nur aus Vokalen bestehend.
Die Übersetzung benötigt mehr Wörter und klingt durch das
„-te“ und „er-“ sehr hart.
Heut abend
Ballustrade
aus Wind
um heut abend
meine Traurigkeit
aufzustützen
Stasera
Balaustrata
di brezza
Per appoggiare stasera
La mia malinconia
Drei Zeilen
mit jeweils drei Wörtern, in denen 13mal ein klingendes a
vorkommt.
Einfache
Gedichtformen: Elfchen und Japanisches Haiku
(11 Wörter in 5 Zeilen bzw. 5-7-5 Silben in 3 Zeilen)
Kreative
Übungen
1. Fünf Zufallswörter
(ein Substantiv, ein Eigenschaftswort oder ein Verb) die
jeweils die Kursteilnehmer einem TN zurufen, sollen in einem
sinnigen oder fantastischen Satz zusammengefasst werden.
(Ziel: Annäherung an ein Thema)
2. Die Wörter
sollen lawinenartig in eine Gedichtform (Berggedicht) gebracht
werden. In der ersten Zeile soll nur ein Wort stehen, dann
soll von Zeile zu Zeile ein weiteres Wort hinzukommen. In der
letzten Zeile soll nur ein Wort als Abschluss stehen.
3. Ein
sinniger oder unsinniger Erzähltext soll mit Hilfe der
Zufallswörter entstehen.
Beispiele
Von den
Kursteilnehmern vorgegebene Zufallswörter:
Gebet,
Vogelnest, Unglaube, Ausschuss, geschwind
Satz
mit den Wörtern:
Wie in einem
Vogelnest verbirgt sich geschwind der Ungläubige, weil er sich
wie Ausschuss fühlt und das Gebet verabscheut.
Berggedicht
Geschwind
Läuft
er
Zur
Tür hinaus.
Er
will nicht beten.
Lieber
sucht er ein Vogelnest.
Sein
Unglaube verletzt seine fromme Mutter,
die
da meint „Du bist nur Ausschuss“.
O
nein!
(Werkstatttexte
H.G.Neuenhofer)
Schreibwerkstatt
2.
(16.10. 03)
Oberfläche und Tiefe
Sichtweisen beim Schreiben
Metaphernkreisspiel:
Frage an die Teilnehmer. Was wäre diese Person als Tier, als
Pflanze, als Gebäude, als Buch, als
Musikinstrument/Musikstück, als Kleidungsstück...?
Wähle einen konkreten
Gegenstand aus deiner alltäglichen Umgebung aus.
1. Beobachte
diesen realen Gegenstand. Zeichne den Gegenstand bzw. mehrere
Gegenstände oder schreibe die Namen der Gegenstände auf ein
großes Blatt Papier. Schreibe weitere Wahrnehmungen hinzu.
2. Entscheide
dich für einen Gegenstand.
3. Schreibe
auf, welche Bedeutung der Gegenstand für dich haben kann und
übertrage die Eigenschaften, auch das Aussehen, auf eine
Person.
4.
Schreibe einen zusammenhängenden Text (Prosa, Verse, Dialog),
in dem ein Gegenstand symbolisch wird, d.h. mehrere
Bedeutungen bekommt, s. Beispiel 1
I. Übungen
zur gestalteten literarischen Beschreibung des Äußeren
eines Gegenstandes nach Vorbildern
Der rote
Handkarren
soviel
hängt ab
von
einem
roten Hand-
karren
glasiert
vom Regen-
wasser
bei
den weißen
Hühnern
The red
wheelbarrow (von W.Carlos Williams)
so much
depends
upon
a red wheel
barrow
glazed with
rain
water
beside the
withe
chicken
Aufgabe:
Schreibe nach dem Muster dieser Verse über den von dir
ausgewählten Gegenstand. Beginne mit den ersten beiden Zeilen.
Benenne die Farbe, etwas Besonderes, etwas aus dem Umfeld.
Beschränke dabei die Wörterzahl auf 16 und verteile sie nach
dem Muster 3/1, 3/1, 3/1, 3/1. s.u.. Beispiel 2
II.
Übungen zur Gestaltung eines Bewegungsvorgangs
nach einem Vorbild. Das Bild läuft ab wie eine Filmsequenz.
Einfaches
Bild (v. Rolf Dieter Brinkmann)
Ein
Mädchen
in
schwarzen
Strümpfen
schön, wie
sie
herankommt
ohne Laufmaschen.
Ihr Schatten
auf
der Straße
ihr Schatten
an
der Mauer.
Schön, wie
sie
fortgeht
in schwarzen
Strümpfen
ohne
Laufmasschen
bis unter
den Rock.
Aufgabe:
Schreibe nach dem Muster dieser Verse über den ausgewählten
Gegenstand.
Benenne den
Gegenstand und das Äußere, übernimm das zweimalige ̶schön,
wie“ bei den Bewegungsverben und die zweimalige Wiederholung
eines Substantivs. s.u.. Beispiel 3
Hausaufgabe:
Suche Fotos
mit interessanten Einzelobjekten und setze den optischen
Inhalt in Sprachbilder um. Schreibe drei Texte, zunächst nach
den beiden obigen Mustern und dann noch einen freien, selbst
gestalteten Text.
Beispiele:
1. Frei
gestaltet
(Solange
er seine Augen geschlossen hält yogamäßig weg, kann ich
was machen, sagt sich Kali, die Schreckliche, und leckt
wie gewöhnlich mit ihrer langen Zunge über ihr Brustbein.
Wie Zecken diese Sucher. Abgedreht und durcheinander.
Wahrscheinlich tanzen in seinem Hohlkopf jetzt alle seine
Frauen durcheinander. Jetzt saugt er doch tatsächlich,
aber ich bin nicht die Alte von Ephesus, schau her, 1000
Männerköpfe hängen an meinem Hals, also pass auf, lass das
Schnurren, Katzen haben Flöhe.
Ich
verpass ihm den roten Punkt, dann hat er sein Auge der
Weisheit. Vielleicht sieht er dann klarer. Flügel und
Brüste, da gröhl ich mein Nachtlied doppelt laut. Und lass
das Saugen, ich vertrag das nicht. Lächeln ist nicht mein
Markenzeichen. )
du
liegst in meiner hohlen hand
kühl, glatt und hart
dafür gemacht
du füllst sie ganz
du
liegst in meiner hohlen hand
mal hier, mal da,
dafür gemacht
mein muschelmund
du liegst in meiner hohlen
hand
folgst meinem wunsch
ein wenig grau,
mein niemandsland
So
sang er hinter dem Herbstblumenfenster die rostroten Töne
Shivas in den Leib der Gitarre.
Schön
könnte es sein. Seine Finger spielten auf den Tasten und mit
der rechten Hand bewegte er seine Zaubermuschel. Zwei hatte
er. Falls die erste nicht wollte, nicht mehr wollte, spielte
er linkshändig. Versonnen schaute er auf die Nabelschnur zu
seiner Linken. Seine rechte Muschel hatte dagegen keine
feste Verbindung zu seinem Bildfenster. Voll Wohlbehagen
legte er seine Hand auf ihre Wölbungen und schob sie langsam
über ihren Rücken. Es bereitete ihm Vergnügen. Sie strahlte
zwar nicht die sinnliche Wärme der anderen aus, ihre Haut
war kühl und glatt, aber sie war technisch besser. Mit ihr
konnte er weite Reisen unternehmen, konnte durch leichten
Druck in die rechte oder linke Hüftseite sie dazu bringen
hier und dorthin zu springen, über die Zeit und über die
Räume.
Beide
waren recht unterschiedlich.
An
kalten Tagen, wenn er Schnee und Eis über diese Welt kommen
ließ, nahm er lieber seine Kleine und drehte mit seinem
Zeigefinger das Rädchen und sprang zu den verschiedensten
Stellen, ließ Eis und Schnee verschwinden, zauberte
Paradiese, hatte Mitleid mit den Menschen, die ihre
Heimatdörfer verlassen mussten, gab ihnen eine weiße Wolke,
gab ihnen ein Vogelnest, ließ die Katze für sie schnurren.
Er
liebte beide. Er war Shiva, der tanzend Welten zerstörte und
neue erschuf. Manchmal saß er hinter seinem Blumenfenster
und alles war wüst und leer. Dann nahm er seine Muscheln und
siehe, es ward Licht und das Feste schied sich von dem
Wässrigen, er ließ Gras und Kraut aufgehen und er brachte
Lebendiges hervor. Er glaubte nicht den Bibelworten, die da
sagen, das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von
Jugend auf.
Gab
es nicht Vogelnest und Wolke und stand es nicht in seiner
Macht die Muschelhörner zu blasen, bis Durga erwachte und
die kosmische Ordnung wieder herstellte?
Du
liegst in meiner hohlen hand
Da ruh dich aus
denn manchmal ist`s finster
wüst und leer
So
schlug er seine Akkorde in den Leib der Gitarre und hörte
genussvoll die perlenden Sonnentöne der vor ihm
auftauchenden eisbedeckten Spitzen des blauen Himalayas.
2. Nach
vorgegebenem Muster
Die graue
Maus
soviel
hängt ab
von
der
grauen Muschel
Maus
schmeichelnd in hohler
Hand
neben blitzendem Bild
schirm
3. Nach
vorgegebenem Muster
Einfaches
Bild
Eine Maus
mit
glänzendem Rücken
schön, wie
sie
gleitet
ohne Widerrede.
ihr Klicken
auf
dem Tisch
ihr Klicken
in
meiner Hand.
Schön, wie
sie
ruht
mit rot-grünen
Lichtern.
(Beispieltexte
von H.G.Neuenhofer)
Schreibwerkstatt
3.
(13.11. 03)
Erzählen nach einer vorgegebenen Struktur
Tipps von
O.Preußler („Räuber Hotzenplotz“) nach einem Interview aus der
FAZ v. 20.10.03
1. Die
Phantasie beim Leser aktivieren, dass dieser z.B. den Baum
rauschen hört.
2. Phantasieanregende Namen für Personen und Orte finden.
4. Alltägliche Dinge detailliert beschreiben (Essgewohnheiten,
Leibspeisen).
5. Die Landschaft durch Messtischblätter erschließen.
6. Nach den ersten Notierungen auf Zettel oder Diktiergeräte
den Text verdichten.
Eine
kurze Geschichte erfinden und anekdotenhaft erzählen
Vorgegebene
Struktur
1.
Ausgangssituation mit Angabe der Zeit, des Ortes, der Personen
und des Geschehens. Auf detaillierte Wahrnehmungen achten
(Aussehen, Farbe, Geruch, Töne, Temperatur). Die Personen
wechseln kurze Sätze miteinander.
2. Entwicklung der Geschichte durch sich steigernde
Erzählstufen, in denen sich das Geschehen verändert.
3. Abschluss durch knappe Beschreibung einer neuen Situation
Spielerische
Entwicklung einer Geschichte im Schreibkreis entsprechend
der vorgegebenen Struktur
1. Jeder
Teilnehmer schreibt eine Überschrift auf ein Blatt Papier und
gibt es an den Nachbarn zur Linken weiter.
2. Jeder Teilnehmer schreibt die Geschichte in 10/15 Minuten
eine Erzählstufe weiter.
3. Der Schreiber der Überschrift schreibt einen pointierten
Schluss.
Überarbeitung
oder Neugestaltung einer Geschichte aus dem alltäglichen
Leben.
Übungen
zum Stil und zum Aufbau einer Erzählung
Aufgabe:
Herausarbeitung der typischen Merkmale einer Situation
Schreibstil
und Erzählstruktur: Einzelbilder, die eine bestimmte
Situation beschreiben, werden in Satzreihen aneinander
gehängt. Vieles wird nur angedeutet. In mehreren Zeitsprüngen
wird die veränderte Situation mehrfach beschrieben. Die
gesamte Erzählung zeigt eine chronologische Entwicklung. Die
Dramatik der Ereignisse steigert sich.
Literarisches
Vorbild für die Struktur ist „Das schwäbische Bad“ von Herta
Müller (aus „Niederungen“, Rotbuchverlag).
Beispiel:
Bilder
einer Autofahrt über indische Straßen
Es
ist früh am Morgen. Wir sitzen auf dem Rücksitz im Auto. Der
Fahrer sitzt hinter seinem Steuerrad. Hinter uns im Font
hängen das feuchte Handtuch des Fahrers und seine kurze
Schlafhose. Während der Fahrer den Motor startet, kurbeln
wir die Fenster herunter und atmen frische Luft von draußen.
Das Auto setzt sich in Bewegung. Auf der Straße dröhnt ein
LKW vor uns her. Aus seinem Auspuff löst sich eine schwarze
Wolke. Wir halten den Atem an und kurbeln schnell die
Fenster wieder hoch.
Es
ist spät am Morgen. Der Fahrer öffnet die Seitentür und
speit einen roten Saft auf die Straße. Die Kinder springen
zu Seite. Eine Kuh leckt sich mit langer Zunge über den
Rücken. Im Font des Wagens hängen ein trockenes Handtuch und
eine braune Hose. Während der Fahrer anhält, weil ein Bus
vor dem Auto steht, trinken wir Wasser aus einer Flasche.
Eine Frau klopft ans Autofenster, zeigt auf ihren Mund und
auf ein Baby, das sie hoch hält. Der Fahrer hupt und fährt
zwischen zwei Handkarren weiter. Wir drehen unsere Köpfe in
eine andere Richtung.
Es
ist zur Mittagszeit. Der Fahrer sagt: Ich muss etwas essen,
mein Frühstück. Das Auto steht zwischen alten Autoreifen.
Beim Essen der Mehlpuffer schiebt sich der Fahrer viele
grüne Chilischoten in den Mund. Wir kaufen eine Packung
gesalzener Biskuits. Der Mann hinter dem Gaskocher taucht
kleine Gläser in einen Eimer mit grauem Wasser und reibt mit
einem fleckigen Tuch über das Glas. Wir fassen sie mit den
Fingerspitzen und schlürfen den Milchtee ohne das Glas zu
berühren.
Es
ist am frühen Nachmittag. Die Klimaanlage bläst feuchte Luft
in den Wagen. Wir halten nur mühsam die Augen auf. Unser
Fahrer stoppt. Die Figur des elefantenköpfigen Gottes
pendelt wild am Rückspiegel. Vor uns steht ein Bus ohne
Vorderräder. Unter dem Bus liegt ein Mann mit einer großen
Stange. Wir umfahren die Felsstücke auf der Straße und
schaukeln durch die Löcher in der Piste. Einige Frauen
tragen Körbe mit Steinen zu den Löchern, während andere mit
einem Handbesen den Sand herauskehren. Wir schütteln mit dem
Kopf und sinken in einen kurzen Schlaf.
Es
ist am späten Nachmittag. Die Straße zeigt nur noch Löcher,
breit und tief. Am Straßenrand liegt ein Hund mit dem Bauch
nach oben. Es ist der fünfte Hund. Eine schwarze Krähe sitzt
neben dem leblosen Körper. Unser Fahrer öffnet die Seitentür
und speit einen roten Saft auf die rechte Straßenseite. Auf
der linken Straßenseite drängen sich Schafe und Kühe. Ein
Fahrradfahrer und Frauen mit großen Bündeln auf dem Kopf
warten, bis wir vorbei gefahren sind. Wir drehen uns um und
verfolgen sie mit unseren Blicken. Im Font hängen das graue
Handtuch und die braune Unterhose.
Es
ist am frühen Abend. Der Fahrer steuert das Auto langsam von
einem Loch zum nächsten. Neben der Straße liegt ein LKW mit
den Rädern nach oben. Wir essen kleine, gelbe Bananen,
öffnen ein Fenster und werfen die Schalen hinaus. Am
Straßenrand kommt uns eine lange Reihe von Kamelen entgegen.
Auf ihrem Rücken schaukelt jeweils ein Bettgestell und
Blechgeschirr. Auf dem Bettgestell sitzen Kinder und junge
Lämmer. Wir halten an und machen Fotos. Die Kamele und die
Frauen, die die Kamele führen, gehen ohne Pause weiter. Wir
lächeln sie an und winken.
Es
ist am späten Abend. Wir sehen keine Löcher in der Straße.
Auch die Kühe und die Ochsenkarren sehen wir nicht. Der
Fahrer fährt in Schlangenlinien. Ein anderes Auto fährt
ebenfalls in Schlangenlinien auf uns zu. Wir halten die Luft
an. Das Licht blendet, während wir langsam in ein Loch
hineinrutschen. Als wir die Augen öffnen stehen wir vor
einer grauen Wand. Wir holen tief Luft, öffnen die Autotüren
und steigen aus. Unsere Unterkunft trägt den Namen
Palasthotel.
Aufgabe:
Die Verse der vorletzten Stunde sollen Teil einer neuen
Geschichte werden.
Beispiel:
Im
Batakland
Lose
Enden lass ich baumeln
ohne Ende will ich taumeln
treiben durch den Märchenwald
sollen nik und nak mich wenden
als ein Geist in Wortgestalt
Es
war einmal vor langer Zeit in einem fernen Land, da hörte
ich eines Abends, als die Sonne blutrot hinter dem Horizont
verschwand, eine Stimme. Nur wenige Worte waren es, die wie
hart geschlagene Gitarrenakkorde mir in den Ohren klangen
„soviel hängt ab, hängt an, hängt ab“. Erschrocken schaute
ich nach, wer die Worte gesprochen haben könnte. Ich schaute
in alle Himmelsrichtungen, hinauf zu den Wolken und hinab
zur Erde, aber ich konnte keinen Sprecher entdecken.
Am
nächsten Abend zur gleichen Zeit, die Sonne stand wieder
blutrot am Horizont, da hörte ich ganz deutlich die Worte
„ein Drachen wird kommen mit spitzen Zähnen, in deiner Hand
wird er liegen ohne Wildheit mit weißen Augen bis unter dein
Kinn“. Erschrocken sprang ich auf und schaute umher, rieb
mir erst Augen und schaute noch einmal in alle
Himmelsrichtungen, hinauf zu den Wolken und hinab zur Erde.
Nichts.
Als
wieder Abend wurde, stellte ich mich ans Fenster, erwartete
den Sonnenuntergang und die geheimnisvolle Stimme. Ein
Windzug wehte um meine Nase, so dass mir ganz plümerant
zumute war. Soviel hängt ab von dem weißen Drachen mit den
spitzen Zähnen. Ich ließ den Satz baumeln im Wind. Mit
spitzen Zähnen ohne Wildheit mit der Sonne zwischen den
Krallen. Aber diesmal blieb die Sonne fahl hinter grauen
Wolken. Enttäuscht drehte ich mich um und schloss das
Fenster. Doch da hörte ich „verwandelt in Schlangenholz,
soviel hängt ab vom braunen Holz“.
Am
nächsten Morgen fühlte ich mich nicht ganz wohl und dachte,
ich werde einen dieser braunen Menschen kommen lassen, die
sollen meinen Rücken massieren und meine Sinne wieder
richten. Alsbald wurden nicht nur meine Muskeln gestreckt
und gestaucht, auch meine Knochen wurden gerollt und
zerlegt, so dass mir Hören und Sehen verging. Am Abend lag
ich dar nieder und dachte nicht mehr an die Märchenstimme.
Am
nächsten Tag konnte ich mich nicht mehr bewegen, weder nach
oben noch nach unten, konnte mich nicht mehr drehen, weder
nach rechts noch nach links.
Am
übernächsten Tag lag ein brauner, schlangenförmiger
Handstock neben meiner Liege, aber das änderte nicht viel an
meiner Lage. Die Tage gingen dahin, die Monate, der Sommer
kam und ging, der Winter klopfte an und verabschiedete sich.
Täglich nahm ich meinen braunen Stock in die Hand, spürte,
wie der Drache mit seinen spitzen Zähnen mich festhielt und
sah, wie er mit seinen weißen Augen mich fixierte, so dass
ich nur wenige Schritte tun konnte.
Ich
weiß nicht, wie viel Zeit verging, wie viel Wasser den Rhein
hinunter floss. Täglich drehte ich mich nach oben und nach
unten, nach rechts und nach links. Die Schlangenkraft zog
durch meine Muskeln in meine Knochen und richtete mich
wieder auf. Da passierte es, dass eines Abends, als die
Sonne blutrot hinter dem Horizont verschwand, ich wieder die
alte Stimme hörte. Voller Kraft sang sie ein Lied.
Ein
Drache
mit
spitzen Zähnen
schön, wie
er
liegt
ohne Wildheit
in deiner
Hand
seine Schlange
auf
dem Gehweg
seine Schlange
auf
der Straße
schön wie
er
gehorcht
mit spitzen Zähnen
ohne
Wildheit
die weißen Augen
unter
deiner Hand
Schnell
schaute ich in alle Himmelsrichtungen, hinauf zu den Wolken
und hinab zur Erde, nahm meinen Schlangenstock fest in die
rechte Hand und humpelte zum Fenster. Nichts.
Märchengestalten
sind unberechenbar, besonders am Abend, wenn sie sich mit
dem blutroten Heiligenschein der Sonne umgeben.
Auch
wenn mein Rücken etwas lädiert war und ich nicht mehr in
meinem Beruf tätig war, so ging die böse Geschichte, die
erst gar nicht zum Märchenende finden wollte, in meinem
Falle dann doch ganz manierlich aus.
An
Abenden, an denen die Sonne wie ein Feuerball versinkt,
denke ich noch immer an die schicksalhaften Zauberworte, die
ich im Bataklande hörte, und lass meine Seele baumeln.
soviel
hängt ab
von
einem braunen Hand-
stock
verwandelt in Schlangen-
holz
von den braunen
Menschen
(Werkstatttexte
H.G.Neuenhofer)
Schreibwerkstatt
4.
(27. 11. 03)
Gruppenübung:
die Teilnehmer tauschen ihre Erzählungen aus und jeder
schreibt einige Ergänzungen oder Veränderungen zur Erzählung
des Partners. (neuer Abschnitt, anderer Stil, wörtliche Rede,
neue Verben oder Adjektive...)
Übungen
zum Stil und zum Aufbau einer Erzählung
Vorgaben zu
Schreibstil und Erzählstruktur (s.Schreibwerkstatt II/3):
Einzelbilder,
die eine bestimmte Situation beschreiben, werden in Satzreihen
aneinander gehängt. Vieles wird nur angedeutet. In mehreren
Zeitsprüngen wird die veränderte Situation mehrfach
beschrieben. Die gesamte Erzählung zeigt eine chronologische
Entwicklung. Die Dramatik der Ereignisse steigert sich.
Literarisches
Vorbild für die Struktur ist „Das schwäbische Bad“ von Herta
Müller (aus „Niederungen“, Rotbuchverlag).
Übungen
zum genauen Beobachten und zum Schreiben von Dialogen
Kurzszene
nach einer vorgegebenen Struktur
Aufgabe:
Schreibe eine realistische Szene mit vielen Details
Vorgaben:
Beschränkung auf einen Ort, der wichtig für die Personen ist.
Genaue Ortsbeschreibung
Beschränkung auf drei Personen
Auftritt der 1. Person, die nach einiger Zeit wieder
verschwindet.
Beschreibung der Kleidung.
Auftritt der 2. und 3. Person ( unterschiedliche Charaktere)
Beschreibung der Kleidung.
Sie verhalten sich entsprechend ihrem Charakter und sprechen
auch in unterschiedlichem Stil.
Am Ende der Szene geht die 3. Person und die 1. Person
erscheint wieder. Es kommt zu einer kurzen Aktion und einem
Schlusssatz.
Vorbild: „Der
Hausmeister“ von Harold Pinter
Beispiel
Die
Alten von Ujjain
Personen:
Savitri, eine Frau, 70 Jahre
Krischna, der Ehemann, 80 Jahre
Ganesh, der Fahrer einer Fahrradrikscha und Musiker, 40
Jahre
Ort:
ein Haus in einer ländlichen Mittelstadt Indiens
Zeit:
ein heißer Nachmittag
1.
Ort. Ein kleiner , hoch eingezäunter Vorgarten mit einem
blühenden Strauch. Über der vergitterten Gartentür hängt
eine gelbe Blumengirlande. Rechts ein kleiner Tisch.
Dahinter ein vergittertes Fenster, links eine vergitterte
Tür mit Scheiben aus Milchglas, die offen steht.
2.
Ort. Blick in eine weiß getünchte Wohnung mit
Steinfußboden, die durch einen Gang geteilt wird. Rechts
ein Esszimmerchen mit einem kleinen Tisch. Links ein
Besuchszimmer mit einfachen Eisenrohrmöbeln an den Wänden,
einem Tischchen mit Fernsehapparat und drei Ventilatoren
an der Decke. Die braunen Polster sind ohne Form. Keine
Schränke. Ein Bild mit einer Wiese vor schneebedeckten
Bergen.
1.
Aktion. K. kommt von links hinten schwerfällig aus dem
Schlafzimmer in einem langen weißen, typisch indischen
Gewand mit einer dezenten Blumenstickerei an der
Knopfleiste. Seine schwarzen Haare hängen etwas wirr in
der Stirn. Er hinkt mit dem rechten Bein. In seiner linken
Hand trägt er etwa 10 beschriebene Blätter. Er bleibt
stehen, schaut hoch, zieht Stirn und Augenbrauen zusammen,
wischt sich den Schweiß aus dem Gesicht, stellt einen
Ventilator an und geht dann weiter nach rechts in einen
Abstellraum.
2.
Das Telefon auf dem Fernsehtisch klingelt mehrmals. Eine
Tür schlägt zu und eine ältere Frau von kleiner Gestalt
kommt mit schnellen Schritten von hinten herbei. Sie trägt
eine Brille, einen roten Punkt zwischen den Augenbrauen,
Ohrschmuck, eine einfache Halskette und einen dezenten,
braun gemusterten Sari, der den Bauch unbedeckt lässt. Sie
steht in der Tür, spricht nur wenige Sätze am Telefon und
eilt dann schnell nach hinten in die Küche.
3.
Man hört das Klingeln eines Fahrrades und eine Stimme.
Stimme:
Hier ist es, das letzte Haus in der Straße.
Ganesh,
der Fahrer, kommt von der Seite, putzt mit einem alten,
schmutzigen Tuch den Schweiß von Stirn und Nacken. Er
trägt ein graues T-Shirt und eine braune, lange Hose.
Unter dem Arm hält er ein kleines Saiteninstrument.
Er
bleibt am Tor stehen und versucht in die Wohnung zu
schauen. Nach einiger Zeit ruft er: Mister, Mister.
K.
kommt humpelnd aus dem Haus, öffnet das Tor, geht zwei
Meter zurück. G. hält die Hände zum Gruß gefaltet vor der
Brust und verneigt sich mehrmals.
K:
Ja, komm, setz dich.
Er
zeigt mit der Hand auf den kleinen Tisch vor dem Fenster.
G. setzt sich zögernd mit gesenktem Kopf auf den Boden.
K:
Sing mir das Lied von Cokhamela.
G.
nickt: Gott Vishnu wird Sie segnen.
K.
nimmt einen Stuhl und setzt sich in zwei Meter Entfernung
mit dem Rücken zum singenden Musiker.
König
der Könige, warum benachteiligst du manche!
Dein Verhalten verwundert mich.
Der eine hat eine Wohnung, wieder einer hat einen Thron,
der andere geht ohne Kleider herum.
Der eine hat Wurzeln zum Essen, wieder einer hat ein
Festmahl,
der andere erhält kaum sein Bettelbrot.
Der eine besitzt Ruhm, wieder einer trägt den Titel eines
Königs,
der andere bettelt von Haus zu Haus.
Solche
Gerechtigkeit herrscht in Deinem Hause.
Cokha sagt: Der Herr ist mein Schicksal.
Die
Frau schaut durchs Fenster, schließt dann das Fenster und
die Tür.
K.
steht auf, legt ein Geldstück auf den Tisch und geht ins
Haus.
Als
der Sänger später gegangen ist, holt die Frau einen Eimer
Wasser und beginnt den kleinen Tisch und den Boden vor dem
Fenster zu reinigen, wo der Sänger gesessen hat.
K.
kommt wieder mit einer Handvoll beschriebener Blätter.
S:
Du bestellst den Musiker und gibst ihm Geld. Hast du
schon den Brief an den Börsenmakler aufgesetzt?
K:
Ich bin dabei.
K.
steht steif in der Tür, während seine Frau redet und dabei
immer wilder den Tisch und den Boden traktiert, bis sie
schließlich in Tränen ausbricht.
S:
Es ist zum Verzweifeln. Die ganze Erbschaft ist weg. 10
000 Rupies. Unser Schwiegersohn hatte fest mit unserer
Hilfe gerechnet. Wie soll er allein sein Haus finanzieren.
Wir können seiner Familie nicht mehr in die Augen schauen.
Vielleicht trennt er sich wieder von unserer Tochter.
Diese Schande. Dieses Unglück.
K.
blättert in den Papieren, setzt sich an den gereinigten
Tisch, zu seinen Füßen seine verzweifelte Frau. Er hat die
Augen geschlossen und summt die Melodie des Sängers,
besonders den Refrain:
Cokha
sagt: Der Herr ist mein Schicksal.
(Werkstatttexte
H.G.Neuenhofer)
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